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Wie ernst meinen es Schweizer Unternehmen mit verantwortungsvollem Wirtschaften?

Tobias Meili, Leiter Corporate Legal bei Syngenta, erklärt im Gespräch mit der «Volkswirtschaft», der Agrarchemiekonzern Syngenta prüfe mit internen Audits die Einhaltung von Umweltvorschriften. Lippenbekenntnisse von Unternehmen würden dadurch schnell entlarvt. Für Mark Herkenrath, Geschäftsführer des Hilfswerk-Dachverbandes Alliance Sud, treffen zu viele Unternehmen noch keine Massnahmen zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt – weshalb er die Konzernverantwortungs-Initiative mitlanciert hat.

Wie ernst meinen es Schweizer Unternehmen mit verantwortungsvollem Wirtschaften?

Nach dem Gespräch beim Restaurant Grosse Schanze in Bern: Tobias Meili (l.), Syngenta, und Mark Herkenrath, Alliance Sud (Bild: Christoph Bigler, Seco)

Syngenta ist seit kurzem in chinesischen Händen. Herr Meili, in einem internen Verhaltenskodex definiert der Konzern unter anderem den Umgang mit Pestiziden oder die Arbeitsrechte. Was passiert mit solchen Standards nach der Übernahme durch Chemchina?


Tobias Meili: Der Code of Conduct gilt weiterhin. Das haben wir bei den Verhandlungen mit Chemchina sichergestellt. Die Garantie gilt vorerst für fünf Jahre. Ich bin aber zuversichtlich, dass die Massnahmen weitergeführt werden. Denn China steht den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechten gar nicht so ablehnend gegenüber, wie gemeinhin angenommen wird. Das Land hat sich beispielsweise für die Schaffung einer UNO-Arbeitsgruppe zu Wirtschaft und Menschenrechten eingesetzt, während einige westliche Staaten dagegen waren. Zudem besteht Syngenta aus 28’000 Individuen, die meisten hoch qualifizierte Spezialisten, welche schnell weg wären, wenn sie das Gefühl hätten, dass der chinesische Staat Vorgaben machen würde. Gerade den jungen Mitarbeitenden sind Unternehmenswerte sehr wichtig.

Mark Herkenrath: Ich bin froh zu hören, dass sich Syngenta auch nach dem Eigentümerwechsel für Menschenrechte und Umweltstandards einsetzt. Leider ist das nicht bei allen Unternehmen so.

Haben Sie Namen?


Herkenrath: Ich möchte hier kein einzelnes Unternehmen an den Pranger stellen. Es gibt Dutzende von gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Unternehmen mit Sitz in der Schweiz.

Soll ein Unternehmen Risikoländer besser meiden?


Meili: Das wäre falsch. Damit würden sie der Wirtschaft des Gastlandes schaden, denn multinationale Unternehmen schaffen Arbeitsplätze und steigern die Wohlfahrt. Vielmehr braucht es zwei Dinge: Erstens müssen sich die Unternehmen an die lokalen Gesetze halten – das ist das Minimum. Zweitens muss ein Konzern Standards erarbeiten, welche er unabhängig von den lokalen Gesetzen durchzieht. So gelten unsere Umweltschutzvorschriften weltweit – egal ob in der Schweiz, in Bangladesch oder in Indien.

Sind diese Vorgaben verbindlich?


Meili: Absolut. Mit internen Audits überprüfen wir, ob sie eingehalten werden.

Herkenrath: Die Unternehmen haben eine grosse Verantwortung. Es genügt aber nicht, wenn ein Konzern das nur bei sich und seinen Tochterfirmen macht. Er muss sich auch bei den Zulieferbetrieben dafür einsetzen, dass dort Menschenrechtsverletzungen vermieden werden. Dies halten auch die UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte fest.

Meili: Wir machen das bereits. Unsere Zulieferer müssen gewisse Minimalstandards erfüllen. Es stellt sich aber die Frage, wie tief man bei einer Zulieferkette geht. Gerade bei verarbeiteten Produkten verlieren sich die Spuren schnell. Oft fehlen kleineren Firmen zudem die technischen Möglichkeiten, die Standards umzusetzen. Hier kommen die Staaten ins Spiel. Sie sollen die Standards gegenüber den Zulieferern durchsetzen. Nebst den Gastländern sind auch die Mutterländer der Konzerne involviert. Beispielsweise die Schweiz.

Der Bundesrat hat ein Positionspapier und einen Aktionsplan zu verantwortungsvollem Wirtschaften verabschiedet. Was halten Sie davon?


Herkenrath: Leider hat er all diese Fortschritte erst gemacht, als öffentlicher Druck ausgeübt wurde, nicht zuletzt dank der Petition Recht ohne Grenzen, der Vorgängerin der Konzernverantwortungs-Initiative. Der Bund nimmt seine Verantwortung noch zu wenig wahr, denn der Aktionsplan ist freiwillig. Deutschland hat sich beispielsweise für ein stufenweises Vorgehen entschieden: Zuerst werden freiwillige Massnahmen ausprobiert, wenn diese nicht greifen, werden Gesetze erlassen. Der Bundesrat handelt zudem widersprüchlich: Einerseits hat er ein Positionspapier zur Corporate Social Responsibility verabschiedet. Andererseits geht eine Wirtschaftsdelegation unter der Leitung des Wirtschaftsministers in den Iran, um Investitionen zu ermöglichen.

Wo liegt das Problem?


Herkenrath: Der Delegation wurden keinerlei Vorgaben zu verantwortungsvoller Unternehmensführung mit auf den Weg gegeben – obwohl im Iran das Risiko von Menschenrechtsverletzungen gross ist.

Herr Meili, was soll der Staat tun?


Meili: Der Bund spielt erstens eine wichtige Rolle als Vermittler zwischen den Interessengruppen – beispielsweise zwischen Industrie und NGOs. Zweitens soll er den Firmen das Rüstzeug zur Verfügung stellen, damit diese ausländische Märkte einfacher erschliessen können. Und drittens kann der Bund andere Staaten bei der Gesetzgebung und deren Umsetzung unterstützen.

Kommen wir zurück auf die Unternehmen. Vor sieben Jahren sah sich der Nahrungsmittelkonzern Nestlé mit einem der ersten Shitstorms konfrontiert. Greenpeace kritisierte das im Schokoriegel KitKat enthaltene Palmöl und sagte, der Lebensraum von Orang-Utans sei dadurch bedroht. Wie sieht es heute aus: Geht es den Konzernen darum, den nächsten Shitstorm zu vermeiden, oder erleben wir echtes Engagement?


Herkenrath: Einige meinen es sicher ernst. Ob eine Firma ihre Verantwortung für die Menschenrechte und die Umwelt ernst nimmt, soll aber nicht von der jeweiligen Leitung abhängen, sondern es müssen sich alle Unternehmen daran halten. Diejenigen, die alles gut machen wollen, werden sowieso einen Schritt weiter gehen.

Meili: Lippenbekenntnisse werden schnell entlarvt. Sie müssen nur in die Produktionswerke gehen und schauen, ob das, was in den Hochglanzprospekten steht, auch umgesetzt wird. Und wie gesagt: Die Mitarbeiter fordern echtes Engagement.

Herkenrath: Der Druck, der von den Angestellten ausgeht, ist zweifellos sehr wichtig. Er genügt aber nicht: Von den 100 grössten Unternehmen der Schweiz verfügen 60 Prozent über keinen Code of Conduct. All diesen Firmen rennen die Arbeitskräfte ja nicht davon.

Braucht es eine andere Art von Führungskräften?


Meili: In den letzten zwanzig Jahren ist das Bewusstsein der Führungskräfte punkto Nachhaltigkeit stark gestiegen. Und das ist gut so.

Herr Herkenrath, zusammen mit anderen NGOs haben Sie Unterschriften für die Konzernverantwortungs-Initiative gesammelt. Braucht es diese Initiative?


Herkenrath: Ja. Es braucht sie, weil zu viele Unternehmen keine freiwilligen Massnahmen treffen, um Menschenrechte und Umwelt zu schützen. Firmen, welche dies nur zu Marketingzwecken tun, schaden der Reputation der Schweiz und den Unternehmen, die es ernst meinen.

Herr Meili, was halten Sie von diesem Vorhaben?


Meili: Die Zielsetzung unterstützen wir. Bei der Ausgestaltung geht die Initiative aber zu weit. Inakzeptabel ist die Haftungsbestimmung, die eingeführt werden soll. Verantwortungsvolle Unternehmensführung wird dadurch zu einer buchhalterischen Risikomanagement-Übung.

Was ist die Grundidee der Initiative, Herr Herkenrath?


Herkenrath: Die Idee ist: Alle Schweizer Konzerne müssen eine Sorgfaltsprüfung bezüglich Menschenrechten und Umwelt durchführen. Das heisst: Sie müssen genau hinschauen, wo Probleme auftreten können und entsprechende Massnahmen ergreifen. Wegschauen darf nicht mehr möglich sein. In besonders schlimmen Fällen haben wir einen Sanktionsmechanismus eingebaut: Ein Konzern, der direkt oder via Tochterfirma Menschenrechte verletzt, soll dafür geradestehen. Es sei denn, er könne zeigen, dass die Sorgfaltsprüfung umsichtig durchgeführt wurde – in diesem Fall ist er von der Haftung befreit. Die Initiative hat somit hauptsächlich präventiven Charakter. Firmen, die eine Sorgfaltsprüfung durchführen, werden belohnt.

Meili: Die Haftungsbestimmung ist keine Belohnung für ein Unternehmen, sondern ein Risiko. Denn bei Umweltstandards gibt es keine internationalen Standards. Wie soll man beweisen, dass man sorgfältig gehandelt hat, wenn man gar nicht weiss, was man einhalten muss? Dies kollidiert mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit im Sinne des Legalitätsprinzips. Es ist, wie wenn Sie auf einer Autobahn unterwegs sind und nicht wissen, wie schnell Sie fahren dürfen. Mit der EU-Richtlinie zum Non-Financial-Reporting kann ich beispielsweise leben, weil dort keine Haftung enthalten ist.

Herkenrath: Ihre Argumentation stimmt nicht. Die UNO-Leitprinzipien und diverse nationale Regulierungen definieren die Sorgfaltsprüfungspflicht bereits jetzt. Mit der Initiative würde ein internationaler Standard in Schweizer Recht gegossen. Wir sind nicht Vorreiter, beispielsweise kennt Grossbritannien den Modern Slavery Act, der ebenfalls eine Sorgfaltsprüfungspflicht festschreibt. In der Schweiz werden auch die bereits existierenden freiwilligen Massnahmen in den Gesetzgebungsprozess einfliessen.

Meili: Die Krux liegt ja darin, dass Schweizer Unternehmen an einem unbekannten Katalog von internationalen Standards gemessen werden könnten, statt an Schweizer Gesetzen.

In der Schweiz gibt es einen Nationalen Kontaktpunkt, der beim Seco angesiedelt ist. Dort können vermutete Verstösse gegen die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen gemeldet werden. Reicht das nicht aus?


Meili: Der Kontaktpunkt funktioniert ähnlich wie eine Ombudsstelle. Ein Beschwerdeführer erhält die Möglichkeit, über einen Dritten als Vermittler mit dem Unternehmen zu reden, wenn die Gespräche auf direktem Weg gescheitert sind. Das finde ich sinnvoll.

Herkenrath: Der Kontaktpunkt ist wichtig, wenn es darum geht, in einem Streit zu schlichten. Er kann sich zudem um Konflikte zur Steuervermeidung kümmern – ein Bereich, den die Konzernverantwortungs-Initiative nicht abdeckt. Aber er ersetzt griffige Massnahmen bei weitem nicht. Das Problem ist: Die informelle Schlichtung geschieht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Am Schluss des Schlichtungsprozesses erfahren wir aus den Berichten nichts Konkretes. Viele NGOs oder Opfer von Menschenrechtsverletzungen gelangen deshalb lieber direkt an die Medien als an den Nationalen Kontaktpunkt, weil sie so mehr Druck ausüben können.

Wir haben vor allem über die Tätigkeiten von Unternehmen im Ausland gesprochen. Viele Firmen sind aber ausschliesslich in der Schweiz tätig. Halten diese die OECD-Standards ein?


Meili: Die absolute Mehrheit der Unternehmen, auch solche, die international tätig sind, halten die Prinzipien ein. Für die einzelnen Entgleisungen haben wir funktionierende Gerichte. Der Nationale Aktionsplan und bestehende internationale Regelungen sind somit griffig genug.

Herkenrath: Wir haben in der Schweiz gut ausgebaute Möglichkeiten, um gegen die Verletzung von Menschen- und Umweltrechten vorzugehen. Deshalb gilt für kleine und mittelgrosse Unternehmen in unserer Initiative eine erleichterte Sorgfaltspflicht, ausser wenn sie in Hochrisikobereichen tätig sind. Problematisch sind nicht zuletzt Konzerne, die ihren Sitz aus steuertechnischen Gründen in die Schweiz verlegen und im Ausland die Menschenrechte verletzen. Solche Firmen schaden der Reputation des Landes. Und das ist mir als Schweizer nicht egal.

Meili: Haben Sie konkrete Beispiele?

Herkenrath: Auch hier möchte ich keine bestimmten Unternehmen an den Pranger stellen.

Meili: Indem Sie die KMU von den Bestimmungen ausnehmen, haben Sie ein Glaubwürdigkeitsproblem. Denn die UNO-Arbeitsgruppe verurteilt Einschränkung nach der Unternehmensgrösse. Es scheint mir, dass die Initiative gezielt gegen Grosskonzerne gerichtet ist: Für die KMU finden Sie beruhigende Worte und die Grosskonzerne stellen Sie als die Bösen dar. Das ist inkonsequent.

Herkenrath: Es geht um eine angemessene, risikobasierte Sorgfaltsprüfung. Wie gesagt, ein KMU, das im Diamantenhandel tätig ist, ist nicht ausgenommen. Faktisch ist die Mehrheit der Schweizer KMU aber nicht in solchen Risikogebieten tätig.

Zitiervorschlag: Susanne Blank (2017). Wie ernst meinen es Schweizer Unternehmen mit verantwortungsvollem Wirtschaften. Die Volkswirtschaft, 22. Juni.

Die Gesprächspartner

Tobias Meili (47) ist seit 2007 beim Agrarchemiekonzern Syngenta als General Counsel Corporate Legal tätig. Syngenta wurde dieses Frühjahr vom chinesischen Chemieunternehmen Chemchina übernommen und wird an der Börse dekodiert. Zuvor arbeitete der promovierte Rechtsanwalt als Legal Councel beim Beratungsunternehmen Accenture und als Anwalt bei Lenz & Staehelin Rechtsanwälte. Der dreifache Vater wohnt mit seiner Frau im Kanton Aargau.

Mark Herkenrath (44) ist seit zwei Jahren Geschäftsleiter von Alliance Sud, der Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Hilfswerke Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks. Im Jahr 2008 war er dort als Verantwortlicher für internationale Finanzen und Steuerpolitik eingetreten. Seit diesem Jahr ist er zudem Titularprofessur für Soziologie an der Universität Zürich. Er wohnt in Zürich.