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Lateinamerika: «Grüne» Rohstoffe für das Netto-null-Ziel

Nachhaltige Technologien brauchen Rohstoffe. Diese stammen zum Grossteil aus Lateinamerika. Für die Region ist das eine Chance – solange die Länder nicht in die «Ressourcenfalle» tappen.
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Probebohrung im bolivianischen Salar de Uyuni. Der Salzsee ist reich an Mineralien, darunter auch Lithium. (Bild: Keystone)

Lateinamerika stellt die Weichen für die Energiewende. Der Kontinent ist besonders reich an Metallen wie Kupfer, Lithium und Nickel, welche für grüne Technologien benötigt werden. Die Region verfügt über 60 bis 80 Prozent der weltweiten Vorkommen von Lithium, 40 Prozent bei Kupfer und 17 Prozent bei Nickel (siehe Abbildung). Dieser Ressourcenreichtum wird den Ländern voraussichtlich enorme Einnahmen bescheren. Der Wert der bolivianischen Lithiumreserven wird auf 414 Milliarden Dollar geschätzt, die brasilianischen Nickelvorkommen auf 267 Milliarden Dollar, und in Chile – dem weltweit grössten Kupferexporteur – rechnet man mit einem Kupfervorkommen im Wert von 1,6 Billionen Dollar.

Viele «grüne» Rohstoffe stammen aus Lateinamerika

Quelle: Seco / Die Volkswirtschaft

Rohstoffe stützen die Wirtschaft

Das alles tönt vielversprechend und weckt das Interesse von Investoren aus aller Welt. Doch: Wie kann Lateinamerika sein Wirtschaftswachstum nachhaltig gestalten und geopolitisch unabhängig bleiben?
Die Rohstoffexporte sind eine zentrale Säule der regionalen Wirtschaft. 2022 machte allein der Bergbausektor 14 Prozent des chilenischen BIP aus. Bei den Gesamtexporten verantwortet der Sektor sogar 58 Prozent.[1]

Diese Abhängigkeit von einem einzigen Sektor kann problematisch sein und in die sogenannte Ressourcenfalle führen. Unter diesem Begriff versteht die Literatur die Korrelation von natürlichen Ressourcen mit bewaffneten Konflikten, einer Zunahme der Korruption, demokratischen Rückschritten und einer Abnahme des Wirtschaftswachstums.

Ein Wendepunkt für Lateinamerika?

Dabei wäre die hohe Nachfrage nach grünen Mineralien eine einmalige Gelegenheit, die lokalen Wertschöpfungsketten im Primärsektor zu stärken, die Beschäftigung zu fördern und damit die Einkommen im Land zu erhöhen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat die grüne Transformation sogar als potenziellen «wirtschaftlichen und sozialen Wendepunkt» für Lateinamerika bezeichnet.[2]

Allerdings werden derzeit viele Produktionsschritte mit hoher Wertschöpfung ausserhalb Lateinamerikas getätigt. 2019 war Chile zwar der zweitgrösste Lithiumförderer, China aber verarbeitete und veredelte 58 Prozent des weltweiten Lithiumangebots. Auf China entfielen 2022 auch 46 Prozent der weltweiten Exporte von Lithiumbatterien. Auch beim Kupfer, der global hauptsächlich aus Chile (28%) und Peru (12%) stammt, verarbeitet China rund 40 Prozent des weltweiten Angebots zu marktfähigen Produkten.

Gleichzeitig sind die Investitionen aus China in den lateinamerikanischen Bergbau sprunghaft angestiegen. Zwischen 2000 und 2018 flossen rund 60 Prozent der chinesischen Direktinvestitionen in Lateinamerika in den Rohstoffsektor.

Schonender Ressourcenabbau

Soll der wirtschaftliche Aufschwung in Lateinamerika langfristig anhalten, muss er sozial- und umweltverträglich sein. Heute ist die Gewinnung von wichtigen Mineralien für die Energiewende paradoxerweise mit hohen Umweltbelastungen verbunden. Treibhausgasemissionen und Wasserverschmutzung sind zwei der Hauptprobleme. Etwa 4 bis 7 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen stammen aus der weltweiten Bergbauindustrie.

So verursachen beispielsweise die grossen dieselbetriebenen Lastwagen 30 bis 50 Prozent aller Emissionen einer Mine. Auch der Wasserverbrauch ist hoch. Der Kupferbergbau in der chilenischen Atacama-Wüste – einem der trockensten Orte der Erde – ist für 68 Prozent des gesamten Wasserverbrauchs in der Region verantwortlich. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Bevölkerung sowie die Tier- und Pflanzenwelt.

Implikationen für die Schweiz

Einige lateinamerikanische Bergbauländer gehen diese Herausforderungen bereits proaktiv an. Die jeweiligen Regierungen entwickeln neue Ansätze und setzen Strategien für verantwortungsvolle und nachhaltige Bergbaupraktiken um. Was bedeutet dies für die Schweiz und ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Lateinamerika?

Als Handelsdrehscheibe, Technologieanbieterin und Nachfragerin von grünen Mineralien und deren Endprodukten spielt die Schweiz eine wichtige Rolle. Die fünf weltweit grössten Rohstoffhandelsunternehmen haben bedeutende Niederlassungen in der Schweiz. Sie und über 950 weitere Rohstoffunternehmen beschäftigen hierzulande rund 10’000 Personen.[3] Gemäss Studien laufen rund zwei Drittel des weltweiten Metallhandels über die Schweiz. In einem Bericht zum Rohstoffsektor schätzt der Bundesrat, dass die Einnahmen aus dem Rohstoffhandel 2017 3,8 Prozent des Schweizer BIP ausmachten.[4] Unter Verwendung der gleichen Datenbasis[5] wird dieser Beitrag für 2021 auf 8 Prozent geschätzt. Damit liegt der Sektor nach den Finanzdienstleistungen (9,1%) an zweiter Stelle.[6]

Nachhaltigkeit im Fokus

Die Sozial- und Umweltstandards im Bergbausektor haben sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt. Seit 2021 sind Schweizer Bergbauunternehmen verpflichtet, ihre Zahlungen an ausländische Regierungen offenzulegen. Im Jahr 2022 wurden weitere Sorgfalts- und Berichtspflichten für Umwelt- und Menschenrechtsauswirkungen eingeführt. Im Juni 2024 schlug der Bundesrat vor, diese Berichtspflichten weiter auszubauen und weitgehend an den EU-Standard anzugleichen.

Der revidierte CSR-Aktionsplan des Bundesrats sieht vor, dass sich Unternehmen an international anerkannte Standards wie die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zu verantwortungsvollem Handeln halten. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beherbergt die Nationale Kontaktstelle, die für die Leitsätze wirbt und die Diskussion über deren Umsetzung erleichtert. Zudem hat die Schweiz ihren Nationalen Aktionsplan (NAP) für die UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte im Januar 2020 verabschiedet. Der NAP soll für den Zeitraum 2024 bis 2027 aktualisiert werden. Dieser zielt darauf ab, die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht bei der globalen Geschäftstätigkeit von Unternehmen mit Sitz in der Schweiz zu verbessern, insbesondere im Rohstoff- und Bergbausektor. Ausserdem sollen Klimamassnahmen und Menschenrechte im Aktionsplan berücksichtigt werden und so für einen gerechten Übergang zu einer Netto-null-Wirtschaft beitragen. Darüber hinaus beteiligt sich die Schweiz an Initiativen wie der «Extractive Industries Transparency Initiative (EITI)» und der «Climate-Smart Mining Initiative» zur Förderung von guter Regierungsführung und Nachhaltigkeit in diesem Sektor.

Wichtig für die Schweizer Aussenwirtschaftspolitik

Lateinamerika ist ein strategischer Partner für die grüne Transition. Vertiefte Wirtschaftsbeziehungen mit der Region sind ein wichtiger Eckpfeiler der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik. In Zeiten geopolitischer Spannungen ist es wichtig, einen diversifizierten Zugang zu den internationalen Märkten zu gewährleisten. Der bilaterale Handel der Schweiz mit Lateinamerika belief sich 2023 auf 19 Milliarden Franken. Im gleichen Jahr sind die Schweizer Investitionen in der Region um fast 10 Prozent auf über 36 Milliarden Franken gestiegen, was zur Schaffung von über 200’000 Arbeitsplätzen vor Ort beiträgt.

Um die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Lateinamerika weiter zu stärken, verbessert die Schweiz laufend die entsprechenden Rahmenbedingungen. Neben 17 bilateralen Investitionsschutzabkommen hat die Schweiz Freihandelsabkommen mit 8 Ländern[7] in der Region. Nach der 2024 abgeschlossenen Modernisierung des Freihandelsabkommens mit Chile hat das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Ländern Priorität. Beide Abkommen enthalten ein umfassendes und rechtsverbindliches Kapitel zu Handel und nachhaltiger Entwicklung.
Damit die lateinamerikanischen Länder von ihren Bodenschätzen profitieren können und nicht in die «Ressourcenfalle» tappen, braucht es nachhaltige Entwicklungsstrategien. Der Kampf gegen den Klimawandel kann nur gewonnen werden, wenn er nicht auf Kosten der Natur und der Menschen geht.

  1. Siehe Unctad (2023). []
  2. Siehe OECD (2022). []
  3. Siehe Bundesamt für Statistik: Rohstoffhändler[]
  4. Siehe Report of the Federal Council (2018). []
  5. Daten zum Transithandel der Schweizerischen Nationalbank. []
  6. Der Bundesrat will die Statistik zum Schweizer Rohstoffhandel verfeinern und hat deshalb am 29. Juni 2022 die zuständigen Departemente beauftragt, eine verlässliche Datenbank zur Entwicklung des Sektors aufzubauen. []
  7. Mexiko, Kolumbien, Peru, Chile, Ecuador, Costa Rica, Guatemala, Panama. []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Bietenhader, Martina; Rühl, Johannes (2024). Lateinamerika: «Grüne» Rohstoffe für das Netto-null-Ziel. Die Volkswirtschaft, 20. August.