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Kreativität auf Knopfdruck: Das Ende von Patenten und Urheberrechten?

Künstliche Intelligenzen erschaffen in Sekundenschnelle digitale Bilder oder chemische Wirkstoffe. Angesichts dessen lohnt es sich wohl, die ökonomische Legitimation eines staatlichen Schutzes von Erfindungen und kreativen Werken zu überdenken.
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Das Bild «Théâtre D’opéra Spatial» hat der Künstler Jason M. Allen unter anderem mit Hilfe von KI erstellt. Das US-Copyright Office hat ihm den Urheberrechtsschutz in den USA verwehrt. (Bild: Wikimedia Commons)

Künstliche Intelligenz (KI) wird von vielen als zweischneidiges Schwert wahrgenommen: Einerseits eröffnet sie zwar riesige Möglichkeiten in Form neuer, nützlicher Werkzeuge. Andererseits läutet sie aber einen Strukturwandel mit entsprechenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen ein.

Diesmal trifft es einen Bereich, der bei bisherigen technologischen Revolutionen eher «glimpflich» davongekommen ist: unsere intellektuellen Leistungen. Diese haben – ökonomisch betrachtet – ohnehin einen schweren Stand: Einmal öffentlich bekannt, sind sie für Trittbrettfahrer einfach zu kopieren. Denn eine innovative Idee oder ein neuer Song können von Dritten relativ leicht genutzt oder vervielfältigt werden, ohne an die jeweiligen Entwicklungskosten einen Beitrag geleistet zu haben.

Das könnte viele davon abhalten, überhaupt erst Zeit und Geld in ein neues Krebsmedikament oder in ein neues Musikalbum zu investieren. Für die Gesellschaft als Ganzes wäre das allerdings nicht optimal, weil sowohl Erfindungen als auch kreative Werke sogenannte positive externe Effekte haben, das heisst, dass sie nicht nur für die direkt Beteiligten, sondern für die gesamte Gesellschaft einen positiven Nutzen aufweisen. Wie kann also ein Anreiz geschaffen werden, damit dennoch in kreative Leistungen oder Erfindungen investiert wird?

Die bisher bewährte Antwort auf dieses Problem sind Patente bei Erfindungen und Urheberrechte bei Kunstwerken und Literatur. Beide Schutzrechte gewähren exklusive «Vermarktungsrechte» für eine bestimmte Zeit, damit die Kreativen und Innovativen die Möglichkeit haben, ihre Investitionen wieder einzuspielen.

KI verändert das Spiel

Doch das Aufkommen von künstlicher Intelligenz stellt nun diese seit langer Zeit bewährten Systeme infrage. Mittlerweile können ganze Bücher mit Chat-GPT erstellt werden, und entsprechende KI-Tools generieren auf Knopfdruck neue chemische Wirkstoffe. Welche Auswirkungen hat das auf die existierenden Schutzrechtssysteme? Und ist in diesem Fall der staatliche Schutz von Erfindungen und kreativen Werken noch legitim? Starten wir mit einem Gedankenexperiment und schauen uns dann an, ob es weiterhin Patente und Urheberrechte zum Schutz von Erfindungen und Kunstwerken braucht.

Zuerst zum Gedankenexperiment[1]: Was geschieht, wenn es für Erfindungen oder Kunstwerke, die in diesem Experiment ohne jegliches menschliche Zutun und ohne zusätzliche Kosten entstanden sind (etwa für Energie, technische Geräte etc.), keinen Patentschutz oder Urheberrechtsschutz gäbe? Leidet dann die Innovation oder die Versorgung mit kreativen Werken wie Büchern, Musik oder Filmen?

Unter diesen Annahmen lautet die Antwort wohl nein. Denn KI produziert in diesem Fall kreative Werke und Erfindungen ohne weiteres menschliches Zutun. Sie braucht daher auch keine zusätzlichen Anreize über Schutzrechte. Denn gemäss ökonomischem Grundsatz brauchen einen staatlich gewährten Schutz nur Dinge, die ohne diesen Schutz nicht oder nur ungenügend vom Markt angeboten würden. Beispiele sind typischerweise immaterielle Güter wie neue Ideen oder ein Musikstück.

Lockern wir in diesem Gedankenexperiment nun etwas die restriktiven Annahmen. Wenn die Schaffung neuer Werke und Erfindungen zusätzliche Ressourcen wie Strom, Software etc. braucht, dann wird die Lage etwas komplexer. Es lohnt sich dabei, den Erfindungsfall und den Fall kreativer Werke gesondert zu betrachten.

Erfindungen brauchen weiterhin Patente

Was viele nicht wissen: Im Innovationsprozess von Pharmaunternehmen ist KI schon lange im Einsatz.[2] So werden für die Generierung von chemischen Wirkstoffen neben maschinellem Lernen auch ganz ähnliche KI-Modelle eingesetzt wie dasjenige, auf dem Chat-GPT basiert. Das beschleunigt den Forschungsprozess, der schliesslich zu einer Erfindung führt, und senkt entsprechend die Entstehungskosten.[3] Der Weg einer neuen, KI-generierten Substanz, bis sie als neues Medikament auf dem Markt zu kaufen ist, ist aber weiterhin langwierig und kostspielig. Diese Entwicklungs- und Zulassungskosten wird ein Unternehmen nur dann auf sich nehmen, wenn es auch die Möglichkeit hat, diese wieder einzuspielen. Ohne die Aussicht, das Medikament – wenn es dann auf dem Markt ist – für eine gewisse Zeit exklusiv vermarkten zu können, wird das Unternehmen die notwendigen Investitionen wohl kaum tätigen.

Der Patentschutz, der dieses exklusive Vermarktungsrecht auf Zeit gewährt, wird als Anreizinstrument also weiterhin notwendig sein – trotz Einsatz von KI im Erfindungsprozess. Allerdings könnten Anpassungen bei der Schutzdauer vonnöten sein, da dank KI-Einsatz insbesondere die wieder einzuspielenden Forschungskosten sinken dürften. Zurzeit deuten die Statistiken zu den Forschungsausgaben aber noch nicht darauf hin, dass diese Kosten bereits gesunken wären.

Kein Unterangebot bei Kunstwerken

Im Bereich der kreativen Werke wie Bilder, Musik und Text sieht die Situation etwas anders aus. Hier sind die Kosten, um ein geschaffenes Werk auch marktgängig zu machen, in der Regel nicht zuletzt dank der Digitalisierung überschaubar geworden. Ein Artikel, wenn er einmal geschrieben ist, kann ohne grosse zusätzliche Investitionen publiziert werden, dasselbe gilt beispielsweise für ein Foto. Neu ist nun, dass mit Chat-GPT und Co. auch die Produktionskosten für Texte, Bilder, Musik oder Übersetzungen stark gesunken sind. Sehr viel der sogenannten Gebrauchskunst wie beispielsweise Hintergrundmusik oder Archivfotos zur Bebilderung von Vortragsfolien wird bereits heute vielerorts innert kürzester Zeit und mit minimalem menschlichem Input von KI erzeugt. Die dabei entstandenen Kreationen lassen sich ohne grosse Nacharbeit nutzen.

Entsprechende Werke aus Menschenhand sind gemäss Urheberrecht zwar weiterhin geschützt. Aufgrund der bedeutend höheren Kosten sind sie aber in vielen Fällen nicht mehr konkurrenzfähig. Aus ökonomischer Sicht brauchen somit KI-Kunstwerke keinen Schutz, da sie – wie im obigen ökonomischen Grundsatz erläutert – auch ohne diesen Schutz in genügender Anzahl entstehen.

Die Situation heute

Heute ist die Situation in den meisten Ländern so, dass kein Anspruch auf Urheberrechte oder Patentschutz besteht, wenn es sich um KI-Erfindungen oder -Kunstwerke handelt. Beispiele dafür gibt es bereits. Im Patentbereich hat etwa das «Dabus-Experiment» gezeigt, dass einer von KI gemachten Erfindung praktisch weltweit – auch in der Schweiz – der Patentschutz verweigert wurde, nur weil auf deren Patentanmeldung eine KI als Erfinder angegeben ist. Ein Beispiel aus der Kunst ist das Bild «Théâtre d’Opéra Spatial». Das U.S. Copyright Office entschied, dass der Urheber des Bilds keinen Anspruch auf Urheberrechtsschutz habe, da der menschliche kreative Beitrag vernachlässigbar sei. In der Schweiz gibt es im Gegensatz zu den USA kein Urheberrechtsregister. Daher müsste ein Richter darüber entscheiden, ob der menschliche Beitrag zur Entstehung des Bilds genügt, um hierfür urheberrechtlichen Schutz zu erlangen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es aus ökonomischer Sicht in der Regel keine zusätzlichen Anreize für Investitionen in KI-Kunstwerke und also auch keinen Urheberrechtsschutz für KI-generierte Werke braucht. Anders ist es bei Erfindungen wie Medikamenten: Hier wird der Erfindungsprozess dank KI voraussichtlich zwar billiger, insbesondere die Entwicklung zum marktreifen Produkt wird aber sehr aufwendig bleiben.

Bevor konkrete Vorschläge für eine Änderung des Regelrahmens möglich sind, braucht es allerdings empirische Evidenz. Diese soll unter anderem zeigen, ob sich die Entwicklungszeit verkürzt und damit der entsprechende Aufwand für Erfindungen tatsächlich sinkt. Erst dann kann man Vorschläge über eine allfällige Neugestaltung eines «angemessenen Schutzes» machen. Es wird also noch einiges an ökonomischer und juristischer Forschung und praktischer Erfahrung mit der neuen Technologie brauchen, um das Anreizsystem im Bereich unserer intellektuellen Leistungen – falls aus dem Lot – wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

  1. Für eine ausführlichere Version dieser Überlegungen siehe Cuntz, Fink, Stamm (2024). []
  2. Siehe etwa Cruz und Wishart (2006) oder Economist (2024). []
  3. Siehe etwa Viswa (2024) oder Rammer et al. (2022). []

Literaturverzeichnis

 


Bibliographie

 

Zitiervorschlag: Stamm, Hansueli (2025). Kreativität auf Knopfdruck: Das Ende von Patenten und Urheberrechten? Die Volkswirtschaft, 15. April.