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Warum die WM in Katar das Schweizer BIP erhöht

Olympisches Komitee, Fifa und Uefa – viele Sportorganisationen haben ihren Sitz in der Schweiz. Internationale Sportgrossanlässe wie etwa Fussballweltmeisterschaften beeinflussen daher das Schweizer BIP. Für die Konjunkturanalyse veröffentlicht das Seco deshalb Sportevent-bereinigte Daten.
Fernsehübertragungsrechte machen einen grossen Teil der Fifa-Einnahmen aus. Fans verfolgen die Übertragung des WM-Achtelfinals 2022 zwischen Marokko und Spanien. (Bild: Keystone)

Wir erinnern uns gerne daran, wie im Dezember 2022 Argentinien Fussballweltmeister wurde oder wie Beat Feuz letztes Jahr im Februar an den Olympischen Winterspielen von Peking Gold in der Ski‑Abfahrt holte. Beide Sportgrossanlässe mit internationaler Ausstrahlung wurden von Vereinen durchgeführt, welche ihren Sitz in der Schweiz haben: dem internationalen Fussballverband (Fifa) aus Zürich und dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) aus Lausanne. Gemäss den beiden Organisationen erreichten diese Events ein weltweites Fernsehpublikum von jeweils mehreren Milliarden Menschen. Dafür mussten die Fernsehstationen bei ihnen die Übertragungsrechte erwerben.

Solche Events prägen die Einnahmen der grossen Organisationen. Gemäss den Finanzberichten des IOC beliefen sich die Einnahmen aus den Olympischen Winterspielen von 2018 in Südkorea auf insgesamt knapp 2,2 Milliarden Franken. Die Sommerspiele von 2016 in Rio de Janeiro und 2021 in Tokio erwirtschafteten sogar noch mehr. Am gewichtigsten dabei war der Verkauf von Fernsehübertragungs- und Marketingrechten. Er machte rund 95 Prozent aus (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Einnahmen des Internationalen Olympischen Komitees (2013–2021)

Quelle: IOC / Die Volkswirtschaft

 

Ähnlich sieht es bei den anderen grossen in der Schweiz ansässigen Sportorganisationen aus. Alle vier Jahre organisiert und vermarktet die Union Europäischer Fussballverbände (Uefa) mit Sitz in Nyon die Fussballeuropameisterschaft (EM). Im gleichen Zeitintervall – wenn auch um zwei Jahre verschoben – richtet die Fifa die Fussballweltmeisterschaft (WM) aus. Beide Vereine generieren damit periodisch wiederkehrend hohe Einnahmen.

Sportevents beeinflussen Schweizer BIP

Gemäss geltenden internationalen Standards, wie dem Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen[1], fliesst die Wertschöpfung von in der Schweiz ansässigen Unternehmen und Organisationen in das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz ein. Einkünfte aus immateriellen Gütern wie Lizenzen, Rechten und Patenten, die unter anderem im Ausland erwirtschaftet werden, spielen auch in vielen anderen Branchen eine wichtige Rolle, so etwa in der Pharmaindustrie. Dass die Lizenzerträge von Sportorganisationen ins BIP des Standortlandes einfliessen, stellt in diesem Sinne also keinen Spezialfall dar.[2]

Zurück zum Beispiel der Sportevents von 2022: Die durch die Veräusserung von Fernsehübertragungs‑ und Marketingrechten erzielte Wertschöpfung des IOC und der Fifa wird im Schweizer BIP dem Sektor «Kunst, Unterhaltung und Erholung»[3] zugerechnet. Auf der Verwendungsseite ist davon der Aussenhandel betroffen: Einerseits wird der Verkauf von Lizenz- und Marketingrechten sowie Veranstaltungstickets an Abnehmer im Ausland als Dienstleistungsexport verbucht. Andererseits werden die ausländischen Sportevents im Auftrag der Sportorganisationen vor Ort organisiert und durchgeführt, sodass Zahlungen von der Schweiz ins Ausland fliessen. Diese zählen zu den Dienstleistungsimporten.

Betrachtet man die drei Sportorganisationen zusammen, dann finden in der Regel alle zwei Jahre gleichzeitig zwei grosse Sportevents statt; jeweils die Fussball-EM und die Olympischen Sommerspiele in einem Jahr sowie die Fussball-WM und die Olympischen Winterspiele zwei Jahre später (2020 wurden die Olympischen Sommerspiele und die Fussball-EM pandemiebedingt ausnahmsweise auf 2021 verschoben). Die Wertschöpfung in der Unterhaltungsbranche spiegelt diesen Rhythmus eindrücklich wider (siehe Abbildung 2). Im Jahr 2018 kletterte die Wertschöpfung dieses Branchenaggregats im Zuge der Fussball-WM und der Olympischen Winterspiele auf knapp 7 Milliarden Franken. Im Jahr danach, ohne Grossevents, lag sie nur noch bei 5 Milliarden Franken, also knapp 30 Prozent tiefer. Entsprechend wird das gesamte BIP-Wachstum in Jahren mit grossen Sportveranstaltungen typischerweise um einige Zehntel Prozentpunkte positiv beeinflusst, in den Folgejahren dagegen negativ.

Abb. 2: Wertschöpfung der Unterhaltungsbranche: Quartalsergebnis, real, saisonbereinigt (2013–2022)

Quelle: Seco / Die Volkswirtschaft

 

Bereinigtes BIP für Konjunkturanalyse

Da die genannten Grossanlässe zudem nur einen begrenzten Informationsgehalt bezüglich der aktuellen Konjunkturlage aufweisen, ist es sinnvoll, deren Wertschöpfung gesondert zu behandeln. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) berechnet deshalb seit 2018 Sportevent-bereinigte Daten zum vierteljährlichen Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz sowie zur Wertschöpfung des Unterhaltungssektors. Seit Herbst 2022 sind zudem Sportevent‑bereinigte Daten zu den Dienstleistungsexporten und -importen und damit der gesamten Verwendungsseite verfügbar[4]. Konkret werden dabei die Wertschöpfung und die Aussenhandelstransaktionen, die im Zusammenhang mit Sportevents stehen, symmetrisch rund um das Eventjahr geglättet. Zur allgemeinen Konjunkturlage liefern die so bereinigten Daten ein klareres Bild, das nicht mehr durch das regelmässige Auf und Ab der Grossereignisse geprägt ist.[5]  Beispielsweise wird sich das Ende der Fussball‑WM in Katar negativ auf das nicht Sportevent-bereinigte BIP im 1. Quartal 2023 auswirken. Das Sportevent-bereinigte BIP ist hingegen nicht davon betroffen.

Wie aus der Einnahmeentwicklung beim IOC ersichtlich wird, nimmt die Grösse der Events und damit die Einnahmen aus Fernseh‑ und Marketingrechten tendenziell von Austragungsjahr zu Austragungsjahr zu. Damit werden die Effekte der Sportevents auf das BIP und den Aussenhandel immer grösser und die Bedeutung der Sportevent-bereinigten Daten in der Konjunkturanalyse umso relevanter.

  1. Siehe ESVG (2010). Eurostat Review of National Accounts and Macroeconomic Indicators — 2022 Edition[]
  2. Wie das Bundesamt für Statistik in den Jahreszahlen des Schweizer BIP damit umgeht, ist hier im Detail erläutert: Camille Gonseth und Philippe Küttel (2022). The Treatment of International Sports Organisations in Swiss National Accounts. []
  3. Noga-Rubrik 90–93. []
  4. Verfügbar auf Seco.admin.ch: Quartalsdaten Bruttoinlandprodukt. []
  5. Details zum Vorgehen finden sich in der technischen Notiz sowie in den Konjunkturtendenzen vom Herbst 2022[]

Zitiervorschlag: Philipp Wegmüller, Sarah Fischer, Felicitas Kemeny (2023). Warum die WM in Katar das Schweizer BIP erhöht. Die Volkswirtschaft, 28. Februar.