
Sprinter bremsen ihren Lauf an der Matte ab – im Gesundheitswesen sollen Reformen die Kosten dämpfen. (Bild: Keystone)
Am 4. Dezember 1994 sprach sich die Schweizer Bevölkerung für eine neue, obligatorische Krankenversicherung aus. Laut Vox-Analyse überzeugte vor allem ein Argument: Alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Gesundheitszustand, sollen Zugang zu einer umfassenden medizinischen Grundversorgung haben. Das war der Grundgedanke, der damals die Mehrheit der Stimmberechtigten bewegte.
Und das gilt auch heute: In der Strategie des Bundesrats – Gesundheit 2030 – tönt das so: «… alle Menschen sollen von einem modernen, qualitativ hochwertigen Gesundheitssystem profitieren». Im Zentrum der Gesundheitspolitik steht also ein hochwertiges Gesundheitssystem. Oder anders gesagt: die Qualität der Spitalbehandlung, die Leistungen der Ärztinnen, die rasche und moderne Versorgung, neue innovative Medikamente – und der gleichberechtigte Zugang dazu.
Ein finanziell tragbares Gesundheitssystem
Doch damit diese gute Versorgung allen zur Verfügung steht, muss sie für eine Gesellschaft auch finanziell tragbar sein – und bleiben. Darum war bereits 1994 die Balance zwischen Leistungen und Finanzierbarkeit ein zentraler Punkt. Das damals neue Gesetz sollte daher auch eine finanzierbare medizinische Versorgung sicherstellen und nur Leistungen übernehmen, die wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind. Die aktuelle Gesundheitsstrategie des Bundesrats macht ebenfalls klar, dass die Gesundheitsversorgung auch wirtschaftlich sein muss. Die finanzielle Tragbarkeit und das Gleichgewicht zwischen Leistungen und Kosten sind zentral für eine Sozialversicherung, die von allen solidarisch mitgetragen wird.
Doch stimmt es, dass die Diskussionen in der Gesundheitspolitik aktuell von der einseitigen Fokussierung auf die Kostenfragen dominiert sind, wie der Autor eines kürzlich erschienenen Buchs feststellt? Nein. Lassen Sie mich dafür einen Vergleich machen mit dem Staatshaushalt, also allen Einnahmen und Ausgaben, die der Bund pro Jahr plant und tätigt. Diese betrugen 2023 rund 79 Milliarden Franken. Die Einnahmen und Ausgaben der Krankenversicherung beliefen sich auf etwa 52 Milliarden. Der Staatshaushalt ist damit zwar grösser als die Krankenversicherung, beide bewegen sich aber im hohen zweistelligen Milliardenbereich. Wenn Finanzministerin Keller-Sutter über den Staatshaushalt spricht, dann tönt das so: «Die Schweiz hat kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem.».[1] Ihre Botschaft ist klar: Um den Staatshaushalt im Lot zu halten, müssen die Ausgaben gesenkt und nicht die Einnahmen erhöht werden.
Anders klingt es bei der jährlichen Prämienrunde im Herbst: Die Einnahmen müssen nächstes Jahr steigen, es braucht also eine Erhöhung der Prämien. Und zwar, weil die Ausgaben gestiegen sind. Der Unterschied könnte also nicht grösser sein: Bei der Krankenversicherung passen sich die Einnahmen den Ausgaben an. Höhere Ausgaben ergeben automatisch höhere Prämien (siehe Abbildung). Beim Bundeshaushalt passen sich die Ausgaben den Einnahmen an.
Die Prämien folgen den Kosten
INTERAKTIVE GRAFIK
Bundesrat schnürt Kostendämpfungsprogramm
Einen einseitigen Fokus auf die Ausgaben kennt man in der Krankenversicherung also definitiv nicht. Aber selbstverständlich muss auch hier auf die Kosten geachtet werden. Dass eine solidarisch finanzierte Sozialversicherung finanziell tragbar bleiben muss, zeigt auch die Stimmung in der Bevölkerung: Gesundheitskosten führen regelmässig das UBS-Sorgenbarometer an, und die Bevölkerung hat sich 2024 auch an der Urne entsprechend geäussert – allerdings ohne dabei das Gleichgewicht zwischen Leistungen und Kosten aus den Augen zu verlieren. Sie lehnte im Jahr 2024 mit dem Nein zur Kostenbremse-Initiative eine Koppelung des Kostenwachstums an die volkswirtschaftliche Entwicklung ab.
Nimmt man das Wirtschafts- und das Lohnwachstum der letzten Jahre als Grundlage für die volkswirtschaftliche Entwicklung, hätten die Kosten in der Krankenversicherung nur ein Prozent pro Jahr steigen dürfen. Die Mehrheit der Stimmberechtigten hielt dies also für zu tief. Ein Kostenziel soll es dennoch geben. Mit der indirekten Annahme des Gegenvorschlags entschied das Volk, dass der Bundesrat in Zukunft ein solches festlegen soll. Und dass die Akteure im Gesundheitswesen davor begründen müssen, weshalb und wie stark die Kosten pro Bereich steigen. Das wird zu mehr Transparenz führen. Zudem: Wenn die Kosten stärker steigen als vereinbart, müssten alle Akteure Korrekturmassnahmen prüfen.
Gefordert sind also alle – natürlich auch der Bund. Dem Bundesrat ist das bewusst. 2018 verabschiedete er ein breit angelegtes Kostendämpfungsprogramm. In der Folge schnürte er zwei Kostendämpfungspakete und erarbeitete die Vorlage für Kostenziele. Die Massnahmen des ersten Pakets 1a und 1b sind bereits seit einiger Zeit in Kraft. Dazu gehört etwa, dass die Tarifpartner – Leistungserbringer und Versicherer – die Kostenentwicklung überwachen müssen. Wachsen die Kosten zu stark, müssen sie Korrekturmassnahmen ergreifen. In der Frühjahrssession 2025 verabschiedete das Parlament auch das zweite Paket. Nach dem ungenutzten Ablauf der Referendumsfrist kann es bald in Kraft treten. Es enthält Massnahmen wie die Pflicht zur elektronischen Rechnungsstellung oder Mengenrabatte bei den Medikamenten.
Umsetzung ist entscheidend
Die Gesetzesreformen sind abgeschlossen. Die Wirkung hängt nun davon ab, wie konsequent sie umgesetzt werden. Diese Umsetzung steht daher im Zentrum der Gesundheitspolitik der kommenden Jahre – zusammen mit der Umsetzung weiterer wichtiger Entscheide der Bevölkerung. So soll die Prämienverbilligung künftig im Gleichschritt mit den Prämien steigen. Das hat die Bevölkerung mit dem Gegenvorschlag zur Prämienentlastungsinitiative bekräftigt. Er tritt Anfang 2026 in Kraft und entlastet die Prämienzahlenden zusätzlich um rund 400 Millionen Franken.
Auch bei der Versorgungsqualität hat die Bevölkerung mit dem Ja zur einheitlichen Finanzierung aller Leistungen ein klares Signal gesetzt. Finanzielle Anreize sollen nicht mehr darüber entscheiden, ob jemand ambulant oder stationär behandelt wird oder ob Pflege im Heim oder zu Hause erfolgt. Das wird die Gesundheitsversorgung der kommenden Jahre stark prägen. Verschiedene Spitäler stehen mit neuen ambulanten Angeboten bereits in den Startlöchern.
Es zeigt sich auch bei diesen Entscheiden, dass es beides braucht: Versorgungsqualität und Kostendämpfung. Dank der Reformen ist die Krankenversicherung 30 Jahre nach ihrer Einführung gut aufgestellt. Zentral ist nun die konsequente Umsetzung dieser Reformen – auch mit Blick auf die Kosten. Kostendämpfung bleibt eine Daueraufgabe, damit eine Mehrheit der Bevölkerung auch in 30 Jahren überzeugt hinter der Krankenversicherung steht – weil weiterhin alle Zugang zu einer umfassenden Grundversorgung haben.
- Siehe SRF News (2025). Kein Milliardendefizit mehr – «Wir haben ein Ausgabenproblem, kein Einnahmenproblem». []
Zitiervorschlag: Christen, Thomas (2025). Kosten dämpfen in der Gesundheitspolitik. Die Volkswirtschaft, 09. September.