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Kaum mehr Bargeld in Schweden

In Schweden wird fast nur noch digital bezahlt. Für die meisten Schweden wird das Bezahlen so einfacher, doch für einzelne wird es schwieriger. Nun greift der Gesetzgeber ein.
Die Schweden bezahlen fast nur noch digital. Eine Ladenbesitzerin räumt Produkte in ihrem unbedienten Hofladen ein. (Bild: Keystone)

In einer Umfrage der Schwedischen Nationalbank zum Zahlungsverhalten im Jahr 2022 gaben nur 8 Prozent der Schweden an, dass sie ihren letzten Einkauf im Geschäft bar bezahlt haben. Im Jahr 2010 waren es noch fast 40 Prozent. Zudem belief sich die Bargeldmenge in Schweden Ende 2022 auf etwa 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Zum Vergleich: Die Bargeldmenge in der Eurozone betrug im gleichen Jahr mehr als 12 Prozent und in der Schweiz 11 Prozent des BIP.[1] Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern nahm die Bargeldmenge in Schweden seit 2008 ab. Das deutet darauf hin, dass Bargeld in Schweden nicht nur als Zahlungsmittel, sondern auch als Sparinstrument an Bedeutung verloren hat.

Für die meisten von uns Schweden hat diese Entwicklung Vorteile: Wir können Geld nahezu in Echtzeit zwischen Konten bei verschiedenen Banken transferieren und mittels Zahlungskarten auf unseren Mobiltelefonen beim Strassenhändler Obst kaufen. Eine aktuelle Studie der Schwedischen Nationalbank zeigt denn auch: Die gesellschaftlichen Kosten sind in Schweden bei digitalen Zahlungen niedriger als bei Barzahlungen.[2] Doch wie ist es so weit gekommen?

Warum die Schweden kaum Bargeld benutzen

Vor allem Private haben die Digitalisierung des schwedischen Zahlungsverkehrs vorangetrieben. Auf Verbraucher, die ein zunehmend digitales Leben führen, treffen Anbieter, die sichere und einfach zu bedienende digitale Zahlungsmöglichkeiten entwickeln.

Debit- und Kreditkarten gibt es natürlich schon seit Jahren, aber Innovationen auf der Empfängerseite wie mobile Kartenlesegeräte haben die Akzeptanz deutlich erhöht. Darüber hinaus haben schwedische Banken gemeinsam eine Zahlungsapp für Smartphones namens Swish entwickelt und im Jahr 2012 eingeführt. Swish ist das schwedische Pendant zur Schweizer Zahlungsapp Twint, die 2017 lanciert wurde. Beide Apps ermöglichen digitale Sofortzahlungen zwischen Konten bei verschiedenen Banken und sind insbesondere für Zahlungen zwischen Privatpersonen beliebt. Von den 15- bis 65-jährigen Schweden haben 95 Prozent die Swish-App auf ihrem Mobiltelefon.[3] Die Nutzung von Swish hat fast im gleichen Masse zugenommen, wie die Bargeldnutzung zurückgegangen ist (siehe Abbildung).

Nutzung verschiedener Zahlungsmittel in Schweden (2016–2022)

Anmerkung: Anteil Personen, die in den letzten 30 Tagen mit Bargeld, Karte oder Swish bezahlt haben.
Quelle: Schwedische Nationalbank / Die Volkswirtschaft

 

Laut einer Studie der Schwedischen Nationalbank von 2020 hat das Zusammenspiel von Ereignissen und politischen Massnahmen den Rückgang des Bargelds in Schweden beschleunigt.[4]Dazu gehören insbesondere die Einführung von Swish, aber auch Initiativen des Gesetzgebers und der Behörden, beispielsweise die Bekämpfung von Steuerhinterziehung durch anonyme Barzahlungen.

Ausserdem führte die Schwedische Nationalbank zwischen 2015 und 2017 relativ rasch eine neue Münzen- und Banknotenserie ein. Das könnte für einige, die Ersparnisse in Bargeld hatten, mit Kosten verbunden gewesen sein. Dies hat sich offenbar negativ auf die Bereitschaft der Öffentlichkeit, Bargeld zu halten, ausgewirkt und die Anpassung an elektronische Zahlungsmittel weiter vorangetrieben.

Eine weitere mögliche Erklärung für die rückläufige Bargeldnachfrage ist, dass es immer schwieriger wird, mit Bargeld zu bezahlen, wenn die Verwendung von Münzen und Noten unter ein bestimmtes Niveau fällt. Dann wird Bargeld auch weniger attraktiv, um für unerwartete Ereignisse zu sparen.

Bargeld im Krisenfall

Wenn der Zahlungsverkehrsmarkt zunehmend digital wird, müssen einige Fragen geklärt werden. Beispielsweise: Was passiert im Krisenfall?

Hier hat Bargeld eine Überbrückungsfunktion. Denn man kann damit bezahlen, wenn digitale Zahlungssysteme nicht zur Verfügung stehen, etwa wegen eines Stromausfalls. Deshalb empfiehlt die schwedische Katastrophenschutzbehörde der Bevölkerung weiterhin, etwas Bargeld zu Hause zu halten.

Allerdings: Auch wenn Bargeld wichtig ist, es kann nicht die einzige Lösung für Zahlungen in Krisenzeiten sein. Wenn man sich nur auf eine Zahlungsmethode verlässt, wird das System anfällig. Es ist wichtig, dass Einzelpersonen Zugang zu mehreren Zahlungsinstrumenten haben und dass digitale Zahlungsmittel auch in einer Krise funktionieren.

Zudem darf nicht übersehen werden, dass Zahlungsempfänger bei einem Stromunterbruch eventuell gar keine Zahlungen annehmen können – auch nicht in bar. Denn ohne Strom funktionieren die Kassensysteme nicht.

Soziale Integration in Gefahr

Ein Teil der schwedischen Bevölkerung kann gar keine digitalen Zahlungen machen. Gemäss Schätzungen machen diese «digitalen Aussenseiter» etwa 5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung aus.[5] Gründe dafür können mangelnde kognitive oder physische Fähigkeiten sein oder dass ihnen die Eröffnung eines Bankkontos verweigert wird – oft weil sie nicht in der Lage sind, sich ordnungsgemäss auszuweisen.

In den letzten Jahren haben alle grossen Banken in Schweden die Bargeldabwicklung am Schalter eingestellt. Auch die meisten anderen Anbieter von Bargelddienstleistungen, beispielsweise zum Bezahlen von Rechnungen, haben ihre Tätigkeit eingestellt.

Der Gesetzgeber reagiert

2021 trat ein neues Gesetz in Kraft, das bestimmte Grossbanken dazu verpflichtet, Bargeldabhebungen anzubieten und Einzahlungen von Organisationen und Unternehmen entgegenzunehmen. Die Banken erfüllen diese Verpflichtung hauptsächlich durch automatisierte Dienstleistungen, etwa an Geldautomaten. Und seit Januar 2023 verpflichtet ein Gesetz die Schwedische Nationalbank zu mehr Verantwortung bei der Sicherstellung der Bargeldversorgung im Grosshandel und bei der Überwachung der Bargeldversorgungskette.

Angesichts des rapiden Rückgangs der Bargeldnutzung hat die Schwedische Nationalbank eine Untersuchung über die Rolle des Staates auf dem Zahlungsmarkt gefordert.[6] Der eben erschienene Abschlussbericht[7] empfiehlt beispielsweise, Apotheken zur Annahme von Bargeld für verschriebene Medikamente zu verpflichten und dass die schwedische Steuerbehörde Bargeld für Steuerzahlungen bis zu einem bestimmten Betrag akzeptieren muss. Dennoch: Stärker als den Schutz des Bargeldes betont die Untersuchung, wie wichtig die digitale Inklusion ist.

Bislang ist Bargeld in Schweden also immer noch Teil der Lösung. Und die jüngsten gesetzlichen Massnahmen deuten darauf hin, dass dies noch eine Weile so bleiben wird. Um sich auf eine zunehmend digitale Zukunft vorzubereiten, prüfen jedoch viele Zentralbanken, darunter auch die schwedische, die Ausgabe von digitalem Zentralbankgeld.

  1. Quelle: Macrobond. Für mehr Details siehe auch den Artikel von Schmidbauer, Himmel und Baur in diesem Schwerpunkt. []
  2. Schwedische Nationalbank (2023). Cost of Payments in Sweden. Riksbank Studies Nr. 1/2023. []
  3. Swish (2022). Historical Milestone for Swish – Now More Than 8 Million Users. 17. Juni 2022. []
  4. Armelius, H., C.A. Claussen und A. Reslow (2020). Withering Cash: Is Sweden Ahead of the Curve or Just Special?, Working Paper Series 393, Sveriges Riksbank. []
  5. The Swedish Internet Foundation (2022). Swedes and the Internet 2022. []
  6. Petition an den Schwedischen Reichstag 2018/19:RB3. The State’s Role on the Payment Market. []
  7. SOU 2023:16. Staten och betalningarna [The State and the Payments]. []

Zitiervorschlag: Jens Arnoldsson, Max Brimberg (2023). Kaum mehr Bargeld in Schweden. Die Volkswirtschaft, 15. Mai.