Suche

Abo

Kartellrechtsreform auf der Hochpreisinsel – ein ambitioniertes Unterfangen

Die Verschärfung des Kartellrechts im Kampf gegen die «Hochpreisinsel Schweiz» bleibt Spiegelfechterei, solange der politische Wille zu einer konsequenten Öffnung der Märkte für den internationalen Wettbewerb fehlt. Die Kartellrechtsreform sollte sich auf den dringenden Reformbedarf konzentrieren.

Kartellrechtsreform auf der Hochpreisinsel – ein ambitioniertes Unterfangen

Einkaufstouristen in Konstanz. Im Kampf gegen die hohen Preise in der Schweiz müssten Hindernisse zwischen in- und ausländischen Märkten konsequent abgebaut werden. (Bild: Keystone)

Nach der Kartellrechtsreform ist vor der Kartellrechtsreform[1]: Das Parlament hat im September 2014 nicht nur die seit 2009 laufende Revision des Kartellgesetzes (KG) definitiv bachab geschickt, sondern mit der von Ständerat Hans Altherr (FDP/AR) eingereichten parlamentarischen Initiative zu überhöhten Importpreisen[2] auch gleich ein neues Reformprojekt in Angriff genommen. Der Wunsch des Gesetzgebers, trotz gescheiterter KG-Revision endlich etwas Konkretes gegen die «Hochpreisinsel Schweiz» zu unternehmen, ist deutlich spürbar. Doch welche Rolle kann die Kartellrechtsreform in diesem Kampf spielen?

Das Kernproblem der Reform ist eine übertriebene Erwartungshaltung: Das Kartellgesetz, das die volkswirtschaftlich oder sozial schädlichen Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen verhindern soll[3], ist kein taugliches Mittel im Kampf gegen die Hochpreisinsel. Es kommt nur dann zur Anwendung, wenn unzulässige Abreden oder Verhaltensweisen – etwa die Abschottung des schweizerischen Marktes gegen ausländische Konkurrenz oder der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung – vorliegen.[4] Solche Abreden oder Verhaltensweisen können jedoch nur in Einzelfällen nachgewiesen werden, auch wenn die Wettbewerbskommission (Weko) in den letzten Jahren drei wichtige Leitentscheide zur Marktabschottung (Gaba/Elmex, Nikon, BMW)[5] gefällt hat. Zudem gilt es zu beachten: Rekursverfahren sind in solchen Fällen äusserst kompliziert und langwierig, sodass auf den relevanten Märkten keine schnelle Wirkung erzielt werden kann.[6]

Will man das Kartellgesetz trotz dieser grundsätzlichen Schwierigkeiten verstärkt zur Bekämpfung der Hochpreisinsel heranziehen, so ist es naheliegend, die Regeln zur Marktabschottung oder Marktbeherrschung zu verschärfen.[7] Aus ökonomischer Sicht ist die Verschärfung dieser Regeln jedoch abzulehnen. Die Vorschriften zur Marktabschottung[8] sind bereits in der geltenden Version sehr restriktiv formuliert: Die Vermutung der Beseitigung wirksamen Wettbewerbs bei bestimmten vertikalen Abreden berücksichtigt zu wenig, dass diese – im Unterschied zu horizontalen Abreden – auch Effizienzvorteile aufweisen können.[9] Eine weitere Verschärfung würde den Wettbewerb zwischen verschiedenen Vertriebssystemen beeinträchtigen und möglicherweise erhebliche volkswirtschaftliche Kosten verursachen.

Hohe Preise sind ein «Luxusproblem»


Die Initiative Altherr will nun ihrerseits den Marktbeherrschungsbegriff[10] erweitern und neu auch «relativ marktmächtige» Unternehmen ins Recht fassen. Damit soll das wettbewerbsrelevante Verhalten zahlreicher Unternehmen unter «quasiregulatorische» Aufsicht gestellt werden, wobei sich komplexe juristische und ökonomische Fragen stellen.

Auch die Erweiterung des Marktbeherrschungsbegriffs macht das Kartellgesetz nicht zu einem tauglichen Mittel im Kampf gegen die Hochpreisinsel, weil die hohen Preise in der Schweiz in erster Linie ein «Luxusproblem» sind: Sie reflektieren die im internationalen Vergleich hohe Kaufkraft der Konsumenten in der Schweiz. Dank relativem Wohlstand sind diese wenig preissensitiv und kaufen ein Produkt häufig auch dann, wenn es erheblich teurer als im benachbarten Ausland ist. In- und ausländische Anbieter können diese zusätzliche Kaufkraft (teilweise) abschöpfen, indem sie einen «Zuschlag Schweiz» verlangen. Gegen diese Art der internationalen Preisdiskriminierung entfaltet das Kartellrecht kaum Wirkung, weil es zwar Wettbewerbsbeschränkungen bekämpft, aber keine breit angelegte Preiskontrolle vorsieht. Eine solche macht in einem marktwirtschaftlichen System, in dem variable Preise das Verhalten der Anbieter und Nachfrager koordinieren sollen, auch keinen Sinn.

Folglich gilt: Will der Gesetzgeber etwas Konkretes gegen die Hochpreisinsel unternehmen, muss er die internationale Preisdiskriminierung zulasten der Schweizer Nachfrager unterminieren. Dies verlangt, dass die schweizerischen Märkte für den internationalen Wettbewerb geöffnet und die Hindernisse für Arbitragegeschäfte zwischen in- und ausländischen Märkten (wie Direkt- und Parallelimporte und Einkaufstourismus) konsequent aus dem Weg geräumt werden. Die Preise können dann durch die Marktkräfte – und nicht durch eine staatlich administrierte Preiskontrolle – diszipliniert werden.

Politischer Wille für Marktöffnung fehlt


Damit rücken altbekannte Instrumente wie die Liberalisierung geschützter Branchen und Märkte (etwa im Agrar- und Lebensmittelsektor), die konsequente Umsetzung des Cassis-de-Dijon-Prinzips und die Beseitigung technischer Handelshemmnisse wieder in den wirtschaftspolitischen Fokus. Solange der politische Wille für eine so verstandene Öffnung des Marktes für den internationalen Wettbewerb fehlt, bleibt der Kampf gegen die Hochpreisinsel durch die Verschärfung des KG weitgehend Spiegelfechterei: Die Aufhebung des Cassis-de-Dijon-Prinzips für Nahrungsmittel durch den Nationalrat im vergangenen Mai legt nahe, dass es derzeit keine Mehrheit für eine solche Marktöffnung gibt.

Reform muss sich auf Konkretes wie Zusammenschlusskontrolle konzentrieren


Hat man sich erst einmal von übertriebenen Erwartungen an die Kartellrechtsreform verabschiedet, fällt es leichter, konkrete wettbewerbspolitische Verbesserungen zu identifizieren, die im Rahmen der Kartellrechtsreform tatsächlich realisiert werden können. Aus ökonomischer Sicht betreffen diese vor allem die Modernisierung der geltenden Zusammenschlusskontrolle, die weder dem ökonomischen State of the Art noch dem internationalen kartellrechtlichen Standard entspricht. Derzeit muss bei einem meldepflichtigen Zusammenschluss geprüft werden, ob er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, durch die wirksamer Wettbewerb beseitigt werden kann.[11]

Dieser Test ist im internationalen Vergleich extrem permissiv und führt dazu, dass auch Zusammenschlüsse zugelassen werden müssen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung des wirksamen Wettbewerbs führen. Die Eingriffsschwelle liegt damit bei einem Zusammenschluss deutlich höher als bei einer vergleichbaren Abrede, wo nach geltendem Recht auf eine erhebliche Beeinträchtigung des wirksamen Wettbewerbs zu prüfen ist. Dies lässt sich inhaltlich schlecht begründen und führt zu Umgehungsanreizen bei den Unternehmen.

Gleichzeitig werden allfällige Synergien, die durch den Zusammenschluss entstehen, nicht adäquat berücksichtigt, was in Einzelfällen zu Fehleinschätzungen führen kann. Die geltende Zusammenschlusskontrolle hat denn auch immer wieder Entscheidungen zur Folge, die ökonomisch nur schwer zu begründen sind. Der Wechsel zum international gebräuchlichen Test auf wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs («significant impediment to effective competition», Siec), der auch Synergien berücksichtigt, drängt sich also auf.[12]

Schliesslich sind auch im Bereich der wettbewerbspolitischen Institutionen und Verfahren durchaus noch Verbesserungen möglich. Dabei ist allerdings Augenmass gefragt: So ist zwar theoretisch eine vollständige Trennung der Wettbewerbsbehörden in Untersuchungs- und Entscheidungsinstanz wünschbar, um die Akzeptanz der Entscheidungen bei den Rechtsunterworfenen zu erhöhen. In der Praxis dürfte eine vollständige Trennung aber zu komplizierteren und damit längeren Verfahren führen, woran niemand ein Interesse haben kann. Eine Kompromisslösung ist also vorzuziehen.

Zudem ist zwingend darauf zu achten, dass in den Wettbewerbsbehörden auch künftig jederzeit genügend juristisches und ökonomisches Fachwissen zur Verfügung steht, um die Verfahren in nützlicher Frist zu bewältigen. Beim Bundesverwaltungsgericht wird man – zumindest in ökonomischer Hinsicht – aufrüsten müssen.

  1. Der Autor vertritt in diesem Artikel seine persönliche Meinung, die nicht derjenigen der Wettbewerbskommission entsprechen muss. []
  2. Überhöhte Importpreise. Aufhebung des Beschaffungszwangs im Inland (14.449), eingereicht am 25. September 2014. []
  3. Art. 1 KG. []
  4. Vgl. Art. 5 Abs. 4 KG und Art. 7 KG. []
  5. Gaba/Elmex, RPW 2010/1, S. 65 ff.; BWM, RPW 2012/3, 540 ff. Der Nikon-Entscheid vom November 2011 ist abrufbar unter www.weko.admin.ch/aktuell[]
  6. Bisher ist noch keine dieser Leitentscheidungen rechtskräftig, die Rekursverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht bzw. dem Bundesgericht sind hängig. []
  7. Art. 5 Abs. 4 KG und Art. 7 KG. Mit der ursprünglichen Kartellrechtsreform hätten die Regeln zur Marktabschottung verschärft werden sollen, was unter anderem an der mangelnden Durchsetzbarkeit im Ausland scheiterte (die Weko hätte im Ausland für schweizerische Unternehmen ausländische Lieferbedingungen durchsetzen müssen, was in der Praxis kaum möglich gewesen wäre). []
  8. Art. 5 Abs. 4 KG []
  9. Zu diesem Ergebnis gelangte auch der Synthesebericht der Evaluationsgruppe Kartellrecht, welcher den Ausgangspunkt für die ursprüngliche Kartellrechtsreform bildete. []
  10. Art. 7 KG []
  11. Art. 10 Abs. 2 KG []
  12. Die Modernisierung der Zusammenschlusskontrolle wurde im Synthesebericht der Evaluationsgruppe Kartellrecht ebenfalls empfohlen. []

Zitiervorschlag: Stefan Bühler (2015). Kartellrechtsreform auf der Hochpreisinsel – ein ambitioniertes Unterfangen. Die Volkswirtschaft, 23. Juli.