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Was ist das Potenzial autonomer Fahrzeuge?

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Autobahnkreuz Ecublens–Crissier VD: Zurzeit müssen auf Schweizer Autobahnen die Hände noch am Lenkrad bleiben. (Bild: Keystone)
Wie definieren Sie automatisiertes Fahren?

Automatisiertes Fahren bedeutet, dass die Maschine Fahraufgaben erfüllt. Dies kann so weit gehen, dass ein Fahrzeug ohne Lenkrad und Pedalerie auskommt, weil die Maschine in einem definierten Areal alle Fahrsituationen meistern kann. Es gibt verschiedene Levels der Automatisierung.

Seit Anfang März 2025 gilt die Verordnung des Bundesrats zum automatisierten Fahren. Neu ist auch der Autobahnpilot erlaubt. Aber die dafür notwendige Bewilligung für die Automarken steht noch aus. Wie lange wird es dauern, bis die ersten Automobilisten die Hände vom Steuer nehmen dürfen?

Die Technik ist verfügbar, aber die Autohersteller vermarkten sie noch zögerlich. Im Kern verkaufen die Autobauer die «Freude am Fahren». Hierbei spielt das manuelle Fahren eine wichtige Rolle, und das autonome Fahren ist ergänzend zu sehen. Bei den autonomen Taxishuttles, wie es sie etwa in Hamburg oder Oslo gibt, steht die Mobilitätseffizienz im Mittelpunkt.

Was sind das für Projekte?

Die Projekte in Hamburg und Oslo zeichnen sich dadurch aus, dass man in einem vorgegebenen Gebiet eine grosse Anzahl – zukünftig etwa 700 oder 800 – Shuttles für 4 bis 15 Personen einsetzt und nach einer Probezeit ganz auf die Sicherheitsfahrer verzichtet.

Und wie macht das die Mobilität effizienter?

Die eigentliche Chance für eine bessere Mobilität liegt ja in der Verzahnung autonomer Fahrzeuge mit anderen Verkehrsträgern. Solche Shuttles werden nicht von den Privatkunden gekauft, sondern von den Verkehrsbetrieben bereitgestellt, und man kann sie wie ein Taxi bestellen. Die Treiber für diese Entwicklung sind nicht Autobauer wie Mercedes und BMW, sondern Technologieunternehmen wie das Google-Projekt Waymo und Mobileye, welche die Systemsoftware mittels künstlicher Intelligenz entwickeln.

 

Das Potenzial ist enorm, wir müssten nur den Mut haben, gross zu denken.

 

Die SBB planen ab Anfang 2026 ein Pilotprojekt mit führerlosen Shuttlebussen im zürcherischen Furttal. Wo liegt da die Schwierigkeit?

Grundsätzlich gibt es zahlreiche Projekte dieser Art und Grösse. Von daher sollte das Projekt im Furttal ohne Probleme umsetzbar sein. Allerdings ist der Nutzen beschränkt: Vier Fahrzeuge machen noch keinen Unterschied. Ich verstehe, dass man schrittweise vorgehen möchte, aber es brauchte jetzt einmal ein bedeutendes Projekt in der Schweiz, um die Mobilität spürbar zu verändern – so wie in Oslo oder Hamburg.

Wird das Potenzial von autonomen Fahrzeugen überschätzt?

Nein. Stellen Sie sich vor, wir hätten in einer Stadt mehrere Tausend autonomer Shuttles im Einsatz. Damit könnten wir ein Vielfaches an privaten Fahrzeugen ersetzen und somit mehrspurige Strassen und Parkplätze zurückbauen. Unter dem Strich hätten wir mehr Effizienz und weniger Emissionen im Strassenverkehr. Das Potenzial ist enorm, wir müssten nur den Mut haben, gross zu denken.

Könnte es auch sein, dass diese Effizienz zu mehr Strassenverkehr führt, weil Züge, Busse und Trams ersetzt werden?

Grundsätzlich ist es positiv, wenn Menschen, die bislang immobil sind, durch automatisiertes Fahren wieder mobil werden. So wie das automatisierte Fahren bislang bei uns angelegt ist, ergänzt es den öffentlichen Verkehr bei der Feinverteilung, sozusagen auf der ersten und der letzten Meile vor allem in den klassischen Wohnquartieren der Agglomeration. Dort lohnt es sich nicht, Schienen zu bauen oder mit Bussen zu fahren. Insofern trägt automatisiertes Fahren – sofern richtig angelegt, also mit Shuttles für 8 bis 15 Personen – zu effizienterem Verkehr bei.

Interview: Die Volkswirtschaft

Zitiervorschlag: Nachgefragt bei Andreas Herrmann, Universität St. Gallen (2025). Was ist das Potenzial autonomer Fahrzeuge? Die Volkswirtschaft, 02. September.

Interviewpartner

Andreas Herrmann ist Professor für Betriebswirtschaftslehre sowie Direktor des Instituts für Mobilität an der Universität St. Gallen