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Wertschriftenumsatz an der SIX Swiss Exchange – wichtiger Indikator für die Wertschöpfung im Finanzsektor

Wertschriftenumsatz an der SIX Swiss Exchange - wichtiger Indikator für die Wertschöpfung im Finanzsektor

Mit einem Anteil an Bruttoinlandprodukt (BIP) und Beschäftigung, der zweibis dreimal höher liegt als in anderen europäischen Ländern, ist die Bedeutung des Finanzsektors für die Schweizer Wirtschaft offensichtlich. Zusätzlich beeinflusst der Finanzsektor in hohem Masse Richtung und Ausprägung der konjunkturellen Schwankungen. Dies war in den Boomjahren 2004-2007 der Fall und zeichnet sich auch jetzt seit einem halben Jahr ab – allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Dabei ist der Börsenhandel für einen wichtigen Teil der Wertschöpfung im Finanzsektor verantwortlich. Deshalb kommt dem Wertschriftenumsatz an der Schweizer Börse bei der Einschätzung der Wirtschaftsentwicklung eine entscheidende Rolle zu.

Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise betrug der Umsatz in den grössten 30 Schweizer Blue Chips (Swiss Leader Index) rekordhohe 14,4 Mrd. Franken (19.September 2008). Im März 2009 beläuft sich der durchschnittliche Wertschriftenumsatz für die gleichen Titel nur noch auf 3,7 Mrd. Franken pro Tag. Der Wertschriftenumsatz (in den Börsenstatistiken ist ganz einfach von «Umsatz» die Rede) ist der meistverwendete Massstab, um die Grösse des Börsenhandels zu quantifizieren. Gleichzeitig wird er zur Liquiditätsmessung für einzelne Aktien gebraucht.

Was wird gemessen?


Der Börsenbetreiber ist die Organisation, welche die Marktinfrastruktur unterhält und für einen geordneten, fairen und transparenten Markt sorgt. Zu seinen Aufgaben gehören die Schaffung eines effizienten öffentlichen Preisfindungsmechanismus, die vollständige Automatisierung der Abschlussverarbeitung sowie die Minimierung der verschiedenen mit dem Wertpapierhandel verbundenen Risiken, wie z.B. das Gegenpartei-, das Betriebsoder das Settlement-Risiko.  Innerhalb der SIX Group ist die SIX Swiss Exchange für den Betrieb des Handels mit Schweizer Aktien verantwortlich. 115 Banken sind europaweit auf dem System aktiv und geniessen die Vorteile der vorhandenen Konzentration der Liquidität (Liquidity Pooling). Zu diesem Zweck betreibt die SIX Swiss Exchange pro Wertpapier ein so genanntes «elektronisches Orderbuch», wo sämtliche Kauf- und Verkaufsaufträge in Echtzeit nach Preis-Zeit-Priorität sortiert werden. Der zentrale Computer findet innerhalb von Sekundenbruchteilen die bestmögliche Gegenpartei für den eingehenden Börsenauftrag und löst damit die automatische Ausführung der Kaufbzw. Verkaufsorders aus. Die Ausführung bedeutet, dass von zwei bzw. mehreren Aufträgen ein Abschluss zustande gekommen ist. Als Abschluss versteht sich eine verbindliche Verpflichtung, eine bestimmte Menge von Wertpapieren gegen einen bestimmten Betrag zu liefern. Der Umsatz ist der monetäre Wert der ausgeführten Abschlüsse. Arithmetisch wird für jeden Abschluss der Preis des Wertpapiers mit der Menge (Volumen) multipliziert. Falls die Transaktion in einer Fremdwährung stattfindet, wird der Betrag zwecks statistischer Eruierung in eine Aggregierungswährung umgerechnet. Die Umsatzstatistiken der SIX Swiss Exchange werden am häufigsten in Schweizer Franken aggregiert. Zu diesem Zweck ist im Börsensystem jeden Tag ein Wechselkurs Fixingwert Namens Change_Fix vorhanden.

Welche weiteren Anwendungen?


Als Messlatte kann der Wertpapierumsatz auf allen Granularitätstufen praktisch angewendet werden. Umsatzzahlen können beliebig für einzelne Titel, für einen ganzen Markt oder sogar über unterschiedliche Anlagekategorien aggregiert werden. Es existieren verschiedene abgeleitete Anwendungen der Umsatzzahlen, die eine absolute Verlässlichkeit der zugrunde liegenden Daten voraussetzen.  Nebst der Kapitalisierung der einzelnen Titel wird zum Beispiel der kumulierte Orderbuch-Umsatz für die jährliche Selektionsliste des Swiss Market Index (SMI) berücksichtigt. Eine starke Schwankung des Wertschriftenumsatzes einer Aktie kann zur Aufnahme im bekanntesten Schweizer Blue-Chips-Index bzw. zu ihrem Ausschluss führen. In der EU stützt sich die MiFID-Richtlinie auf quantitative Parameter, um Aktien gemäss Liquiditätsklassen einzuteilen. Der «Average Daily Turnover» (durchschnittlicher Tagesumsatz) bestimmt, welchen Pre-Trade- und Post-Trade-Transparenz-Anforderungen der Handel mit einer gewissen Aktie unterstellt wird. Die Transparenzanforderungen sind auf allen Aktienmärkten in der EU im Rahmen von MiFID harmonisiert worden.

Einfacher Massstab, aber anspruchsvolle IT Verarbeitung


Die Arithmetik ist sicherlich nicht der schwierige Teil in der Erhebung der Umsatzstatistik. Aus einer IT-Perspektive ist dagegen die Wahrung eines Handels in Echtzeit (10-20 Millisekunden Systemreaktionszeit) eine technologische Herausforderung. Genauso anspruchsvoll ist die kohärente und effiziente Verwaltung der historischen Daten, welche die Ex-post-Berechnung der Umsatzstatistik ermöglicht. Der Börsenhandel an der SIX Swiss Exchange generiert täglich rund 160000 Abschlüsse sowie mehrere Mio. Updates von gestellten Preisen. Damit übersichtliche Resultate und verlässliche Daten produziert werden können, müssen hoch automatisierte Prozesse diese permanente Datenlawine steuern. Es muss u.a. sichergestellt werden, dass jedem Abschluss eine einzigartige Trade-ID zugeteilt wird, damit jeder Abschluss eindeutig identifiziert wird und nur einmal in der Umsatzstatistik betrachtet wird. Die Datawarehouse der SIX Swiss Exchange speichert ca. 40 Mio. Datenzeilen nach jedem Handelstag.

Umsatz ist nicht der einzige, aber der meistverwendete Liquiditätsindikator


Unter Liquidität verstehen wir die Möglichkeit, jederzeit eine möglichst grosse Menge von Titeln zu einem möglichst vorteilhaften Preis zu kaufen bzw. zu verkaufen, ohne negative Kursausschläge auszulösen. Die Wissenschaft der Liquiditätsanalyse unterscheidet zwischen den sog. Pre-Trade-Indikatoren, die vor allem die Konstellation des Orderbuches vor der Ausführung von Aufträgen darstellen, und anderseits den Post-Trade-Indikatoren, welche die getätigten Abschlüsse analysieren. Umsatz gehört zu den Post-Trade-Liquiditätsindikatoren. In der gleichen Kategorie finden wir die Anzahl Abschlüsse, d.h., wie viele Ausführungen von Aufträgen zustande gekommen sind. Sie wird generell als zusätzliche statistische Dimension standardmässig mitgeliefert. Diese beiden Werte sind komplementär. Als dritter Post-Trade-Indikator ist das Volumen (Stückzahl) zu erwähnen, also die Anzahl der gehandelten Titel. Die Aussagekraft dieser statistischen Dimension kann jedoch über Zeit für dieselbe Aktie durch Kapitalereignisse – wie z.B. Splits – vermindert werden. Aufgrund der breiten Streuung der Marktpreise der Schweizer Aktien macht die Aggregierung des Volumens über den ganzen Markt wenig Sinn. Unter den SLI-Aktien weist Clariant den kleinsten Marktpreis von 4,56 Franken auf, während sich SGS als schwerste Aktie mit einem Preis von 1199 Franken (Schlussstand am 27.3.2009) behauptet. Der Umsatz ist gegenüber den erwähnten Verzerrungen immun und bleibt in allen Fällen aussagekräftig.  Zu den Pre-Trade-Liquiditätsindikatoren gehören unter anderen der Spread (Entfernung zwischen dem besten Geld- und dem besten Briefkurs im elektronischen Orderbuch) und die Markttiefe (wie dicht das Orderbuch mit Kauf-/Verkaufs-Aufträgen gefüllt ist). Im Vergleich zur Eruierung von Post-Trade statistischen Dimensionen verlangt die Berechnung der Pre-Trade-Indikatoren häufig einen zusätzlichen Quantensprung in der Komplexität der Datenverarbeitung, da das Datenuniversum aus bis zu mehreren Mio. Datenzeilen pro Tag besteht.

Internationale Standards


Die Konkurrenzlandschaft im Wertpapierhandel hat sich in den letzten Jahren drastisch verändert. Gewisse Börsenbetreiber sind international oder sogar global geworden. So betreibt Nyse Euronext beispiels weise Aktienmärkte in den USA, Frankreich, Belgien, Niederlande und Portugal. Nasdaq OMX betreibt Börsen in den USA sowie in Skandinavien. Damit vernünftige Vergleiche und Konkurrenzanalysen vervollständigt werden können, hat der Dachverband der Börsenbetreiber in Europa, die Federation of European Securities Exchanges (Fese), die Berechnungsmethodologie der Börsenstatistiken standardisiert. SIX Swiss Exchange ist Mitglied der Fese und berechnet entsprechend ihre statistischen Zahlen – wie z.B. den Umsatz – gemäss Fese-Standards.

Grafik 1 «Entwicklung des Aktienumsatzes an der SIX Swiss Exchange, Januar 2007-Februar 2009»

Kasten 1: Formel zur Berechnung des Wertschriftenumsatzes

Kasten 2: Anlagekategorien der SIX Swiss Exchange
Der gesamte Umsatz an der SIX Swiss Exchange und Scoach CH wurde im ersten Quartal 2009 zu 77,5% im Handel mit Aktien, zu 16% im Handel mit Anleihen, zu 3,5% im Handel mit ETF und Fonds sowie zu 2,9% im Handel mit strukturierten Produkten und Warrants generiert. Internet: www.six-swiss-exchange.com, «About us», «Exchange statistics», «Monthly Reports»; www.fese.eu , «Statistics & Market Research».

Zitiervorschlag: Marc Berthoud (2009). Wertschriftenumsatz an der SIX Swiss Exchange – wichtiger Indikator für die Wertschöpfung im Finanzsektor. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.