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Wie sich Unternehmen in die globalen Wertschöpfungsketten integrieren

Welcher Anteil eines Produkts einer Schweizer Firma wurde tatsächlich in der Schweiz produziert? Und wie viel tragen Schweizer Unternehmen als Zulieferer zu Produkten ausländischer Hersteller bei? Eine Untersuchung auf Firmenebene zeigt grosse Differenzen zwischen den Branchen auf: Während die Produktion einer Computermaus des Schweizer Herstellers Logitech überwiegend im Ausland stattfindet, konnten sich in der Medizinaltechnik bis heute alle Stufen der Wertschöpfungskette in der Schweiz halten.

In der heutigen Welt globaler Wertschöpfungsketten stammen die Bestandteile eines Produkts oft aus mehreren Ländern. Ebenso finden die Aktivitäten und Dienstleistungen, die nötig sind, um das Produkt auf den Markt zu bringen, in unterschiedlichen Ländern statt.

Das berühmteste Beispiel dafür sind die i-Produkte von Apple. Der iPod wurde zuerst mit dem Label «Made in China» gekennzeichnet. Doch Forschende haben aufgedeckt, dass die Wertschöpfung in China nur gerade 4 US-Dollar des US-Einzelverkaufspreises von 300 US-Dollar ausmacht. In China bauen Tieflohnbeschäftigte die Geräte zusammen, deren Komponenten aus fünf verschiedenen, vornehmlich asiatischen Ländern nach China importiert werden. Der Wert der Komponenten beträgt über 40% des Einzelverkaufspreises[1]. Einzelhändler und Verteiler in den USA erhalten 25% des Verkaufspreises, während 27% als Bruttogewinn zu Apple fliessen, wo das Gerät konstruiert, die Marke entworfen und der gesamte Produktionsprozess koordiniert wurde. In der Folge änderte Apple die Produktbezeichnung in «Designed in California, assembled in China».

Ein Forschungsprojekt des World Trade Institute (WTI) der Universität Bern im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) hat analysiert, wie Schweizer Unternehmen ihre eigenen Wertschöpfungsketten organisieren und wie sie an denjenigen anderer Firmen partizipieren. Untersucht wurden alle Stufen der Wertschöpfungskette, von der Produktidee, der Gestaltung sowie der Forschung und Entwicklung (F&E) über die Herstellung und die Montage der Komponenten bis hin zu Marketing, Verteilung und Verkauf an die Endverbraucher.

Die Waadtländer Computermaus «made in China»

Ein Teil der Studie befasste sich mit Wertschöpfungsketten einzelner Produkte. Sie konzentrierte sich auf zwei Computermäuse von Logitech, dem Weltmarktführer für Computerzubehör. Die 1981 im Kanton Waadt gegründete Firma hat Hauptsitze in Lausanne und in Kalifornien. Dank der Unterstützung von Logitech konnten wir zwei Mäuse untersuchen: das Basismodell M185 mit Standardtechnologie und die MX Performance, ein gestyltes Modell mit ausgeklügeltem Laser-Trackingsensor.

Die Wertschöpfungskette der Computermaus ist international stark gestreut: Die Aktivitäten verteilen sich auf neun verschiedene Länder. Das Label «Made in China» trifft für die Logitech-Maus jedoch deutlich besser zu als für die i-Produkte von Apple, fallen doch 60% der Produktionskosten jeder Maus (d. h. deren Wert ab Fabrik) in China an. Wie bei allen elektronischen Geräten werden die Komponenten der Mäuse in sechs oder sieben verschiedenen Ländern produziert und stammen von unabhängigen Zulieferern. Logitech kauft die Komponenten ein, anstatt sie selber zu produzieren – damit werden hohe Umrüstungskosten in der Produktion aufgrund häufiger Geräteanpassungen vermieden. Die Logitech-Mäuse beinhalten mehrere Teile aus chinesischer Produktion, dies im Gegensatz zu komplexeren Geräten wie portablen Musikplayern oder Mobiltelefonen, deren Komponenten nicht aus China, sondern aus Korea, Japan, Taiwan, Europa und den USA stammen. Weil Computermäuse zudem viel billiger sind als diese Geräte, machen die Fertigungskosten einen deutlich grösseren Anteil am Gesamtwert aus. Logitech muss die ständige Verfügbarkeit seiner Produkte garantieren können, da ein grosser – wenn auch abnehmender – Anteil der produzierten Mäuse direkt an Computerhersteller geht, die sie zusammen mit ihren eigenen Produkten im Bündel verkaufen. Deshalb werden die Mäuse in der Logitech-eigenen Fabrik in Suzhou, China, montiert. Im Gegensatz dazu lagern Firmen wie Apple die Produktmontage in selbstständige Unternehmen in China aus.

Welcher Anteil der Computermaus ist schweizerisch?

Computermäuse gehören zu den meistverkauften Produktlinien von Logitech. Die Präsenz des Hauptsitzes in der Schweiz hat zur Folge, dass der Anteil an der Gesamtwertschöpfung (inklusive Reingewinn), der in der Schweiz verbleibt, bedeutend höher ist als der Anteil des in der Schweiz beschäftigten Personals: Von den 7000 weltweit Beschäftigten arbeiten 4% in der Schweiz. Der eigentliche physische Beitrag der Schweiz zur Mausfabrikation ist jedoch sehr bescheiden. Nur gerade ein einziger Bestandteil – ein Sensor-Mikrochip der M185-Maus – wird von einer zur Swatch Group gehörenden Halbleiterfirma aus Neuenburg geliefert. Die F&E im Elektronikengineering sowie die Entwicklung der Marketingstrategie finden in den Büros von Logitech auf dem Campus der EPF Lausanne statt. Andere F&E-Aktivitäten – Maschinenbau, Softwareentwicklung und Industriedesign – werden in Irland, den USA, Taiwan und anderen asiatischen Ländern getätigt.

Die Kostennachteile der Schweiz in Segmenten der globalen Wertschöpfungskette, die auf niedrig qualifizierter Arbeit beruhen (z. B. Fertigung), sind offensichtlich. Doch weshalb beherbergt die Schweiz nicht grössere Teile der höheren Wertschöpfungssegmente, etwa der Produktentwicklung, der F&E oder der Herstellung elektronischer Komponenten? Schliesslich besitzt die Schweiz bedeutende entsprechende Fertigkeiten in Branchen wie Uhren oder industrielle Hard- und Software.

Im Bereich der Unterhaltungselektronik hängt die Position von Marktführern mit Spitzenmarken wie Logitech von ständiger Innovation und der Einführung neuer Produktarten oder -funktionen ab, um die Konsumenten zu Ersatzkäufen zu veranlassen. Die Innovationszyklen sind kurz: Eine neue Maus kann innerhalb von 18 Monaten bis zur Produktionsreife gebracht werden. Anpassungen an bestehenden Modellen sind noch viel häufiger.

Schwieriges Branchenumfeld in der Schweiz

In Interviews haben die Manager von Logitech zum einen auf die Lohnkosten in der Schweiz verwiesen. Grundsätzlich fehle es zum andern aber an einem «Business-Ökosystem[2]» für die Entwicklung von Unterhaltungselektronik. Die erste wichtige Eigenschaft eines solchen Ökosystems ist Grösse: Eine genügend grosse Nachfrage nach Bestandteilen für Unterhaltungselektronik führt zur Bildung einer Agglomeration von eigenständigen Unternehmen, von welchen ein Marktführer hoch qualifizierte Tätigkeiten einkaufen kann alternativ oder ergänzend zu hauseigenen Abteilungen mit ähnlichen Aufgaben. Dadurch werden die relevanten Tätigkeiten kostengünstiger: Einerseits sind die Lohnkosten geringer; ebenso wichtig ist jedoch andererseits die Reduktion der Suchkosten inklusive der dafür aufgewendeten Zeit. So gross Logitech mit seinem jährlichen Umsatz von über 2 Mrd. US-Dollar ist – das Unternehmen allein genügt nicht, um mit seiner Nachfrage die Agglomeration entsprechender Unternehmen zu generieren.

Eine zweite, vielleicht noch entscheidendere Schlüsseldimension eines solchen Ökosystems ist dieAnpassung der verschiedenen Elemente aneinander. Die Beziehungen zwischen einem Marktführer und seinen Zulieferern an Gütern und Dienstleistungen – ausser vielleicht die arbeitsintensiven, niedrig qualifizierten Grundschritte wie die Montage – sind für gewöhnlich langfristiger Natur. Denn beide Partner haben in die Beziehung investiert und sich den Anforderungen des Gegenübers angepasst. Die Zulieferer entwickelnspezifische Fähigkeiten, um den Bedürfnissen des Kunden zu entsprechen. Ein Wechsel des Zulieferers ist zwar möglich, aber kosten- und zeitintensiv sowie risikobehaftet. Die Gesamtheit dieser Umstellungskosten ist höher, wenn die Innovationszyklen wie im Fall der Unterhaltungselektronik kurz sind.

Der Unterschied zwischen generischen (allgemeinen)und spezifischen Fähigkeiten bedeutet, dass Unternehmen, die zum Beispiel im grossen Massstab Software für Telekommunikationssysteme entwickeln oder im Industriedesign tätig sind, sich nicht von vornherein als Zulieferer für Wertschöpfungsketten wie PC-Zubehör oder andere Bereiche der Unterhaltungselektronik eignen. Dennoch ist das Vorhandensein allgemeiner Fähigkeiten eine Voraussetzung für das potenzielle Entstehen von spezifischen Fähigkeiten und damit für das Entstehen eines Business-Ökosystems.

Eine dritte Eigenschaft von Business-Ökosystemen ist die Präsenz einer grossen Firmenvielfalt, die alle benötigten Funktionen abdeckt. Unterhaltungselektronik beinhaltet eine komplexe Mischung von Hardware, Software und Industriedesign. Für die Produktentwicklung braucht es Unternehmen, die über Know-how in all diesen Bereichen verfügen und miteinander interagieren. Denn es geht darum, nicht nur ein Einzelprodukt zu kreieren, sondern einen steten Fluss von neuen Produkten und Produkteigenschaften hervorzubringen.

Medizinaltechnik-Branche mit langen Innovationszyklen

Die schweizerische Medizinaltechnik-Branche, der zweite Schwerpunkt der WTI-Studie, dient als erfolgreiches Beispiel für die Entstehung eines solchen Business-Ökosystems. Es verdeutlicht die Bedeutung des Innovationsprozesses für die Umstellungskosten von Marktführer und Zulieferern und damit für die Standortwahl globaler Wertschöpfungsaktivitäten. In der Medizinaltechnik, zu der Implantate sowie Diagnose- und Behandlungsapparate gehören, sind die Innovationszyklen lang. Das liegt zum Teil an den sehr anspruchsvollen Standards, die umfangreiche Dokumentationen und Produkttests umfassen, um die Ansprüche der Endverbraucher sowie die regulatorischen Vorschriften zu erfüllen. Mit anderen Worten: Der Innovationszyklus wird von den Charakteristika der Regulierung, der Marktnachfrage und den Ansprüchen der Abnehmer gestaltet.

In den Interviews gaben die Manager der Schweizer Medtech-Unternehmen an, dass die Innovationszyklen bereits in den 1990er-Jahren fünf Jahre umfassten. Diese Zyklen hätten sich mit der Zunahme der regulatorischen Anforderungen seither noch verlängert und seien heute zum Teil doppelt so lang. Angesichts der Kosten und der Lebensdauer von Innovationen haben geistige Eigentumsrechte einen grossen Stellenwert bei den Überlegungen bezüglich der Auswahl von Zulieferern und Standorten in der Wertschöpfungskette. Bereits ab einem frühen Stadium sind Produktentwickler eng mit ihren Zulieferern von F&E- sowie Ingenieursleistungen verflochten, sodass ein Wechsel nahezu unmöglich wird (Lock-in-Effekt). Doch im Unterschied zur Unterhaltungselektronik haben es die längeren Innovationszyklen ermöglicht, dass die Medizinaltechnik generische Fähigkeiten für sich anpassen konnte, die in anderen Branchen (allen voran in der Uhren- und der Transportindustrie) bereits vorhanden waren.

Die Befragten haben speziell auf die Fähigkeiten der Uhrenindustrie bezüglich Feinmechanik auf Mikroebene verwiesen. Diese wurden auf medizinische Implantate wie Gelenkprothesen oder Hörgeräte übertragen. Winzige Maschinen wie Herzschrittmacher und Medikamentenpumpen müssen möglichst reibungsarm funktionieren, um den Energieverbrauch zu minimieren und die Lebensdauer der Batterien zu verlängern.

Ein Hersteller von Komponenten für Medikamentenpumpen

Ein interessantes Beispiel dafür, wie globale Wertschöpfungsketten in der Medizinaltechnik-Branche funktionieren, aber auch für den Lock-in-Effekt ist ein kleines Maschinenbau-Unternehmen im Kanton Jura. Es stellt mechanische Schlüsselkomponenten für eine implantierbare Medikamentenpumpe her, die von einer multinationalen US-Firma entwickelt wurde. Der ursprüngliche Kontakt zwischen der US-Firma und dem jurassischen Komponentenhersteller entstand durch eine Schweizer Ingenieurunternehmung, welche im Auftrag der US-Firma die Pumpe designt hatte. So waren die beiden Schweizer Unternehmen direkt im Produktdesign und im Prototypenbau involviert. Die US-Firma, der Marktführer, entschied sich schlussendlich dafür, die Montage in den USA und nicht in der Schweiz anzusiedeln. Trotzdem produziert das jurassische Unternehmen weiterhin die Komponenten, die anschliessend zur Weiterverarbeitung in die USA transportiert werden.

Die Schweiz verfügt in der Medizinaltechnik sowohl über Spitzenunternehmen, die in der globalen Wertschöpfungskette die Rolle als Produktentwickler innehaben, als auch über Zulieferer mit Kapazitäten in F&E, Engineering, Produktdesign und der Herstellung von Komponenten. Viele von diesen Unternehmen sind weltweite Branchenführer, die produktführende Schweizer Unternehmen übernommen haben. Andere haben einen bedeutenden Teil ihrer globalen Aktivitäten in der Schweiz angesiedelt, um von den in diesem Bereich vorhandenen Fähigkeiten zu profitieren.

Das Überleben der Produktführer als unabhängige Unternehmen in der Schweiz scheint jedoch eine Herausforderung zu sein. Ein Grund dafür ist, dass sogar die grössten global tätigen Firmen in dieser Branche die Option noch nicht wahrgenommen haben, mit der Verlagerung von Teilen der Produktion nach Asien oder in andere Länder mit tiefen Produktionskosten Kosten zu senken. Verhindert haben dies bisher zwei Faktoren: die Nachahmungsgefahr und die Qualitätsansprüche an das Produkt. Die Hersteller in Asien versorgen hauptsächlich den lokalen Markt. Deshalb ist die Schweiz nach wie vor Standort für die eigentliche Produktion in der Medizinaltechnik-Branche, bezüglich Komponentenherstellung wie auch Montage. Doch kleinere Unternehmen stehen zunehmend unter Kosten- und Wettbewerbsdruck anderer Standorte. Sie sind gezwungen, entweder ihre Produktpalette zu verkleinern oder sich durch gegenseitige Allianzen zu konsolidieren, um nicht durch grössere Firmen übernommen zu werden.

Kreative Ansätze in der Standortpolitik sind gefragt

Die Studie zu Schweizer Unternehmen und ihren individuellen Wertschöpfungsketten unterstreicht die komplexen Wechselwirkungen zwischen Produkt und Standort in der heutigen Welt. Zentral ist dabei, wie diese Wechselwirkungen durch die branchenspezifische Natur des Innovationsprozesses geformt werden. Der politische Diskurs und bestehende Politikansätze beginnen erst, den instinktiven Reflex des Protektionismus zu überwinden. Die Aufgabe besteht heutzutage nämlich darin, kreativere Ansätze zu entwickeln, um Wirtschaftsaktivitäten an einen Standort zu binden. Eine grosse politische Herausforderung für – regionale und nationale – Regierungen besteht beispielsweise darin, die Bildung von generischen Fähigkeiten in ihrem Zuständigkeitsgebiet zu unterstützen. Dies kann etwa durch Investitionen in das Bildungssystem, durch eine geeignete Migrationspolitik oder durch Unterstützung bei der Unternehmensentwicklung erfolgen.
  1. Vgl. Greg Linden, Kenneth Kraemer und Jason Dedrick (2009): Who Captures Value in a Global Innovation Network? The Case of Apple’s iPod, in: Communications of the ACM, March, Vol. 52 (3). []
  2. Ein Business-Ökosystem bezeichnet die Gesamtheit aller Akteure sowie deren Interaktionen innerhalb eines Wertschöpfungsnetzwerkes. Es umfasst zum Beispiel Firmen (Marktführer, Zulieferer, Konkurrenten), Kunden sowie Geschäftsmodelle. []

Zitiervorschlag: Michèle Glauser, Stephen Gelb, (2014). Wie sich Unternehmen in die globalen Wertschöpfungsketten integrieren. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.