 
													Steigen die Preise, geht die Nachfrage in den meisten Märkten zurück. Anders ist es bei Gesundheitsleistungen: Hier verändert sich die Nachfrage wenig. Helikopter der Bergrettung im Einsatz. (Bild: Keystone)
Ende September ist es wieder so weit: Die Prämien für das kommende Jahr werden kommuniziert. Wer die neue Prämie sieht, zuckt vielleicht zusammen. Schon wieder ein Anstieg. So zählt der Kostenanstieg im Gesundheitswesen gemäss UBS-Sorgenbarometer zu den grössten Sorgen der Bevölkerung. Zwischen 1960 und 2022 haben sich die Gesundheitsausgaben pro Kopf inflationsbereinigt verfünffacht: von weniger als 2000 Franken auf über 10’000 Franken (siehe Abbildung 1).
Zu diesen Gesundheitsausgaben zählen medizinische Leistungen, die über die obligatorische Krankenversicherung abgedeckt sind und sich in den Prämien niederschlagen. Hinzu kommen direkt von Privathaushalten finanzierte Leistungen sowie Beiträge der öffentlichen Hand. Bund und Kantone tragen derzeit rund ein Drittel der gesamten Gesundheitsausgaben. Dazu gehören etwa Beiträge an stationäre Behandlungen, die Langzeitpflege und die individuelle Prämienverbilligung. Wachsen die Gesundheitsausgaben überproportional stark, geraten sowohl Prämienzahlende wie auch die öffentlichen Finanzen zunehmend unter Druck.
Rege Reformtätigkeit
Damit das Gesundheitssystem langfristig finanzierbar bleibt, muss das Ausgabenwachstum gebremst werden, ohne dass dies zu Qualitätseinbussen führt. Im Jahr 2024 wurden drei Reformen im Gesundheitswesen beschlossen: die Vorgabe von Kosten- und Qualitätszielen, die Reform der kantonalen Finanzierung der Prämienverbilligungen und die Reform zur einheitlichen Finanzierung der Gesundheitsleistungen (Efas). Hinzu kommen im Jahr 2025 die Verabschiedung eines neuen nationalen ambulanten Tarifsystems (Tardoc), das zusätzlich ambulante Pauschalen ermöglicht, und das Kostendämpfungspaket II mit 16 verschiedenen Massnahmen.
Für gezielte und wirksame Reformen ist es zentral, zu verstehen, welche Faktoren das Kostenwachstum im Gesundheitswesen antreiben. Die Eidgenössische Finanzverwaltung (EFV) ist dieser Frage mit einer Zeitreihenanalyse für den Zeitraum 1960 bis 2022 nachgegangen.[1] Dies auch mit dem Ziel, die langfristigen Ausgabenprojektionen für das Gesundheitswesen, die bis Ende Jahr aktualisiert werden, besser zu fundieren.[2] Die EFV analysiert sowohl die möglichen Kostentreiber der Nachfrage- als auch der Angebotsseite. Im Fokus der Analyse stehen die Rolle des wachsenden Einkommens der Bevölkerung, die demografische Alterung sowie das geringere Produktivitätswachstum im Gesundheitswesen im Vergleich zu anderen Branchen. Darüber hinaus werden auch Indikatoren für die Sterblichkeit, die Ärztedichte, die Zuwanderung und die Einkommensverteilung berücksichtigt.
Abb. 1: Die Gesundheitsausgaben sind inflationsbereinigt mehr als doppelt so stark gewachsen wie das Bruttoinlandprodukt pro Kopf (1960–2022)
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Einkommenswachstum entscheidend
Ein zentraler Treiber der Gesundheitsausgaben ist das wachsende Einkommen. In der Analyse dient das Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf als Messgrösse dafür. Die Literatur belegt einen positiven Zusammenhang zwischen einem wachsenden Einkommen und der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen. Gleichzeitig hat das steigende Einkommen einen positiven Einfluss auf den medizinisch-technischen Fortschritt. Dieser trägt zur Entwicklung neuer Therapien bei, die unsere Lebensqualität verbessern und die Lebenserwartung erhöhen, jedoch häufig auch mit Mehrausgaben verbunden sind.
Die Analyse untersucht, wie stark das Einkommenswachstum das Wachstum der Gesundheitsausgaben beeinflusst. Ein Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens um 1 Prozent geht mit einem Anstieg der Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben um 0,9 bis 1,3 Prozent einher. Das deutet darauf hin, dass die Gesundheitsausgaben überproportional zum Einkommen steigen.
Insgesamt legt die Analyse den Schluss nahe, dass rund die Hälfte des Ausgabenwachstums der letzten 60 Jahre auf das Einkommenswachstum zurückzuführen ist. Der medizinisch-technische Fortschritt dürfte ein entscheidender Treiber gewesen sein.
Alterung treibt die Gesundheitsausgaben
Ein weiterer Grund für den Anstieg der Gesundheitsausgaben ist die demografische Alterung. Diese lässt sich am Altersquotienten ablesen – dem Verhältnis der über 65-Jährigen zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. 1960 lag dieser Wert noch unter 0,2, 2024 betrug er über 0,3. Gemäss den Bevölkerungsszenarien des Bundesamts für Statistik (BFS) dürfte der Altersquotient in Zukunft weiter zunehmen. In den 2060er-Jahren wird auf zwei Personen im erwerbsfähigen Alter eine Person im Rentenalter kommen (siehe Abbildung 2).
Ältere Menschen benötigen im Durchschnitt mehr medizinische Leistungen und haben einen höheren Pflegebedarf. Das treibt die Nachfrage im Gesundheitswesen weiter an – mit entsprechendem Druck auf die Ausgaben. Laut Analyse erklärt die alternde Bevölkerung im Zeitraum 1960–2022 rund 15 Prozent des Anstiegs der Gesundheitsausgaben. Dieser Anteil dürfte künftig weiter zunehmen, vor allem, weil die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation ins Rentenalter kommen. Gemäss dem BFS-Szenario altert die Schweizer Bevölkerung bis 2036 etwa doppelt so schnell wie in den Jahren von 2037 bis 2060.
Abb. 2: Im Jahr 2060 kommt auf zwei Personen im erwerbsfähigen Alter eine Person im Rentenalter
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Geringerer Produktivitätsfortschritt im Gesundheitswesen
Die vergleichsweise geringe Produktivität im Gesundheitswesen ist ein weiterer Faktor, der das Wachstum der Gesundheitsausgaben begünstigt. Viele Bereiche, insbesondere die Langzeitpflege, sind sehr personalintensiv und profitieren deshalb weniger vom technischen Fortschritt als andere Wirtschaftssektoren. Um jedoch mit der übrigen Wirtschaft Schritt zu halten und attraktiv zu bleiben, muss der Gesundheitssektor mittelfristig konkurrenzfähige Löhne zahlen.
Da die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen weniger stark auf steigende Preise reagiert, entsteht mehr Kostendruck als in anderen Sektoren. Dieser Mechanismus wird als Baumolsche Kostenkrankheit bezeichnet.[3] Auch in den Daten für die Schweiz gibt es Hinweise darauf. Für andere untersuchte Einflussfaktoren wie die Ärztedichte und die Zuwanderung ergibt sich hingegen kein eindeutiger Zusammenhang mit den Gesundheitsausgaben für diesen langen Betrachtungszeitraum.
Insgesamt bieten die Ergebnisse dieser Zeitreihenanalyse eine fundierte Grundlage, um die strukturellen Kostentreiber im Gesundheitswesen der Schweiz der letzten 60 Jahre zu verstehen. Die Ergebnisse sind zudem hilfreich, um die Annahmen für die langfristigen Ausgabenprojektionen für das Gesundheitswesen der Schweiz besser zu begründen.
Literaturverzeichnis
- Baumol, W. J. (1967). Macroeconomics of Unbalanced Growth: the Anatomy of Urban Crisis. The American Economic Review, 57(3), 415–426.
- Brändle, T., und C. Colombier (2022). Ausgabenprojektionen für das Gesundheitswesen bis 2050: Alterung und Coronakrise, Working Paper der Eidgenössischen Finanzverwaltung Nr. 25, Bern.
- Lerch, B., Colombier, C. und T. Brändle (2025). Determinants of Healthcare Expenditure: Evidence from Switzerland between 1960–2022, Working Paper der Eidgenössischen Finanzverwaltung Nr. 27, Bern.
Bibliographie
- Baumol, W. J. (1967). Macroeconomics of Unbalanced Growth: the Anatomy of Urban Crisis. The American Economic Review, 57(3), 415–426.
- Brändle, T., und C. Colombier (2022). Ausgabenprojektionen für das Gesundheitswesen bis 2050: Alterung und Coronakrise, Working Paper der Eidgenössischen Finanzverwaltung Nr. 25, Bern.
- Lerch, B., Colombier, C. und T. Brändle (2025). Determinants of Healthcare Expenditure: Evidence from Switzerland between 1960–2022, Working Paper der Eidgenössischen Finanzverwaltung Nr. 27, Bern.
Zitiervorschlag: Lerch, Benjamin; Colombier, Carsten; Brändle, Thomas (2025). Warum die Gesundheitsausgaben steigen. Die Volkswirtschaft, 04. September.
 
								 
         
         
         
             
             
             
													 
								