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Eine Brücke zur Arbeitswelt

Temporärarbeit dient vielen als Überbrückung bei der Suche nach einer Festanstellung. Dadurch bleiben sie im Erwerbsleben integriert und können sich im Arbeitsmarkt orientieren. Rund 80 Prozent der Temporärarbeitenden sind deshalb auch ein Jahr danach noch beschäftigt. Rund die Hälfte findet eine Feststelle. Bei älteren und ausländischen Arbeitnehmern zeigt sich jedoch ein anderes Muster.
Auf der Suche nach einer Festanstellung kann Temporärarbeit den Fall in die Arbeitslosigkeit verhindern. (Bild: Keystone)

Der technische Fortschritt, der demografische Wandel und die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative stellen den Schweizer Arbeitsmarkt vor grosse Herausforderungen. Einerseits werden in zahlreichen Berufsfeldern Menschen durch Maschinen ersetzt, andererseits führen die alternde Gesellschaft und die Begrenzung der Migration zu einem akuten Fachkräftemangel. Um negative Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft zu vermeiden, wird der Arbeitsmarktintegration und der Ausschöpfung des Inländerpotenzials zukünftig eine noch stärkere Bedeutung zukommen. Die Temporärarbeit ist im Schweizer Arbeitsmarkt traditionell verankert. Doch wie steht es bei dieser zeitlich befristeten Arbeitsform um die integrative Kraft, im Arbeitsmarkt zu bleiben oder eine Festanstellung zu finden?

Meist eine Übergangslösung


Unter den inzwischen 3000 befragten Personen[1] wählten 58 Prozent eine temporäre Beschäftigung als Übergangslösung, weil sie keine Feststelle gefunden hatten. Sogar 77 Prozent geben an, langfristig auf der Suche nach einer Feststelle zu sein. Diese Zahlen zeigen: Viele Arbeitnehmende begreifen ihr temporäres Beschäftigungsverhältnis als berufliche Zwischenstation auf der Suche nach einer neuen Stelle. Dank der Temporärarbeit bleiben sie im Erwerbsleben integriert, können in den Einsatzbetrieben durch ihre Leistung überzeugen und werden vom Personaldienstleister bei der Stellensuche begleitet. So können Temporärarbeitende ihre Fähigkeiten in verschiedenen Berufsfeldern testen und sich so im Arbeitsmarkt orientieren.

Aber münden die Wünsche der Stellensuchenden auch tatsächlich in eine langfristige Erwerbstätigkeit? Die Ergebnisse sprechen eine klare Sprache: Die Temporärarbeitenden, die eine Feststelle suchen, sind ein Jahr nach ihrem letzten Einsatztag mit einer Wahrscheinlickeit von 88 Prozent in den Arbeitsmarkt integriert. Das heisst: Sie arbeiten temporär, stehen in einem festen oder einem befristeten Anstellungsverhältnis, oder sie sind selbstständig. Ihr langfristiges Ziel, eine Festanstellung zu finden, erreichen sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 51 Prozent (siehe Abbildung 1). Dies ist ein sehr guter Wert, wenn man bedenkt, dass mehr als 75 Prozent der temporär beschäftigten Feststellensuchenden vor ihrem Temporäreinsatz keine entsprechende Stelle gefunden hatten.

Abb. 1: Die Chancen von Temporärarbeitenden auf eine Festanstellung ein Jahr später




Anmerkung: Die Grafik zeigt, welche Chancen auf eine Feststelle ein Temporärarbeitender ein Jahr nach seinem Einsatz hat. Die Konfidenzintervalle geben die Bandbreite an, in der sich der wahre Wert des Schätzers mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent bewegt.

Quelle: Swissstaffing / Die Volkswirtschaft

Begehrt, aber für eine Festanstellung zu teuer


Doch wie steht es um die integrative Wirkung der Temporärarbeit bei Gruppen, die es bekanntermassen schwer auf dem Arbeitsmarkt haben? In der politischen Diskussion stehen derzeit die überdurchschnittlich langen Arbeitslosenzeiten bei den über 50-Jährigen und die hohen Arbeitslosenraten bei den Ausländern im Fokus. Dabei zeigt sich bei den über 50-jährigen Temporärarbeitenden ein überraschendes Bild: Wenn man Festanstellungen, Temporärarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse und Selbstständigkeit mit einbezieht, liegt die Wahrscheinlichkeit, ein Jahr nach der Beschäftigung noch im Erwerbsleben zu stehen, mit 85 Prozent signifikante 5 Prozent höher als bei den jüngeren Temporärarbeitenden (siehe Abbildung 2). Eine Feststelle zu finden, ist in dieser Alterskategorie allerdings schwerer: Die Chancen liegen mit 32 Prozent fast 12 Prozent tiefer als bei den jüngeren Temporärarbeitenden (siehe Abbildung 1).

Abb. 2: Die Erwerbschancen von Temporärarbeitenden ein Jahr später




Anmerkung: Die Grafik zeigt, welche Chancen auf eine Erwerbstätigkeit ein Temporärarbeitender ein Jahr nach seinem Einsatz hat. Als erwerbstätig gilt, wer temporär arbeitet, befristet oder fest angestellt ist bzw. sich selbstständig gemacht hat. Die Konfidenzintervalle geben die Bandbreite an, in der sich der wahre Wert des Schätzers mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent bewegt.

Quelle: Swissstaffing / Die Volkswirtschaft

Die hohe Erwerbsquote zeigt: Auf dem Arbeitsmarkt sind die über 50-Jährigen gefragte Arbeitskräfte, die sogar bessere Erwerbschancen haben als ihre jüngeren Kollegen. Dennoch scheint es Faktoren zu geben, die einer Festanstellung im Weg stehen. Welche Faktoren das sind, kann mit dem vorhandenen Datensatz nicht empirisch gezeigt, sondern nur vermutet werden. Ein Grund dürfte sein, dass Löhne und Sozialabgaben bei über 50-Jährigen höher sind. Aufgrund der höheren Personalkosten halten sich die Einsatzbetriebe mit einer Festanstellung zurück. Bringen die über 50-Jährigen in ihrem Rucksack zusätzlich die Flexibilität der Temporärarbeit mit, gleichen Flexibilität und Fachwissen die höheren Kosten aus und machen die älteren Arbeitnehmer zu gesuchten Fachkräften. Ob dies tatsächlich mit ein Grund ist und ob es weitere Faktoren gibt, die bei den Feststellenchancen von älteren Stellensuchenden eine Rolle spielen, sollte in Zukunft genauer untersucht werden.

Weiterbildung als Schlüssel


Im Vergleich zu den Schweizern liegen bei Ausländern die Chancen, eine Festanstellung zu finden, ein Jahr nach der temporären Beschäftigung 5 Prozent tiefer. Sie liegen bei 40 Prozent. Dieser Unterschied verschwindet, wenn man bei der Berechnung des Effekts das Ausbildungsniveau von Schweizern und Ausländern mitberücksichtigt.[2] Die Feststellenwahrscheinlichkeit liegt dann bei 42 bzw. 43 Prozent (siehe Abbildung 1). Das heisst: Für die unterschiedlichen Feststellenchancen zwischen Schweizern und Ausländern sind allein die Unterschiede in der beruflichen Qualifikation verantwortlich. Bildung ist somit der Schlüssel, um für Ausländer eine stabilere Brücke in den Feststellenmarkt zu bauen. Dank dem Weiterbildungsfonds Temptraining, der 2012 mit dem Gesamtarbeitsvertrag Personalverleih eingeführt wurde, steht auch ausländischen Temporärarbeitenden ein effektives Instrument zur Verfügung. Nach einem Temporäreinsatz von nur einem Monat können sie Weiterbildungsleistungen im Wert von bis zu 5000 Franken beziehen. Damit ist ein wichtiger Meilenstein zur beruflichen Qualifikation gesetzt. Im Übrigen: Mit einer Erwerbswahrscheinlichkeit von über 86 Prozent sind auch Ausländer ein Jahr nach ihrem Temporäreinsatz gut in den Arbeitsmarkt integriert. Damit liegen ihre Erwerbschancen sogar 10 Prozentpunkte höher als bei Schweizern (siehe Abbildung 2). Der wesentliche Grund: Von den Schweizer Temporärarbeitenden wünschen sich rund 13 Prozent weniger eine feste Erwerbstätigkeit.

Flexibilität ausdrücklich erwünscht


23 Prozent der Temporärbeschäftigten wünschen sich langfristig keine Festanstellung und fühlen sich in der flexiblen Arbeitswelt wohl. Zwölf Monate nach ihrem letzten Einsatztag haben nur 12 Prozent dieser Arbeitnehmenden trotzdem eine Feststelle angenommen (siehe Abbildung 1). Diese Zahl unterstreicht: Der Wunsch nach flexibler Arbeit ist in dieser Personengruppe kein Lippenbekenntnis, sondern gelebte Realität. Nach Flexibilität suchende Temporärarbeitende sind überdurchschnittlich oft Schweizer mit einer abgeschlossenen Berufsbildung. Zwischen den verschiedenen Branchen gibt es hingegen keine signifikanten Unterschiede. Flexibilität scheint mithin bei Arbeitnehmenden aller Wirtschaftszweige gleichermassen gefragt zu sein.

Im Jahr 2014 arbeiteten in der Schweiz über 315’000 Menschen temporär. Die Analyse von Swissstaffing hat gezeigt: Für einen grossen Teil dieser Menschen ist die Temporärarbeit der Schlüssel, um im Erwerbsleben zu bleiben. Gerade für Gruppen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, ist die Temporärarbeit eine wichtige Brücke ins Erwerbsleben. Die Temporärbranche kommt jedoch nicht an den Realitäten des Arbeitsmarkts vorbei. Temporärarbeitende mit grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Feststellensuche haben deshalb auch hier geringere Chancen. Aus psychologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen ist es für diese Gruppen jedoch besonders wichtig, dass Ihnen dank dieser flexiblen Arbeitsform die Tür in den Arbeitsmarkt weit offen steht.

  1. Der Datensatz enthält insgesamt 3030 Beobachtungen. Aufgrund von fehlenden Werten stehen für die Logit-Schätzungen circa 2500 Beobachtungen zur Verfügung. []
  2. Bei allen übrigen Zahlen im Text basieren die Average Partial Effects auf einem Logit-Modell, in das alle verfügbaren Variablen einbezogen werden. In den Grafiken finden sich ausschliesslich die Schätzergebnisse der Vollspezifikation. []

Zitiervorschlag: Marius Osterfeld (2016). Eine Brücke zur Arbeitswelt. Die Volkswirtschaft, 27. April.

Die Studie

Seit 2006 führt Swissstaffing, der Verband der Schweizer Personaldienstleister, alle vier Jahre eine Studie zur sozialen Lage der Temporärarbeitenden in der Schweiz durch. Eine zentrale Frage ist: Wie gross sind die Chancen der Temporärarbeitenden, im Arbeitsmarkt integriert zu bleiben oder eine Festanstellung zu finden? In drei repräsentativen, von GFS Zürich durchgeführten Umfragen werden je 1000 Temporärarbeitende circa ein Jahr nach ihrem Temporäreinsatz zu ihrer temporären Beschäftigung, ihren Motiven und ihrer beruflichen Situation befragt. Aus dieser soliden Datenbasis kann man schätzen, wie gross die Chancen von Temporärarbeitenden sind, eine Erwerbstätigkeit bzw. eine Feststelle zu finden. Die Schätzungen basieren auf Logit-Modellen, in denen sowohl für den sozioökonomischen Hintergrund der Temporärarbeitenden als auch für die Arbeitsmarktsituation im Befragungsjahr kontrolliert wird. Bei den geschätzten Effekten handelt es sich um Average Partial Effects. Die Standardfehler wurden mit der Delta-Methode berechnet.