Schweizer Wettbewerbspolitik: Eine kurze Tour d’Horizon

Bis 1991 verhinderte ein Kartell beinahe jeglichen Wettbewerb zwischen Schweizer Brauereien. Nahaufnahme einer Hopfenpflanze. (Bild: Keystone)
Im internationalen Vergleich hat die Schweiz keine lange wettbewerbsrechtliche Tradition. Während die USA bereits in 1890er-Jahren mit dem Sherman Act ein erstes Kartellrecht schufen, folgten die meisten europäischen Staaten erst ab den 1950er-Jahren. Die Schweiz führte 1963 ein erstes Kartellgesetz ein, doch die Idee, Wettbewerb zu fördern, war diesem noch fremd. Vielmehr wollte man in erster Linie verhindern, dass Kartelle Dritte vom Wirtschaftsleben ausschliessen. Konkret bedeutete dies, dass ein Unternehmen, das noch nicht Mitglied eines Kartells war, einen Aufnahmeanspruch haben konnte. Kartelle waren nicht nur geduldet, sondern wurden ausdrücklich gefördert, insbesondere um einen als ruinös empfundenen Wettbewerb zu verhindern.
Zwar schuf der Gesetzgeber damals bereits eine Kartellkommission, diese sowie das ihr unterstellte Sekretariat hatten allerdings keinerlei Interventionsmöglichkeiten. Ihre Aufgabe beschränkte sich vielmehr darauf, Erhebungen der schweizerischen Kartelllandschaft durchzuführen sowie Empfehlungen und Gutachten im Bereich der Wettbewerbspolitik zu verfassen.
Die erste Kartellgesetzrevision 1981 änderte hieran nichts Wesentliches. Die Konsumentinnen und Konsumenten waren weiterhin täglich mit Kartellen konfrontiert. Das bekannteste war wohl das Schweizer Bierkartell: Von 1935 bis 1991 regulierten nahezu sämtliche Schweizer Brauereien (mit wenigen Ausnahmen) flankiert durch hohe Zölle den Biermarkt umfassend – neben Preisen und Gebieten wurden so etwa auch die Flaschengrösse und die Stammwürze abgesprochen. Insbesondere durch eine erhebliche Reduktion des Grenzschutzes wurden die Schweizer Brauereien in gewissem Masse echtem Wettbewerb ausgesetzt. Die meisten von ihnen konnten in der Folge nicht erfolgreich mit den bereits seit Langem wettbewerbsorientierten ausländischen Brauereien konkurrieren. Das führte schlussendlich zur Auflösung des Bierkartells.
EWR-Nein befeuert modernes Kartellgesetz
Nachdem die Schweizer Bevölkerung 1992 den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) abgelehnt hatte, lancierte der Bundesrat ein Programm zur «marktwirtschaftlichen Erneuerung». Dieses führte unter anderem zur Totalrevision des Kartellgesetzes (KG) und damit zu einem Kartellrecht, das dem wirksamen Wettbewerb verpflichtet war. Doch nur wenige Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes im Sommer 1996 zeigte sich ein erster Schönheitsfehler: Über Jahre unterhielten Vitaminhersteller aus mehreren Ländern umfassende Preisabsprachen, die weltweit zu einer Vielzahl kartellrechtlicher Verfahren führten. Allein für das Schweizer Unternehmen Roche endeten diese mit ausländischen Sanktionen von über drei Milliarden Franken. Die EU-Kommission sprach vom «schlimmsten Kartell», gegen das sie bis anhin jemals ermittelt habe.
Die Schweiz war damals das einzige Land, welches keine Sanktionen aussprechen konnte. Der Bundesrat hielt in seiner Medienmitteilung zum Verbot des Vitaminkartells in der Schweiz treffend fest, die Wettbewerbskommission (Weko) könne nur «feststellen, dass das Kartell auch in der Schweiz existiert hat». Diese unbefriedigende Situation führte zu mehreren parlamentarischen Vorstössen, die ab 2004[1] direkte Sanktionen ermöglichten. Damit fand vor 21 Jahren der eigentliche Paradigmenwechsel der Schweizer Wettbewerbsgesetzgebung statt. Im Schweizer Kartellrecht gilt spätestens seitdem: Nach der Revision ist vor der Revision.
Eine Evaluation offenbart Handlungsbedarf
Der Bundesrat lancierte im Auftrag des Parlaments bald darauf eine breit angelegte Evaluation des Kartellgesetzes, die zu einer umfassenden Revision des Gesetzes führen sollte. Das Parlament reicherte das vom Bundesrat 2012 vorgeschlagene ambitionierte Paket[2] durch ein umstrittenes Anliegen an: Der Einkauf von Gütern und Dienstleistungen im Ausland sollte erleichtert werden. Spätestens dieses Anliegen führte dazu, dass das Fuder überladen wurde. Aufgrund des zweimaligen Nichteintretens des Nationalrats 2014 scheiterte diese KG-Revision.
In der Folge nahmen zahlreiche parlamentarische Vorstösse Teile der gescheiterten Revision wieder auf – hatten aber oft keinen Erfolg. Bis zur Volksinitiative «Stop der Hochpreisinsel – für faire Preise (Fair-Preis-Initiative)», die 2017 eingereicht wurde. Sie forderte die Einführung der relativen Marktmacht in das Kartellgesetz sowie ein Verbot von unfreiwilligen Umleitungen von Kunden aus der Schweiz zu (häufig teureren) Schweizer Websites (privates Geoblocking). Mit einem indirekten Gegenvorschlag übernahmen die Räte die Forderungen der Initianten fast vollumfänglich – eine sehr seltene Reaktion des Parlaments auf eine Volksinitiative. Die neuen Regelungen traten Anfang 2022 in Kraft. Die Volksinitiative wurde daraufhin zurückgezogen.
Weitere Teilrevision steht an
Aktuell beschäftigt sich das Parlament mit einer weiteren Teilrevision des Kartellgesetzes. Das Kernelement dieser Vorlage ist die Modernisierung der schweizerischen Zusammenschlusskontrolle durch Anpassung der Prüfmethode an die internationalen wettbewerbsökonomischen Standards. Darüber hinaus schlägt der Bundesrat Verbesserungen des Kartellzivilrechts vor, sodass insbesondere die von einem Kartell Geschädigten (Private, Unternehmen und staatliche Stellen) einfacher Schadenersatz einfordern können. Schliesslich soll das Widerspruchsverfahren praxistauglicher werden. Letzteres ermöglicht es den Unternehmen, Verhaltensweisen durch die Wettbewerbsbehörden auf ihre Kartellrechtskompatibilität überprüfen zu lassen. Diese drei Elemente waren bereits Gegenstand der gescheiterten Revision 2012–2014 und damals weitgehend unbestritten. Schliesslich beinhaltet die aktuelle Vorlage Umsetzungsvorschläge dreier parlamentarischer Vorstösse.[3]
Im Rahmen der Vernehmlassung zur KG-Teilrevision forderten breite Kreise auch eine Reform der Wettbewerbsbehörden (Weko und ihr Sekretariat). Der Bundesrat nahm diese Forderung auf, und das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) hat verschiedene Reformmöglichkeiten geprüft. Die Vernehmlassung dazu läuft zurzeit.
Weko soll staatliche Beihilfen verstärkt prüfen
Eine weitere bedeutende und umfangreiche wettbewerbsrechtliche Anpassung betrifft das Verhandlungspaket Schweiz – EU. In diesem Rahmen sollen die Kompetenzen der Weko bei der Prüfung staatlicher Beihilfen ausgebaut werden. Während sie heute lediglich die Vergabe von staatlichen Beihilfen im Luftverkehrsabkommen prüft, soll sie dies künftig auch bei weiteren Binnenmarktabkommen (Strom und Landverkehr) tun. Darüber hinaus sollen insbesondere Konkurrenten gegen unzulässige staatliche Beihilfen gerichtlich vorgehen können. Der Vorschlag des Bundesrats befindet sich gegenwärtig ebenfalls in der Vernehmlassung.
Auch die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS beschäftigt den Bundesrat zurzeit: Im Rahmen der Beantwortung des Postulats[4] der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats (WAK-N) wird er einerseits beantworten, ob die kartellrechtlichen Rahmenbedingungen bei Zusammenschlüssen von Banken angepasst werden müssen. Andererseits wird er prüfen, inwiefern die Einführung von Sektoruntersuchungen für die Weko und den Preisüberwacher sinnvoll sind.
Der Reformdruck bleibt hoch
Nach einigen Jahren des weitgehenden gesetzgeberischen Stillstands könnte nun der Moment gekommen sein, in dem das Schweizer Kartellrecht einen Modernisierungsschub erhält. Zudem könnten in naher Zukunft Regeln für die Vergabe staatlicher Beihilfen den Wettbewerb in gewissen Sektoren in der Schweiz intensivieren. Somit sind erstmals seit über zwanzig Jahren gewichtige Änderungen der Schweizer Wettbewerbsgesetzgebung absehbar.
- Siehe Botschaft vom 7. November 2001 über die Änderung des Kartellgesetzes. BBl 2002 2022. []
- Siehe Botschaft vom 22. Februar 2012 zur Änderung des Kartellgesetzes und zum Bundesgesetz über die Organisation der Wettbewerbsbehörde, BBl 2012 3905. []
- Siehe die Motionen 16.4094 Fournier «Verbesserung der Situation der KMU in Wettbewerbsverfahren», 18.4282 Français «Die Kartellgesetzrevision muss sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien berücksichtigen, um die Unzulässigkeit einer Wettbewerbsabrede zu beurteilen» und 21.4189 Wicki «Untersuchungsgrundsatz wahren. Keine Beweislastumkehr im Kartellgesetz». []
- Siehe Postulat 23.3444. []
Zitiervorschlag: Maschemer, Andreas (2025). Schweizer Wettbewerbspolitik: Eine kurze Tour d’Horizon. Die Volkswirtschaft, 28. August.