
Der Anstieg der Gesundheitsausgaben lässt sich nicht durch steigende Preise erklären, sondern durch eine Zunahme der erbrachten Leistungen. (Bild: Keystone)
Statt über Angebot und Nachfrage werden die Preise für medizinische Leistungen in der Regel über Tarife festgelegt. Das gilt fast überall: für Medikamente, stationäre Spitalaufenthalte oder ambulante ärztliche Leistungen. Häufig werden die Tarife zunächst von den Tarifpartnern verhandelt und anschliessend von den Behörden bewilligt oder festgelegt. Warum also nicht einfach die Tarife senken, um das Ausgabenwachstum zu bremsen?
Tatsächlich zeigt der Landesindex der Konsumentenpreise (LIK), dass die Preise für Gesundheitsgüter und damit auch die wichtigsten Tarife in den letzten zehn Jahren gesunken sind. Der Anstieg der Gesundheitsausgaben lässt sich also nicht durch steigende Preise erklären, sondern vielmehr durch eine Zunahme der erbrachten Leistungen.
Marktpreise wären wenig sinnvoll
In einem System mit sozialer Krankenversicherung zahlen Patientinnen und Patienten kaum etwas selbst. Ohne administrierte Preise könnten Leistungserbringer wie Ärztinnen, Spitäler oder andere Anbieter beliebige Preise verlangen. Versicherer hätten kaum eine Chance, zu prüfen, ob eine Leistung notwendig ist und was genau sie beinhaltet.
Hinzu kommt die Informationsasymmetrie zwischen Patientinnen und Leistungserbringern: Patienten erwarten bei einem Arztbesuch eine Verbesserung ihrer Gesundheit, kennen aber unter anderem die Behandlungsoptionen nicht. Leistungserbringer teilen das Ziel der Gesundheitsverbesserung, verfolgen aber auch eigene finanzielle Interessen. Leistungserbringer können die erwähnte Informationsasymmetrie zu ihren Gunsten ausnutzen, etwa mit zusätzlichen, nicht notwendigen Leistungen oder durch eine ineffiziente Leistungserbringung.
Aus diesen Gründen schränken Tarifsysteme den Handlungsspielraum für Leistungserbringer ein. Die Vergütung soll den Aufwand für eine effiziente Leistungserbringung abdecken – so wie es ein Marktpreis tun würde, wenn alle Beteiligten gleich gut informiert wären.
Zwei unterschiedliche Tarifsysteme
Das Schweizer Gesundheitswesen ist stark reguliert, enthält aber gezielte wettbewerbliche Elemente. Das zeigt sich exemplarisch bei den beiden wichtigsten Tarifsystemen: Swiss DRG für stationäre akutsomatische Aufenthalte in Spitälern und Tardoc für ambulante ärztliche Leistungen (bis 31.12.2025 Tarmed). Für bestimmte ambulante ärztliche Leistungen wird ab 1.1.2026 nicht Tardoc, sondern sogenannte ambulante Pauschalen angewendet.
Die Tarifsysteme Swiss DRG und Tardoc bestehen je aus zwei Komponenten (siehe Tabelle): einer Tarifstruktur, die die relativen Preise einer Leistung zueinander definiert, und einem absoluten Preis – dem Tarif –, festgelegt durch Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern. Die Vergütung für die Leistungserbringer ergibt sich, wenn man beide Werte miteinander multipliziert. Die Tarifsysteme müssen die gesetzlichen Vorgaben erfüllen: Insbesondere müssen sie wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein. Zudem muss der Bundesrat sie genehmigen.
So wird der Preis für eine Leistung berechnet
Ambulante ärztliche Leistungen | Stationäre akutsomatische Aufenthalte | |
Tarifstruktur | Tardoc | Swiss DRG |
verantwortliche Organisation | OAAT AG | Swiss DRG AG |
Art des Tarifs | Einzelabrechnung pro erbrachte Leistung | Pauschale pro Fall |
Wie wird die Leistung gemessen? (relativer Preis) | In Taxpunkt: Jede Leistung (z. B. Untersuchung oder Beratung) hat eine bestimmte Anzahl Punkte | Über ein Kostengewicht: Jede Fallgruppe (z. B. Herzoperation, Nierentransplantation) hat ein Gewicht, das den durchschnittlichen Aufwand widerspiegelt |
Beispiel |
Koloskopie (VA.10.0010, ohne Zuschlagsleistungen) Taxpunkte: 204.05 |
Transplantation von Nieren (DRG A17B) Kostengewicht: 3.948 |
Tarif (absoluter Preis) | Taxpunktwert | Baserate |
Wer verhandelt den Tarif? | Krankenversicherer(-verbände) und kantonale Ärztegesellschaften | Krankenversicherer(-verbände) und Spitäler |
Beispiel |
Krankenversicherer XY und Zürcher Ärztegesellschaft 0.89 CHF |
Krankenversicherer XY und Universitätsspital Basel 11’150 CHF |
Vergütung an Arzt/Spital | 204.05 x 0.89 CHF = 181.60 CHF | 3.948 x 11’150 CHF = 44’020.20 CHF |
Einzelleistungstarife am Beispiel Tardoc
Die Tarifsysteme folgen unterschiedlichen Prinzipien: Tardoc ist ein Einzelleistungstarifsystem, bei dem jede Leistung einzeln abgerechnet wird. Diese Tarifart bildet die erbrachten Leistungen und ihre Kosten im Detail ab. Je mehr Leistungen erbracht werden, desto höher fällt die Vergütung aus. Das schafft Anreize, mehr Leistungen zu erbringen, als medizinisch notwendig wäre. Präventive Massnahmen oder ein zurückhaltender Einsatz von medizinischen Eingriffen werden hingegen kaum gefördert.
Einzelleistungstarifsysteme sind detailliert und komplex. Deswegen sind sie aufwendig zu pflegen und werden nur unregelmässig aktualisiert. Das hemmt Innovationen und führt zu einer Ungleichverteilung der Finanzierung zwischen den Fachbereichen. So profitieren etwa technikintensive Bereiche wie die Bildgebung (z. B. CT oder Röntgen) von kontinuierlichen Effizienzsteigerungen, die in der Tarifstruktur noch nicht abgebildet sind. Diese Leistungen werden dadurch überdurchschnittlich hoch vergütet. So dauert die Aufnahmezeit eines CT-Geräts heute nur wenige Augenblicke, während dafür früher mehrere Minuten eingeplant werden mussten.
In anderen Bereichen wie der Psychiatrie, wo derartige Effizienzsprünge nicht möglich sind, können bei gleicher Vergütung die Leistungen nicht effizienter erbracht werden. Die daraus resultierenden Unterschiede können langfristig die Attraktivität einzelner Fachrichtungen beeinflussen und zu einer bereichsspezifischen Über- oder Unterversorgung führen.
Pauschaltarife am Beispiel Swiss DRG
Das zweite Tarifsystem, Swiss DRG, ist ein Pauschaltarifsystem. Es vergütet alle während eines stationären Aufenthalts erbrachten Leistungen. Jeder Aufenthalt wird einer von über 1000 Fallgruppen zugeordnet. Die Gruppen basieren auf medizinisch ähnlichen Merkmalen wie der Hauptdiagnose, den Behandlungen oder der Aufenthaltsdauer. Bei über- oder unterdurchschnittlich langen Spitalaufenthalten passt sich die Vergütung entsprechend an. Zusätzliche Leistungen erhöhen die Vergütung im Rahmen der Pauschale grundsätzlich nicht. Das schafft Anreize, Ressourcen sparsam einzusetzen. Es birgt jedoch das Risiko, dass Patientinnen unterversorgt sind oder zu früh entlassen werden. Beide potenziellen Nachteile haben sich seit der Einführung von Swiss DRG im Jahr 2012 jedoch nicht bewahrheitet.
Problematisch ist aber, wenn Infrastrukturkosten in die Vergütung miteinbezogen werden. Während die Vergütung für jeden Fall gleich ist und konstant bleibt, sinken die Kosten pro Fall für jeden zusätzlichen Fall, da die Infrastrukturkosten pro Spital fix sind. Für ein Spital steigt damit der Gewinn mit zunehmender Fallzahl. Trotz der pauschalen Vergütung besteht somit ein Anreiz, mehr Leistungen zu erbringen.
Anreize zur Prävention und zur Zusammenarbeit fehlen
Beide vorgestellten Tarifarten enthalten also Anreize zur Mengenausweitung. Ausserdem sind die Übergänge zwischen den Tarifsystemen nicht abgestimmt: So ist etwa ein stationärer Aufenthalt für ein Spital profitabler als eine kostengünstigere ambulante Behandlung ohne Übernachtung.
Auch Anreize für Prävention oder Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen fehlen weitgehend. Eine Lösung bieten gemeinsame Organisationen und eine teilweise gemeinsame Vergütung über Kopfpauschalen pro Versicherten, auch Capitation genannt. Im Berner Jura wird dieses Modell im Projekt «Réseau de l’Arc» erprobt.
Für Leistungen, die nicht über solche Pauschalen abgedeckt sind, wäre es zielführend, die Vergütung stärker am Nutzen für die Patientin auszurichten statt an den entstandenen Kosten. Dieses Prinzip des Value-based Pricing scheitert jedoch oft, weil sich der Behandlungserfolg schwer messen lässt.
Zitiervorschlag: Thommen, Christoph (2025). Über Anreize und Fehlanreize von Tarifsystemen für medizinische Leistungen. Die Volkswirtschaft, 08. September.