
Die Schweizer Handelsabhängigkeit von China nimmt tendenziell zu, so etwa bei Laptops. (Bild: Keystone)
Mit zunehmenden geopolitischen Spannungen wird auch die Handelspolitik wieder vermehrt genutzt, um andere Länder unter Druck zu setzen. Jüngst drohte etwa der wiedergekehrte US-Präsident Donald Trump, zur allfälligen Annektierung des Panamakanals und Grönlands neben militärischen auch ökonomische Mittel einzusetzen. Ganz generell basieren Handelssanktionen wie diejenigen gegen Russland darauf, über bestehende Abhängigkeiten Druck auszuüben. Deshalb wollen viele Staaten solche Abhängigkeiten vermeiden.
Vor einigen Jahren nahmen die EU[1] und die USA ihre Abhängigkeiten etwa bei Mikrochips oder Rohstoffen unter die Lupe. Auch die Schweiz hat infolge zweier Postulate aus dem Nationalrat ihre Handelsabhängigkeiten analysiert.[2] Der Bundesrat veröffentlichte dazu im Mai 2024 den Bericht «Handelsabhängigkeiten der Schweiz»[3].
Nur wenige Abhängigkeiten für die Schweiz
Als Handelsabhängigkeiten werden Güter bewertet, die gleichzeitig nur aus zwei bis drei Herkunftsländern importiert werden, von denen die Schweiz mehr importiert als exportiert und für die weltweit nur wenige alternative Bezugsquellen existieren. Von indirekten Abhängigkeiten spricht man dann, wenn die Abhängigkeiten bei vorgelagerten Produktionsschritten entlang der Wertschöpfungskette auftreten, bevor die Güter in die Schweiz gelangen.
Tendenziell nehmen diese Abhängigkeiten seit 2011 zu. Das gilt insbesondere für Importe aus China, etwa bei Gütern wie Laptops oder Uhrengehäusen aus unedlen Metallen. Doch insgesamt sind die Handelsabhängigkeiten der Schweiz überschaubar und betreffen wertmässig weniger als 2 Prozent der Schweizer Warenimporte (siehe Abbildung 1).
Konkret sind 195 Güter von Abhängigkeiten betroffen. Jedoch stuft der Bundesrat die allermeisten davon als unproblematisch ein (darunter etwa Blumen aus den Niederlanden, Regenschirme aus China oder Ahornsirup aus Kanada). Zwar fallen 18 der aufgelisteten Güter unter das Landesversorgungsgesetz, was bedeutet, dass sie zu einer Produktkategorie gehören, für die Pflichtlager gehalten werden. Allerdings werden diese Güter aus diversen Ländern importiert und sind bei Bedarf gut substituierbar (z. B. Haselnüsse oder Kokosnussöl).
Abb. 1: Handelsabhängigkeiten von China nehmen auf tiefem Niveau zu (2001–2021)
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Nur 14 Güter betreffen kritische Infrastrukturen. Nennenswert sind dabei Laptops, die primär aus China importiert werden. Sie machen wertmässig die Hälfte der identifizierten Abhängigkeiten aus. Auch Flugkampfsimulatoren und Baukräne gehören dazu. Der Bericht zeigt zudem, dass die Schweizer Importe von in der Politik besonders häufig als kritisch eingestuften Gütern wie Halbleitern oder Solarzellen relativ diversifiziert sind, auch wenn die indirekten Abhängigkeiten bei der Photovoltaik jüngst zugenommen haben.
Im internationalen Vergleich weisen Deutschland, Frankreich und Italien leicht höhere Importanteile mit identifizierten Abhängigkeiten auf als die Schweiz – auch wenn Frankreichs und Italiens Handelsabhängigkeiten mit Ausnahme von 2020 stark gesunken sind. Bei unseren Nachbarländern sind die Abhängigkeiten gegenüber China ebenfalls am ausgeprägtesten – dies gilt vor allem für Deutschland und Frankreich.
Rahmenbedingungen statt Subventionen
Es sind auch Deutschland und Frankreich, die mit der Reduktion ihrer Handelsabhängigkeiten zunehmend versuchen, industriepolitische und protektionistische Massnahmen zu legitimieren. So sprach Deutschland etwa einen Förderbeitrag von 10 Milliarden Euro für eine Chipfabrik des US-Halbleiterherstellers Intel in Magdeburg – das Projekt wurde übrigens mittlerweile vom Konzern auf Eis gelegt. Frankreich hingegen setzte sich stark für Schutzzölle gegen chinesische Elektrofahrzeuge ein, um die lokale Autoindustrie zu schützen. In der Schweiz entschied der Bundesrat im Mai 2024, auf eine solche vertikale Industriepolitik, die nur einzelnen Unternehmen und Branchen dient, auch in Zukunft zu verzichten.[4] Ihm zufolge führen nicht wettbewerbsverzerrende Subventionen, sondern kontinuierliche Verbesserungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu einer nachhaltigen Stärkung des Wirtschaftsstandorts Schweiz. Denn diese erlauben letztlich auch eine langfristige Senkung der Produktionskosten von Unternehmen.
Hingegen haben die milliardenschweren Subventionen für Batteriehersteller und die Schutzzölle für Elektrofahrzeuge nicht nur negative Auswirkungen auf Steuergelder, Wohlfahrt und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft.[5] Oft wird vergessen, dass diese Abhängigkeiten nur vorübergehend sind und allenfalls gar nicht mehr bestehen, wenn die staatlich geförderten Fehlinvestitionen erst einmal implementiert sind: In Deutschland oder Frankreich verschwindet die Hälfte der Abhängigkeiten nach rund zehn Jahren, in der Schweiz geschieht dies schon nach zwei bis fünf Jahren. Die Schweizer Unternehmen scheinen sich demnach schneller an Lieferschwierigkeiten anzupassen.
Probleme bei Analysen von Abhängigkeiten
Die Resultate solcher Abhängigkeitsanalysen, wie sie auch im Bericht des Bundesrats vorkommen, sind jedoch mit Vorsicht zu geniessen. Denn ihre Qualität ist stark von der Güte der Daten abhängig. Internationale Handelsdaten bei Heilmitteln beispielsweise sind zu aggregiert, um Abhängigkeiten zu identifizieren. Und auch auf Firmenniveau sind international vergleichbare Daten nur ungenügend vorhanden, um indirekte Abhängigkeiten zu identifizieren.[6]
Deshalb setzen etwa die USA oder die EU seit jüngster Zeit verstärkt auf detaillierte Untersuchungen konkreter, politisch sensibler Sektoren. Doch auch solche Untersuchungen haben Nachteile. Sie sind mit einem sehr hohen Aufwand für die betroffenen Unternehmen verbunden, da die benötigten, granularen Daten erst erhoben werden müssen. Zudem erlauben solche Erhebungen tiefgreifende staatliche Einblicke in die betroffenen Unternehmen, was unter anderem aus Datenschutzgründen problematisch ist. Und solche Analysen sind sehr schnell überholt.
Unternehmen wissen am besten Bescheid
Aufgrund all dieser Unsicherheiten und Mängel ist ein gutes Risikomanagement der Unternehmen umso wichtiger. Sie kennen ihre Lieferketten und ihre Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten am besten und können die Situation kompetent beurteilen. Unternehmen und Investoren sind auch am besten in der Lage, Lieferkettenstörungen zeitnah zu identifizieren und sofort zu reagieren. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) bestätigt dies. Schweizer Industrieunternehmen haben diverse Massnahmen infolge der letzten Krisenjahre implementiert, um ihre Resilienz zu stärken. Dabei setzten sie vor allem auf eine Diversifizierung ihrer Zulieferer (siehe Abbildung 2).
Abb. 2: Schweizer Unternehmen diversifizieren Zulieferer und vergrössern Vorratshaltung (2021–2024)
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Staaten können subsidiär unterstützen
Länder können diese unternehmerischen Massnahmen sinnvoll mit einer Lieferkettenpolitik ergänzen (siehe Kasten). Einerseits indem sie die Rahmenbedingungen für die Diversifizierungsmöglichkeiten ihrer Unternehmen schaffen. Aus Schweizer Perspektive sind hier etwa die Aufhebung der Industriezölle per Januar 2024 oder die jüngst unterzeichneten Freihandelsabkommen mit Indien, Thailand und dem Kosovo zu erwähnen. Neben solchen klassischen Massnahmen ist die Schweiz auch für neue internationale Initiativen zur Stärkung der Lieferketten offen.[7]
Andererseits braucht es gezielte nationale Massnahmen. Denn allfällige Abhängigkeiten bei gewissen Gütern sind mit sicherheits- und versorgungspolitischen Risiken verbunden. Dies betrifft etwa lebenswichtige Güter wie Heil- und Nahrungsmittel sowie kritische Infrastruktur. Entsprechend unterstützt der Bund die Massnahmen der Unternehmen subsidiär, etwa mit der wirtschaftlichen Landesversorgung oder der nationalen Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen. Deshalb hält der Bundesrat etwa Pflichtlager[8] von lebenswichtigen Gütern, er erarbeitet Kontingentierungspläne bei allfälligen Verknappungen und unterstützt die Cybersicherheit der kritischen Infrastruktur. Zudem wird etwa das Landesversorgungsgesetz aktuell revidiert.
- Siehe Europäische Kommission (2021). []
- Siehe Postulat 22.3405 der Sozialdemokratischen Fraktion und Postulat 23.3543 von Samira Marti. []
- Siehe Bundesrat (2024). []
- Siehe Medienmitteilung vom 22.5.2024: «Ausländische Industriepolitik hat begrenzte Auswirkungen auf die Schweiz». []
- Siehe Indergand (2023). []
- Siehe Artikel von Catherine Mac Leod in diesem Schwerpunkt. []
- Siehe Bundesrat (2024), Kapitel 6.1. []
- Siehe dazu den Artikel von Lukas Rupper (Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung) in diesem Schwerpunkt. []
Literaturverzeichnis
- Bundesrat (2024). Handelsabhängigkeiten der Schweiz. Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 22.3405, Sozialdemokratische Fraktion, 9. Mai 2022, und 23.3543, Marti, 4. Mai 2023.
- Europäische Kommission (2021). Strategic Dependencies and Capacities. Commission Staff Working Document. 5. Mai.
- Indergand, Ronald (2023). Brandgefährlicher Subventionswettlauf. Die Volkswirtschaft, 14. Juli.
Bibliographie
- Bundesrat (2024). Handelsabhängigkeiten der Schweiz. Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 22.3405, Sozialdemokratische Fraktion, 9. Mai 2022, und 23.3543, Marti, 4. Mai 2023.
- Europäische Kommission (2021). Strategic Dependencies and Capacities. Commission Staff Working Document. 5. Mai.
- Indergand, Ronald (2023). Brandgefährlicher Subventionswettlauf. Die Volkswirtschaft, 14. Juli.
Zitiervorschlag: Lukaszuk, Piotr (2025). Schweizer Handelsabhängigkeiten meist unproblematisch. Die Volkswirtschaft, 04. Februar.
Ähnlich wie Grossbritannien oder Deutschland hat auch der Bundesrat in seinem Bericht «Handelsabhängigkeiten der Schweiz» seine Lieferkettenpolitik definiert. Diese basiert auf zwei Prinzipien: Erstens ermöglichen horizontale Massnahmen wie die Aufhebung der Industriezölle, die Anfang 2024 in Kraft getreten ist, den langfristigen Abbau von Handelsabhängigkeiten durch die Diversifizierung des Handels. Dies wird durch eine breite Palette an aussenwirtschaftspolitischen Massnahmen gemäss der aktuellen Aussenwirtschaftsstrategie des Bundesrats angestrebt. Dafür sollen etwa neue Märkte erschlossen, der Schweizer Aussenhandel gefördert und der Dialog mit Handelspartnern gepflegt werden. Gemäss dem zweiten Prinzip werden aktuelle Risiken durch gezielte sektorielle Massnahmen adressiert, wo der Bund hoheitliche Aufgaben erfüllt. Dies trifft insbesondere bei lebenswichtigen Gütern oder Dienstleistungen bzw. kritischen Infrastrukturen zu. Im August 2024 kündigte der Bundesrat etwa eine ganze Palette an Massnahmen an, um die anhaltenden Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln zu adressieren.a
a Siehe Medienmitteilung vom 22. August 2024 «Bundesrat verstärkt Massnahmen gegen Engpässe bei den Arzneimitteln».