Suche

Abo

Italiens Bevölkerung ist gealtert

Die italienische Wirtschaft erholt sich, doch die Alterung der Bevölkerung und die Abwanderung bremsen diese Dynamik. Das Durchschnittsalter liegt derzeit bei gut 47 Jahren.
Schriftgrösse
100%

In Krisenzeiten bewegt sich Italien wie eine Vespa im römischen Verkehr. (Bild: Keystone)

Die Schweiz im Ausland zu vertreten, ist eine Ehre, aber auch eine grosse Verantwortung. Ich bin im Tessin geboren und aufgewachsen, nur wenige Kilometer von der italienischen Grenze entfernt. Daher schätze ich es besonders, dass ich meine Funktion als Botschafter der Schweiz in einem Nachbarland wie Italien ausüben kann.

Meine persönliche Verbindung ist ein Spiegel der allgemeinen engen wirtschaftlichen, historischen, kulturellen und menschlichen Beziehungen, welche die Schweiz und Italien über die Jahrzehnte geknüpft haben. Auf dieser Wertegemeinschaft können wir eine gemeinsame Zukunft aufbauen. Ein paar Zahlen veranschaulichen die robusten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern: Italien ist der viertgrösste Handelspartner der Schweiz.[1] 2024 exportierte die Schweiz Waren im Wert von über 24 Milliarden Franken nach Italien, unsere Importe aus dem südlichen Nachbarland machten rund 26 Milliarden Franken aus. Die Schweizer Direktinvestitionen in Italien beliefen sich Ende 2023 auf 26 Milliarden Franken und die italienischen Direktinvestitionen in der Schweiz auf 3,7 Milliarden Franken. Täglich kommen rund 90’000 italienische Grenzgängerinnen und Grenzgänger zum Arbeiten in die Schweiz.

Zwischen Aufschwung und Unsicherheit

Angesichts des Wandels, mit dem die globale und die nationale Wirtschaft derzeit konfrontiert sind, sind die Beziehungen zwischen der Schweiz und Italien besonders wertvoll. Seit dem Ende der Pandemie zeigt Italien ermutigende Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung. Trotz der geopolitischen Unsicherheiten erwiesen sich die Exporte als robust und lagen 2024 bei insgesamt 623 Milliarden Euro.[2]

Dank einer umsichtigen Verwaltung der öffentlichen Finanzen gewann das Land an Vertrauen an den Märkten und bei den internationalen Ratingagenturen: Im April 2025 erhöhte die Ratingagentur S&P die Kreditwürdigkeit Italiens von «BBB» auf «BBB+», und einen Monat später hob Moody’s die Note für den Ausblick von «stabil» auf «positiv» an. Während die jährliche Neuverschuldung des Staats im Jahr 2023 bei über 7 Prozent des Bruttoinlandprodukts lag, strebt Premierministerin Giorgia Meloni für 2025 einen Wert von 3,3 Prozent an. Im Jahr 2026 soll sie sogar unter die 3-Prozent-Marke fallen, wie es der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt als Obergrenze festlegt.

Für Unsicherheiten sorgen hingegen weiterhin die internationalen Handelsspannungen und die Konjunkturabkühlung in wichtigen Partnerländern. Um die mittelfristigen Aussichten vollständig einschätzen zu können, müssen ausserdem die strukturellen Schwächen berücksichtigt werden, die das Potenzial Italiens langfristig schmälern.

Diese strukturellen Defizite Italiens belasten die Konjunktur. Entsprechend ist das Wachstum nach wie vor bescheiden (voraussichtlich 0,6% im Jahr 2025). Dämpfend wirken die schwache Inlandnachfrage, die im europäischen Vergleich sehr hohen Energiekosten, eine abnehmende Industrieproduktion und rückläufige Exporte aufgrund der aktuellen internationalen Spannungen.

Die eigentliche Achillesferse Italiens ist jedoch die niedrige Arbeitsproduktivität, die seit über 20 Jahren deutlich unter dem EU-Durchschnitt stagniert. Während Deutschland, Frankreich und auch Spanien ihre Produktivität steigern konnten, hat Italien Mühe, seinen Produktionsapparat zu modernisieren. Die Gründe für diesen Rückstand sind vielfältig. Sie reichen von der Dominanz der oftmals kapitalschwachen KMU über eine langsame Digitalisierung bis hin zu einem chronischen Investitionsdefizit im Bereich Forschung und Entwicklung sowie einem unflexiblen Arbeitsmarkt.

Die Inflation ist aktuell zwar unter Kontrolle – 2024 lag sie bei 1,1 Prozent, 2025 dürfte sie 1,7 Prozent betragen.[3] Dennoch hat die Teuerung die Kaufkraft geschwächt und bei den Privathaushalten ein Klima der Unsicherheit geschaffen. Die Staatsverschuldung lag 2024 bei über 135 Prozent des BIP und schränkt den Handlungsspielraum weiter ein. Und schliesslich verschärft ein vielleicht entscheidender Faktor all diese Schwachpunkte: die Demografie.

Durchschnittsalter: 47 Jahre

Die demografische Entwicklung gehört zu den grössten Herausforderungen Italiens. Für das fragile Wachstumsmodell des Landes wirkt die Alterung der Bevölkerung längerfristig wie eine unsichtbare, immer stärker werdende Dynamik unter der Oberfläche. Das Durchschnittsalter liegt inzwischen bei über 47 Jahren, und fast ein Viertel der Bevölkerung ist über 65 Jahre alt. Am anderen Ende der Alterspyramide ist die Geburtenrate auf einen historischen Tiefststand gefallen. In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Bevölkerung Italiens um fast zwei Millionen Menschen geschrumpft. Die sinkende Geburtenrate und die demografische Alterung haben Italien zu einem der Länder mit dem höchsten Altersdurchschnitt weltweit gemacht.

Die Alterung der italienischen Bevölkerung hat tiefgreifende Folgen für die Wirtschaft, das Gesundheitssystem, den Arbeitsmarkt und die Produktivität, aber auch für die kollektive Haltung: Man geht weniger Risiken ein, die Prioritäten verlagern sich auf die Gegenwart und auf unmittelbare Fragen. Weiter verschärft wird die demografische Situation durch die kontinuierliche Abwanderung: Jedes Jahr verlassen Zehntausende von jungen, gut ausgebildeten Personen das Land auf der Suche nach beruflichen Möglichkeiten und Anerkennung, die sie in Italien nur schwer finden. Diese demografische Realität macht es schwierig, die Zukunft zu planen, die Elite zu verjüngen und eine gemeinsame gesellschaftliche Basis zu schaffen. Ohne strukturierte Lösungen für diese Trends ist das italienische Wirtschaftssystem gefährdet.

Enge Verflechtungen und gegensätzliche Schicksale

Der italienische Braindrain findet in der Schweiz ein naheliegendes Ziel: Tausende von qualifizierten Arbeitskräften aus Italien haben sich hier niedergelassen, weil sie von besseren Arbeitsbedingungen profitieren. Diese Abwanderung ist ein Verlust für Italien, stärkt aber die seit Langem bestehenden persönlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern.

Die Verbindungen zwischen der Schweiz und Italien gehen jedoch noch wesentlich weiter. Italien gehört zu den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz: Der Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen den beiden Ländern beläuft sich auf über eine Milliarde Franken pro Woche. Fast 40 Prozent davon entfallen auf die Grenzgebiete. Die schweizerische und die italienische Wirtschaft ergänzen sich gegenseitig, insbesondere in den Bereichen Pharmazie, Chemie, Präzisionsmechanik und Maschinenbau. Intensiviert wird die Zusammenarbeit in strategischen Bereichen wie Energie (Verbund der Stromnetze, Gasenergieprojekte), Verkehr, Forschung (Hochschulpartnerschaften) und Tourismus, da Italien nach wie vor ein beliebtes Reiseziel für Schweizer Touristen ist. Diese Verflechtungen verleihen der bilateralen Beziehung Schweiz – Italien im unsicheren internationalen Umfeld eine wertvolle strategische Tiefe.

In Krisenzeiten bewegt sich Italien wie eine Vespa im römischen Verkehr: Zögerlich, etwas im Zickzackkurs, aber am Ende findet sie immer einen Weg und erreicht ihr Ziel. In letzter Zeit hat das Land seine Anpassungsfähigkeit erneut bewiesen, sowohl in der Pandemie als auch bei der Diversifizierung der Energiequellen nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine. Von dieser typisch italienischen Agilität könnte sich die Schweiz, die gerne sorgfältig plant, inspirieren lassen. Denn nach einem Hindernis kann man so schnell wieder Fahrt aufnehmen.

  1. Siehe Wirtschaftsbericht Italien der Schweizerischen Botschaft in Rom. []
  2. Siehe Wirtschaftsbericht Italien der Schweizerischen Botschaft in Rom. []
  3. Siehe Internationaler Währungsfonds[]

Zitiervorschlag: Balzaretti, Roberto (2025). Italiens Bevölkerung ist gealtert. Die Volkswirtschaft, 22. September.

Serie: Blick in die Welt

Neugierig, was dieses oder jenes Land auszeichnet und mit der Schweiz verbindet? Schweizer Botschafterinnen und Botschafter im Ausland stellen ihr Gastland vor.

Staffel 2 widmet sich dem Thema «Demografie». Die vollständige Staffel mit Einblicken in die junge, alternde oder gealterte Bevölkerung in Vietnam, Nigeria und Guatemala finden Sie hier.

Guatemala Flag Italien in Zahlen (2024)

 

Einwohner (Wachstum)a 59 Mio. (–0,01%)
Währung Euro (EUR)
BIP pro Kopfb
kaufkraftbereinigt:
nominal:
61’165 $ (CH: 94’937 $)
40’224 $ (CH: 104’523 $)
BIP-Wachstum 0,7% (CH: 1,3%)
Arbeitslosenrate gemäss ILO-Modell 6,8% (CH: 4,1%)
Schweizer Direktinvestitionen in Italienc (2023) 26 Mrd. Franken
Italienische Direktinvestitionen in der Schweizc (2023) 3,7 Mrd. Franken
Italienische Exporte als Anteil aller Importe der Schweizc
(nur Waren)
8,2% (Rang 2)
Schweizer Exporte als Anteil aller Importe Italiensc
(nur Waren)
2,8% (Rang 9)
Schweizer Warenimporte aus Italiend Chemie und Pharmazie (34,7%), Edelmetalle (10,9%), Land- und Forstwirtschaft, Fischerei (9,4%),
Maschinen (9,0%)
Schweizer Warenexporte nach Italiend Chemie und Pharma (47,8%), Edelmetalle (17,3%), Energie (9,0%), Uhren und Schmuck (8,3%)
Bevölkerungsanteilea
0–14 Jahre
15–64 Jahre
65+
11,9% (CH: 15,0%)
63,5% (CH: 65,0%)
24,6% (CH: 20,0%)

a Weltbank, b IWF (2025). World Economic Outlook, April., c IWF, d Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit / Stand: 26.8.2025