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Risikogerechtere Ausgestaltung der ALV – eine Lösung für die Schweiz?

Risikogerechtere Ausgestaltung der ALV - eine Lösung für die Schweiz?

Die schweizerische Arbeitslosenversicherung (ALV) ist grösstenteils durch einen einheitlichen Beitragssatz von 2% auf Lohneinkommen finanziert. Die Risiken der Arbeitslosigkeit variieren im Gegensatz dazu je nach Branche, Region oder in Abhängigkeit persönlicher Merkmale recht stark, womit über die ALV erhebliche Umverteilungen stattfinden. Gewisse Umverteilungswirkungen beeinflussen indirekt das Verhalten der betroffenen Akteure und verringern damit die Effizienz der ALV oder gar des Arbeitsmarktes. Anhand des Beispiels unterschiedlicher Risiken nach Branchen und Unternehmen sollen in diesem Beitrag Vor- und Nachteile einer risikogerechteren Ausgestaltung der ALV diskutiert werden.

Versicherungen sind dazu da, individuell unvorhersehbare Risiken abzusichern, die sich kollektiv für eine Gruppe besser abschätzen und damit kosteneffizient versichern lassen. Versicherungsmärkte funktionieren dann problemlos, wenn Schadensfälle quasi zufällig auftreten und die Möglichkeiten der Versicherten zur Schadensbegrenzung oder -vermeidung gering oder für die Versicherung gut beobachtbar sind. Im Falle der Arbeitslosenversicherungen sind diese beiden Voraussetzungen nicht bzw. nur bedingt erfüllt.

Risiko der Arbeitslosigkeit variiert nach verschiedenen Merkmalen


Ein erstes Problem besteht darin, dass das Risiko der Arbeitslosigkeit systematisch nach bestimmten Merkmalen – wie Ausbildungsstand, Alter, Beruf oder Branche der Erwerbsperson – variiert. Eine private Versicherung würde in einer solchen Situation verschiedenen Risikogruppen unterschiedliche Versicherungsverträge anbieten. Individuen mit vorteilhaften Merkmalen – und damit tiefem Risiko – wären ansonsten nicht bereit, sich gemeinsam mit Personen mit höherem Risiko zu versichern und deren höhere Kosten mit zu tragen. In der Schweiz wird eine Risikoselektion durch eine einheitliche obligatorische Versicherungslösung vermieden. Man kann daher davon ausgehen, dass mit der ALV eine nicht unerhebliche Umverteilung von «guten» zu «schlechten» Risiken stattfindet.  Nun ist eine Umverteilung zwischen Risikogruppen nicht per se unerwünscht; sie kann sogar ein Zweck der Versicherung sein. Zweifellos spielt der Solidaritätsgedanke, wonach die Leistungsstärkeren die -schwächeren durch ihren Beitrag unterstützen, auch in der ALV eine wichtige Rolle. Anderseits kann eine solche Umverteilung Kosten in Form einer verringerten Effizienz der betreffenden Versicherung zur Folge haben.

Versicherungen können das Verhalten der Versicherten beeinflussen


Ein zweites Problem von Versicherungen besteht darin, dass ihre Existenz das Verhalten der möglichen Schadensverursacher beeinflussen kann. Da die Kosten eines Schadens durch das Kollektiv aller Versicherten getragen werden, sind individuelle Anstrengungen zu dessen Vermeidung weniger lohnend, als wenn der Schaden privat zu tragen wäre. Dieser Effekt wird im Fachjargon «Moral Hazard» – zu Deutsch «moralisches Risiko» – genannt. Sind die Anreize zur Schadensverringerung bzw. -vermeidung zu gering und ist die Versicherung nicht in der Lage, Aktivitäten der Versicherten zur Schadensminderung zuverlässig zu bewerten, so verringert sich die Effizienz einer Versicherung bzw. erhöhen sich deren Kosten und Prämien.  Möglichkeiten, die Suchanstrengungen von Stellensuchenden zu überprüfen und zu bewerten, sind in der Schweiz durch die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) gut ausgebaut. Dennoch ist eine perfekte Beobachtung kaum möglich oder würde sich zumindest nicht lohnen. Keine Instrumente gibt es dagegen in unserem System zur Beobachtung des Einstellungs- und Entlassungsverhaltens der Unternehmen, welches ebenfalls einen Einfluss auf das Arbeitslosenrisiko haben kann.

Höhere Effizienz durch mehr Risikogerechtigkeit


Eine risikogerechtere Ausgestaltung der Versicherung ist eine Möglichkeit, die beiden genannten Probleme zu entschärfen. Im ersten Fall unterschiedlicher Risikogruppen würde eine effizientere Lösung für die ALV darin bestehen, verschiedenen in sich möglichst homogenen Risikogruppen massgeschneiderte Versicherungsverträge anzubieten. Quersubventionierungen von guten zu schlechten Risiken würden damit unterbunden oder zumindest reduziert.  Die ökonomischen Auswirkungen einer solchen Lösung lassen sich an einem Beispiel illustrieren, bei dem die ALV-Lohnbeiträge entsprechend dem Arbeitslosenrisiko jeder Branche abgestuft würden. Branchen mit überdurchschnittlichen Arbeitslosenquoten hätten in diesem Fall die daraus resultierenden Kosten selber zu tragen. Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften würden in diesen Bereichen über die Erhöhung der Lohnnebenkosten gedämpft. A priori lässt sich nicht sagen, ob Lohnnebenkosten stärker auf das Arbeitsangebot der Arbeitnehmenden oder die Arbeitsnachfrage der Unternehmen wirken. Beide Effekte sind – unabhängig von der Frage, wer die Lohnnebenkosten formell bezahlt – denkbar. Umgekehrt würden die Lohnnebenkosten in Branchen mit unterdurchschnittlicher Arbeitslosenquote sinken, womit Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften in diesen Branchen stimuliert würden.

Umverteilungswirkung der ALV zwischen den Branchen


In Tabelle 1 sind die geschätzten Umverteilungen zwischen den Branchen einer risikogerecht abgestuften ALV – ausgehend von einem Gesamtbudget der ALV von 5 Mrd. Franken – aufgeführt. Dies entspricht grob gerechnet den Gesamteinnahmen der ALV im Jahr 2004 abzüglich der Retrozessionszahlungen für Grenzgänger und Kurzaufenthalter (vgl. Kasten 1). Das Vorgehen bei der Berechnung ist in Kasten 1 beschrieben. Gemäss dieser Schätzung sind es hauptsächlich drei Branchen, welche durch die ALV «subventioniert» werden: das Gastgewerbe (385 Mio. Fr.), der Bereich Handel und Reparaturgewerbe (241 Mio. Fr.) sowie der Bereich Immobilien, Informatik und Dienstleistungen für Unternehmen (204 Mio. Fr.). Grösste Nettozahler sind einerseits die vorwiegend öffentlichen Branchen des Unterrichtswesens (-316 Mio. Fr.), das Gesundheits- und Sozialwesen (-228 Mio. Fr.) und die öffentliche Verwaltung (-181 Mio. Fr.). Grösster Nettozahler der Privatwirtschaft waren die Finanzdienstleister (-103 Mio. Fr.).  In der zweiten Spalte der Tabelle ist zur besseren Einschätzung der absoluten Umverteilung ausgewiesen, um wie viele Prozentpunkte sich die ALV-Prämie von heute einheitlich 2% in jeder Branche verändern müsste, um das branchenspezifische Risiko im Jahr 2004 abzudecken. Die mit Abstand höchste Beitragserhöhung wäre dabei im Gastgewerbe mit zusätzlichen 5,5 Lohnprozenten zu erheben. Im Handel und Reparaturgewerbe wären es zusätzlich 0,8%, im Bereich Immobilien, Informatik, Dienstleistungen für Unternehmen 0,7% und im Baugewerbe 0,4%. Demgegenüber könnten die Branchen Unterrichtswesen (-1,5%), Energie- und Wasserversorgung (-1,1%), öffentliche Verwaltung (-1,0%), Gesundheits- und Sozialwesen (-0,9%), Verkehr und Nachrichtenübermittlung (-0,6%) sowie Kredit- und Versicherungsgewerbe (-0,5%) ihre Beiträge an die ALV verringern. Praktisch unverändert blieben die ALV-Prämien gemäss unseren Schätzungen in der Land- und Forstwirtschaft (+0,1%), in der Industrie (+0,2%) und bei sonstigen Dienstleistungen (-0,2%).  Das Umverteilungsvolumen – d.h. die Summe aller positiven Umverteilungen – beträgt rund ein Fünftel des Gesamtvolumens; das entspricht knapp 1 Mrd. Franken. Gesamtwirtschaftlich gesehen wäre ein Übergang zu nach Branchen differenzierten ALV-Beiträgen vor allem eine Entlastung für die öffentlichen Haushalte, während das Gastgewerbe mit beinahe einer Vervierfachung der ALV mit Abstand am härtesten getroffen würde. Der Handel müsste die ALV-Beiträge immerhin um rund 40% erhöhen. Ansonsten sind die hier ermittelten Umverteilungen in ihrer Grössenordnung wohl zu unbedeutend, um Struktureffekte grösseren Ausmasses zu induzieren.

Risikogerechtigkeit zur Reduktion des moralischen Risikos?


Keine Lösung bringt eine einfache Differenzierung nach Risikogruppen bezogen auf das Problem des moralischen Risikos. Innerhalb jeder Risikogruppe hat jede versicherte Person unverändert die Tendenz, die Kosten zu geringer Suchaktivitäten auf das Kollektiv der Versicherten abzuwälzen. Auch Unternehmen haben bei differenzierten Prämien unverändert keinen Anlass, ihr Einstellungs- und Entlassungsverhalten zu verändern. Sie werden die Kosten ihres Verhaltens daher weiterhin auf ihre inländischen Konkurrenten abwälzen. Um dem Problem des moralischen Risikos zu begegnen, ist somit direkt am Verhalten der einzelnen Akteure anzusetzen. Wie bereits erwähnt, geschieht dies bei den Stellensuchenden heute u.a. in den RAV. Zu geringe Suchanstrengungen – sofern diese direkt beobachtbar sind – werden durch Leistungskürzungen sanktioniert.

Risikobeteiligung der Arbeitgeber durch Experience Rating


Eine andere Methode zur Verminderung des moralischen Risikos wird in der Arbeitslosenversicherung in den USA verfolgt. Ansatzpunkt bildet hier allerdings nicht das Verhalten der Stellensuchenden, sondern dasjenige der Unternehmen. Die folgende Darstellung des Experience Rating orientiert sich hauptsächlich an derjenigen in: Bertelsmann Stiftung (2004, Hrsg.), Reform der Arbeitslosenversicherung, S. 29-40. Je mehr Entlassungen ein Unternehmen in den USA relativ zu seinem aktuellen Personalbestand ausspricht, desto höher fallen in der Folge die Zahlungen für die Arbeitslosenversicherung aus. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem «Experience Rating», wie es in allen Staaten der USA in leicht variierender Form angewendet wird.  Theoretisch handelt es sich bei diesem Verfahren um eine Art kollektiven Kündigungsschutz. Hauptsächliches Ziel ist dabei, vorübergehende Kündigungen – insbesondere in Branchen mit saisonal stark schwankender Nachfrage – durch eine «Strafsteuer» zu vermeiden. Verschiedene empirische Untersuchungen belegen denn auch die Wirksamkeit dieses Instruments bezogen auf die Vermeidung vorübergehender Entlassungen in den USA. Neben dieser Verringerung des Moral-Hazard-Verhaltens der Unternehmen führt eine Differenzierung von ALV-Beiträgen nach Unternehmen auch automatisch zu einer Differenzierung der durchschnittlichen ALV-Beiträge nach Branchen – und damit zu einem Abbau der Umverteilung zwischen diesen, wie sie oben für die Schweiz nachgewiesen wurde.

Vor- und Nachteile der Lösungen für die Schweiz

Differenzierung der ALV-Beiträge


Wie die obige Diskussion gezeigt hat, könnte die Effizienz der Schweizer ALV durch eine stärkere Berücksichtigung von Risiken erhöht werden. Bei einer Umsetzung über nach Branchen differenzierte ALV-Prämien hätte dies vorwiegend eine Entlastung von öffentlichen Unternehmen und Haushalten zur Folge, während die Branchen des Gastgewerbes und des Handels gegenüber heute in erheblichem Ausmass zusätzlich belastet würden.  Als Nachteil ist zunächst anzuführen, dass eine Differenzierung von ALV-Prämien nach Branchen einen nicht unerheblichen administrativen Zusatzaufwand verursachen würde, da man für jede einzelne Branche laufend eine eigene ALV-Rechnung führen müsste. Zum zweiten würden die Umverteilungen zwischen unterschiedlichen Risikogruppen innerhalb einer Branche bedeutender. So hätten Unternehmen mit sicheren Arbeitsplätzen die Kosten von Unternehmen mit instabiler Beschäftigung der gleichen Branche zu tragen, womit der Anreiz, stabile Beschäftigungsverhältnisse anzubieten, tendenziell sogar verringert würde.  Neben den ökonomischen und praktischen Argumenten dürften aus politischer Sicht besonders auch die Verteilungswirkungen von stärker nach Risiken differenzierten ALV-Prämien von Interesse sein. Ausgehend von den obigen Berechnungen wäre heute etwa damit zu rechnen, dass vor allem Unternehmen und Branchen, welche wenig qualifiziertes Personal beschäftigen, eine Erhöhung der Lohnnebenkosten zu erwarten hätten. Positiv dabei ist zu bewerten, dass in diesem Fall die Preissignale des Arbeitsmarktes deutlicher machen, dass sich der Erwerb einer höheren Qualifikation und die Wahl einer Branche mit sichereren Arbeitsverhältnissen lohnt. Andererseits dürfte auch unbestritten sein, dass Einkommenseinbussen für Haushalte mit geringen Lohneinkommen besonders schwer zu verkraften wären.

Experience Rating


Auch ein Experience Rating hätte grundsätzlich positive strukturelle Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft. Als zusätzlicher Nutzen dieses Systems ist anzufügen, dass insbesondere in stark saisonalen bzw. zyklischen Branchen so genannte temporäre Entlassungen vermindert werden könnten – mit entsprechenden Einsparungen für die ALV. In der Schweiz wären diesbezüglich vorwiegend im Gastgewerbe sowie in der Bau- und Landwirtschaft Einsparungen für die ALV zu erwarten.  Ein Nachteil des Modells besteht darin, dass es – wie andere Kündigungsschutzmassnahmen auch – einen negativen Effekt auf das Einstellungsverhalten der Unternehmen haben kann. Indem das Aufrechterhalten bestehender Arbeitsverhältnisse belohnt wird, verschärft sich die Insider-Outsider Problematik des Arbeitsmarktes. Besonders die Arbeitsmarktintegration von Schulabgängern und Wiedereinsteigerinnen werden dabei erschwert. Über die Wirkung gesetzlicher Kündigungsschutzmassnahmen auf den Arbeitsmarkt vgl. OECD (2004), «Employment Protection Regulation and Labour Market Performance»; in: Employment Outlook 2004, S. 61-125. Befristete Anstellungsverhältnisse, welche für viele Personen auch eine Brückenfunktion in eine feste Anstellung bilden, würden aus Sicht der Unternehmen weniger attraktiv. Das Gastgewerbe ist dafür bekannt, dass es viele Personen anstellt, welche aus anderen Branchen stammen bzw. in andere Branchen wechseln möchten. Diese Funktion würde durch Experience Rating eingeschränkt. Siehe dazu u.a. Arbeitsmarktbeobachtung Ostschweiz, Aargau und Zug (Amosa), 2005, Der Arbeitsmarkt im Gastgewerbe. Die Arbeitsmarktflexibilität würde damit tendenziell verringert, womit ein Teil der genannten strukturellen Vorteile eingebüsst würden.  Unter dem Strich kann eine stärkere Zurückhaltung im Einstellungsverhalten der Unternehmen sogar einen negativen Einfluss auf die Beschäftigung haben, wie einige empirische Untersuchungen für die USA zeigen. Vgl. Bertelsmann Stiftung (2004, Hrsg.), Reform der Arbeitslosenversicherung. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch zu erwähnen, dass die Arbeitslosenversicherung in den USA eine übliche maximale Bezugsdauer von einem halben Jahr kennt, während diese in der Schweiz heute bei eineinhalb bis zwei Jahren liegt. Entsprechend lägen die potenziellen Kosten einer Entlassung für ein Unternehmen in der Schweiz mit Experience Rating deutlich höher als in den USA, womit auch negative Beschäftigungseffekte bedeutender würden. Bezogen auf eine länger andauernde Arbeitslosigkeit erscheint auch die implizite Philosophie des Experience Rating unpassender, wonach entlassende Unternehmen für die Arbeitslosigkeit quasi ursächlich verantwortlich seien.  In technischer Hinsicht wäre ein Übergang zum Experience-Rating wohl machbar, wie die Erfahrung in den USA zeigt. Allerdings wären für die Schweiz erhebliche Anpassungskosten zu erwarten und viele Detailfragen zu lösen. Zunächst einmal müsste das Zahlungssystem der ALV darauf ausgerichtet werden, nach Unternehmen differenzierte Abrechnungen von einbezahlten ALV-Beiträgen der Unternehmen und Auszahlungen von ALV-Leistungen an ehemalige Mitarbeitende vornehmen zu können. Für spezielle Fälle – wie die Gründung von neuen Unternehmen, Unternehmenszusammenschlüsse, Betriebsabspaltungen etc. – müssten spezielle Regelungen geschaffen werden. Für beitragsbefreite Personen – wie z.B. Schulabgänger – wäre die Finanzierung separat zu regeln. Grundsätzlich stellte sich auch die Frage, wie mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen und mit ausländischen Kurzaufenthaltern zu verfahren wäre. Auch die Anrechnung von im Ausland geleisteten ALV-Beiträgen im Rahmen der EU-Personenfreizügigkeit wäre zu regeln. Diese unvollständige Liste von Anpassungen und Fragen zeigt, dass die Einführung von Experience Rating weit reichende Konsequenzen haben kann. Die Komplexität des Systems würde deutlich erhöht.

Schlussfolgerung


Das heutige System der ALV induziert erhebliche Umverteilungen zwischen verschiedenen Branchen, und es ist von Nutzen, solche Effekte offenzulegen. Dennoch drängt sich in unserer Beurteilung die Einführung von nach Branchen differenzierten oder unternehmensspezifischen ALV-Prämien nicht auf. Einem grossen zusätzlichen administrativen Aufwand und einer tendenziellen Verringerung der Arbeitsmarktflexibilität stehen relativ bescheidene positive Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur gegenüber. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Arbeitslosigkeit – und damit deren Kosten – in der Schweiz noch immer verhältnismässig tief sind. Auch hinsichtlich ihrer Verteilungswirkung dürften Massnahmen in Richtung stärkerer Risikodiversifizierung umstritten sein, da insbesondere viele unqualifizierte Arbeitskräfte mit geringen Lohneinkommen betroffen wären. Und hier steht heute weniger ein Überangebot an Arbeitsstellen als vielmehr die Problematik der ungenügenden Arbeitsmarktfähigkeit sowie ungenügender Arbeitsanreize im Zentrum der politischen Diskussion.

Kasten 1: Empirische Bestimmung der Umverteilung zwischen den Branchen durch die ALV in der Schweiz Um die Umverteilungswirkung der ALV zwischen den Branchen zu schätzen, benötigt man Informationen zu den einbezahlten Beiträgen sowie den ausbezahlten Leistungen der ALV differenziert nach Branchen. Vergleichsweise einfach gestaltet sich eine solche Auswertung auf der Leistungsseite, zumindest was die Auszahlungen von Arbeitslosen-, Kurzarbeits- sowie Schlechtwetterentschädigung betrifft, welche 2004 rund drei Viertel der Gesamtausgaben umfassten. Auf eine Aufteilung der administrativen Kosten sowie der Ausgaben für arbeitsmarktliche Massnahmen wurde hier verzichtet, womit implizit davon ausgegangen wird, dass sich diese proportional zu den ausbezahlten monetären Leistungen verhalten.

Schwieriger gestaltet sich die Aufschlüsselung auf der Einnahmenseite, da sich die Branchenzugehörigkeit der Einzahlungen in die ALV nicht aus dem Zahlungssystem ermitteln lässt. Man ist hier daher auf Schätzungen auf der Basis unterschiedlicher Datenquellen angewiesen. Anhand der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) des Jahres 2004 wurde die Brutto-Lohnsumme der unselbstständig erwerbstätigen Personen bis zum maximal versicherten Verdienst von jährlich 106800 Franken geschätzt. Der Anteil ausländischer Kurzaufenthalter nach Branche, die in der Sake nicht enthalten sind, wurde mit Hilfe der Zahlen des Zentralen Ausländerregisters (ZAR) ermittelt, womit ein Korrekturfaktor berechnet werden konnte. Auf eine Schätzung der Einnahmen von Grenzgängerinnen und Grenzgängern wurde verzichtet, da die ALV diese Einnahmen den Nachbarländern zurückvergütet (Retrozessionen).

Als Ergebnis der beiden Schätzungen erhält man die Branchenverteilung der versicherungspflichtigen Lohnsumme sowie der bezogenen Leistungen aus der ALV. Die Ergebnisse in Tabelle 1 zeigen sodann das Ausmass der Umverteilung zwischen den Branchen, wenn man von einem Gesamtbudget von 5 Mrd. Franken ausgeht. Dies entspricht in etwa den Erträgen der ALV im Rechnungsjahr 2004 abzüglich der Retrozessionen.

Angesichts der indirekten Schätzmethode zur Branchenverteilung der Einnahmen sind die Ergebnisse mit einiger Vorsicht zu interpretieren. Zudem handelt es sich um eine Momentaufnahme des Jahres 2004; es ist zu erwarten, dass sich dieses Bild über die Zeit verändert. Dennoch liessen einige Sensitivitätsberechnungen mit alternativen Datenquellen die Grössenordnung der hier ausgewiesenen Umverteilungen als plausibel erscheinen.

Zitiervorschlag: Bernhard Weber (2006). Risikogerechtere Ausgestaltung der ALV – eine Lösung für die Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. April.