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Falsches Denken über die Geldpolitik

Falsches Denken über die Geldpolitik

Dieser Tage lese ich immer wieder, die Verluste der Schweizerischen Nationalbank auf Anlagen in fremden Währungen bedrohten ihre Solvenz. Die Autoren sind zumeist Praktiker, ausgewiesene Bankspezialisten, die allerdings nicht die Zeit gefunden haben, sich mit den Unterschieden zwischen einer Zentralbank und einer Geschäftsbank zu befassen.

Eine moderne Zentralbank kann praktisch nicht zahlungsunfähig werden, denn das Geld, das sie zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten braucht, produziert sie zumeist selbst. Das Geld, das die Zentralbank ausgibt, erscheint in der Bilanz als Verbindlichkeit, aber es verpflichtet sie zu nichts.

Als Banknoten noch in Gold einzulösen waren, war das anders. Damals begründete die Einlösepflicht eine echte Verbindlichkeit. Heute haben wir eine reine Papierwährung, ohne Einlösepflicht. Die Bilanzierungspraxis ist gleichwohl geblieben. Kein Wunder, dass die Bankspezialisten verwirrt sind. Da wird etwas als Verbindlichkeit behandelt, was keine ist.

Nach betriebswirtschaftlicher Logik sollte die Geldausgabe der Zentralbank nicht als Verbindlichkeit bilanziert werden. Gleichwohl geschieht dies. Die Zentralbankbilanz enthält daher stille Reserven. Und jede neue Geldausgabe erhöht diese Reserven. Stellen wir uns vor, die Zentralbank kauft eine Aktie: Die Aktie bringt Dividenden, das Geld für den Kauf kostet die Zentralbank aber nichts. Der Barwert der Nettoerträge der Zentralbank wird um den Barwert der Dividenden erhöht, aber das erscheint nicht in der Bilanz. Sollte die Aktie wertlos werden, so weist die Zentralbank zwar einen Verlust aus, aber dieser Verlust ist nicht grösser als der stille Gewinn beim Kauf der Aktie. Die Vorstellung, dass eine moderne Zentralbank insolvent werden kann, beruht somit auf einem mangelhaften Verständnis der Zentralbankbilanz.

Konzentration auf volkswirtschaftliche Probleme hat Priorität


Die Bilanzierungspraxis dient allerdings dem Schutz des Geldwesens vor der Gier der Eigentümer der Zentralbank und vor der Geldentwertung. Würden die Gewinne aus der Geldschöpfung immer gleich ausgewiesen, so würden die Eigentümer deutlich höhere Ausschüttungen verlangen und vielleicht fordern, die Gewinne durch zusätzliche Geldschöpfung noch weiter zu erhöhen. Das könnte zur Inflation führen und zu Verlusten bei den Besitzern von Bargeld und anderen auf Geld lautenden Werten.

Derzeit ist das Inflationsrisiko aber gering. Die exorbitante Zentralbankgeldschöpfung der letzten Jahre war nur ein Ersatz für den Kollaps der Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken in der Krise. Dadurch wurde ein Kollaps der Realwirtschaft verhindert. Jedoch ist noch nicht klar, wie die Geldpolitik wieder zur Normalität zurückkehren kann. Die Diskussion über diese Frage sollte sich aber auf die volkswirtschaftlichen Probleme konzentrieren und nicht durch Warnungen vor den gar nicht vorhandenen Solvenzrisiken der Zentralbank verzerrt werden.

Mancher betrachtet Papiergeld als Teufelszeug und ist grundsätzlich gegen Aktivitäten der Zentralbank. Und wenn die Warnung vor der Inflation an der Realität vorbeigeht, so warnt man vor Bilanzrisiken und Verlusten. Der US-Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen zog in dem monumentalen Werk „Golden Fetters“ zur Weltwirtschaftskrise den Schluss: Die Krise entstand, weil die Zentralbanken unter dem Goldstandard eine restriktive Geldpolitik betrieben, um Gold zu horten, und sie dauerte jeweils, bis ein Land vom Goldstandard abging und bis die Zentralbank aufhörte, in Kategorien des Goldstandards zu denken.[1] Verfehlte betriebswirtschaftliche Kategorien spielen heute die Rolle der Kategorien des Goldstandards.

  1. Barry Eichengreen (1992) Golden Fetters: The Gold Standard and the Great Depression, 1919-1939, Oxford University Press. []

Zitiervorschlag: Martin Hellwig (2015). Falsches Denken über die Geldpolitik. Die Volkswirtschaft, 22. Mai.