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Non-Profit-Organisationen: ein Auslaufmodell?

Das Spendenverhalten verändert sich, und die Freiwilligenarbeit nimmt ab. Non-Profit-Organisationen stehen vor tiefgreifenden Herausforderungen.
Freiwilligenarbeit nimmt in der Schweiz seit zehn Jahren stetig ab. Ein Helfer des Schweizerischen Roten Kreuzes in Wabern BE. (Bild: Keystone)

Der Sektor der Non-Profit-Organisationen (NPO) ist in den letzten Jahren weltweit stetig gewachsen. Nie gab es mehr Organisationen, besser ausgebildete Mitarbeitende und mehr finanzielle Mittel. Dies lässt sich für die Schweiz verdeutlichen: Über 60 Prozent der heute existierenden Stiftungen sind nach dem Jahr 2000 gegründet worden, und die Hilfswerke mit Zewo[1]-Gütesiegel haben 2021 über 4 Milliarden Schweizer Franken eingenommen. Vor 20 Jahren waren es noch unter 2 Milliarden (siehe Abbildung).[2] Die aktuellen wirtschaftlichen, geopolitischen und gesellschaftlichen Veränderungen werfen jedoch die Frage auf, ob dies so weitergeht. In mehrfacher Hinsicht stellen sich aktuell besondere Herausforderungen, die die Entwicklung des NPO-Sektors beeinflussen.

Spendenvolumen in der Schweiz in Millionen Franken (2003–2021)

Quelle: Swissfundraising / Zewo / Die Volkswirtschaft
Anmerkung: Hochrechnung für alle Hilfswerke. Das hohe Spendenvolumen im Jahr 2005 ist auf das Seebeben in Asien zurückzuführen.

Die neue Generation spendet anders

Viele NPO sind auf private Spenden angewiesen. Dazu betreiben sie Fundraising. Die wichtigsten Fundraisinginstrumente sind dabei immer noch Briefe und Telefon – Kommunikationsmittel des 20. Jahrhunderts. Digitales Fundraising ist zwar im Kommen, doch können damit auch neue Spender gewonnen werden?

Jede Spendergeneration hat neue Präferenzen. Das Spendeninteresse der Nachkriegsgeneration liegt bei den Themen Kinder, Krankheiten und Behinderung.[3] Sie spendet im Schnitt 700 Schweizer Franken pro Person und Jahr. Die Generation Z, zwischen 1994 und 2009 geboren, will etwas bewegen, und zwar zeitnah. Sie spendet bevorzugt für den Umwelt- und den Tierschutz oder nach Katastrophen, im Schnitt 100 Schweizer Franken pro Person und Jahr. Für die NPO bedeutet dies, dass sie ihre Mittelbeschaffungsstrategie diesen Veränderungen anpassen müssen. Modernes Fundraising soll unterhaltsam, originell und crossmedial sein. Fundraisingkampagnen basierend auf der sogenannten Gamification – der Verwendung von Spielelementen – erreichen eine jüngere Generation und können durch spielerischen Ehrgeiz ein hohes Spendenvolumen generieren. So können beispielsweise bei einer Online-Spendenkampagne Aufgaben gelöst werden, die mit virtuellen Belohnungen wie digitalen Abzeichen oder realen Preisen motiviert werden. Dadurch steigert sich das Engagement der Spenderpersonen.

Der Staat finanziert direkt

Viel wichtiger als Spenden von Privaten ist der Staat als Geldgeber. Ändert der Staat seine Zahlungsmodalitäten, sind die subsidiär finanzierten NPO unmittelbar davon betroffen. Vermehrt fliessen staatliche Gelder nicht mehr direkt an die NPO, sondern werden den Klienten zur Verfügung gestellt. Diese suchen sich dann die NPO aus, deren Leistungsangebot ihren Bedürfnissen entspricht. So erhält beispielsweise ein gemeinnütziges Pflegeheim nur noch dann staatliche Gelder, wenn sich Leistungsempfängerinnen auch für ihre Pflegeleistungen entscheiden.

Diese Änderung in der staatlichen Finanzierung erhöht den Wettbewerbsdruck für NPO. Insbesondere jene im Sozial- und Gesundheitswesen sind von dieser Entwicklung betroffen. Infolge der UNO-Behindertenrechtskonvention von 2014 wurde beispielsweise die kantonale Versorgung für Menschen mit Beeinträchtigung angepasst. Denn wenn diese Gelder direkt erhalten, können sie selbstbestimmter leben. Pro Infirmis, die grösste Schweizer Fachorganisation in dem Bereich, bezieht ihre Klienten heutzutage bei allen von der Subjektfinanzierung betroffenen Prozessen ein. So können sie ihr Leistungsangebot besser auf die Bedürfnisse ihrer Klienten zuschneiden. NPO müssen in Zukunft dienstleistungsorientierter denken und ihr Angebot auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Klienten abstimmen.

Wandel der Freiwilligenarbeit

Neben gespendeten Geldern sind Freiwillige, die ihre Zeit und Arbeitskraft investieren, eine einzigartige Ressource für NPO. Viele Vorstands- bzw. Stiftungsratsmitglieder arbeiten ehrenamtlich. NPO sind für die Durchführung ihrer Aktivitäten auf Freiwillige angewiesen, beklagen jedoch einen Rückgang der Freiwilligenarbeit: Personen haben weniger Zeit oder Interesse, sich zu engagieren. Darüber hinaus verliert das Ehrenamt an gesellschaftlichem Ansehen.

Statistiken bestätigen, dass die formale Freiwilligenarbeit in der Schweiz seit zehn Jahren stetig abnimmt.[4]  Insbesondere junge Menschen möchten sich weniger langfristig verpflichten und engagieren sich lieber punktuell und über kurze Zeiträume. Bezeichnungen wie Micro-Volunteering verdeutlichen diese Entwicklung. Dennoch sind viele Angebote von NPO ohne Freiwillige nicht möglich. Zwar ist die Beschäftigungsquote in NPO in den letzten Jahren stetig gestiegen, damit aber auch die Kosten und die Notwendigkeit, mehr Mittel einzuwerben. Für NPO stellt sich die Herausforderung, ihre Freiwilligenarbeit den neuen Präferenzen in der Gesellschaft anzupassen.

Weniger politischer Einfluss

NPO, vor allem Verbände und Gewerkschaften, sind durch das Vernehmlassungsverfahren seit je aktiv in den politischen Willensbildungsprozess eingebunden. Unter anderem durch den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft haben diese NPO aber an Einfluss verloren. Stattdessen gewinnen im Zuge der Verstärkung globaler sozialer und ökologischer Probleme themenspezifisch ausgerichtete NPO an politischem Einfluss. So ist beispielsweise die Hälfte aller Stiftungen, die sich für den Klimaschutz starkmachen, in den letzten zehn Jahren entstanden.[5] Sie setzen sich nicht nur für konkrete Massnahmen, etwa zur Reduktion von Emissionen, ein, sondern fördern auch Lobbying und Advocacy-Kampagnen. Die Laudes-Stiftung setzt sich beispielsweise für eine nachhaltige Textilproduktion ein. Sie bringt dazu die wichtigsten Akteure aus der Textilbranche an einen Tisch, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Durch diesen Ansatz kann sie die politische Willensbildung auf nationaler und internationaler Ebene beeinflussen.

Datenschutz gewinnt an Bedeutung

Viele NPO sind für eine wirksame Zweckerfüllung auf Netzwerke, Beziehungen und Kontakte angewiesen. Was früher vor allem über persönliche Kontakte geschah, verlagert sich zunehmend in die digitalen Medien. Dadurch wird der Wirkungsradius der NPO erhöht, gleichzeitig nimmt die Regulierung in diesem Bereich zu. Datenschutzgesetze werden zur Abwehr von Grosskonzernen wie Google erlassen, gelten aber gleichermassen auch für jede NPO. Der verantwortungsbewusste Umgang mit Daten erfordert einen höheren bürokratischen Aufwand und Investitionen in die entsprechende Technik. Aber durch die digitalen Medien kann etwaiges Fehlverhalten einer NPO auch öffentlichkeitswirksam angeprangert werden. Die Entstehung einer digitalen Zivilgesellschaft steckt noch in den Kinderschuhen und hinkt aktuell der Digitalisierung in der Wirtschaft hinterher. Die NPO der Zukunft wird sich strategisch mit den Vor- und Nachteilen einer Nutzung von technologischen Innovationen sowie ihrer Onlinepräsenz auseinandersetzen müssen.

Zentrale Faktoren des Selbstverständnisses von NPO wie Finanzierung, Personalressourcen und politische Einflussnahme verändern sich. In diesem Licht betrachtet, neigt sich das goldene Zeitalter der NPO dem Ende zu. Gleichzeitig haben sowohl die Corona-Pandemie als auch die Folgen des Kriegs in der Ukraine gezeigt, wie wichtig NPO für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind. Daher ist kaum mit einem schnellen Ende der NPO zu rechnen, wohl aber werden sich die NPO den neuen Herausforderungen anpassen müssen. Am Ende ist die NPO der Zukunft nicht die gleiche wie jene der Vergangenheit.

  1. Die Zewo ist die Zertifizierungsstelle für gemeinnützige NPO, die in der Schweiz Spenden sammeln. []
  2. Siehe von Schnurbein (2022). []
  3. Siehe Leutenegger (2022). []
  4. Siehe Freitag et al., (2016). []
  5. Siehe Eckhardt et al. (2020). []

Literaturverzeichnis
  • Eckhardt B., Jakob D. et von Schnurbein G. (2020). « Rapport sur les fondations en Suisse ». CEPS Forschung und Praxis, vol. 21, SwissFoundation, Universität Zürich, CEPS, Bâle (partiellement en français).
  • Freitag M., Manatschal A., Ackermann K. et Ackermann M. (2016). Observatoire du bénévolat Suisse. Éditions Seismo, Zurich et Genève.
  • Leutenegger M. (2022). Wie und wofür die Generationen spenden. Das Spendenmagazin, novembre, 10–11.
  • Von Schnurbein G. (2022). « Der Nonprofit-Sektor in der Schweiz ». In: Meyer M., Simsa R. & Badelt Ch. (éd.): Handbuch der Nonprofit-Organisation, 6e éd., pp. 59-76

Bibliographie
  • Eckhardt B., Jakob D. et von Schnurbein G. (2020). « Rapport sur les fondations en Suisse ». CEPS Forschung und Praxis, vol. 21, SwissFoundation, Universität Zürich, CEPS, Bâle (partiellement en français).
  • Freitag M., Manatschal A., Ackermann K. et Ackermann M. (2016). Observatoire du bénévolat Suisse. Éditions Seismo, Zurich et Genève.
  • Leutenegger M. (2022). Wie und wofür die Generationen spenden. Das Spendenmagazin, novembre, 10–11.
  • Von Schnurbein G. (2022). « Der Nonprofit-Sektor in der Schweiz ». In: Meyer M., Simsa R. & Badelt Ch. (éd.): Handbuch der Nonprofit-Organisation, 6e éd., pp. 59-76

Zitiervorschlag: Georg von Schnurbein, Alice Hengevoss (2023). Non-Profit-Organisationen: ein Auslaufmodell. Die Volkswirtschaft, 09. März.