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Ist das Patentsystem noch zeitgemäss?

Das Patent als wirtschaftspolitisches Instrument wird mit Lob und Kritik bedacht – und dabei oft nicht richtig verstanden. Seine Berechtigung hat es indes auch in Zeiten der Digitalisierung nicht verloren.
Die Anzahl Nutzer ist für Plattformen entscheidender als Patente. Facebook-CEO Mark Zuckerberg macht ein Selfie mit anderen Unternehmern. (Bild: Keystone)

Vom österreichisch-amerikanischen Ökonomen Fritz Machlup, der in den Fünfzigerjahren an der US-Universität Princeton als Professor lehrte, ist ein berühmtes Zitat zum Patentsystem überliefert: «Hätten wir kein Patentsystem, wäre es auf Grundlage des heutigen Wissens und der wirtschaftlichen Folgen unverantwortlich, dessen Einrichtung zu empfehlen. Da wir aber seit Langem über ein Patentsystem verfügen, wäre es auf Grundlage des heutigen Wissens ebenso unverantwortlich, zu seiner Abschaffung zu raten.»

Seither hat sich die Meinung der Ökonomen hierzu nicht grundlegend geändert, obwohl man heute viel mehr über das Thema weiss und die Vor- und Nachteile dieses Systems besser erforscht sind. Zudem wurden neue Patentfunktionen wie die Nutzung von Patenten als Kreditsicherheit entdeckt, aber auch bisher unbekannte kontraproduktive Effekte.

Seit eh und je gibt es Befürworter und Gegner des Patentsystems. Die Presse berichtet vor allem über spektakuläre Patentprozesse. Wozu nützen also Patente? Sind sie überhaupt noch relevant? Eine wirtschaftliche Analyse des Themas schafft Klarheit.

Ein Anreiz für Erfindungen


Das Patent gilt traditionell als Instrument, um Unternehmen zu Investitionen in die Forschung und Entwicklung (F&E) zu bewegen. Denn es ist sehr schwer, den Zugang zu immateriellen Vermögenswerten wie Wissen zu verhindern. Jemandem den Zutritt zu einer Fabrik zu versperren, ist sehr viel leichter. Diese sogenannte Nicht-Exklusivität des Wissens ist das Hauptargument für ein Patentsystem.

Als Paradebeispiel hierfür dient häufig die Pharmaindustrie. Denn dort ist es extrem teuer, den therapeutischen Effekt eines Wirkstoffs zu ermitteln. Ist das betreffende Molekül erst einmal identifiziert, verursacht die Massenproduktion eines Medikaments dann nur noch vergleichsweise geringe Kosten – und sie lässt sich auch vergleichsweise leicht bewerkstelligen. Hätte eine Pharmafirma also keine Möglichkeit, ihre Konkurrenten von der Produktion auszuschliessen, ergäben Investitionen in F&E für sie nur wenig Sinn. Denn die Imitation des Produkts durch die Mitbewerber untergräbt den Return on Investment des Innovators und kann dazu führen, dass er nicht einmal seinen ursprünglichen Investitionsbetrag zurückerhält.

Das Patent gewährleistet diese «Exklusivität» des Wissens. Es räumt dem Inhaber das Recht ein, jeden Konkurrenten von der Nutzung, der Produktion und der Vermarktung einer Erfindung auszuschliessen. Dieses Monopol steigert den Return on Investment von F&E-Projekten und fördert so den Innovationsgeist.

Das Quidproquo – die angemessene Gegenleistung  des Systems – besteht in der feinen Balance zwischen einer kurzfristigen statischen Ineffizienz und einer langfristigen dynamischen Effizienz. Denn eigentlich sind wir daran interessiert, dass Medikamente in möglichst grosser Zahl zu wettbewerbsfähigen Kosten produziert werden. Das Patent verhindert vorerst aber genau diesen Wettbewerb, weil es einem Unternehmen ein Monopol auf seine Erfindung einräumt. In dieser Hinsicht ist das Ergebnis also statisch ineffizient. Doch gleichzeitig fördert das Monopol die Investitionen in F&E überhaupt, was langfristig zu einer dynamischen Effizienz führt.

Um seine Erfindung zu schützen, muss der Urheber deren Funktionsweise in einem Patentantrag ans Patentamt genau beschreiben. In den meisten Patentämtern beurteilt anschliessend ein amtlicher Prüfer die Neuheit der Erfindung auf Grundlage des Wissens- und Entwicklungsstands auf dem betreffenden Gebiet.[1] Die Beschreibung der Erfindung ist in diesem Prozess somit entscheidend. Abgesehen von einigen Ausnahmen wird jeder eingereichte Patentantrag veröffentlicht. Die «Patentliteratur» stellt somit ein erstklassiges Wissensverzeichnis dar. Es ist zwar frei zugänglich, frei verwendet werden darf das darin beschriebene Know-how allerdings nicht. Der zweite Vorteil des Patentsystems liegt also in der weitreichenden Verbreitung des Fachwissens.

Leitplanken und Hürden


Damit ein Patentsystem der Gesellschaft zugutekommt, dürfen somit nur jene Erfindungen patentierbar sein, die ohne dieses System nicht zustande gekommen wären. Andernfalls trägt die Gesellschaft lediglich die Kosten der statischen Ineffizienz, ohne vom Anreizeffekt zu profitieren. Doch für ein Patentamt ist es leider schwierig, zwischen «opportunistischen» und rechtmässigen Patentanträgen zu unterscheiden.

Als Leitplanke dient ihnen dabei der Grundsatz, dass nur Erfindungen mit einer ausreichenden «Erfindungshöhe», also hinreichend originelle und neuartige Erfindungen, patentierbar sind. Doch dieses Kriterium ist subjektiv und nur schwer anwendbar. Dennoch kritisieren zahlreiche Beobachter die niedrige Qualität der patentierten Erfindungen. Zudem wird vielfach die Meinung vertreten, Patente auf Software seien kontraproduktiv, da es in diesem Bereich meist nur um kleine Fortschritte gehe, die auch ohne Patentsystem erzielt worden wären. Opportunistische Patente sind in Branchen wie dem IT-Sektor besonders problematisch, die durch einen sehr kumulativen Innovationsprozess geprägt sind. Denn räumt man ein Monopol auf eine Erfindung ein, werden dadurch auch alle darauf aufbauenden Erfindungen beschränkt oder gar blockiert.

Eine weitere Leitplanke ist, dass die Gültigkeit eines Patents zeitlich und räumlich begrenzt ist. Im Allgemeinen verfällt ein Patent spätestens 20 Jahre nach seiner Anmeldung – oder wenn die Jahresgebühren für die Patentverlängerung nicht bezahlt worden sind. Die Zahlung dieser Gebühren lohnt sich nämlich nicht, wenn ein Patent seinem Inhaber nicht genug einbringt. In diesem Fall geht das Patent in das Gemeingut über, und die Erfindung darf frei verwendet werden. Patente sind ausserdem nur in dem Land gültig, in dem sie ausgestellt wurden. Ein in den USA erteiltes Patent hat somit in Europa oder China keine Rechtskraft. Die Regierung kann sich auch das Recht vorbehalten, die Erteilung eines Patents aus Gründen des nationalen Interesses abzulehnen – oder bei Patenterteilung in bestimmten Fällen eine Lizenzierung vorschreiben. Diese Bestimmung des Patentrechts könnte sich in der aktuellen Corona-Krise als nützlich erweisen.

Es existieren aber auch Hürden. Sie bestehen insbesondere in den beträchtlichen Summen, die aufgebracht werden müssen, um ein Patent bei einem Rechtsstreit durchzusetzen. Der Besitz eines Patents ist reine Fassade, wenn sein Inhaber nicht über die nötigen Finanzmittel verfügt, um seine Rechte vor Gericht durchzusetzen. Rechtsstreitigkeiten sind lang und kostspielig. Sie können Jahre dauern und mehrere Hunderttausend oder sogar Millionen Franken kosten. Nicht alle Firmen können so viel Geld investieren und so lange warten – zumal die in die Durchsetzung des Patents investierten Mittel und Anstrengungen an anderer Stelle fehlen.

Ein Monopol als Vermarktungsanreiz


Kommen wir nochmals auf die bereits genannten «opportunistischen» Patente zurück. Ihr Name rührt wie erwähnt daher, dass die von ihnen geschützten Erfindungen auch ohne Patentsystem zustande gekommen wären. Das System hat neben Erfindungsanreizen indes noch andere Vorteile. So spornt ein Patent beispielsweise auch dazu an, in die Vermarktung der Erfindung zu investieren, und kann so den Handel mit dem betreffenden Produkt fördern.

Ein Patent schützt eine frisch aus dem Labor gekommene Erfindung. Nach der Patenterteilung ist es aber noch ein weiter Weg, bis aus der Erfindung ein Endprodukt entsteht, das vermarktet wird. Daher müssen das Unternehmen oder seine Investoren selbst im Fall eines opportunistischen Patents zusätzliche Ausgaben tätigen, um einen Nutzen daraus zu ziehen. Das Beispiel der Start-ups verdeutlicht dies besonders eindrücklich. Nur wenige Investoren würden Geld in ein Jungunternehmen stecken, dessen Produkt sich leicht imitieren lässt. In diesem Fall kann das Patent dem Start-up einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil einräumen und ihm helfen, die Finanzmittel zu beschaffen, die für die Vermarktung seiner Erfindungen erforderlich sind.

Das Patent kann auch den Technologietransfer fördern, der für Universitäten, Start-ups und multinationale Unternehmen gleichermassen wichtig ist. Es grenzt den Umfang der Erfindung klar ab und erlaubt es, deren Transfer von einem Wirtschaftsteilnehmer an einen anderen abzusichern. Durch den Erwerb eines Patents erhält der Käufer vom Verkäufer die Garantie, dass weder Letzterer noch Dritte die Erfindung nutzen. Wir haben es also mit einem Paradox zu tun: Während das Patent einerseits ein Ausschlussinstrument ist, erleichtert es andererseits die Verbreitung und den Austausch von Technologien.

Das Patent – ein Auslaufmodell?


Bisher wurde das Patent dem sich wandelnden Innovationsverständnis sehr gut gerecht. Die Erfindungen in der Mechanik, der Elektronik und den Lifesciences, die den technologischen Fortschritt seit der industriellen Revolution vorangetrieben haben, waren mit dem Patentsystem recht gut bedient.

Gleichwohl können wir uns fragen, ob das Patent in der aktuellen Ära der digitalen Revolution noch zeitgemäss ist. Für Technologien mit kurzem Lebenszyklus sowie kumulative und aufeinander aufbauende Entwicklungen ist es nicht geeignet. Die Erteilung eines Patents dauert mehrere Jahre, was in einigen Branchen zu lange ist. Noch entscheidender ist aber, dass in der digitalen Revolution Wettbewerbsvorteile oft auf anderen Grundlagen beruhen als auf einer patentierten Erfindung.

Erstens spielen Daten eine immer grössere Rolle bei der Generierung von Mehrwert. Sie ermöglichen das maschinelle Lernen, das beispielsweise bei der Erstellung von Nutzerprofilen, der Steuerung selbstfahrender Autos oder für vorbeugenden Unterhalt eingesetzt werden kann. Algorithmen und künstliche Intelligenz sind jedoch mehr oder weniger wertlos, wenn sie nicht mit Daten gefüttert werden. Diese Daten sind natürlich nicht patentierbar, werden aber durch andere geistige Eigentumsrechte geschützt.

Zweitens verfolgen viele florierende Firmen ein plattformbasiertes, Netzwerkeffekte nutzendes Geschäftsmodell. Das heisst: Ihre Produkte oder Dienstleistungen gewinnen mit steigender Nutzerzahl an Wert. Eine gut etablierte Plattform stellt eine für potenzielle Konkurrenten nur schwer überwindbare Marktzutrittsschranke dar. Facebook ist hierfür ein klassisches Beispiel: Je mehr Freunde sich auf der Plattform registrieren, desto grösser wird der Druck, es ihnen gleichzutun – und umso schwerer wird für Mitbewerber die Lancierung einer Konkurrenzplattform.

Dass Patente auch im 21. Jahrhundert noch relevant sind, zeigt ein Blick in die Statistik. Demnach nimmt die Zahl der Patentanträge weltweit noch immer zu.[2] Das Patent deckt nicht alle Innovationsarten ab, spielt für die meisten von ihnen aber zweifelsohne nach wie vor eine entscheidende Rolle. Dies gilt vor allem für die Schweiz, deren Unternehmen im internationalen Vergleich besonders viele Patente anmelden. Das Patentsystem hat also noch lange nicht ausgedient.

  1. In der Schweiz führt das IGE keine solche Prüfung durch. Für mehr Informationen dazu und zur Teilrevision des Schweizer Patentgesetzes siehe den Artikel von Alexander Pfister und Hansueli Stamm. []
  2. Genauere Zahlen zum Thema enthält der ebenfalls in diesem Dossier erschienene Artikel von Behrens, Garanasvili, Gaduyon Bayona und Wunsch-Vincent. []

Zitiervorschlag: Gaétan de Rassenfosse (2020). Ist das Patentsystem noch zeitgemäss. Die Volkswirtschaft, 17. November.