Der liberale Thinkthank Avenir Suisse hat sich in den letzten Jahren wiederholt kritisch zur Standortförderung geäussert und dabei sowohl aus volkswirtschaftlicher wie auch aus ordnungspolitischer Sicht argumentiert. Da dies in der öffentlichen Debatte oft verkürzt als Grundsatzkritik an der Standortförderung interpretiert wurde, sollen die Einwände im Folgenden differenziert dargelegt werden.
Zunächst eine Begriffsklärung: Standortpromotion dient der Bewerbung des Standorts – beispielsweise durch Imagekampagnen, Messeauftritte oder die Kontaktpflege mit potenziellen Investoren. Standortförderung dient der Firmenansiedlung – etwa durch Anreize und Subventionen. In der Schweiz gibt es zahlreiche Institutionen, die sich mit Fragen der Standortpromotion und -förderung beschäftigen (siehe Grafik 1 und Kasten 1). Eine umfassende Übersicht über diese Akteure und ihre Instrumente oder kohärente Statistiken über ihren Personalbestand oder ihre Budgets gibt es nicht.Nicht nur die Organisationsform, sondern auch das Aufgabenspektrum all dieser Institutionen variiert erheblich. Im vorliegenden Beitrag stehen jedoch nur die Standortpromotion und die Standortförderung im engeren Sinne zur Diskussion – nicht aber Instrumente der Standortpflege wie die Schaffung wirtschaftsfreundlicher Rahmenbedingungen oder die Erbringung staatlicher Dienstleistungen für Bestandsunternehmen. Ausgenommen sind auch Tourismusmarketing und -förderung.
Schweiz gut aufgestellt
Welche Art der Promotion und Förderung ist für die Schweiz angemessen? Dafür lohnt zunächst ein Blick auf die Ausgangslage: Im internationalen Standortwettbewerb ist die Schweiz gut aufgestellt. In den meisten Standortrankings liegt sie hinsichtlich Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft und wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen auf einem der vorderen Plätze.
Vgl. World Competitiveness Yearbook, The Global Competitiveness Report, Doing Business Indikator, Paying Taxes – The Global Picture, Quality of Living Survey, Country Brand Index, Quality of Life Index, Global Innovation Index, Index of Economic Freedom.Firmen schätzen insbesondere die niedrigen Steuern, den flexiblen Arbeitsmarkt, das Reservoir qualifizierter Arbeitskräfte, die gute Infrastruktur, die dynamische Innovationslandschaft und das vorhandene Branchencluster. Qualifizierte Arbeitskräfte wiederum locken die überdurchschnittliche Lebensqualität, das Arbeitsangebot, die hohen Löhne und das stabile Rentensystem. Investoren schätzen schliesslich die politische Stabilität, die gesunden Staatsfinanzen sowie den Franken als sicheren Hafen. Über all dem prangt eine starke Marke: «Swissness» steht weltweit für Schweizer Tugenden und Standortqualitäten.Als kleines mehrsprachiges Land im Herzen Europas kann die Schweiz ihre Standortvorteile besonders wirksam ausspielen, denn sie schöpft als Nischenplayer aus einem grossen Pool. So leben in den Nachbarländern 145 Mio. Menschen im erwerbsfähigen Alter, die eine Landessprache sprechen.Der Zuzug von mobilen Produktionsfaktoren und Wirtschaftsaktivitäten waren lange wichtige Wachstumstreiber. Alleine zwischen 1980 und 2010 nahm die Bevölkerung der Schweiz um 1,5 Millionen Menschen zu. Seit der Jahrtausendwende stieg die Zahl der Erwerbstätigen zudem um mehr als 1 Prozent jährlich. Zwar war die Zahl der neu angesiedelten Firmen in den letzten Jahren rückläufig, aber insgesamt hat die Schweiz seit der Jahrtausendwende ein starkes Breitenwachstum erlebt, d. h. ein BIP-Wachstum, das mehr durch Zuzug als durch Produktivitätswachstum gekennzeichnet war.Dies brachte nebst positiven wirtschaftlichen Effekten auch negative Begleiterscheinungen wie steigende Wohnkosten, Verkehrsengpässe, Landschaftsverschleiss oder Statussorgen des heimischen Mittelstands. In der Bevölkerung hat sich eine zunehmende Wachstumsskepsis breitgemacht, die in der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative im Februar 2014 kulminierte. Die guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Schweiz geraten politisch unter Druck. Auch angesichts dieser Ausgangslage stellt sich die Frage, welche Art der Standortförderung in der Schweiz sinnvoll ist.
Zehn Grundsätze für die Promotion und die Förderung
Im Sinne einer Standortpflege müssen die guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erhalten und weiterentwickelt werden. Denn dies sind die Grundvoraussetzungen für einen produktiven und wettbewerbsfähigen Standort. Darüber hinausgehende Standortpromotion und -förderung sollte mit Bedacht eingesetzt werden. Im Folgenden werden zehn Handlungsgrundsätze zur Promotion und Förderung aus der Sicht von Avenir Suisse dargelegt. Diese Grundsätze leiten sich ab aus volkswirtschaftlichen und – vor allem – aus ordnungspolitischen Erwägungen.
- Wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen sind die beste Standortpolitik. Standortförderung sollte diese nicht ersetzen. Massnahmen der Standortförderung sollten nicht als Ersatz für die Standortpflege eingesetzt werden – etwa wenn ein Hochsteuerkanton neue Firmen nicht durch eine generelle Steuersenkung anzieht, sondern mit individuell ausgehandelten Steuerprivilegien. Ein restriktiver Umgang mit Instrumenten der Wirtschaftsförderung kann den Druck auf Gemeinden und Kantone erhöhen, sich ihre Attraktivität durch verbesserte Rahmenbedingungen zu erarbeiten.
- Firmenspezifische Privilegien sollten nur in gut begründeten Ausnahmefällen gewährt werden. Häufig werden im Rahmen von Ansiedlungsprojekten firmenspezifische Privilegien wie Subventionen, Steuerdeals oder vergünstigte Grundstücke gewährt. Eine solche Bevorzugung neu zuziehender Unternehmen gegenüber den Bestandsfirmen ist jedoch ordnungspolitisch problematisch, denn sie verzerrt den Wettbewerb. Zudem birgt sie die Gefahr von Mitnahmeeffekten, indem Firmen davon profitieren, die ohnehin an den Standort gekommen wären. Darüber hinaus gibt es Firmen, die nach Ablauf ihrer «Tax Holidays» wieder wegziehen.
- Standortförderung sollte keine Industriepolitik betreiben. Standortförderer in Politik und Verwaltung betreiben häufig Industriepolitik, indem sie bestimmte «Modebranchen» selektiv fördern – von Nanotechnologie über erneuerbare Energien bis hin zu Cleantech. Industriepolitik ist grundsätzlich problematisch, da sie zu Wettbewerbsverzerrungen, zur Fehlallokation von Ressourcen und zur Verschwendung von Steuergeldern führt. Der Markt ist ein erfolgreicheres Entdeckungsverfahren als der Staat. Dieser sollte sich ein besseres Wissen um «Zukunftsbranchen» nicht anmassen.
- Standortförderung sollte den Strukturwandel nicht behindern. Vor allem auf kommunaler und kantonaler Ebene neigen Politik und Verwaltung dazu, «unliebsamen» Fällen von Strukturwandel mit Mitteln der Standortförderung entgegenzuwirken. Gerade bei drohenden Firmenpleiten oder Werksschliessungen werden oft eilig geschnürte Hilfspakete lanciert, um den «Verlust von Arbeitsplätzen» zu vermeiden. Als beispielsweise Novartis 2011 sein Werk in Nyon schliessen wollte, gewährte der Kanton Waadt dem Konzern besondere Steuererleichterungen und eine lukrative Umzonung eines Industrieareals in eine Wohnzone mit Blick auf den Genfersee. Dabei geht vergessen: Strukturwandel ist eine Voraussetzung für Produktivitätswachstum, Wohlstandswachstum und Wettbewerbsfähigkeit.
- Standortpromotion und -förderung sollten nicht gegen Prinzipien des Fair Plays verstossen. Zu viel Schlaumeierei schadet der Legitimität des Standortwettbewerbs, wie zwei Beispiele zeigen. Ein Rundschreiben der Greater Zurich Area (GZA) an die Europazentralen von US-Konzernen in Belgien mit dem Vorschlag, einen Umzug in die stabile Schweiz zu erwägen, hat die Schweiz mitten in der Eurokrise 2012 politischen Goodwill gekostet. Allerdings zog die GZA daraus ihre Lehren und verabschiedete einen Verhaltenskodex. Auch die exzessive Nutzung der Steuerprivilegien unter den Bonny-Beschlüssen2 der Kantone Waadt und Genf hat die Akzeptanz des föderalen Steuerwettbewerbs beschädigt. Solche negativen (politischen) Externalitäten gilt es zu vermeiden.
- Staatliche Subventionen für die Standortpromotion sollten sparsam eingesetzt werden. Die Schweiz ist ein attraktiver Standort, und dies ist international bekannt. So gesehen gibt es hierzulande einen vergleichsweise geringen Bedarf für subventioniertes Standortmarketing. Für eine massvolle staatlich geförderte Standortpromotion gibt es dennoch Argumente. Erstens gibt es für die staatlichen Aufwendungen einen «Return on Investment» in Form künftiger Steuereinnahmen. Zweitens werben andere Staaten und Regionen oft massiv um Ansiedlungen, und die Schweiz muss bei diesem «Promotionswettbewerb» eine gewisse Präsenz zeigen. Drittens werden auch für den Standort Schweiz wieder einmal schlechtere Zeiten kommen (z. B. durch die Frankenaufwertung), und daher gilt es auch in guten Zeiten eine gewisse «Basiskapazität» aufrechtzuerhalten. Für eine wirkungsvolle Standortpromotion bedarf es institutionellen Wissens, Netzwerkkontakten und einer Standortmarke. Wenn solche Strukturen einmal verloren sind, ist es teuer, sie neu aufzubauen.
- Massnahmen zur Standortpromotion und -förderung sollten nicht auf Breitenwachstum zielen. Zu lange stand das reine «Schaffen von Arbeitsplätzen» im Fokus regionaler und nationaler Standortförderer. In der Schweiz, mit ihrer hohen Erwerbsquote und weitgehender Vollbeschäftigung, war dies ein Treiber der Zuwanderung. Das damit verbundene Breitenwachstum führte teilweise zu negativen Externalitäten (z. B. Infrastrukturkosten), die nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Vor allem aber unterminiert es zusehends die politische Akzeptanz volkswirtschaftlich bedeutender Standortfaktoren wie der Personenfreizügigkeit mit der EU oder des Steuerwettbewerbs zwischen den Kantonen. In einer solchen politischen Grosswetterlage sind Standortpromotoren daher gefordert, weniger auf die Förderung von Breitenwachstum zu setzen. Es macht wenig Sinn, die Zuwanderung einzuschränken und gleichzeitig durch Standortförderung anzuheizen. Nach der starken Frankenaufwertung dürften allerdings die Zeiten starken Breitenwachstums ohnehin erst einmal vorbei sein.
- «One-Stop-Shops» für Investoren sind ordnungspolitisch sinnvoll. Solche zentralen Anlaufstellen können in der Verwaltung oder bei Standortfördergesellschaften angesiedelt sein. Sie reduzieren den administrativen Aufwand und erhöhen die Transparenz für Firmen auf der Suche nach einem Standort.
- Bei der regionalen Standortpromotion sollten die Kräfte gebündelt werden. Zu viel Kleinstaaterei in der regionalen Standortpromotion ist ineffektiv und ineffizient. Insbesondere die Zusammenarbeit der Kantone ist sinnvoll. Sie schafft kritische Masse beim Branding und ermöglicht einen höheren Grad an Professionalität. Selbst grosse Standortmarketing-Organisationen wie die Greater Zurich Area sind im internationalen Massstab noch relativ klein.
- Standortförderung sollte in Boomregionen zurückhaltender sein als in strukturschwachen Gebieten. Steuersubstrat und Wirtschaftskraft sind in der Schweiz ungleich verteilt. In den vier grossen Metropolitanregionen konzentrieren sich auf einem Zehntel der Landesfläche fast 60 Prozent der nationalen Wertschöpfung, über die Hälfte der Arbeitsplätze und mehr als drei Viertel der 150 grössten Unternehmen. Während deshalb in den Boomregionen Zurückhaltung geübt werden sollte, können Förderinstrumente in strukturschwachen Gebieten dazu beitragen, vorhandene Standortnachteile – wie Topografie oder periphere Lage – auszugleichen. Zudem können sie die Wirtschaftskraft dieser Regionen derart stärken, dass sie langfristig unabhängiger von föderalen Transfers werden.
Im Hinblick auf die Respektierung dieser Prinzipien haben Standortförderer in der Schweiz in den vergangenen Jahren wichtige Hausaufgaben gemacht (siehe Kasten 2). Dazu beigetragen haben wohl auch kritische Debatten über ordnungspolitisch fragwürdige Praktiken und die wachsende Skepsis in der Bevölkerung gegenüber einem starken Breitenwachstum. Standortpromotion und Standortförderung mit Augenmass werden auch künftig eine Rolle im föderalen und im internationalen Standortwettbewerb spielen. Diese sollten sich jedoch innerhalb ordnungspolitischer Leitplanken bewegen, wie sie in den zehn Handlungsgrundsätzen skizziert wurden.
Vielschichtige Förderlandschaft
Auf Bundesebene ist Switzerland Global Enterprise mit 100 Mitarbeitern zuständig für Exportförderung und seit einigen Jahren auch für nationale Standortpromotion. Nationales Tourismusmarketing wird von Schweiz Tourismus mit 200 Mitarbeitern betrieben. Im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beaufsichtigt das Ressort Exportförderung und Standortpromotion diese externen Leistungserbringer und entwickelt strategische Grundlagen wie etwa zu KMU-Politik, Regionalpolitik, Tourismuspolitik und Exportförderung. Auch die Kantone verfügen über Abteilungen zur Standortförderung und Anlaufstellen für Investoren. Bei ihren internationalen Promotions- und Akquisitionsaktivitäten spannen die meisten Kantone zusammen. Standortmarketing-Organisationen vertreten etwa die Greater Zurich Area, die Greater Geneva Berne Area, die St. Gallen Bodensee Area und die Basel Area. Sechs Kantone – darunter Aargau, Luzern und Tessin – sind nicht mit von der Parti siehe Grafik 1). Ähnlich sieht es auf der untersten Staatsebene aus: In vielen Städten und Gemeinden erfüllen die Ämter für Wirtschaft Aufgaben der Standortpromotion und -förderung. Zudem bestehen auf regionaler Ebene eine Vielzahl von Standort- und Wirtschaftsfördergesellschaften. Einige davon sind öffentlich-private Partnerschaften, die sich teilweise aus Mitgliederbeiträgen finanzieren und auch der Vernetzung verschiedener Standortakteure dienen.
Standortförderer haben Hausaufgaben gemacht
Viele der in den zehn Handlungsgrundsätzen skizzierten Prinzipien haben Eingang in die Strategien und Arbeitsweise von Schweizer Standortförderern und Standortpromotoren gefunden: Grundsätzlich fliessen in der Schweiz weniger direkte Subventionen bei Ansiedlungen als in anderen europäischen Ländern. Auch die Budgets für Standortpromotion sind im internationalen Vergleich eher bescheiden. Mit dem Übergang von den Bonny-Beschlüssen zur Neuen Regionalpolitik wurden Steuerprivilegien für neu zuziehende Firmen auf die besonders strukturschwachen Gebiete des Landes konzentriert und Missbräuchen durch einzelne Kantone der Riegel geschoben. Die Botschaft zur Standortförderung des Bundes 2016 bis 2019 sieht eine Verschiebung der Akzente weg vom Breiten- hin zu mehr Produktivitätswachstum vor. Landesweit wurden strengere Mindeststandards für die Besteuerung nach Aufwand oder für Expat-Privilegien bei der Besteuerung eingeführt; und die Gründung grosser regionaler Gesellschaften zur Standortpromotion sorgt für mehr Transparenz und Effizienz.
Proposition de citation: Müller-Jentsch, Daniel (2015). Die zehn Gebote der Standortförderung aus Sicht von Avenir Suisse. La Vie économique, 09. mars.