Schweizer Grundlagenforschung befeuert heimische Innovation in neuen Technologien

Für Innovationen ist die Grundlagenforschung zentral. Poster im Bürogebäude der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern). (Bild: Keystone)
Immer mehr wirtschaftlich aufstrebende Länder etablieren sich als Produktionsstandorte für standardisierte Produkte oder Komponenten. So etwa Vietnam für Textilien oder Polen für Industriekomponenten. Gleichzeitig haben sich andere Länder – allen voran China, aber auch Südkorea oder Indien – von reinen Produktionsstandorten zu globalen Innovationsführern in Hightech-Sektoren wie künstliche Intelligenz, Halbleiter und erneuerbare Energien entwickelt. In einem derart dynamischen Umfeld können hohe Löhne und die hohe Wertschöpfung in der Schweiz nur durch kontinuierliche Innovation, effizientere Produktionsprozesse und die Umsetzung neuer Ideen gesichert werden.[1]
Die zentrale Frage lautet deshalb: Wie kann die Schweiz ihre Rolle als Innovationsleader in einer Welt behaupten, die durch intensiven globalen Wettbewerb und technologische Umbrüche geprägt ist?
Innovation basiert zunehmend auf Grundlagenforschung
Wir haben für verschiedene Länder verglichen, wie viele Patente sich auf wissenschaftliche Publikationen beziehen und damit auf meist öffentlich finanzierter Grundlagenforschung basieren. Patente dienen dabei als Mass für Innovation. In den letzten 40 Jahren hat sich der Anteil solcher Patente etwa versechsfacht (siehe Abbildung). Die Schweiz nimmt hier mit knapp 39 Prozent eine Spitzenposition ein, gefolgt von Grossbritannien mit 38 Prozent und den USA mit 36 Prozent. Der hohe Anteil der Schweiz ist insbesondere auf Patente in den Bereichen Chemie und Lifesciences zurückzuführen, die stärker als andere Bereiche auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren.
Der zunehmende Einfluss von Grundlagenforschung bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass Grundlagenforschung und Innovationsaktivitäten geografisch eng beieinander liegen müssen. Denn wissenschaftliche Ergebnisse sind über Fachzeitschriften weltweit grundsätzlich frei zugänglich. In unserer aktuellen Forschung[2] weisen wir jedoch empirisch die Bedeutung der geografischen Nähe nach. Insbesondere in der frühen Entwicklungsphase neuer Technologien ist die enge Verzahnung von Wissenschaft und Innovation innerhalb einer Region entscheidend dafür, ob sich die Region als ein führender Innovationsstandort in diesem Bereich etablieren kann.[3]
Patente basieren immer öfter auf wissenschaftlichen Publikationen
INTERAKTIVE GRAFIK
Grundlagenforschung am Standort ist zentral
Unsere Analyse umfasst eine Vielzahl neuer Technologien – darunter künstliche Intelligenz und neuartige Antikörper – und berücksichtigt mehrere Tausend Regionen in OECD-Ländern wie der Schweiz, Deutschland und den USA. Dabei haben wir die Regionen in vier Gruppen unterteilt: Regionen, die als wissenschaftliche Pioniere in einer neuen Technologie gelten (Science Pioneers); Regionen, die starke Innovatoren in angrenzenden Technologien sind und dadurch ein hohes Innovationspotenzial in einer neuen Technologie aufweisen (Innovation Strongholds); Regionen, die sowohl wissenschaftliche Pioniere sind als auch ein hohes Innovationspotenzial besitzen (Super-Cluster); und schliesslich unsere Benchmarkgruppe, die aus Regionen besteht, die weder das eine noch das andere Merkmal aufweisen. Anschliessend haben wir die drei ersten Gruppen mit der Benchmarkgruppe verglichen.
Unser wichtigstes Ergebnis ist bemerkenswert: Regionen, die in einer neuen Technologie sowohl wissenschaftlich führend sind als auch ein hohes Innovationspotenzial aufweisen (Super-Cluster), erzielen den grössten Vorsprung in einer neuen Technologie. Im Vergleich zu unserer Benchmarkgruppe weisen sie einen stetig wachsenden und langfristig anhaltenden Innovationsvorsprung auf. Der Vorsprung erreicht am Ende unseres 20-jährigen Beobachtungszeitraums seinen Höhepunkt mit etwa doppelt so vielen erteilten jährlichen Patenten in einer neuen Technologie.
Besonders interessant ist, dass Regionen, die in einer neuen Technologie wissenschaftlich führend sind, jedoch kein grosses Innovationspotenzial aufweisen (Science Pioneers), im Zeitverlauf einen grösseren Innovationsvorsprung erzielen als solche, die nur ein hohes Innovationspotenzial aufweisen (Innovation Strongholds). Das zeigt, wie wichtig eine starke wissenschaftliche Basis für Innovationen in neuen Technologien ist. Ohne diese ist es für Unternehmen in einer Region nahezu unmöglich, eine führende Rolle als Innovatorinnen in einer neuen Technologie einzunehmen – selbst wenn das Innovationspotenzial grundsätzlich hoch ist.
Was bedeuten diese Erkenntnisse für die Schweiz?
Unsere Ergebnisse zeigen, dass Regionen besonders erfolgreich bei Innovationen in neuen Technologien sind, wenn sie eine starke Grundlagenforschung und ein hohes Innovationspotenzial in der jeweiligen Technologie haben. Für die Schweiz könnte das beispielsweise bedeuten, dass wissenschaftliche Exzellenz gezielt dort gefördert wird, wo bereits ein starkes Innovationspotenzial besteht.
So könnte Basel als weltweit führender Standort in den Lifesciences den Aufbau wissenschaftlicher Exzellenz im Bereich künstliche Intelligenz (KI) für die Lifesciences vorantreiben. Zürich wiederum könnte als global bedeutender Finanzplatz eine führende Rolle in der wissenschaftlichen Forschung zu Fintech anstreben, um die Innovationskraft in diesem aufstrebenden Feld nachhaltig zu stärken. Dafür braucht es neben der wissenschaftlichen Exzellenz generell ein Umfeld, das Risikobereitschaft fördert, den Zugang zu Risikokapital für Start-ups sichert und Innovation durch kluge Regulierung begünstigt.
- Rutzer und Weder (2021) zeigen auf, wie die Schweiz im internationalen Vergleich ihre Position im Industriesektor so gut halten konnte. []
- Siehe Filimonovic et al. (2024). []
- Die Vorteile der geografischen Konzentration von Forschung und Innovation wurden in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung bereits untersucht. Zum Beispiel von Balland und Boschma (2022). Wir konnten nun erstmals zeigen, dass die Nähe zur Grundlagenforschung insbesondere in der Frühphase von Technologien wichtig ist. []
Literaturverzeichnis
- Balland, P.-A. und R. Boschma (2022). Do Scientific Capabilities in Specific Domains Matter for Technological Diversification in European Regions? Research Policy 51, 10 (Dezember).
- Filimonovic, D. et al. (2024). Does Early Regional Scientific Leadership Translate Into Lasting Innovation Advantage? WWZ Working Paper No. 11 (Oktober), University of Basel: Faculty of Business and Economics.
- Rutzer, Ch. und R. Weder (2021). De-Industrialisierung der Schweiz? Fakten, Gründe und Strategien im internationalen Vergleich, Cham: Springer Gabler.
Bibliographie
- Balland, P.-A. und R. Boschma (2022). Do Scientific Capabilities in Specific Domains Matter for Technological Diversification in European Regions? Research Policy 51, 10 (Dezember).
- Filimonovic, D. et al. (2024). Does Early Regional Scientific Leadership Translate Into Lasting Innovation Advantage? WWZ Working Paper No. 11 (Oktober), University of Basel: Faculty of Business and Economics.
- Rutzer, Ch. und R. Weder (2021). De-Industrialisierung der Schweiz? Fakten, Gründe und Strategien im internationalen Vergleich, Cham: Springer Gabler.
Zitiervorschlag: Filimonovic, Dragan; Rutzer, Christian; Weder, Rolf (2025). Schweizer Grundlagenforschung befeuert heimische Innovation in neuen Technologien. Die Volkswirtschaft, 08. April.