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Freihandelsabkommen in der Kritik: Wider die Zementierung struktureller Ungerechtigkeit

Freihandelsabkommen (FHA) unterminieren das globale Handelssystem. Zudem sind negative Auswirkungen für die Entwicklungsländer zu befürchten. Denn stärkerer Patentschutz und ein liberalisierter Finanzsektor kommen Entwicklungsländer vermutlich teuer zu stehen. Und der geforderte Zollabbau bei Industriegütern entzieht dem Staat dringend notwendige Mittel für die Armutsbekämpfung. Daher braucht es vorgängige Studien zu möglichen Auswirkungen bilateraler Handelsabkommen mit Entwicklungsländern. Um die Wirtschaftspolitik auf die eigenen Bedürfnisse ausrichten zu können, darf ihr Handlungsspielraum mittels FHA nicht weiter eingeengt werden.

Bilaterale FHA seien «Termiten im Handelssystem». Diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung stammt nicht etwa aus der globalisierungskritischen Ecke, sondern vom Columbia-Professor J. Bhagwati, einem der profiliertesten Befürworter des Freihandels. Vgl. Jagdish Bhagwati. The Termites in the Trading System. New York: Oxford University Press. 2008. Seine Kritik macht er an der Tatsache fest, dass diese mit dem Meistbegünstigungsprinzip einen Grundpfeiler des multilateralen Handelssystems untergraben. Auch die Welthandelsorganisation (WTO) ist zunehmend besorgt über die massive Ausbreitung von FHA. Schon 2005 konstatierte ein von der WTO in Auftrag gegebener Bericht, dass das Meistbegünstigungsprinzip nicht länger die Regel, sondern vielmehr die Ausnahme darstellt. Vgl. Consultative Board to the Director-General Supachai Panitchpakdi (Eds.). The Future of the WTO. Geneva: WTO. 2005.  Die Vorbehalte der Erklärung von Bern (EvB) gegenüber bilateralen FHA haben entwicklungspolitische Gründe. Sie kritisiert die Abkommen zwischen der Schweiz – bzw. der Efta – und Entwicklungsländern wegen befürchteter negativer Auswirkungen insbesondere auf die ärmsten Bevölkerungsschichten. Die Bedenken der EvB betreffen die inhaltliche wie auch die Prozessebene.

Entwicklungsländer am kürzeren Hebel


Dass multilaterale den bilateralen Abkommen grundsätzlich vorzuziehen sind, gilt insbesondere für Entwicklungsländer. Vgl. Martin Kohr. Bilateral/Regional Free Trade Agreements: An Outline of Elements, Nature and Development Implications. Third World Resurgence Nr. 182-183 (Okt./Nov. 2005). Siehe auch Bhagwati op. cit. (S. 71). Erstens sind sie bei Verhandlungen mit einem Industrieland in der schwächeren Position, da die in multilateralen Verhandlungen zunehmend erfolgreiche gemeinsame Interessenwahrnehmung unterlaufen wird. Ausserdem verfügen Entwicklungsländer oft nicht über genügend personelle und finanzielle Ressourcen, um parallel mehrere Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe zu führen. Und schliesslich deutet viel darauf hin, dass die von der EvB kritisierte Einflussnahme der Konzerne rund um die WTO Vgl. Erklärung von Bern. Machthungrige Strippenzieher. Dokumentation 2/2007. Zürich: EvB. auf bilateraler Ebene noch stärker erfolgt, da ein Lobbyfranken dort besser investiert ist.

Undurchsichtige, undemokratische Verfahren


Es besteht die Gefahr, dass der intransparente und demokratisch defizitäre Verhandlungsprozess zu einem gesellschaftlich suboptimalen Ergebnis führt. Die Öffentlichkeit in Industriewie Entwicklungsländern wurde über den Verlauf der Verhandlungen bisher weitgehend im Dunkeln gelassen. Das betrifft auch die jeweiligen Positionen und Forderungen. Was ebenso fehlt, ist ein Einbezug zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie ein umfassendes Mitspracherecht der nationalen Parlamente. Um die weitreichenden Auswirkungen von FHA auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in den betroffenen Ländern abzuschätzen, braucht es zudem unbedingt vorgängige Studien (sog. Ex Ante Impact Assessments).

Entwicklungsbedürfnisse der Ärmsten bleiben auf der Strecke


Die in bilateralen Verhandlungen – gerade auch von der Schweiz – oft gestellte Forderung nach einem verstärkten Schutz des geistigen Eigentums (Trips-plus) entspricht kaum den Entwicklungsbedürfnissen der Entwicklungsländer. Im Gegenteil: In der Landwirtschaft führt dies zur Verringerung bäuerlicher Saatgut-Autonomie mit einschneidenden Konsequenzen für das Recht auf Nahrung. Stärkere Eigentumsrechte verzögern auch die Einführung von günstigen Generika, was den Zugang zu erschwinglichen Medikamenten erschwert und dadurch das Recht auf Gesundheit beeinträchtigt. Die Auswirkungen der Deregulierung des Finanzsektors – ebenfalls eine zentrale Standardforderung der Schweiz – sind seit der aktuellen Krise hinlänglich bekannt. Dass die Schweiz auch nach diesen Erfahrungen auf ihren Forderungen beharrt, ist so unverständlich wie unverschämt. Der geforderte Zollabbau schliesslich führt zur Reduktion dringend benötigter Staatseinnahmen, aber auch zur Verringerung des handels- und wirtschaftspolitischen Instrumentariums für eine aktive Industriepolitik. Nicht zufällig warnt die Unctad: «Die Gewinne der Entwicklungsländer aus verbessertem Marktzugang durch Freihandelsabkommen sind nicht garantiert und könnten sich als kurzlebig erweisen; der Verlust an politischem Handlungsspielraum ist hingegen sicher.» Vgl. United Nations Conference on Trade and Development. Trade and Development Report, 2007. Geneva: UNCTAD. (S. 59, Übersetzung Autor).

Zitiervorschlag: Thomas Braunschweig (2009). Freihandelsabkommen in der Kritik: Wider die Zementierung struktureller Ungerechtigkeit. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.