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Wie Ökonomen die Politik weiterbringen

Wenn es um politische Beratung geht, geniesst die Ökonomenzunft manchmal einen zweifelhaften Ruf. Wer kennt sie nicht, die zahlreichen Vorurteile über die Möglichkeiten und Grenzen der Wirtschaftswissenschaften. Abgesehen davon, dass es auch populäre Witze über Juristen, Ingenieure und Mathematiker gibt, muss sich die Ökonomie nicht scheuen, für ihre wissenschaftliche Disziplin politische Relevanz zu beanspruchen. Die ökonomische Politikberatung geniesst denn auch einen hohen Stellenwert und wird rege nachgefragt. Was darf von ihr als Beitrag zu einer „guten“ Wirtschaftspolitik erwartet werden – und was nicht?

Beratung als Resultat von Nachfrage und Angebot


Die Entwicklung einer Volkswirtschaft hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Wohlfahrt der Bürgerinnen und Bürger. Dementsprechend haben politische Akteure den Anspruch, die Komplexität gesamtwirtschaftlicher Prozesse besser zu verstehen. Politische Führungspersönlichkeiten suchen zudem typischerweise das Primat der Politik über Marktprozesse. Dieses Anliegen ist nicht unumstritten, da verbreitete Bedürfnisse der Menschen über kurz oder lang immer auf Marktangebote – im Sinne freiwilliger Tauschhandlungen – treffen. In der Folge bekräftigen Politiker aber umso mehr den Willen, Marktentwicklung durch „gute“ Staatseingriffe in politisch genehme Bahnen zu lenken.

Die Nachfrage nach Politikberatung findet auch in der Schweiz ein vielfältiges Angebot. Ob Forschungsinstitute an den Hochschulen, Fachhochschulen, Thinktanks oder private Beratungsunternehmen: Der Markt an politischer Beratung ist in unserem kleinen Land eng abgesteckt, aber diversifiziert. Verschiedene Bedürfnisse der Beratung können so durch unterschiedlich spezialisierte Anbieter abgedeckt werden. Auch in der Bundesverwaltung üben Ökonominnen und Ökonomen eine Rolle der ökonomischen Beratung aus.

Komplexe Volkswirtschaft – kein einfacher Rat


In der Literatur über ökonomische Politikberatung wird seit Jahrzehnten das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Anspruch der Beratertätigkeit und der Zweckmässigkeit für den politischen Alltag debattiert. Ökonomen betonen zu Recht die Bedeutung der evidenzbasierten, empirisch abgestützten Beratung. Dies ist in der Abgrenzung zum Lobbyismus, bei dem es um die Vertretung von Partikularinteressen geht, eine zentrale Ambition. Politiker wünschen sich demgegenüber eindeutige Resultate und klare Handlungsanweisungen; „Einerseits/anderseits“-Aussagen gehören nicht zu ihren beliebtesten Erkenntnissen.

Zwischen diesen Ansprüchen kann es Spannungsfelder geben. Die Ökonomie ist keine exakte Wissenschaft und ist deshalb bei der Suche nach einer unumstösslichen Wahrheit nicht dienlich. Sie kann es auch nicht wollen, da es in einer komplexen (Wirtschafts-)Welt die absolute Wahrheit nicht gibt. Dennoch sind die Wirtschaftswissenschaften als Grundlage wirtschaftspolitischer Entscheidfindung jeder anderen Disziplin der Geisteswissenschaften überlegen, weil sie konsequent auf theoretische Grundlagen und empirische Methoden setzen.

Politikberatung kann Handlungsoptionen vor allem dann hilfreich aufzeigen, wenn die politischen Entscheidungsträger in realistischen Zeithorizonten denken und Einblicke in die Determinanten der langfristigen Entwicklung der Gesamtwirtschaft oder von Teilen davon suchen. Denn auch die beste Politik kann die Wirtschaft nicht innerhalb von Monaten beeinflussen oder wissen, welches die treibenden (Markt-)Kräfte in zehn Jahren sind.

Es gibt Rezepte gegen die Frankenstärke


Dies erklärt auch, warum es mit Blick auf die aktuelle Frankenstärke kein einfaches Unterfangen ist, wirtschaftspolitische Massnahmen zur Kompensation der produktionsverteuernden Währungsaufwertung zu formulieren. Natürlich ist es vorstellbar, per Dekret die Unternehmen sofort von der Steuerpflicht auszunehmen; dies dürfte aber politisch wenig realistisch sein. Zielführender ist etwa eine glaubwürdige Verpflichtung, mittel- und langfristig eine Unternehmenssteuerreform III umzusetzen, welche die Steuerattraktivität der Schweiz im nächsten Jahrzehnt trotz Verzicht auf kantonale Steuerstatus aufrechterhält.

Ökonomen haben dieser Tage also durchaus klare Vorstellungen von prioritären Massnahmen zur Abfederung der Frankenstärke. Hingegen darf die Politik nicht erwarten, dass die Ratschläge in Massnahmen münden, welche den Unternehmen innert Monatsfrist eine wirksame Entlastung zur Frankenaufwertung in Aussicht stellen.

Ökonomisch fundierte Beratung hat auch in der öffentlichen Verwaltung eine wichtige Bedeutung. In diesem Umfeld ist es besonders wichtig, Empfehlungen auf transparente, nachvollziehbare wissenschaftliche Grundlagen abzustützen. Es müssen Vor- und Nachteile politischer Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen offengelegt werden. Was kurzfristig politisch opportun scheint, kann ökonomisch langfristig schädlich sein – und umgekehrt. Die theorie- und evidenzgeleiteten Entscheidungsgrundlagen müssen in der Wirtschaftspolitik differenziert erläutert an die politischen Entscheidungsträger herangetragen werden. Es braucht Rückgrat, erklären zu können: Nicht für jedes erkannte politische Problem gibt es einen Königsweg ohne Fallstricke.



eric.scheidegger@seco.admin.ch

Zitiervorschlag: Eric Scheidegger (2015). Wie Ökonomen die Politik weiterbringen. Die Volkswirtschaft, 02. April.