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Gute Arbeitsbedingungen fördern die Produktivität

Eine höhere Produktivität und bessere Arbeitsbedingungen sind kein Widerspruch: Dies zeigen von der Schweiz unterstützte Projekte in Entwicklungsländern.
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Konnte die Arbeitsbedingungen dank dem ILO-Programm «Better Work» verbessern: Kleiderfabrik Namyang Songmay in Vietnam. (Bild: Seco)

Angesichts des grenzüberschreitenden Charakters von Lieferketten spielen Arbeitsthemen bei der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit eine wichtige Rolle: Die Unternehmen und die Produzenten vor Ort müssen nationale Arbeitsnormen einhalten, die im Einklang mit internationalen Verpflichtungen und Konventionen stehen. Auch Konsumenten und Abnehmer pochen zusehends auf die Einhaltung dieser Standards. Gleichzeitig sollten die Vorschriften für die produzierenden Unternehmen keinen Wettbewerbsnachteil verursachen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) unterstützt die Partnerländer der Schweiz bei Arbeitsthemen rechtlich und technisch. Dafür arbeitet das Amt eng mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zusammen.

Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stellen weltweit rund zwei Drittel aller Arbeitsstellen und sorgen für einen wesentlichen Teil der Einkommen der Bevölkerung. Sie spielen daher eine Schlüsselrolle für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Allerdings sind KMU tendenziell oft weniger produktiv als Grossunternehmen, und die Einhaltung von Arbeits- und Umweltstandards stellt für sie vielfach eine gewaltige Herausforderung dar. Aus Sicht der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gilt deshalb: Wenn ein Unternehmen aufgrund guter Arbeitsbedingungen produktiver wird und seinen Marktanteil vergrössern kann, schafft es mehr und «bessere» Arbeitsplätze.

Um diesen positiven Kreislauf in Gang zu setzen, braucht es praktische Instrumente und evidenzbasierte Beratung. Deswegen unterstützt das Seco die beiden ILO-Programme «Better Work» und «Sustaining Competitive and Responsible Enterprises» (Score). Diese bilden das Rückgrat der Seco-Aktivitäten auf diesem Gebiet.

Das «Score»-Programm hat zum Ziel, die Produktivität und die Arbeitsbedingungen in kleinen und mittleren Zulieferbetrieben aus Entwicklungs- und Schwellenländern zu verbessern. Seit 2009 erhalten KMU in den Seco-Partnerländern Schulungen und Betriebsberatungen unter anderem zu Qualitätsmanagement, Arbeitssicherheit, kooperativer Personalführung und umweltfreundlichen Produktionsmethoden. In den Genuss des «Score»-Programms kommen beispielsweise KMU im verarbeitenden Gewerbe in Indonesien, in Ghana, in Myanmar und in Kolumbien – sowie Betriebe in der Agrarindustrie in Peru und in der Holzmöbelproduktion in Vietnam. In praktischen Schulungen erfahren die KMU, wie sich die Arbeitsbedingungen verbessern lassen. So werden sie auf eine internationale Ausrichtung vorbereitet (siehe Kasten).

Textilsektor im Fokus


Das Programm «Better Work» richtet sich hauptsächlich an Exportbetriebe im Bekleidungs- und Textilsektor. Es hilft den Unternehmen, die nationalen Arbeitsgesetze und die internationalen Arbeitsnormen einzuhalten. Darüber hinaus fördert es den Dialog zwischen den Stakeholdern und erarbeitet Lösungen, die von der Regierung, den Unternehmen, den Arbeitnehmenden und internationalen Einkäuferorganisationen getragen werden. Auf globaler Ebene entwickelt «Better Work» praktische Hilfsmittel zur Bewertung von Unternehmen betreffend Einhaltung von Arbeitsstandards.

Beide Programme haben zum Ziel, Fachwissen zu generieren und die Relevanz guter Arbeitsbedingungen für mehr Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit aufzuzeigen. Nebst der Schweiz nimmt bei «Score» auch Norwegen teil – bei «Better Work» sind es unter anderem Australien, Dänemark, Deutschland, die Niederlande und die USA. Diese breitere Abstützung ermöglicht es, eine Koalition für die identifizierten Lösungsansätze zu bilden.

Produktivität gesteigert


«Score» hat bisher in 15 Ländern Schulungen für mehr als 300’000 Arbeitnehmende durchgeführt. Die Investitionen in gute Arbeitsbedingungen zahlen sich betriebswirtschaftlich aus: So stieg die Produktivität in den insgesamt 1400 KMU um bis zu 50 Prozent. Gleichzeitig fielen bis zu 64 Prozent weniger Ausschussware an. Die Abfallmenge reduzierte sich um 48 Prozent, die Zahl der Arbeitsunfälle sank um 29 Prozent, und die krankheitsbedingten Personalausfälle gingen um 22 Prozent zurück (vgl. Abbildungen).

Abb. 1: Zeitersparnis beim Erreichen der Produktionsziele («Better Work», Vietnam)




Quelle: ILO / Die Volkswirtschaft

Abb. 2: Rentabilität Better Work», Vietnam)




Anmerkung: Innerhalb von vier Jahren stieg die Rentabilität um 25 Prozent.

Quelle: ILO / Die Volkswirtschaft

Eine Impact-Analyse des Programms «Better Work» zeigt: Firmen, die am Programm teilnehmen, sind weniger anfällig für den Einsatz von Zwangsmassnahmen. Zudem konnten die Fälle von sexueller Belästigung substanziell reduziert werden, und die Qualität der Arbeitsplätze wurde allgemein verbessert. Darüber hinaus trägt das Programm dazu bei, dass geschlechtsbedingte Lohngefälle reduziert werden. Aus Unternehmenssicht sind die Vorteile ebenfalls zahlreich: höhere Produktivität, geringere Mitarbeiterfluktuation, Rentabilitätssteigerung, bessere Geschäftsaussichten mit Grosseinkäufern und grössere Einkaufsaufträge.

Die Resultate der beiden Programme verdeutlichen, dass für Firmen kein Zielkonflikt zwischen besseren Arbeitsbedingungen und höherer Produktivität besteht. Nicht zuletzt profitieren auch Schweizer Unternehmen und Konsumenten, indem die Lieferketten nachhaltiger werden.

Lieferketten verantwortungsvoll gestalten


Das sich stetig verändernde Handelsumfeld macht Veränderungen unumgänglich. Gefordert sind auch die multinationalen Unternehmen: Im Rahmen der UNO-Agenda 2030 erwartet die Staatengemeinschaft, dass sie verantwortungsvoll handeln und einen Beitrag zum wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt leisten.[1] Besonderes Augenmerk gilt ihren Lieferketten – was sich oft in verschiedenen Auflagen und multiplen Audits für Zulieferer und KMU manifestiert. Damit eine verantwortungsvollere Beschaffungspraxis der internationalen Abnehmer zu mehr Nachhaltigkeit in die Lieferkette führt und negative Nebenwirkungen vermieden werden, braucht es eine gute Einbettung in die nationalen Reformbemühungen. Denn die Entwicklungsländer sind selbst für die Umsetzung besserer Arbeitsbedingungen verantwortlich: Sie müssen dafür sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden.

Eine weitere Herausforderung für die Arbeitspolitik ist die Digitalisierung, die bewirkt, dass sich bestehende komparative Vorteile ändern. Da die künftigen Formen der Arbeit und die Auswirkungen der Digitalisierung für Arbeitnehmende, Arbeitgeberseite und Regierungen zurzeit nur ansatzweise vorhersehbar sind, bleibt die technische Beratung eine Herausforderung. Umso wichtiger werden Investitionen in die Berufsbildung und Trainings, welche die Lücke zwischen vorhandenen Kompetenzen der Arbeitnehmenden und vom Markt nachgefragten Qualifikationen schliessen.

  1. Siehe auch OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: OECD (2018). OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct. []

Zitiervorschlag: Rubiolo, Monica (2019). Gute Arbeitsbedingungen fördern die Produktivität. Die Volkswirtschaft, 25. März.

Familienbetrieb in Myanmar verbessert seine Arbeitsabläufe

Bei Phyo Dana, einem Familienunternehmen in Myanmar, arbeiten rund 120 Angestellte. Die Firma stellt Snacks wie  Kartoffelchips und «Bean Sticks» her. Im April 2018 nahm Phyo Dana am ILO-Programm «Sustaining Competitive and Responsible Enterprises» (Score) teil. Um langfristiges und nachhaltiges Handeln im Unternehmen zu verankern, wurde ein «Enterprise Improvement Team» geschaffen. In diesem Komitee sind Mitarbeitende aller Produktionsstufen vertreten. Das Fazit fällt positiv aus: «Die Zusammenarbeit bei der Produktion hat sich verbessert», sagt der Produktionsleiter Maw Maw gegenüber «Score». Dank einer besseren Stimmung unter den Mitarbeitenden gebe es für ihn weniger Konflikte, bei denen er vermitteln müsse. Auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht hat sich das Programm gelohnt: «Wir arbeiten systematischer», sagt Maw Maw. Als Folge stieg die Produktivität.