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Vom Elfenbeinturm in die Öffentlichkeit – und wieder zurück

Die Personalisierung und Skandalisierung der Medien schreckt manche Ökonomen davon ab, ihre Forschungsresultate einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Es braucht deshalb neue Ein- und Ausgänge für den Elfenbeinturm.

Vom Elfenbeinturm in die Öffentlichkeit – und wieder zurück

Wissenschaftler, die ihre Meinung zu politischen Fragen äussern, sind sogenannte Public Intellectuals: Nobelpreisträger Joseph Stiglitz am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. (Bild: Keystone)

In den letzten Monaten sind verschiedene Studien zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf den Schweizer Arbeitsmarkt erschienen – verfasst von international renommierten Professoren schweizerischer Universitäten. Ähnliches lässt sich sagen zu den Auswirkungen von Steuerwettbewerb und Finanzausgleich oder zur Analyse von Massnahmen im Arbeitsmarkt und in der Invalidenversicherung. Dennoch ertönt von allen Seiten der Ruf nach grösserer Sichtbarkeit der Volkswirte. Selbst Kollegen aus anderen Fächern, selber kaum sichtbar, fordern mehr öffentliches Engagement. Verstecken sich die Ökonomen etwa? Im Elfenbeinturm?

Ökonomie im Elfenbeinturm


Was ist der Elfenbeinturm überhaupt? Der Einfachheit halber sei er hier definiert als universitäre volkswirtschaftliche Forschung, die an relativ einheitlichen internationalen Publikationsstandards gemessen wird. Man mag Letzteres kritisieren – dem entziehen können sich die Universitäten jedoch kaum.

Die gängige Währung im Elfenbeinturm ist die Forschungszeit, weshalb die Lehre oft als notwendiges Übel angesehen wird («teaching load»). Dies fördert den Ruf der Wissenschaftler in der Öffentlichkeit kaum.

Im Elfenbeinturm der Ökonomie sind – grenzenlos vereinfacht – vier Typen beheimatet. Sie unterscheiden sich durch den Realitätsbezug der Forschung und die Sichtbarkeit:

  • Theoretische Grundlagenforscher: Selbst sie kommen heute nicht mehr um stilisierte Fakten als Inspiration und Check ihrer Modelle herum.
  • Empirische Grundlagenforscher: Hier sorgen Daten (auch selbst generierte) für einen offensichtlichen Realitätsbezug.
  • Angewandte Forscher: Sie verfassen auch schon mal Auftragsstudien, wie die eingangs erwähnten, sofern sie ins allgemeine Forschungsprogramm passen. Diese Forschertypen sitzen etwa in der Wettbewerbskommission oder sporadisch in Expertengremien. Die Kommunikation überlassen sie aber lieber anderen.
  • Public Intellectuals: Sie wagen es, auch einmal über den engeren Forschungsbereich hinaus (gefragt oder ungefragt) eine Meinung zu äussern.


Diese Einteilung ist natürlich viel zu statisch – viele Theoretiker und Grundlagenforscher ändern in ihrer Laufbahn in eine andere Kategorie.

Wer die Forschung als abgehoben kritisiert, vergisst, dass die ersten beiden Typen die Basis für spätere Anwendungen liefern. Klagen, dass an der gesellschaftlichen Nachfrage vorbeiproduziert werde, sind dennoch nicht ganz von der Hand zu weisen. Wichtige Themengebiete werden von Universitäten nicht bearbeitet, weil es dort keine Lorbeeren zu holen gibt. Weil zum Beispiel eine bestimmte Frage bereits beantwortet ist (wenn auch nicht fürs eigene Land) oder es keine attraktive Identifikationsstrategie gibt, um den kausalen Effekt zu messen.

Das Problem mit Nachfrage und Angebot


Die Nachfrage vor allem nach Public Intellectuals übersteigt das Angebot bei Weitem. Denn für Public Intellectuals in spe sind die Kosten schlicht zu hoch: Einbusse an Forschungszeit, Vereinnahmung durch die Medien («public» im wörtlichen Sinn) und Minderung der wissenschaftlichen Reputation.

Während Erkenntnisse aus der Angewandten Forschung durchaus gefragt sind, scheitert meist der Wissenstransfer zu einem breiteren Publikum – an der fehlenden Zeit für Anfragen von Journalisten, an der mangelnden Bereitschaft, mehr als nur das eigene enge Forschungsgebiet zu beschreiben, oder an der Schwierigkeit, verständlich zu schreiben.

Die Einladung an Kollegen, im Onlineforum zur schweizerischen Wirtschaftspolitik Batz.ch[1] mitzutun, wurde von diesen enthusiastisch begrüsst – aber kaum benutzt. Über die Gründe können wir nur spekulieren. Zu aufwendig, wahrscheinlich. Schade, denn in den letzten Jahren landeten viele der Batz-Beiträge in der interessierten Öffentlichkeit.

Wer es wagt, sich öffentlich zu engagieren, merkt schnell, dass vertiefte Einsichten über die Wirkungsmechanismen wirtschaftspolitischer Massnahmen viel weniger gefragt sind als die Einordnung der Geschehnisse – und vor allem gesunder Menschenverstand. Getreu nach Theaterautor Bertolt Brecht, der zur Rolle der Wissenschaft im Leben des Galilei schrieb: «Es ist nicht ihr Ziel, der unendlichen Weisheit eine Tür zu öffnen, sondern eine Grenze zu setzen dem unendlichen Irrtum.» Das ist freilich nicht besonders attraktiv.

Zudem schreckt die Personalisierung und Skandalisierung der heutigen Medien ab. Verständlich. Zur Illustration: Die beiden mit Abstand meist zitierten Beiträge im Batz-Blog waren ein Urheberrechtsstreit mit einer Zeitung sowie ein Klamaukeintrag mit dem Thema «Titelökonomie».

Eine Lanze für den Elfenbeinturm


Die einen forschen, die anderen reden in der Öffentlichkeit: Das wäre ja die offensichtliche arbeitsteilige Lösung. Eine solche Trennung führt allerdings in die Irre. Ein wenig Elfenbeinturm gehört zu jeder Forschung, auch der Angewandten.

Der deutsche Philosoph und Soziologe Theodor Adorno wehrte sich wenige Monate vor seinem Tod gegen eine, wie er es ausdrückte, praktische Vorzensur: «Ich glaube, dass eine Theorie viel eher fähig ist, kraft ihrer eigenen Objektivität praktisch zu wirken, als wenn sie sich von vornherein der Praxis unterwirft.» Zu Recht. Denn selbst «gesunder Menschenverstand» in der Ökonomie muss letztlich auf einem fundierten Verständnis der Wirkungszusammenhänge basieren.

Die eigene, von Peers evaluierte Forschung bleibt auch aus anderen Gründen ein wichtiger Anker für die Public Intellectuals. Wirtschaftspolitische Ratschläge werden im Inland zwangsläufig als parteiisch angesehen. Wer in der internationalen Forschungsgemeinschaft verankert ist, vertritt die Analysen und Vorschläge mit viel mehr Autorität und Glaubwürdigkeit. Nicht zuletzt, weil die forschungsbasierten wirtschaftspolitischen Empfehlungen im Ausland schon mal «hors-sol» getestet werden können. Zudem bietet der Elfenbeinturm unbelasteten Austausch mit andern Forschern und herausfordernden Studierenden.

Mehr Rückreisetickets bitte


Es gibt zweifellos eine Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot an Öffentlichkeitsarbeit. Die Kosten für die potenziellen Public Intellectuals sind schlicht zu hoch. Handlungsoptionen gibt es durchaus. Im Rahmen der Bundesbeiträge an die Universitäten könnten sich die öffentliche Hand und die Hochschulen auf Modelle einigen, welche den Wissenstransfer fördern, ohne die Angewandten Forscher und Public Intellectuals übermässig zu belasten. Zudem fehlen heute Wege aus dem Elfenbeinturm und wieder zurück.

Denkbar wären mehrjährige Beurlaubungen für öffentliche Ämter oder anders gelagerte Wissensvermittlung, mit Rückkehrgarantie. Diese – in den USA längst realisierte – Forderung klingt auf den ersten Blick schrecklich verwöhnt. Sie ist aber eine notwendige Voraussetzung dafür, dass anwendungsorientierte Forscher sich auf die Forschungsfreiheit verlassen können, auf der die guten Ideen erst gedeihen.

  1. Die Autorin ist Co-Herausgeberin von www.batz.ch. Auf Batz.ch zeigen Schweizer Wirtschaftsprofessoren, was sie zu aktuellen Themen denken. Die Initiatoren hoffen, mit dieser Plattform eine Brücke zwischen akademischer Forschung und öffentlicher Meinung zu schlagen. []

Zitiervorschlag: Monika Bütler (2015). Vom Elfenbeinturm in die Öffentlichkeit – und wieder zurück. Die Volkswirtschaft, 23. Juli.