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Versorgungsengpass bei Medikamenten – was tun?

Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln nehmen weltweit zu, auch in der Schweiz. Es mangelt vor allem bei Generika und Medikamenten mit abgelaufenem Patentschutz. Das betrifft die Grundversorgung und damit besonders viele Personen.
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Gewisse Wirk- und Inhaltsstoffe in Arzneimitteln werden weltweit nur an einigen wenigen Orten produziert. (Bild: Keystone)

Der Generikahersteller Sandoz solle verstaatlicht werden – so politische Forderungen. Damit sollen mehr Arzneimittel wieder in der Schweiz produziert und die aktuellen Versorgungsengpässe mit Medikamenten gelindert werden.

Tatsächlich haben Arzneimittelengpässe in den letzten 15 Jahren zugenommen. Betroffen sind vor allem Generika und Medikamente mit abgelaufenem Patentschutz, insbesondere starke Schmerzmittel wie Opioide, Impfstoffe, Insulin oder Antibiotika.[1]

Verschiedene Faktoren führen zu Engpässen

Ein Grund für die Engpässe ist, dass die Lieferketten zur Herstellung von Medikamenten stark globalisiert und komplex sind. Vor allem bei Generika und patentabgelaufenen Arzneimitteln hat der ökonomische Druck in den grossen westlichen Gesundheitsmärkten zugenommen. Das hat während der letzten Jahrzehnte zu einer Verlagerung der Produktion nach Asien geführt, vor allem nach China und Indien. Ein Grund dafür war einerseits die Subventionspolitik Chinas, welche Investitionen förderte und mit Steuervergünstigungen sowie günstigen Krediten ausländische Firmen anlockte. Entscheidend waren andererseits aber auch allgemein tiefere Regulierungsvorgaben wie weniger strenge Umwelt- und Arbeitsschutzstandards. Zudem konnten aufgrund geringerer Produktionskosten Einsparungen realisiert werden.

Die Versorgungsengpässe sind auch eng verknüpft damit, dass gewisse Wirk- und Inhaltsstoffe zur Medikamentenherstellung nur an wenigen Orten im Ausland produziert werden. So wird rund ein Drittel der Wirkstoffe, welche im US-amerikanischen Generikamarkt verwendet werden, nur von einem einzigen Betrieb und ein weiteres Drittel von zwei bis drei Betrieben hergestellt.[2] Dadurch sind die westlichen Gesundheitsmärkte abhängiger geworden und haben an Einfluss auf relevante Teile ihrer Lieferketten verloren. Diese Abhängigkeiten machen die Lieferketten anfällig für Schocks. Verwerfungen können jederzeit auftreten und sind oft kaum vorhersehbar.

In der Schweiz kommt erschwerend hinzu, dass der Markt im internationalen Vergleich klein ist, bei international vergleichbarer Regulierung. Für weltweit tätige Unternehmen scheint der kleine Schweizer Markt weniger attraktiv, weshalb weniger Generika in der Schweiz zugelassen sind als etwa in der EU.

Liegt der Engpass im Ausland, haben inländische Massnahmen nur punktuell Einfluss

Quelle: BAG / Die Volkswirtschaft

 

Kaum international koordinierte Ansätze

Ähnlich wie in der Schweiz haben auch in anderen Ländern die Versorgungsstörungen über die letzten Jahre stark zugenommen. Viele Staaten haben in der Folge ihren Umgang mit solchen Engpässen überprüft und nationale Massnahmen definiert. So hat Frankreich beispielsweise mit gezielten industriepolitischen Massnahmen die Rückverlagerung der Paracetamol-Produktion aus China unterstützt. Der französische Staat subventioniert etwa 30 Prozent des rund 100 Millionen teuren Vorhabens. Zudem haben Anfang Januar 2025 französische Minister und Ministerinnen im Rahmen der Initiative «France 2030: relocalisation des médicaments essentiels» ihre Unterstützung für industrielle Investitionsprojekte bekannt gegeben, die sich auf die Rückverlagerung wichtiger Produktionsschritte für kritische Arzneimittel nach Frankreich konzentrieren.[3] Ein anderes Beispiel sind verschiedene US-Initiativen, welche darauf abzielen, die Abhängigkeiten von China generell zu verringern, auch bei den Lieferketten von Heilmitteln.

Es gibt aber kaum international koordinierte Ansätze. Dabei wären multilaterale Interventionen aufgrund des globalen Problemcharakters nötig. Denn nationale Massnahmen haben insbesondere auf die im Ausland liegenden Teile der Lieferkette wenig Einfluss (siehe Abbildung). Wenige Ausnahmen eines internationalen Ansatzes sind die von der EU lancierte «Critical Medicines Alliance» sowie das informelle «Medical Supply Chains»-Netzwerk, das die Schweiz bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ins Leben gerufen hat.

Was tut die Schweiz?

Um die Wirtschaft bei ihrem Versorgungsauftrag zu stützen, hat der Bundesrat in den vergangenen Jahren bereits gezielte Massnahmen für die Verbesserung der Versorgung ergriffen (Zuständigkeiten siehe Kasten). Mit Revisionen des Heilmittelgesetzes[4] (2009 und 2019) hat der Bundesrat den Handlungsspielraum der Leistungserbringer verbessert, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen. Dazu gehörten etwa die erweiterte Möglichkeit zur Eigenproduktion durch Apotheken und Spitalapotheken sowie der Import von im Inland nicht verfügbaren Arzneimitteln.

Aufgrund der sich verschlechternden Versorgungslage im Jahr 2023 liess der Bundesrat im Rahmen einer Taskforce kurzfristig umsetzbare Massnahmen ausarbeiten. Eine der Massnahmen umfasst die Abgabe von Teilmengen bei Arzneimitteln mit einer anhaltenden Mangellage. Durch das Öffnen von Packungen und die Abgabe einzelner Einheiten (z. B. Tabletten) soll die Reichweite des bestehenden Lagerbestands verbessert werden. Weiter stärkte er gezielt die Versorgung, indem er in begründeten Fällen vermehrt auf Preissenkungen verzichtet (113 Fälle seit 2017) oder gar Preiserhöhungen gewährt (44 Fälle seit 2019). Damit sollen günstige, lebenswichtige Arzneimittel auf dem Schweizer Markt verfügbar bleiben.

Zudem werden gewisse Arzneimittel, welche Apotheken selber herstellen, weil sie nicht lieferbar sind, seit Anfang 2023 von den Krankenversicherern unter gewissen Bedingungen vergütet.[5] Im Rahmen des Kostendämpfungspakets 2 beabsichtigt der Bundesrat des Weiteren, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, damit kostengünstige, versorgungsrelevante Medikamente künftig von Preisüberprüfungen ausgenommen werden können. Die Beratungen im Parlament laufen derzeit.

Im August 2024 beschloss der Bundesrat auf Grundlage des Berichts[6] einer interdisziplinären Arbeitsgruppe weitere Massnahmen, mit denen er die Versorgung mittel- bis langfristig weiter stärken will. Dabei verfolgt er zwei Stossrichtungen: Einerseits sollen strukturelle Massnahmen die Resilienz des Systems stärken und so die Nachteile des kleinen Schweizer Markts mildern. Beispielsweise soll die Pflichtlagerhaltung ausgebaut und ihre Finanzierung geprüft werden. Und Arzneimittel, die in der Schweiz nicht zugelassen sind, sollen einfacher importiert werden können. Andererseits will der Bundesrat auf internationaler Ebene stärkere Lieferketten schaffen. So setzt sich die Schweiz etwa in ihren bilateralen und multilateralen Beziehungen für gute Rahmenbedingungen ein und unterstützt punktuell Public-private-Partnerships wie die «Global Antibiotic Research & Development Partnership».

Schnelle staatliche Lösungen gibt es nicht

Der Ruf nach schnellen Lösungen ist laut, wie die politischen Forderungen zeigen. Doch die Ursachen sind globalen Ursprungs, multifaktoriell und dynamisch. Mit der geforderten Verstaatlichung eines Generikaherstellers wird der Lage kaum Rechnung getragen. Schnell wirksame Massnahmen kann die Wirtschaft selbst am besten einleiten. Denn die Unternehmen kennen ihre Lieferketten und können die Abhängigkeiten beurteilen. Sie müssen die Risiken identifizieren und bei Problemen frühzeitig reagieren. Es gilt auch bestehende staatliche Instrumente stärker zu nutzen, wie beispielsweise das erleichterte Zulassungsverfahren, wenn Arzneimittel in einem Land mit vergleichbarer Arzneimittelkontrolle zugelassen sind. Wenn sich der Vertrieb eines wichtigen Arzneimittels in der Schweiz nicht mehr lohnt, kann das Instrument des Preiserhöhungsgesuchs genutzt werden, anstatt das Medikament aus Rentabilitätsgründen vom Markt zu nehmen. Die im August 2024 vom Bundesrat beauftragten Umsetzungsarbeiten sind vorwiegend struktureller Art und erfordern Anpassungen der Rechtsgrundlagen. Dies kann mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Schnelle staatliche Lösungen gibt es daher nicht.

  1. Siehe Listen mit aktuellen Versorgungsengpässen bei Arzneimitteln und Impfstoffen des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung. []
  2. Siehe Socal et al. (2023). []
  3. Siehe Pressemitteilung «France 2030: relocalisation des médicaments essentiels». []
  4. HMG, SR 812.21 []
  5. Siehe «BAG stärkt Arzneimittelversorgung» vom 22.3.2023. []
  6. Siehe BAG und BWL (2024). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Pellegrini, Alessandro (2025). Versorgungsengpass bei Medikamenten – was tun? Die Volkswirtschaft, 30. Januar.

Versorgungssicherheit – ein Zusammenspiel vieler Akteure

Für die Versorgungssicherheit ist in der Schweiz nicht nur der Bund zuständig. Primär obliegt sie der Wirtschaft.a Die Kantone sind grundsätzlich zuständig für das Gesundheitswesen in ihrem Hoheitsgebiet.b Dem Bund kommt nur in schweren Mangellagen oder einer Pandemie, wenn lebenswichtige Güter und Dienstleistungenc oder wichtigste Heilmittel zur Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten fehlen, eine subsidiäre Versorgungsaufgabed zu.

Eine solche Voraussetzung ist in der aktuellen Situation zwar nicht gegeben; hier ist der Handlungsspielraum des Bundes deshalb beschränkt. Dennoch übernimmt er eine koordinierende Rolle und sucht nach Lösungen.

 

a Gemäss Art. 102 BV, sowie Art. 3 Abs. 1 LVG.

b Subsidiäre Generalkompetenz der Kantone; Art. 3 und Art. 42 Abs. 1 BV.

c Art. 102 BV i.V.m. LVG.

d Art. 118 Abs. 1 Bst. b BV sowie Art. 44 EpG.

e Siehe den Artikel von Lukas Rupper in diesem Schwerpunkt.