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Die Wirkung von Grossevents am Beispiel der Rad-WM 2024

Grossanlässe sollen Tourismus und Wertschöpfung steigern. Damit wird oft die Unterstützung durch die öffentliche Hand legitimiert. Bei der Messbarkeit gibt es allerdings einiges zu beachten.
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Endspurt beim Strassenrennen der Männer an der Rad-WM 2024 in Zürich. Der Event hatte einen positiven Effekt auf die Logiernächte. (Bild: Keystone)

Bewirbt sich ein Land oder eine Region um einen Grossanlass wie zum Beispiel Sportweltmeisterschaften, ist dies häufig mit der Erwartung verbunden, dass auch Wirtschaft und Tourismus davon profitieren. Aus ökonomischer Sicht führen Events zu Nachfrageschocks, die einen plötzlichen Anstieg der Nachfrage, beispielsweise nach Hotelzimmern, zur Folge haben. Durch die stärkere Auslastung und die dadurch steigenden Preise in der Beherbergung kommt es aus touristischer Sicht aber auch zu einem Verdrängungseffekt: Nicht am Event interessierte Touristen weichen auf andere Destinationen aus oder verschieben den Besuch auf später. Folglich liegt der Nettoeffekt an Gästen oft merklich unter dem Bruttoeffekt, bei dem alle Eventbesucher als zusätzliche Gäste zählen.

Touristischen Nettoeffekt messen

Will man den Nettoeffekt messen, braucht es dazu einen sogenannten kontrafaktischen Vergleichswert. Dieser schätzt, was in der gleichen Zeit ohne den Event geschehen wäre. Für diese Schätzung braucht es Daten aus vergleichbaren Zeiträumen ohne Event oder mit einer ähnlichen Region, die keinen Event erlebte.

Ein Beispiel sind Tagesdaten. Sie können über mehrere Jahre hinweg ausgewertet werden und so als Vergleichswert dienen, der den «normalen» Verlauf ohne Event zeigt.[1] Saisonale Muster lassen sich dabei mittels fixer Effekte einzelner Tage über das ganze Jahr aus den Daten herausrechnen, sodass Eventtage nur mit strukturell vergleichbaren Tagen verglichen werden. Dieser Ansatz verlangt umfangreiche Daten zu Logiernächten, die bislang oftmals nicht verfügbar waren. Dank der Digitalisierung stehen heute jedoch immer mehr  solche Datenquellen zur Verfügung, die eine präzisere Schätzung erlauben.

Ein besonders aufschlussreicher Indikator für die unmittelbare Nachfragewirkung eines Events sind die Hotelzimmerpreise auf Buchungsplattformen. Denn in der Praxis reagieren Hotelbetreiber auf angekündigte Grossanlässe mit steigenden Preisen. Plattformen wie Booking.com ermöglichen es heute, diese Preisverläufe für die gesamte Schweiz und einzelne Regionen und Gemeinden zu beobachten. Zusätzlich mit der Anzahl Logiernächte können dann für eine Wirkungsanalyse Mengen- und Preiseffekte gemeinsam betrachtet werden.

Anwendungsbeispiel Rad-WM 2024

Anlässlich der Radsport-Weltmeisterschaften, die vom 21. bis zum 29. September 2024 in Zürich stattfanden, haben wir diesen touristischen Nettoeffekt berechnet. Für den Effekt auf die Logiernächte verwendeten wir die Beherbergungsstatistik (Hesta), für die Hotelpreise die Booking.com-Daten. Unsere Modelle schliessen Saisoneffekte sowie individuelle Effekte anderer Events in einer Gemeinde oder einem Hotel zum gleichen Zeitraum aus.

Die Daten zeigen, dass die Zahl der Logiernächte im September 2024 für den Kanton Zürich signifikant um 0,9 Prozent gestiegen sind. Unter der Annahme, dass dieser Anstieg im September einzig während des neuntägigen WM-Veranstaltungszeitraums erfolgte, ist die Zahl der täglichen kantonalen Logiernächte während der Rad-WM sogar um 3,1 Prozent gestiegen. Auch die Hotelpreise stiegen im Zeitraum der WM: Für die Stadt Zürich berechnen wir einen Anstieg um 2,1 Prozent, der Rest des Kantons weist keine signifikante Veränderung auf. Somit scheint sich die tourismusökonomische Wirkung auf die Preise der Rad-WM auf die Stadt Zürich zu konzentrieren.

Nachfragerückgang wegen steigender Preise

Je nach Preiselastizität der Hotelnachfrage führen höhere Preise zu einem kleineren oder grösseren Verdrängungseffekt auf die Nachfrage. Der Nettoeffekt auf die Nachfrage ist somit die Summe aus den zusätzlichen Logiernächten und dem Preiseffekt.[2] Mit einer Preiselastizität der Hotelnachfrage von –0,5 bis –0,8[3] ergibt sich nach unserem Modell ein Effekt auf die Nachfrage von rund +4,5 Prozent. Konkret bedeutet diese Zahl, dass die Nachfrage nach Logiernächten durch die Rad-WM um 4,5 Prozent gestiegen ist, wobei sich dieser Nachfrageeffekt aufteilen lässt in den Anteil durch zusätzliche Logiernächte (3,1 Prozent) und den Anteil durch höhere Preise (1,4 Prozent).

Diese Kennzahlen aus der Beherbergung sind von zentraler Bedeutung für die Wirkungsmessung von Events, welche weiter in einer Wertschöpfungsanalyse verwendet werden kann. Dabei werden neben den Übernachtungs- auch die Tagesgäste berücksichtigt und sowohl die direkte als auch die indirekte und induzierte Wertschöpfung berechnet.[4]

Ausblick auf die Frauenfussball-EM 2025

Der Nettoeffekt der Rad-WM 2024 in Zürich bietet wertvolle Erkenntnisse. Nur durch saubere kontrafaktische Vergleiche lässt sich ermessen, ob ein Event tatsächlich «zusätzliche» Wertschöpfung generiert oder ob die bestehende Nachfrage lediglich umverteilt wird. Im Falle der Rad-WM gab es kaum einen Verdrängungseffekt. Zwar sind einige Touristen ferngeblieben, insgesamt beträgt der Nettoeffekt allerdings +4,5 Prozent.

Auch für die laufende Frauenfussball-EM 2025 kann der beschriebene Ansatz dazu beitragen, die tatsächliche Wirkung im Nachhinein differenziert zu messen. Beispielsweise mittels Event Performance Index (EPI). Dieser kann etwa die ganzheitliche Wirkung eines Events erfassen (siehe Kasten).

Solche präzisen Wirkungsanalysen können Vertrauen bei Bevölkerung und Entscheidungsträgern schaffen und liefern die Basis, um Grossanlässe in Zukunft gezielt so zu gestalten, dass der ganzheitliche Nutzen für den Austragungsort gewährleistet ist. Präzise Prognosen zur EM sind allerdings nicht möglich. Denn um die Wirkung einmaliger Events zu messen, fehlt eine direkte Vergleichsgrundlage.

  1. Siehe Roller (2023). []
  2. Siehe Roller (2023) []
  3. Die Preiselastizität der Hotelnachfrage kann je nach Zeitperiode variieren, siehe Falk und Lin (2018). []
  4. Siehe Wallimann et al. (2024). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Collalti, Dino; Bandi Tanner, Monika (2025). Die Wirkung von Grossevents am Beispiel der Rad-WM 2024. Die Volkswirtschaft, 15. Juli.

Ganzheitliche Bewertung mit dem Event Performance Index (EPI)

So wichtig die ökonomischen Kennzahlen eines Events sind – eine wirklich ganzheitliche Bewertung muss darüber hinausgehen. Grossveranstaltungen entfalten Wirkungen auf vielfältigen Ebenen: Sie prägen das Image einer Destination, fördern soziale Interaktion, können Innovationen anstossen und hinterlassen ökologische Spuren. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, wurde der Event Performance Index (EPI) entwickelt.a Der EPI dient als umfassendes Bewertungstool, das einen Event entlang von sieben Kriterien beurteilt: der Grösse des Events, der wirtschaftlichen Bedeutung, der touristischen Bedeutung für das Image, der Innovationskraft, der Bedeutung der Netzwerkeffekte, Partizipation und sozialem Austausch sowie der ökologischen Belastung.

Die sieben Kriterien des EPI werden teils quantitativ, teils qualitativ erfasst und anschliessend zu einem Indexwert verdichtet. In der praktischen Anwendung – etwa im Saanenland (Kanton Bern), wo der EPI zur objektiveren Entscheidungsfindung über Event-Förderbeiträge herangezogen wurde – werden die Kriterien je nach Bedeutung gewichtet. Damit liefert der Index nicht nur der Politik und den Sponsoren eine Entscheidungshilfe, sondern fördert auch das Nachhaltigkeitsbewusstsein der Veranstalter: Erfolgreiche Events sollen nicht allein an Besucherzahlen oder Umsatz gemessen werden, sondern an ihrem Gesamtbeitrag zur regionalen Entwicklung – wirtschaftlich, gesellschaftlich und ökologisch.

a Siehe Bandi Tanner et al. (2018).