Suche

Abo

Segel hissen für einen zukunftsfähigen Finanzplatz

Der Bundesrat hat seine Finanzmarktpolitik neu beurteilt. Das Ziel ist klar: Der Finanzplatz Schweiz soll wettbewerbsfähig bleiben. Bei der Regulierung des Finanzsektors ist deshalb besonders darauf zu achten, dass die Handlungsspielräume der Schweiz genutzt und Innovationen ermöglicht werden.
Schweizer Banken müssen sich an global anerkannte Standards halten. Generalversammlung der Credit Suisse in Zürich. (Bild: Keystone)

Der Bundesrat will grundsätzlich an seiner Finanzmarktpolitik festhalten. Gleichzeitig will er seine Bemühungen für einen wettbewerbsfähigen Finanzplatz Schweiz in fünf verschiedenen Bereichen intensivieren. Dies geht aus einem Bericht hervor, in dem der Bundesrat diesen Oktober seine finanzmarktpolitischen Grundlagen aktualisiert hat.[1] 2009 hatte er erstmals umfassend die Finanzmarktpolitik definiert.[2] Ausschlaggebend waren damals die globale Finanzkrise und die Gefahren, die von systemrelevanten, international vernetzten Finanzinstituten ausgehen, sowie der internationale Druck auf das Bankgeheimnis. Die letzte Erneuerung des Berichts erfolgte 2012, als die Schweiz vor einer Neuausrichtung ihrer Steuer- und Amtshilfepolitik stand.[3]

Technologischer Wandel und turbulentes internationales Umfeld


Den neusten Grundlagenbericht prägen zwei Faktoren, welche die Ausgangslage der Finanzmarktpolitik in den letzten Jahren deutlich verändert haben: Zum einen schreitet der rasche technologische Fortschritt im Finanzsektor unaufhaltsam voran, macht neue Geschäftsmodelle realisierbar und beschleunigt dadurch den Strukturwandel. Zum anderen hat die Schweiz in den letzten Jahren globale Standards übernommen und die internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen intensiviert. Als Beispiele können hier die Einführung des Automatischen Informationsaustauschs zu Steuerzwecken und die Umsetzung der revidierten Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung genannt werden. Insgesamt konnte die Schweiz dadurch Handlungsspielraum für eine aktivere und selbstbestimmtere Gestaltung der Rahmenbedingungen gewinnen.

Momentan prägen das weltweit niedrige Wachstum, die tiefen beziehungsweise gar negativen Zinsen sowie die hohe Staatsverschuldung in vielen Ländern das makroökonomische und politische Umfeld des Finanzsektors. Zudem bestehen politische Risiken über die weiteren Entwicklungen in der Europäischen Union und in Grossbritannien, nachdem die britische Bevölkerung ein Referendum über den Austritt aus der EU angenommen hat. Gleichzeitig wird die internationale Regulierungsagenda weiterhin stark von den 20 einflussreichsten Industrie- und Schwellenländern (G20) geprägt.

Der Bundesrat hält an den Zielen fest


Doch auch wenn sich die Ausgangslage verändert hat – die Ziele und Grundsätze der bundesrätlichen Finanzmarktpolitik bleiben die gleichen: Die Rahmenbedingungen für den Finanzplatz Schweiz sollen seine Qualität, Stabilität und Integrität sicherstellen. Wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen sind eine Voraussetzung dafür, dass der Finanzplatz qualitativ hochwertige Dienstleistungen erbringen kann. Gleichzeitig muss das Finanzsystem insgesamt stabil sein und auch im Falle eines Schocks zuverlässig funktionieren. Schliesslich kann nur ein als integer geltender Finanzplatz das Vertrauen der Kunden und Geschäftspartner wahren. Regelverstösse und Missbräuche müssen deshalb konsequent geahndet werden. Diese Ziele werden unter der Berücksichtigung allgemeiner Grundsätze verfolgt (siehe Kasten). Die Ziele und Grundsätze der Finanzmarktpolitik dienen als Kompass bei der Gestaltung der finanzmarktpolitischen Instrumente wie etwa der Regulierung oder der internationalen Zusammenarbeit.

Der Bundesrat will dem Finanzsektor, der 9,3 Prozent zum Bruttoinlandprodukt beiträgt und 5,5 Prozent der Gesamtbeschäftigung ausmacht, mittels fünf zukunftsgerichteter Stossrichtungen Wachstumsmöglichkeiten und Perspektiven schaffen. Diese umfassen konkrete Schritte, um den Marktzutritt zu wahren und zu verbessern, Innovationen zu ermöglichen, Regulierungsinhalte und -prozesse zu optimieren, Systemrisiken zu begrenzen und Konformität mit global anerkannten Standards im Steuer- und Geldwäschereibereich sicherzustellen.

Marktzutritt wahren und verbessern


Der Zugang zu den ausländischen Märkten soll weiter erhalten und verbessert werden. Im Vordergrund stehen für die Schweiz dabei vor allem Länder mit bedeutenden Märkten. Vereinbarungen sollen insbesondere die Rechtssicherheit im grenzüberschreitenden Geschäft mit Finanzdienstleistungen erhöhen. Instrumente hierfür sind etwa die gegenseitige Anerkennung der Regulierung und darauf basierend die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden. Gegenüber der EU steht in ausgewählten Bereichen, wo es ökonomisch sinnvoll ist, eine als gleichwertig anerkannte Regulierung im Vordergrund. Ein Finanzdienstleistungsabkommen mit der EU ist hingegen kurz- bis mittelfristig nicht realisierbar und allenfalls langfristig eine Marktzugangsoption.

Ein weiteres Element, um die Exportchancen von Schweizer Finanzdienstleistern zu verbessern, betrifft die internationale Wahrnehmung des Schweizer Finanzplatzes. So sollen die Behörden ihre Bemühungen in Zusammenarbeit mit der Branche verstärken, im Ausland besser auf die Qualitäten des Schweizer Finanzplatzes hinzuweisen.

Innovationen ermöglichen


Der technologische Wandel und die darauf basierenden innovativen Geschäftsmodelle ermöglichen es, neue, bedürfnisorientierte Produkte zu schaffen und die Wertschöpfungskette neu zu gestalten. So wollen die Kunden beispielsweise ihre Finanzdienstleistungen zunehmend über das Smartphone abwickeln und immer seltener am Bankschalter. Innovative Projekte suchen heute über das Internet via Crowdfunding-Plattformen Finanzierungen. Gleichzeitig erlauben vielfältige Kundeninformationen (Big Data) eine noch bedürfnisorientiertere Dienstleistungserbringung.

Die Regulierung des Finanzsektors soll keine unüberwindbare Hürde bei der Realisierung von Innovationen sein – weder für bestehende noch für junge Unternehmen. Ein für neue Anbieter offener Schweizer Finanzmarkt ist längerfristig sowohl für die Wettbewerbsintensität als auch für dessen Attraktivität zentral. Der Bundesrat hat deshalb das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) beauftragt, bis Anfang 2017 eine Vernehmlassungsvorlage für den Fintech-Bereich zu erarbeiten. Diese soll neben verbesserten Rahmenbedingungen für Crowdfunding und einer neuen Bewilligungskategorie für Fintech-Unternehmen auch die Erweiterung der bewilligungsfreien Tätigkeiten beinhalten.

Ein neuer Aspekt der Finanzmarktpolitik ist der Einbezug von Umweltfaktoren und -risiken. Auf internationaler Ebene diskutieren aktuell die G20-Staaten, wie der Finanzmarkt zur Erreichung der globalen Klimaziele beitragen kann und wie mit entsprechenden Risiken für den Finanzsektor umzugehen ist. Diese laufenden Arbeiten ermöglichen es auch Schweizer Finanzinstituten, ihre Expertise einzubringen und dadurch den künftigen Rahmen mitzugestalten. Bereits Anfang 2016 hat der Bundesrat marktwirtschaftlich orientierte Grundsätze für das Engagement der Schweiz definiert.[4] Dabei kann der Staat eine Vermittlerrolle einnehmen und die Bemühungen der Branche unterstützen. Er soll aber nicht neue Regulierungen erlassen oder Subventionen sprechen.

Regulierungsinhalte und -prozesse optimieren


Die Optimierung des Regulierungsprozesses im Finanzmarktbereich ist seit Längerem weit oben auf der politischen Agenda. Die Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie hat bereits 2014 empfohlen, die Branche früh mit einzubeziehen und die ökonomischen Auswirkungen von Regulierungsprojekten frühzeitig zu analysieren.[5] Inzwischen wurde auch das Parlament zum Thema Regulierungsprozess aktiv; es hat bisher zwei Vorstösse dazu an den Bundesrat überwiesen.[6] Allerdings betreffen diese Vorstösse sämtliche Gesetze und nicht nur das Finanzmarktrecht.

Die Finanzmarktpolitik sieht einen transparenten Regulierungsprozess vor, der auf den Grundsätzen der Finanzmarktpolitik basiert. Diese beinhalten auch den angemessenen Einbezug der Branche sowie das Abwägen von Kosten und Nutzen im Zusammenhang mit Regulierungsprojekten. Zur weiteren Verbesserung des Prozesses sollen nach Einführung der Regulierung im Auftrag des EFD von verwaltungsunabhängigen Stellen (z.B. von wissenschaftlichen Instituten) Evaluationen zu ausgewählten Finanzmarktgesetzen durchgeführt werden und so ein allfälliger De- oder Reregulierungsbedarf identifizieren werden. Damit wird sich der Kreis des Regulierungsprozesses schliessen.

Auf der internationalen Ebene soll die Schweiz darauf hinwirken, dass die Regulierungsagenda konsolidiert und wirkungsorientierter wird. Der Fokus soll dafür auf die einheitliche Umsetzung der bestehenden Standards verschoben werden. Die Schweiz setzt sich dabei für gleich lange Spiesse bei der Evaluation der Standards in den Mitgliedsstaaten ein. Dazu ist eine intensivierte Mitarbeit bei multilateralen Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), dem Financial Stability Board (FSB), der OECD und den wichtigsten standardsetzenden Gremien im Finanzbereich nötig – aber auch eine verstärkte Koordination unter den Schweizer Finanzmarktbehörden.

Systemrisiken begrenzen


Das Schweizer Dispositiv zur Verringerung der Systemrisiken wurde seit der Finanzkrise bereits mehrfach angepasst. Insbesondere die Schweizer Too-big-to-fail-Regulierung wurde mit der Inkraftsetzung der Verordnungsänderungen im Juli 2016 nochmals verstärkt.[7] Die nächste Evaluation dieser Regulierung für systemrelevante Banken, die der Bundesrat gemäss Bankengesetz alle zwei Jahre durchführen muss, ist im Februar 2017 fällig.

Nicht vom Tisch sind damit aber die Systemrisiken im Immobilienbereich aufgrund der steuerlichen Anreize zur Verschuldung der Privathaushalte[8], die finanzielle Sicherung der beruflichen Vorsorge und Optimierungsmöglichkeiten zur Einlagensicherung.

Konformität mit internationalen Standards sicherstellen


Die Umsetzung des neuen globalen Standards zum Automatischen Informationsaustausch wird für die Schweiz weiterhin aktuell bleiben. Dabei sollen anerkannte Prinzipien beispielsweise zum vertrauensvollen Umgang mit Daten und zur Identifikation der wirtschaftlich Berechtigten berücksichtigt werden. Die Schweiz wird aber auch weitere Anliegen an die Partnerländer haben. Dazu gehören Regularisierungsprogramme und Verbesserungen beim Marktzutritt.

Nicht nur zu Privatpersonen, sondern auch zu Unternehmen sollen in Zukunft gewisse Informationen mit ausländischen Behörden ausgetauscht werden. Konkret hat sich die Schweiz im Rahmen der OECD bereit erklärt, länderbezogene Unternehmensberichte zwischen den Steuerbehörden auszutauschen.

Strukturwandel nicht behindern


Wir können gemäss dem griechischen Philosophen Aristoteles den Wind nicht ändern, aber die Segel anders richten. Gleichzeitig gilt es den Kurs zu halten. Die Finanzmarktpolitik des Bundes macht genau das. Neue Technologien oder die gegenwärtigen internationalen Risiken sind wie der Wind ein nicht änderbarer Fakt. Will die Schweiz weiterhin zu den führenden Finanzplätzen dieser Welt gehören, darf sie den Strukturwandel nicht behindern. Vielmehr gilt es kontinuierlich und zielgerichtet einen wettbewerbsfähigen Rahmen zu erhalten, der Akteuren Freiräume lässt und Innovationen ermöglicht.

In einem dynamischen Umfeld ist die Fähigkeit, sich strategisch weiterzuentwickeln, ein wichtiger Erfolgsfaktor. Der «Beirat Zukunft Finanzplatz» – das seit 2015 aktive und breit abgestützte Beratungsgremium des Bundesrates – dient diesem Zweck.[9] Die Schaffung optimaler Rahmenbedingungen bildet letztlich eine wichtige Grundlage für Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Steuersubstrat und somit für den Wohlstand der Schweiz.

  1. Vgl. Medienmitteilung Bundesrat vom 20.10.2016: «Bundesrat verabschiedet strategische Stossrichtungen der künftigen Finanzmarktpolitik»[]
  2. Vgl. Medienmitteilung EFD vom 16.12.2009: «Bundesrat stellt Weichen für künftige Finanzmarktpolitik»[]
  3. Vgl. Medienmitteilung Bundesrat vom 19.12.2012: «Bundesrat legt Gesamtschau zur Finanzmarktpolitik vor»[]
  4. Vgl. Medienmitteilung EFD vom 24.2.2016: «Internationale Finanzgremien diskutieren Fragen der Nachhaltigkeit: Bundesrat definiert Rolle der Schweiz»[]
  5. Vgl. Medienmitteilung Bundesrat vom 5.12.2014: «Bundesrat nimmt Schlussbericht der Expertengruppe ‹Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie› zur Kenntnis»[]
  6. Vgl. Motion Karl Vogler 15.3400 und Motion FDP 15.3445 auf Parlament.ch[]
  7. Vgl. Medienmitteilung Bundesrat vom 11.5.2016: «Bundesrat verabschiedet Anpassung der ‹Too big to fail›-Bestimmungen»[]
  8. Vgl. Medienmitteilung ESTV vom 10.6.2016: «Bericht zu Verschuldungsanreizen der Privathaushalte»[]
  9. Siehe dazu den Artikel von Aymo Brunetti in dieser Ausgabe. []

Zitiervorschlag: David Gerber, Frank Schmid, (2016). Segel hissen für einen zukunftsfähigen Finanzplatz. Die Volkswirtschaft, 24. November.

Grundsätze der Finanzmarktpolitik

Die Zielsetzungen der Finanzmarktpolitik werden unter Berücksichtigung langfristig gültiger, allgemeiner Grundsätze für das staatliche Handeln verfolgt.

  • Standortattraktivität: Die Behörden müssen die Attraktivität des Finanzstandorts gewährleisten. Dazu müssen sie das vorhandene Potenzial zur internationalen Differenzierung nutzen und die Voraussetzungen für einen wettbewerbs- und innovationsfähigen Finanzplatz schaffen. Globale Standards werden dabei umgesetzt, auf einen sogenannten Swiss Finish soll aber grundsätzlich verzichtet werden, sofern er nicht aus Gründen der Systemstabilität angezeigt ist.
  • Wettbewerbs- und Technologieneutralität: Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Marktstrukturen müssen beachtet werden. Die Wettbewerbsbedingungen für die Marktteilnehmer sollen möglichst gleich ausgestaltet und unerwünschte Verhaltensanreize vermieden werden. Die Rahmenbedingungen sollen den Marktakteuren weder einzelne Geschäftsmodelle noch den Einsatz von bestimmten Technologien vorgeben. Von besonderem Wert ist die Rechtssicherheit für die Branche.
  • Verhältnismässigkeit: Beim Einsatz der Politikinstrumente muss auf deren Wirtschaftlichkeit und Verhältnismässigkeit geachtet werden. Dazu sind die Kosten und Nutzen einer Massnahme sorgfältig abzuwägen, und es muss beurteilt werden, ob ein Marktversagen vorliegt. Die Regulierung soll prinzipienbasiert und differenziert (z. B. nach Grösse), die Aufsicht risikobasiert erfolgen.