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Ältere Arbeitnehmende: Ein Potenzial, das es auszuschöpfen gilt

Die Arbeitsmarktbeteiligung der über 50-Jährigen in der Schweiz wird als gut beurteilt. Ein Verlust des Arbeitsplatzes ist jedoch häufig mit Problemen bei der Wiedereingliederung verbunden. Älteren Arbeitnehmenden gebührt deshalb besondere Aufmerksamkeit.

Ältere Arbeitnehmende: Ein Potenzial, das es auszuschöpfen gilt

Nach dem runden Tisch zu älteren Arbeitnehmenden: Bundesrat Johann Schneider-Ammann tritt vor die Medien. (Bild: Keystone)

Ältere Arbeitnehmende bleiben im Fokus des Bundesrates: Am 21. April dieses Jahres hat Bundespräsident Johann Schneider-Ammann zum zweiten Mal die Vertreter verschiedener Bundesämter, der Konferenz Kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren (VDK) sowie der Sozialpartner – d. h. des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes (SAV), des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) und von Travailsuisse – versammelt. Ziel dieses Treffens war es, die im letzten Jahr gemeinsam beschlossenen Massnahmen zu bilanzieren und zu konsolidieren sowie das Engagement zugunsten der älteren Arbeitnehmenden zu erneuern. Bereits bei der Lancierung der Fachkräfteinitiative im Jahr 2011 hatte das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) die Schaffung von günstigen Rahmenbedingungen als eine der Prioritäten bezeichnet, um Personen bis zum Erreichen des Pensionierungsalters im Erwerbsleben zu halten.

Seit einigen Jahren nehmen die Fragen der Wiedereingliederung älterer Arbeitnehmender in den Arbeitsmarkt und des Verbleibs älterer Personen im Erwerbsleben einen immer wichtigeren Platz in der öffentlichen, politischen und medialen Debatte ein. Im Jahr 2015 machten die über 55-Jährigen etwa ein Fünftel des gesamten Arbeitskräfteangebots der Wohnbevölkerung aus. Das entspricht einer Zunahme von 176’000 Vollzeitäquivalenten in den letzten zehn Jahren.[1]

Die Ursachen für diese Entwicklung sind zum einen in der beschleunigten demografischen Alterung zu finden: So steigt der Anteil älterer Arbeitnehmender an der Erwerbsbevölkerung weiter, wie die Bevölkerungsszenarien des Bundesamtes für Statistik (BFS) vermuten lassen.[2] Zum anderen wird diese Entwicklung mit dem Wachstum des Arbeitsmarktes, der Zunahme der Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen sowie der Abnahme der vorzeitigen Pensionierungen bei den Männern begründet.

Ist die Schweiz eine Musterschülerin?


Eine OECD-Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) und des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) aus dem Jahr 2014 untersuchte die Situation in der Schweiz.[3] Dabei wurde ein positives Bild der Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmender gezeichnet, welche 2015 bei den 55- bis 64-Jährigen immer noch bei über 70 Prozent lag. Damit befindet sich das Land im internationalen Vergleich in der Spitzengruppe der OECD-Staaten. Auch der Vergleich der Altersklassen zeugt von einer guten Arbeitsmarktintegration. Im letzten Jahr lag die Arbeitslosenquote der über 50-Jährigen bei 2,9 Prozent und damit um 0,4 Prozent unterhalb des Schweizer Durchschnitts.

Allerdings machten die über 55-Jährigen 29 Prozent des Totals der beim einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) registrierten Langzeitarbeitslosen aus. Einmal arbeitslos, bekunden die Älteren oft grössere Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden, als Jüngere. Gründe dafür sind verschiedene Faktoren wie das während des Berufslebens erworbene Qualifikations- und Kompetenzniveau, die Arbeitskosten, aber auch die Existenz von Vorurteilen gegenüber Älteren. Zudem hat sich im letzten Jahr die Situation der älteren Arbeitnehmenden aufgrund der Aufwertung des Frankens leicht verschlechtert. Das hat zur Folge, dass innerhalb dieser Altersklasse eine grosse Bandbreite verschiedener Falltypen besteht. Die Massnahmen müssen entsprechend unterschiedlich ausfallen.

Von den Worten zu den Taten


Die erste Konferenz im Jahr 2015, die nach der Annahme des Postulats Rechsteiner[4] ins Leben gerufen wurde, mündete in einer gemeinsamen Erklärung und der Definition von vier Stossrichtungen. Dieses Jahr haben die Beteiligten Bilanz gezogen, ihr Engagement bekräftigt und neue Arbeiten in Angriff genommen. Im Folgenden wird ein Überblick über die aktuelle Situation verschafft.

Optimierung des Instrumentariums der Arbeitslosenversicherung


Im Jahr 2015 wurden die Instrumente, welche die Arbeitslosenversicherung (ALV) mit den RAV verfügt, grundsätzlich als geeignet beurteilt. Zwar hat der Gesetzgeber den älteren Arbeitnehmenden eine grosszügigere Regelung bezüglich Entschädigungen/Taggelder zugestanden. Dennoch fehlt im Rahmen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) eine spezifische Strategie zur Integration dieser Altersgruppe.

Seit der letztjährigen Konferenz sind verschiedene Massnahmen zur Erleichterung der Rückkehr älterer Arbeitsloser in den Arbeitsprozess ergriffen worden. Die Bundesverwaltung geht mit gutem Beispiel voran: Als öffentlicher Arbeitgeber hat sie entschieden, ab Juli 2015 ihre offenen Stellen eine Woche vor der Publikation den RAV mitzuteilen. Die Kantone – d. h. die VDK und der Verband schweizerischer Arbeitsmarktbehörden (VSAA) – haben ihrerseits vergangenen Sommer eine Bestandsaufnahme bei den kantonalen Arbeitsmarktbehörden durchgeführt. Ein Ziel war, die spezifischen Integrationsmassnahmen zugunsten der älteren Arbeitnehmenden zu dokumentieren.[5] Ausserdem wurden die Herausforderungen, mit denen ältere Arbeitssuchende konfrontiert sind, anlässlich der vom Seco und den Kantonen organisierten Fachtagung der RAV und der Logistikstellen für arbeitsmarktliche Massnahmen (LAM) im letzten November diskutiert. Diese Massnahmen haben sich als geeignet erwiesen und werden bei Bedarf erneuert.

Einig waren sich die Teilnehmer der zweiten Konferenz: Die Publikation von offenen Stellen trägt zu Transparenz auf dem Arbeitsmarkt bei. Bund, Kantone und Sozialpartner werden deshalb prüfen, wie die RAV über diese Stellen informiert werden können.

Unterstützung zur Vervollständigung der beruflichen Fähigkeiten


Vorbeugen statt heilen: Um das Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit zu minimieren, ist die Förderung von Aus- und Weiterbildung entscheidend. Die Konferenzteilnehmer sind der Meinung, dass es grundsätzlich die Aufgabe der älteren Arbeitnehmenden ist, ihre Kompetenzen laufend weiterzuentwickeln, um ihre Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten. Das können sie jedoch nur, wenn Arbeitgeber und Staat die Weiterbildung und das Schliessen von Kompetenzlücken unterstützen.

Im Verlauf des vergangenen Jahres hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) eine Reihe von Studien zu den Bedürfnissen von Erwachsenen bei Berufsdiplomen und Umschulungen lanciert. Zudem hat das SBFI eine Debatte über die Finanzierung von Weiterbildungen für ältere Arbeitnehmende angestossen. Die Bildungseinrichtungen der Sozialpartner sind ihrerseits zum Instrument der Kompetenzbilanzen übergegangen, mit denen sich die Bildungsanforderungen während der beruflichen Laufbahn älterer Arbeitnehmender besser einschätzen lassen. Die Bundesverwaltung wiederum hat als Arbeitgeberin ihre Kompetenzbilanzen angepasst.

Ebenfalls äusserst aktiv sind die Kantone Aargau (mit dem Projekt «Beruflich nochmals durchstarten»), Basel-Landschaft (mit dem Kurs «Chance 45plus» zur Bilanzierung der beruflichen Kompetenzen) sowie Freiburg und Wallis (mit dem «Kompetenzmanagement für Personen 55plus»). Der SAV hat ein ähnliches Pilotprojekt gestartet.

Anlässlich der zweiten Konferenz haben die Teilnehmenden die bereits unternommenen Anstrengungen begrüsst und ihr Engagement für eine kontinuierliche Aus- und Weiterbildung bekräftigt. So soll beispielsweise überprüft werden, ob im Rahmen von bestehenden und neuen Gesamtarbeitsverträgen (GAV) diesbezüglich etwas erreicht werden kann. Weiter wollen Bund und Kantone ihre bestehenden Angebote besser sichtbar machen. Schliesslich soll untersucht werden, ob die sogenannte Nachholbildung innerhalb der ALV gestärkt werden soll.

Sensibilisierung der Arbeitgeber, der Arbeitnehmenden und der Bevölkerung


Vorurteile führen manchmal dazu, dass Ältere eine Stelle nicht erhalten. Um dagegen vorzugehen, schaltet das WBF in Zusammenarbeit mit den Kantonen und den Sozialpartnern Ende Mai eine Webseite zum Thema qualifizierte Arbeitskräfte mit dem Titel «Fachkräfte Schweiz» auf. Diese Plattform dient der Präsentation guter Praktiken und ist ausserdem ein konkretes Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und Sozialpartnern. Bereits letztes Jahr wurden Sensibilisierungsaktionen – wie etwa der Katalog guter Praktiken des SAV, «Zukunft Arbeitsmarkt Schweiz», oder auch die Sensibilisierungskampagnen der Kantone Aargau und Zug rund um die Erfahrung der älteren Arbeitssuchenden – lanciert.

Vorurteile werden auch bei Alterseinschränkungen in Stelleninseraten sichtbar. Eine vom Seco bei der Universität Zürich in Auftrag gegebene Studie[6] zeigt, dass im Verlauf der letzten zehn Jahre bereits ein signifikanter Rückgang solcher Alterseinschränkungen beobachtet werden konnte. Deshalb werden die öffentlichen und privaten Arbeitgeber ihre Bemühungen hier weiterführen.

Schliesslich hat sich im Zusammenhang mit der Frage der Diskriminierung auch die Sozialpartnerschaft bewährt. Die Regelungen zum Schutz der älteren Arbeitnehmenden haben sich auf verschiedene bestehende oder im Jahr 2015 angepasste GAV ausgewirkt.

Massnahmen im Bereich der Altersprävention


Die in der beruflichen Altersvorsorge existierenden finanziellen Anreize, um bis zum ordentlichen Rentenalter und darüber hinaus zu arbeiten, erhöhen die Arbeitsmarktintegration ebenfalls. Diese sollten im Rahmen des Reformpakets «Altersvorsorge 2020», das gegenwärtig im Parlament behandelt wird, weiter verstärkt werden.

Private Initiativen florieren


An der Konferenz nahmen auf Einladung des Bundespräsidenten die in der Praxis tätigen Akteure teil. So konnten einige «Mentoren»[7] aus den Kantonen St. Gallen, Aargau und Schaffhausen ihre Erfahrungen einbringen. Im Rahmen des Projekts «Tandem 50plus»[8] haben verschiedene Kantone ein Konzept ins Leben gerufen, das ältere Arbeitnehmende und Mentoren zusammenführt. Ziel dieser Partnerschaft ist es, die Arbeitslosen bei der Stellensuche zu unterstützen – etwa mit der Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche oder durch personalisierte Beratungen.

Auch die Arbeitgeber anerkennen die Bedeutung des Themas. Im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten passen sowohl grosse Unternehmen als auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ihre Personalpolitik an. Weitere Beispiele zu Initiativen von Privaten werden auf der Plattform «Fachkräfte Schweiz» aufgeschaltet.

Die Teilnehmer der zweiten Konferenz beurteilten die bisher beschlossenen Massnahmen als gut und wollen den eingeschlagenen Weg gemeinsam weitergehen. Dennoch ist Geduld geboten: Die Wirkung gewisser Massnahmen – vor allem derjenigen im Bildungsbereich und zur Bekämpfung der Vorurteile – wird nicht sofort eintreten. Anlässlich der nächsten Konferenz 2017 werden die Partner deshalb erneut Bilanz ziehen.

  1. Zahlen aus: Seco (2016), Indikatoren zur Situation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Schweizer Arbeitsmarkt – Grundlagen für die nationale Konferenz vom 21. April 2016. []
  2. BFS (2015), Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz 2015–2045. []
  3. OECD (2014). Alterung und Beschäftigungspolitik: Schweiz – Bessere Arbeit im Alter, OECD, Paris. Deutsche Fassung BSV (Hrsg.), Bern. []
  4. Postulat 14.3569 «Nationale Konferenz zum Thema der älteren Arbeitnehmenden» vom 19. Juni 2014. []
  5. Siehe unter Vdk.ch, Bericht vom 18. Juni 2015, Mobilisierung von inländischem Arbeits- und Fachkräftepotential, Portfolio der kantonalen Arbeitsmarktbehörden[]
  6. Buchs H. und A.-S. Gnehm (2016), Stellenmarkt-Monitor Schweiz, Altersgrenzen in Stelleninseraten 2006–2015, im Auftrag des Seco. []
  7. Mentoren sind erfahrene Persönlichkeiten, die ihre Freizeit ehrenamtlich zur Verfügung stellen und über ein grosses Netzwerk in der Berufswelt verfügen. []
  8. Tandem-schweiz.ch []

Zitiervorschlag: Maya Rolewicz (2016). Ältere Arbeitnehmende: Ein Potenzial, das es auszuschöpfen gilt. Die Volkswirtschaft, 25. Mai.