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Die Agrarpolitik 2030+ ist ganzheitlich

Die zukünftige Agrarpolitik soll die gesamte Wertschöpfungskette im Lebensmittelbereich umfassen. Zentral ist auch eine Vereinfachung des Direktzahlungssystems. Ziel ist, den administrativen Aufwand für die Betriebe spürbar zu senken.
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Für mehr Nachhaltigkeit braucht es alle, von der Landwirtschaft bis zum Konsum. Karotten auf dem Rüeblimärit in der Aarauer Altstadt. (Bild: Keystone)

Im Jahr 2022 hat der Bundesrat in einem Bericht aufgezeigt, in welche Richtung sich die Land- und Ernährungswirtschaft bis 2050 weiterentwickeln soll. Seine Vision ist, die Ernährungssicherheit durch nachhaltige Ansätze von der Produktion bis zum Konsum zu stärken. Gemäss dem Zukunftsbild 2050 soll der Netto-Selbstversorgungsgrad[1] trotz wachsender Bevölkerung wieder auf über 50 Prozent steigen. Des Weiteren soll die Arbeitsproduktivität gegenüber 2020 um 50 Prozent erhöht und gleichzeitig die Treibhausgasemissionen der Produktion gegenüber 1990 um 40 Prozent und jene des Lebensmittelkonsums gegenüber 2020 um zwei Drittel reduziert werden (siehe Abbildung).

Im Mittelpunkt soll ein ganzheitlicher Ernährungssystemansatz stehen, der alle Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette umfasst: von den Landwirten über die Verarbeitung und den Detailhandel bis hin zu den Konsumentinnen. Zudem soll die Selbstverantwortung der privaten Akteure gestärkt werden.

Das Parlament unterstützt diese Pläne und hat den Bundesrat beauftragt, eine Vorlage zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2030 (AP30+) auszuarbeiten. Das Augenmerk soll auf vier zentralen Aspekten liegen: erstens die Ernährungssicherheit durch eine diversifizierte, inländische Nahrungsmittelproduktion mindestens auf aktuellem Niveau der Selbstversorgung gewährleisten. Zweitens den ökologischen Fussabdruck von der landwirtschaftlichen Produktion bis zum Konsum von Lebensmitteln reduzieren – dabei sind die Importe mitzuberücksichtigen. Drittens die wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven für die Land- und Ernährungswirtschaft verbessern. Und viertens das agrarpolitische Instrumentarium, insbesondere die Direktzahlungen, vereinfachen und den administrativen Aufwand reduzieren. Nachfolgend wird für jeden der vier Aspekte aufgezeigt, welche Ansätze bei der Erarbeitung der AP30+ vertieft werden und wie sich die agrarpolitischen Instrumente weiterentwickeln könnten.

Die Arbeitsproduktivität soll bis 2050 steigen, die Treibhausgasemissionen der Produktion sinken

INTERAKTIVE GRAFIK
Anmerkung: Der Zeitraum von 2000 bis 2023 zeigt die bisher beobachtete Entwicklung, der Zeitraum 2024 bis 2050 das mit dem Zukunftsbild 2050 angestrebte Ziel.
Quellen: Schweizer Bauernverband (SBV) / Agroscope / Bundesamt für Statistik (BFS) / Die Volkswirtschaft

Ernährungssicherheit sicherstellen

Der erste Aspekt beinhaltet, die Ernährungssicherheit weiter zu stärken. Ein Ansatz hierfür ist, die Ressourceneffizienz zu verbessern und standortangepasst zu produzieren. Zum Beispiel indem Milch primär mit der lokal gut verfügbaren Ressource Gras und mit möglichst geringem Einsatz von importiertem Kraftfutter produziert wird. Dazu werden «Best Practices» im Pflanzenbau und in der Tierhaltung ermittelt, die es erlauben, die Produktivität zu steigern und gleichzeitig externe Inputs wie Dünger oder Pflanzenschutzmittel zu reduzieren. Optimierungen in den Bereichen Zucht, Innovation und Technologieeinsatz spielen hierbei eine zentrale Rolle. Zum Beispiel können Jätroboter dafür sorgen, dass deutlich weniger Herbizide eingesetzt werden müssen.

Ausserdem soll die pflanzenbauliche Produktion vermehrt auf Kulturen wie Getreide, Sonnenblumen oder Eiweisserbsen umgestellt werden, die direkt für die menschliche Ernährung genutzt werden können, anstatt Futtermittel herzustellen. Das verbessert die Ressourceneffizienz ebenfalls. Wichtig dabei ist, dass sich das Angebot solcher Produkte mit der Nachfrage im Markt synchron entwickelt.

Ökologischer Fussabdruck reduzieren

Beim zweiten Aspekt, der Reduktion des ökologischen Fussabdrucks, ist es wichtig, nicht nur die Landwirte, sondern alle Akteurinnen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, inklusive Konsum, mit einzubeziehen. Ein möglicher Ansatz sind Zielvereinbarungen mit dem Detailhandel. Darin könnten beispielsweise Ziele zur Steigerung des Absatzes von robusten Früchte- und Gemüsesorten oder zur Reduktion der Treibhausgasemissionen enthalten sein. Das gäbe dem Detailhandel einen Anreiz, vermehrt nachhaltigere Produkte ins Sortiment aufzunehmen, und würde es den Konsumenten gleichzeitig einfacher machen, nachhaltige Konsumentscheide zu treffen.

Auch im internationalen Handel soll die ökologische Nachhaltigkeit in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen. Dazu wird eine produktspezifische Datenbank mit Ökobilanz-Indikatoren viel gehandelter Produkte entwickelt. Diese soll als Grundlage dienen, um zukünftige Handelsabkommen verstärkt an Nachhaltigkeitskriterien auszurichten.

Wirtschaftliche und soziale Perspektiven verbessern

Der dritte Aspekt, die Stärkung der wirtschaftlichen und sozialen Dimension der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft, ist ein zentrales Element der AP30+. Dazu werden Wertschöpfungs- und Kostensenkungspotenziale analysiert und Ansatzpunkte gesucht, damit diese Potenziale künftig noch besser ausgeschöpft werden können. So wird beispielsweise geprüft, wie bestehende agrarpolitische Instrumente im Bereich der Innovationsförderung optimiert und die landwirtschaftliche Bildung und Beratung gestärkt werden könnten. Dies soll die Landwirte darin stärken, die für sie geeignete Strategie zur Steigerung der Wertschöpfung und zur Senkung der Kosten zu definieren.

Zur Steigerung der Wertschöpfung könnten landwirtschaftliche Betriebe ihre Produkte differenzieren, etwa durch den biologischen Landbau oder die integrierte Produktion. Auch die Diversifizierung in landwirtschaftsnahe Tätigkeiten wie die Produktion von erneuerbarer Energie könnte mehr Wertschöpfung generieren. Um Kosten zu senken, könnten sich die Betriebe auf besonders rentable Betriebszweige spezialisieren oder die überbetriebliche Zusammenarbeit intensivieren, was mit grösseren Skaleneffekten einhergeht. Zudem werden Massnahmen analysiert, um die Transparenz der Preisbildung entlang der Wertschöpfungskette zu verbessern und die Position der Landwirtschaft gegenüber den Abnehmern zu stärken.

Instrumentarium vereinfachen und Aufwand reduzieren

Die Weiterentwicklung des agrarpolitischen Regelwerks hat in der Vergangenheit zu einer höheren Komplexität und zu einem stetig ansteigenden administrativen Aufwand für die Landwirtschaftsbetriebe geführt. Die AP30+ soll hier eine Trendwende bewirken: Durch mehr Selbstverantwortung sowie eine Vereinfachung des Direktzahlungssystems soll die Komplexität reduziert und der administrative Aufwand für die Betriebe spürbar gesenkt werden. Im Zentrum der Diskussion stehen Ansätze wie eine stärker indikator- bzw. ergebnisbasierte Ausgestaltung der Direktzahlungen oder die Ablösung von Direktzahlungsprogrammen durch marktwirtschaftliche Instrumente, um den effizienten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oder Kunstdünger zu fördern. Die Digitalisierung soll zusätzlich zur Reduktion des administrativen Aufwands beitragen und kann in Teilen bereits vor 2030 umgesetzt werden.

Derzeit laufen die Vorbereitungsarbeiten unter Einbezug der verschiedenen Stakeholder. 2026 soll die AP30+ in die Vernehmlassung geschickt werden. Ziel ist es, dem Parlament mit der AP30+ eine ambitionierte und politisch mehrheitsfähige Vorlage zu präsentieren, welche die Land- und Ernährungswirtschaft unterstützt, einen substanziellen Schritt in Richtung des Zukunftsbilds 2050 zu machen.

  1. Der Netto-Selbstversorgungsgrad berechnet sich aus den in einem Land konsumierten Lebensmitteln, die aus inländischer Produktion stammen, abzüglich der Produktion, die auf importierten Futtermitteln basiert. []

Zitiervorschlag: Lanz, Simon; Leimgruber, Miriam (2024). Die Agrarpolitik 2030+ ist ganzheitlich. Die Volkswirtschaft, 10. Dezember.