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Cannabis: Der süsse Duft der Legalisierung

Hanf ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Politik prüft deshalb Alternativen zu einem Konsumverbot. Was würde ein Systemwechsel aus wirtschaftlicher Sicht bedeuten?

Cannabis: Der süsse Duft der Legalisierung

Produktion von legalem CBD-Hanf im Kanton Thurgau. Wird bald auch verbotenes Cannabis legalisiert? (Bild: Keystone)

In der Schweiz ist Cannabis seit 1951 illegal.[1] Ausgenommen ist das sogenannte CBD-Cannabis mit weniger als ein Prozent THC-Gehalt.[2] Dennoch stellen Hanf oder daraus hergestellte Betäubungsmittel die am weitesten verbreitete Genussdroge in der Schweiz dar. Rund eine halbe Million Personen in der Schweiz haben in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal Cannabis konsumiert.[3]

Seit einigen Jahren herrscht im Bereich der Cannabisregulierung jedoch eine erhebliche Dynamik. Dadurch sind verschiedene Länder weltweit von einem generellen Verbot abgerückt.[4] So haben etwa Uruguay, Malta, Kanada und verschiedene US-Bundesstaaten den Konsum ganz oder teilweise legalisiert. Weitere Länder wie etwa Deutschland erarbeiten derzeit eine Regulierungsänderung. Auch in der Schweiz hat sich die öffentliche Wahrnehmung zunehmend gewandelt: Gemäss einer Studie im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) würde eine Zweidrittelmehrheit bei einer allfälligen Volksabstimmung einer Legalisierung des Cannabiskonsums zu Genusszwecken zustimmen.[5] Hinzu kommt eine wachsende Zahl an Forschungsergebnissen, welche die Gründe, die Auswirkungen und die Wirksamkeit von Verboten infrage stellen.

Die Politik agiert

Die Schweizer Stimmbevölkerung hat in der Vergangenheit regelmässig Volksabstimmungen über die Regulierung illegaler Drogen, einschliesslich Cannabis, abgehalten. Letztmals 2008.[6] Da sich kein Vorstoss durchsetzen konnte und sich der allgemeine Regulierungsansatz seit den 1950er-Jahren kaum verändert hat, scheint das vorherrschende Verbot immer mehr in Konflikt mit dem Wandel in der Öffentlichkeit zu geraten.[7]

Zurzeit gibt es in der schweizerischen Politik eine Reihe von Vorstössen, die das Thema aufgreifen. So hat das Parlament im August 2022 etwa das Verbot von Cannabis zu medizinischen Zwecken aufgehoben. Ebenso hat es im März 2021 die Verordnung über Pilotversuche nach dem Betäubungsmittelgesetz beschlossen, welche «der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse» über die Auswirkungen, Instrumente und Vorgehensweisen bezüglich des Konsums von Cannabis zu nicht medizinischen Zwecken dienen. In verschiedenen Schweizer Städten sind nun verschiedene Pilotprojekte geplant, die unterschiedliche Regulierungsformen in einem zeitlich begrenzten Rahmen ausprobieren möchten. Bisher wurde ein derartiges Projekt in Basel-Stadt durch das BAG genehmigt.

Im April 2021 hat der Bundesrat eine Auslegeordnung zur Drogenpolitik bis 2030 formuliert. Auf dieser Basis scheint sich nun langsam eine politisch mehrheitsfähige Interessenkoalition zu bilden, die in der Cannabisregulierung neue Pfade gehen möchte. So sprach sich die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates im Oktober 2021 mit 9 zu 2 Stimmen dafür aus, die Gesetzgebungsarbeiten durch die Schwesterkommission des Nationalrates einzuleiten.

Um eine Diskussion zukünftiger Regulierungsformen von Cannabis diskutieren zu können, braucht es Fakten. Zu diesem Zweck haben das Bundesamt für Gesundheit (BAG), die Kantone Genf und Basel-Stadt sowie die Städte Bern und Zürich eine Studie mit zwei Zielen in Auftrag gegeben. Ausgeführt hat die Studie[8] das Zürcher Beratungsunternehmen EBP. Das erste Ziel der Studie war die Untersuchung der ökonomischen Effekte, die mit der aktuellen Regulierung von Cannabis in der Schweiz verbunden sind.

Eine Milliarde Umsatz

39,3 Tonnen Marihuana und 16,7 Tonnen Haschisch – so viel des illegalen Betäubungsmittels konsumiert die Schweizer Bevölkerung heute pro Jahr. Nicht darin enthalten sind Nischenprodukte wie Esswaren aus Hanf oder synthetische Cannabinoide.

Insgesamt wird heute im Schweizer Cannabissystem rund eine Milliarde Franken Umsatz jährlich generiert, so die Schätzung. Der jährliche Umsatz des Schweizer Marktes für Marihuana und Haschisch macht mit 582 Millionen Franken dabei gut die Hälfte aus. Hinzu kommen weitere direkte Effekte des Cannabismarktes, des Gesundheitswesens, der Polizei, der Rechtsprechung und des Justizvollzugs. Ebenfalls eingeschlossen sind die indirekten wirtschaftlichen Effekte, beispielsweise über Vorleistungen oder generierte Einkommen

Der im Produktionsprozess geschaffene Mehrwert – die sogenannte Bruttowertschöpfung – wird auf  673 Millionen Franken geschätzt. 428 Millionen Franken entfallen dabei auf direkte und 245 Millionen Franken auf indirekte Effekte. Die direkte Wertschöpfung entspricht damit etwa 0,06 Prozent des Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP) oder der Hälfte des BIP des Kantons Appenzell Innerrhoden. Ähnlich wertschöpfungsstarke Branchen in der Schweiz sind die Wasserversorgung oder die Herstellung von Autos und Autoteilen. Im Gegensatz zu diesen Branchen wurde der Cannabismarkt bisher allerdings nicht in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) erfasst, da er Teil der Schattenwirtschaft ist (siehe Kasten). Seit der neusten Revision der VGR enthält diese jedoch Schätzungen für die wichtigsten Drogen in der Schweiz.

Social Club für Cannabisraucher?

Als zweites Ziel sollte die Studie die ökonomischen Auswirkungen alternativer Regulierungsszenarien simulieren, die auf den Erfahrungen in anderen Ländern basieren. Dazu wurden drei vereinfachte Szenarien konstruiert:

  • Der Cannabis Social Club (CSC): Dieses Szenario geht von einem legalen Konsum und Besitz für den Eigenbedarf sowie einer nicht kommerziellen Legalisierung von gemeinschaftlicher Produktion in besteuerten Cannabis Social Clubs aus. Solche Clubs existieren beispielsweise in Uruguay und Spanien.
  • Stark reguliert: Das Szenario geht von einer kommerziellen Legalisierung des Markts mit sehr hohem Steuersatz aus. Hinzu kommt eine weitreichende, auf die öffentliche Gesundheit ausgerichtete Regulierung, die Produktionsstandards, Alterslimits und Werbeverbote beinhaltet. Die hohe Steuer führt zu einem Verkaufspreis in einer Höhe, die vergleichbar ist mit jener im aktuellen illegalen Markt.
  • Freier Markt: Im Vergleich zum Szenario «Stark reguliert» will diese Variante die cannabisspezifische Regulierung auf ein Minimum reduzieren und keine produktspezifische Steuer auf Cannabisprodukte erheben.

 

Die Simulation der volkswirtschaftlichen Effekte zeigt: Der heutige Umsatz des Cannabissystems von 1 Milliarde Franken könnte im «Freien Markt» auf knapp 200 Millionen Franken jährlich sinken. Im Szenario «Stark reguliert» wären es rund 275 Millionen und beim CSC rund 650 Millionen Franken. Ausschlaggebend für den Umsatzrückgang in den drei Szenarien ist der Wechsel in die Legalität, wodurch die Risikoprämie auf dem Cannabispreis entfällt. Diese Prämie macht heute weit über 90 Prozent des Marktpreises aus.

Legalisierung fördert inländische Produktion

Wegen der hohen Gewinnmargen aufgrund der Illegalität stammen im Status quo 43 Prozent des gesamten Umsatzes aus illegalen Aktivitäten und weitere 41 Prozent aus wirtschaftlichen Effekten, die indirekt durch Einnahmen aus den illegalen Aktivitäten ausgelöst werden. Beispielsweise durch cannabisinduzierte Konsumausgaben von Cannabisproduzenten und -händlern.

Legalisiert man das Cannabissystem, fallen diese illegalen Umsatzkomponenten weg, was den grossen Umsatzrückgang bei den drei alternativen Szenarien erklärt. Da die bisher illegalen wirtschaftlichen Aktivitäten nun legal sind, sinkt in der Folge teilweise auch der Umsatz in den Segmenten Justizvollzug, Rechtsprechung und Polizei (siehe Abbildung). Das ist der eine Effekt.

Der zweite Effekt ist, dass auch der Wert der verbleibenden wirtschaftlichen Aktivitäten zurückgeht. Denn aufgrund der wegfallenden Risikoprämie der Illegalität und wegen Skaleneffekten in der Produktion schwindet die Gewinnmarge. Und mit sinkenden Produktionskosten, Gewinnmargen und Verkaufspreisen sinkt folglich auch der Umsatz des Cannabismarktes.

Doch es gibt auch noch einen dritten Effekt. Und dieser zeigt in die andere Richtung. Denn mit einer Legalisierung ist auch die Rückführung der wirtschaftlichen Aktivitäten aus dem Ausland denkbar. Während beim Status quo und auch noch im CSC-Szenario ein Teil der Konsumnachfrage durch illegale Importe gedeckt ist, könnten diese Mengen in den beiden anderen Regulierungsszenarien im Inland produziert werden. Die Produktionspreise würden dabei allerdings deutlich unter dem aktuellen Importwert liegen.

Ein Teil des heutigen Umsatzes wird in den drei Regulierungsszenarien zudem als Steuer abgeschöpft. Beim CSC-Szenario (mit Preisuntergrenze und Umsatzsteuer) beträgt das Steueraufkommen rund 166 Millionen, beim Szenario «Stark reguliert» (mit einer gewichts- und wertbasierten Produktsteuer ähnlich wie Tabak) rund 464 Millionen Franken. Beim Szenario «Freier Markt», das nur die Mehrwertsteuer vorsieht, beträgt das Steueraufkommen 11 Millionen Franken. Doch auch im heutigen System ohne legalen Markt und ohne produktspezifische Besteuerung werden Steuern generiert: Insgesamt beträgt das Steueraufkommen 25 Millionen Franken, die grösstenteils aus Einkommens-, Mehrwert- und anderen Nettogütersteuern bestehen.

Bruttowertschöpfung und Steuerertrag im Cannabissystem: Vier Szenarien

Quelle: Hoff (2022) / Die Volkswirtschaft

 

Lehren für die Politik

Die Analyse zeigt vor allem eines: Das heutige Cannabisverbot bringt den beteiligten Akteuren beträchtliche Gewinne ein.

Die cannabisbezogene illegale Wirtschaftstätigkeit in der Schweiz wird aufgrund der damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen aktiv versteckt. Zudem befindet sich ein bedeutender Teil der Cannabis-Wertschöpfungskette ausserhalb der Schweiz. Diese beiden Gründe führen dazu, dass die heutige Regulierung den öffentlichen Behörden, abgesehen von der Polizei, jegliche Form des Marktzugangs verwehrt – sowohl in regulatorischer als auch in fiskalischer und gesundheitspolitischer Hinsicht (z. B. in Bezug auf Konsuminterventionen oder Produktqualität).

Allerdings: Die Regulierung sollte nicht primär wirtschaftlich motiviert sein. Sie hängt direkt mit den gesundheitspolitischen Zielen zusammen und sollte auch an diesen ausgerichtet werden. Dennoch sind ökonomische Überlegungen wichtig, weil sie dazu beitragen können, die nicht ökonomischen Regulierungsziele zu erreichen. Beispielsweise kann durch eine Besteuerung der Konsum gesteuert werden (ähnlich einer Tabaksteuer), durch Produktionsstandards und Kontrollen die Qualität und die Transparenz der Produkte verbessert werden und durch eine kompetitive Preissetzung in Verknüpfung mit Repression illegaler Produktion der Schwarzmarkt verdrängt werden.

  1. Siehe Bundesrat (1951). []
  2. In diesem Artikel bezieht sich das Wort Cannabis auf das in der Schweiz illegale Cannabis mit mehr als einem Prozent THC. []
  3. Siehe Gmel et al. (2017). []
  4. Siehe Kilmer (2017) sowie Philibert und Zobel (2019). []
  5. Siehe Sotomo (2021). []
  6. Siehe eidgenössische Volksinitiative «Für eine vernünftige Hanf-Politik mit wirksamem Jugendschutz». []
  7. Siehe (Cattacin 2012). []
  8. Hoff (2022). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Oliver Hoff (2023). Cannabis: Der süsse Duft der Legalisierung. Die Volkswirtschaft, 06. Februar.

Schattenwirtschaft in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung

Da die Wertschöpfung im Cannabissystem – und auch bei anderen Drogen – eine volkswirtschaftlich relevante Grösse ist, läuft derzeit eine Revision des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung (VGR) und damit verbunden auch der Schweizer VGR. Dabei sollen in einem ersten Schritt die illegalen ökonomischen Aktivitäten und in einem zweiten Schritt die gesamte Schattenwirtschaft integriert werden. Dies macht Sinn, da diese Aktivitäten in manchen Ländern legal und in anderen illegal sind. Ein internationaler Vergleich von Wirtschaftsleistung, Einkommensverteilung, Konsum und anderen makroökonomischen Grössen ist demnach nicht möglich, wenn diese nicht einheitlich statistisch erfasst werden.