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Weltweit sind die Zölle weiterhin tief

Trotz der US-Zusatzzölle: Der Grossteil des Welthandels basiert weiterhin auf den WTO-Regeln und relativ tiefen Zöllen. Als mittelgrosse, exportorientierte Volkswirtschaft hat die Schweiz ein starkes Interesse, dass dies so bleibt.
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Der Grossteil des internationalen Warenhandels verläuft in ruhigen Bahnen. Über 80 Prozent unterliegen dem Meistbegünstigungsprinzip der WTO. (Bild: Keystone)

Nicht erst seit der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump beobachten Experten eine weltweite Rückkehr des Protektionismus. Doch seit Trump ist die US-Handelspolitik ganz offensichtlich von sicherheits- und industriepolitischen Interessen geprägt.

Um die aus Sicht von Präsident Trump problematischen bilateralen Warenhandelsdefizite mit Partnerländern zu verringern, setzt er insbesondere auf die Einführung von Zöllen: einerseits sektorale Zölle wie etwa den Zusatzzoll von 25 Prozent auf Stahl- und Aluminiumimporte und andererseits länderspezifische, «reziproke» Zölle wie die Zusatzzölle gegen die Schweiz[1] und andere Staaten, die vorübergehend ausgesetzt sind. Auf einen Grossteil der übrigen Wareneinfuhren ist seit dem 5. April 2025 ein 10-prozentiger Zusatzzoll zu entrichten. Chinesische Waren wurden vorübergehend sogar mit einem Zusatzzoll von bis zu 145 Prozent belegt.

Nicht nur die medienwirksamen US-Zusatzzölle haben die regelbasierte internationale Handelsordnung unter Druck gesetzt und zu Spannungen im Welthandelssystem geführt. Auch andere Länder haben durch staatlich gelenkte Wirtschaftspolitik und Subventionen Wettbewerbsverzerrungen geschaffen, die nicht im Einklang mit den WTO-Prinzipien stehen.[2] So etwa Exportrestriktionen für seltene Erden (China), ausgesetzte Rechte am geistigen Eigentum (Brasilien), Industriesubventionen für «grüne» Technologien wie Elektrofahrzeuge (China) oder Vorgaben für nachhaltige Lieferketten (EU).

Dennoch ist das mancherorts bereits verkündete Ende des regelbasierten Welthandelssystems stark übertrieben. Im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Gatt) der Welthandelsorganisation (WTO) dominiert weiterhin das Meistbegünstigungsprinzip (MFN).[3] Letzteres verlangt, dass WTO-Mitglieder alle Handelsvorteile, die sie einem Handelspartner gewähren, auch auf alle anderen Partner ausdehnen.

Grossteil des Handels ist noch regelbasiert

Trotz des zunehmenden Protektionismus und der Verbreitung von bilateralen oder regionalen Freihandelsabkommen werden über 80 Prozent des weltweiten Warenhandels gemäss dem Meistbegünstigungsprinzip der WTO abgewickelt (siehe Abbildung 1).[4] Die Relevanz und die Vorteile des regelbasierten Handels sind also ungebrochen.

Abb. 1: Grossteil der Weltimporte findet gemäss WTO-Meistbegünstigungsprinzip statt (2022)

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Quelle: Gonciarz und Verbeet (2025), eigene Darstellung der Autoren / Die Volkswirtschaft

Bemerkenswert ist, dass 5 Prozent des zollpflichtigen MFN-Handels potenziell für Präferenzzölle etwa in Freihandelsabkommen infrage kamen, die Unternehmen sie aber nicht beanspruchten – etwa wegen komplexer Ursprungsregeln oder hohen Verwaltungsaufwands.[5]

Handelsmassnahmen wie Antidumpingzölle, Ausgleichszölle oder unilaterale Zusatzzölle machten 2022 weniger als 3 Prozent des Handels aus.[6] All das bedeutet: Selbst wenn die USA ihre Importpolitik dauerhaft ausserhalb des WTO-Regelwerks gestalten (unter der Annahme, dass alles andere gleich bleibt), würden laut WTO-Daten immer noch 70 Prozent der Weltimporte nach dem MFN-Prinzip abgewickelt.

Auch Handelsliberalisierungen gibt es noch

Positiv ist, dass es trotz des Trends hin zu mehr Protektionismus auch Handelsliberalisierungen gab. So etwa hat Vietnam 2025 seine Importzölle auf elektronische Komponenten und Maschinen gesenkt, um die Produktion und den Export von Hightechprodukten zu fördern. Brasilien hat 2025 die Zolltarife für bestimmte Agrarprodukte und Rohstoffe reduziert, um die Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie zu steigern und die Inflation zu bekämpfen. Auch China hat in den letzten Jahren autonom seine Zölle in verschiedenen Sektoren gesenkt. Und die Schweiz hat 2024 alle ihre Zölle auf Industriegüterimporte abgeschafft und damit Wirtschaft und Konsumenten entlastet.[7] Der FHA-Monitor[8] des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigt, dass die Schweizer Unternehmen, welche 2023 die Freihandelsabkommen (FHA) nutzten, 2,2 Milliarden Franken an Zöllen einsparten. Bei den Importen betrug die Nutzungsrate der Zollpräferenzen 62 Prozent.

Tiefe Zölle

Seit der Gründung des Gatt 1947 und seiner Nachfolgeorganisation WTO im Jahr 1995 ist ein deutlicher Abwärtstrend bei den Zöllen zu beobachten (siehe Abbildung 2). In den sieben Zollsenkungsrunden des Gatt haben die Industrieländer ihre Zölle auf Industriegütern von durchschnittlich 40 Prozent im Jahr 1947 auf 6,4 Prozent im Jahr 1986 gesenkt. In der Uruguay-Runde (1986–1993) senkten sie die Zölle weiter auf durchschnittlich 3,9 Prozent[9], wobei die Agrarzölle stärker als die Industriezölle sanken. Eine WTO-Studie[10] zeigt, dass sich die effektiv angewandten Zölle (inkl. Präferenzzöllen) zwischen 1997 (6,2%) und 2021 (2,5%) mehr als halbiert haben. Auch wenn dafür nicht nur Zollsenkungen, sondern auch veränderte Handelsströme verantwortlich sind.

Gleichzeitig hat sich der weltweite Warenhandel seit 1996 mehr als vervierfacht auf 20,1 Billionen Dollar im Jahr 2022. Und auch wenn man die weltweiten Exporte und Importe am globalen BIP misst, hat sich der Anteil seit 1960 beinahe verdreifacht. Nimmt man die Dienstleistungen hinzu, hat sich der Anteil am globalen BIP seit den 1970er-Jahren mehr als verdoppelt (siehe Abbildung 2). Ein Teil des Dienstleistungshandels ist eng mit dem Warenhandel verknüpft, so etwa Handelsfinanzierung, Montage, Transport oder Versicherungen.

KMU und verarbeitendes Gewerbe profitieren

Vom Zugang zu globalen Märkten profitieren gemäss FHA-Monitor insbesondere KMU: Sie machen 61 Prozent der realisierten Zolleinsparungen aus. Ihre Integration in globale Wertschöpfungsketten fördert Wachstum, Produktivität, Innovation und Wissenstransfer. Voraussetzung dafür sind laut OECD funktionierende Märkte und faire Wettbewerbsbedingungen.[11] Gemäss Zahlen von 2018 schafft der Aussenhandel mehr als ein Drittel aller Arbeitsplätze in der Schweiz – die meisten davon im verarbeitenden Gewerbe. Rund die Hälfte dieser Arbeitsplätze entfällt auf mittel qualifizierte und hoch qualifizierte Arbeitskräfte.[12]

Vor 1960 exportierten die nördlichen Länder hauptsächlich Industrieprodukte und importierten Rohstoffe aus dem Süden (sogenannter Einweghandel). Nach 1960 fanden sowohl Exporte als auch Importe innerhalb derselben Industrie statt (sogenannter intraindustrieller oder Zweiweghandel). Dieser Handel mit Zwischenprodukten hat sich seither dynamischer entwickelt als der Handel mit Fertigprodukten (siehe Abbildung 2). Mittlerweile machen Zwischenprodukte fast die Hälfte der Schweizer Produktimporte aus.[13]

Spezialisierung senkt die Kosten, verbessert die Ressourcennutzung und fördert die wirtschaftliche Entwicklung. Doch diese Handelsstruktur macht die Schweizer Exportindustrie auch anfällig. Denn der Handel mit Zwischenprodukten reagiert empfindlicher auf Transportkosten oder Zölle, da die Waren oft mehrfach Grenzen überqueren.[14] In Regionen wie Nordamerika oder Europa mit fragmentierten Lieferketten sind Kostensenkungen für das Handelswachstum zentral. Die Schweiz als exportorientierte Volkswirtschaft hat deshalb ein grosses Interesse daran, die WTO-Regeln einzuhalten und weiterzuentwickeln.

Abb. 2: Zölle sinken, Handel nimmt zu (1947–2023)

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Anmerkung: Zwischen 1947 und 1997 liegt der Durchschnittszoll nur für einzelne Jahre vor. Der intraindustrielle Handel wird mittels Grubel-Lloyd-Index gemessen, der zwischen 0 und 1 liegt. Höhere Werte weisen auf einen grösseren Anteil des intraindustriellen Handels hin, was auf eine differenziertere und komplexere Handelsstruktur hindeutet, wie sie häufig in fortgeschrittenen Volkswirtschaften mit einer hoch entwickelten industriellen Basis anzutreffen ist.
Quellen: Durchschnittszoll in Prozent: (1947 bis 1980) Reduktion der Zölle im Industriebereich, gewogene Durchschnittszölle der Industrieländer, Bundesblatt 1994 Bd. IV, S. 134 (GATT Botschaft 1); Zölle zwischen 1996 und 2021: siehe WTO Analytical Database in: Snoussi-Mimouni und Drevinskas (2023); Weltweiter Waren / Dienstleistungshandel in Prozent des BIP: siehe Indikatoren WTO und Weltbank; Intraindustrieller Handel mit Zwischen- und Endprodukten, Grubel-Lloyd Index 5 Digit: siehe Brülhart (2009) / Die Volkswirtschaft

Wie sich zeigt, haben Zollsenkungen im Rahmen der WTO und mittels Freihandelsabkommen nicht nur zu einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft geführt, den Handel (insbesondere mit Zwischenprodukten) gefördert, globale Lieferketten etabliert und den Unternehmen neue Märkte eröffnet. Auch die Konsumenten profitierten von einer grösseren Produktauswahl zu günstigeren Preisen. Das regelbasierte multilaterale Handelssystem der WTO trägt massgeblich zum globalen Wohlstand bei und bleibt daher unverzichtbar für einen funktionierenden Welthandel.[15]

  1. Der im April angekündigte Zusatzzoll beträgt 31 Prozent auf Warenimporte aus der Schweiz. []
  2. Gemäss Auswertung der Global-Trade-Alert-Daten von Statista haben die USA von 2009 bis 2025 weltweit am meisten protektionistische Massnahmen umgesetzt, vor China und Brasilien. []
  3. Siehe auch den Artikel von Charlotte Sieber-Gasser in diesem Schwerpunkt. []
  4. Siehe Gonciarz und Verbeet (2025). []
  5. Siehe Gonciarz und Verbeet (2025). []
  6. Nicht reflektiert in Abb. 1. []
  7. Siehe Zimmermann (2023). []
  8. Siehe FHA-Monitor auf Seco.admin.ch. []
  9. Summe der gebundenen Zölle geteilt durch Anzahl der Zolllinien. []
  10. Siehe Snoussi-Mimouni und Drevinskas (2023). []
  11. Siehe OECD (2023). []
  12. Siehe Chiapin Pechansky und Lioussis (2024). []
  13. Gemäss World Integrated Trade Solution Database der Weltbank. []
  14. Siehe World Development Report (2009). []
  15. Siehe Anderson (2016). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Schluep, Isabelle; Spaeti, Gabriel (2025). Weltweit sind die Zölle weiterhin tief. Die Volkswirtschaft, 10. Juni.