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Wie bleibt die Berufsbildung weiterhin attraktiv?

Die Schweizer Berufsbildung ist ein Erfolgsmodell. Wie sie ihre Rolle als Garant für Fachkräfte und gute Integration in den Arbeitsmarkt auch in Zukunft erfüllen kann, zeigt eine Sondierung.
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Das Ansehen der Berufsbildung hängt wesentlich davon ab, ob es gelingt, leistungsstarke Jugendliche für eine Lehre zu gewinnen. (Bild: Keystone)

Die Berufsbildung ist in der Schweiz eine tragende Säule des Bildungssystems. Sie verbindet Theorie und Praxis, sorgt für eine tiefe Jugendarbeitslosigkeit und eröffnet vielfältige Karrierewege.

Seit der Revision des Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2002 wurde das System kontinuierlich modernisiert. beispielsweise werden alle formalen Bildungsangebote regelmässig überprüft und bei Bedarf angepasst. Mit der zweijährigen beruflichen Grundbildung wurde zudem der Zugang zur Berufsbildung verbessert, und der Bund beteiligt sich finanziell stärker an der Finanzierung der höheren Berufsbildung.

Verschiedene Signale

Berufsbildung ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt. Dabei setzt sich das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) zusammen mit seinen Partnern für die Stärkung der Qualität und der Attraktivität der Berufsbildung entsprechend den sich wandelnden Bedürfnissen des Arbeitsmarkts ein.

Wie der «Bildungsbericht Schweiz 2023» zeigt, ist die Schweizer Berufsbildung grundsätzlich gut aufgestellt und geniesst im In- und Ausland einen hohen Stellenwert. Seit einigen Jahren weisen allerdings verschiedene Signale aus Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung und Politik darauf hin, dass die Attraktivität der Berufsbildung überprüft werden sollte. Ein solches Anzeichen ist zum Beispiel, dass der Anteil der Lernenden der beruflichen Grundbildung auf Sekundarstufe II abnimmt, während die Wirtschaft mit einem Mangel an qualifizierten Fachkräften konfrontiert ist. Im Gegenzug blieben in den vergangenen Jahren zum Anfang des Schuljahres in verschiedenen Branchen Lehrstellen offen. Und auch das bildungspolitische Ziel, dass 95 Prozent der 25-Jährigen über einen Abschluss auf Sekundarstufe II verfügen, ist noch nicht erreicht; der Anteil liegt heute bei 90 Prozent. Weiteres Potenzial besteht bei der Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials und damit der Qualifizierung Erwachsener. Ausserdem ist die Stärkung der höheren Berufsbildung seit Jahren ein Anliegen. Erst kürzlich hat sich der Ständerat dafür ausgesprochen, die höhere Berufsbildung mit den Titelzusätzen «Professional Master» und «Professional Bachelor» aufzuwerten.

Ergebnisse der Sondierung

2024 startete das SBFI das Projekt «Attraktivität der Berufsbildung»[1]. Teil des Projekts ist es unter anderem, Handlungsbedarf und mögliche Massnahmen in der Berufsbildung zu sondieren. Die Untersuchung erfolgte in einem etappierten Prozess und umfasste den Austausch unter Berufsbildungsfachleuten an der diesjährigen Verbundpartnertagung, eine Konsultation von Akteuren innerhalb und ausserhalb der Berufsbildung sowie ein Hearing mit der Wissenschaft. Die Tripartite Berufsbildungskonferenz als strategisches Gremium von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt begleitet das Projekt.

Aus der Sondierung geht hervor, dass die Berufsbildung in der Schweiz grundsätzlich gut aufgestellt ist und breite Unterstützung geniesst. Zentrale Erfolgsfaktoren sind die hohe Ausrichtung an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts, das durchlässige Bildungssystem, das auch Möglichkeiten zur Höherqualifizierung bietet, sowie die starke Funktion bei der Integration von Berufslernenden in den Arbeitsmarkt. Die Berufsbildung ist nach wie vor der meistgewählte Bildungsweg auf Sekundarstufe II. Rund zwei Drittel der Jugendlichen wählen eine berufliche Grundbildung, ein Drittel ein Gymnasium oder eine Fachmittelschule. Doch der Anteil der Berufslernenden hat in den letzten Jahren abgenommen (siehe Abbildung).

Die Ausbildungswahl auf Sekundarstufe II hat sich verändert (1990–2024)

INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: Bundesamt für Statistik / Die Volkswirtschaft

Wettbewerb um Talente

Zentral für das Funktionieren der Berufsbildung ist unter anderem die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen. Das Verhältnis von Kosten zu Nutzen ist essenziell für die Beteiligung der Unternehmen an der Berufsbildung.[2] Zunehmende Spezialisierungen in der Arbeitswelt, administrative Vorgaben zur Ausbildung von Lernenden oder der Mangel an geeigneten Interessenten für die offenen Lehrstellen können für die Lehrbetriebe herausfordernd sein. Gleichzeitig steigen die Erwartungen der Jugendlichen und Eltern an die Qualität der Ausbildung. Berufsbildnerinnen und Berufsbildner benötigen Zeit, Wertschätzung und das erforderliche Know-how, um Lernende optimal zu begleiten.

Die starke Stellung und das Renommee der Berufsbildung in der Schweiz hängen wesentlich davon ab, wie es gelingt, leistungsstarke Jugendliche für eine berufliche Grundbildung zu gewinnen. Die Berufsbildung steht dabei vermehrt im Wettbewerb mit allgemeinbildenden Schulen wie Gymnasien und Fachmittelschulen.

Welche Perspektiven und Weiterbildungsmöglichkeiten eine berufliche Grundbildung bietet, ist nicht allen Jugendlichen und deren Eltern bekannt. Das kann dazu führen, dass sie statushöhere Ausbildungen wie das Gymnasium bevorzugen und so den Unternehmen fehlen. Deshalb gilt es zu überlegen, wie die Bildungsangebote so angepasst werden können, dass auch leistungsstarke Jugendliche sich weiterhin für eine berufliche Grundbildung entscheiden. Hinzu kommt ein Wertewandel: Sinnhaftigkeit, Flexibilität und Work-Life-Balance gewinnen zunehmend an Bedeutung. Wenden sich leistungsstarke Jugendliche von der Berufsbildung ab, fehlen in den Unternehmen langfristig praxisorientierte Fach- und Führungskräfte. Dies kann insbesondere KMU vor grosse Probleme stellen, unter anderem auch bezüglich Nachfolgeplanungen.

Kontrovers ist gemäss der Sondierung auch die Frage, wie viel Berufskenntnisse man erlernen soll und wie viel Allgemeinbildung. Einerseits sind die rund 250 beruflichen Grundbildungen eng auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts abgestimmt; entsprechend erlernt man das, was für die Ausübung des konkreten Berufs erforderlich ist. Andererseits sind Allgemeinbildung und berufsübergreifende Kompetenzen in einer sich rasch wandelnden Arbeitswelt ebenso wichtig, um den Zugang zur Tertiärstufe und zum lebenslangen Lernen sowie die Teilhabe an der Gesellschaft zu gewährleisten.

Unterschiedliche Anspruchsgruppen

Jugendliche, Erwachsene, Migrantinnen und Migranten sowie Quereinsteigende: Aufgrund ihres breiten und vielfältigen Angebots erreicht die Berufsbildung verschiedene Zielgruppen. Zudem erstreckt sich die Aus- und Weiterbildung über mehrere Lebensphasen. Verschiedene Altersgruppen sind deshalb in ihren jeweiligen Lebenskontexten mit unterschiedlichen Angeboten abzuholen. Bei Erwachsenen können etwa neben dem Erlangen eines Berufsabschlusses auch flexible, kurze und arbeitsmarktorientierte Angebote gefragt sein. Dazu eignen sich beispielsweise Branchenzertifikate als niederschwellige Angebote.

Der Schweizer Arbeitsmarkt verzeichnet eine fortschreitende Tertiarisierung. Die Stellenprofile verlangen immer öfter eine höhere Berufsbildung oder eine Ausbildung an einer Universität oder einer Fachhochschule. Die höhere Berufsbildung steht dabei im Wettbewerb mit Angeboten der Hochschulen. Der Wert der praktisch ausgerichteten höheren Berufsbildung und ihrer Bildungsangebote ist zwar in der Wirtschaft und bei den Absolventen anerkannt, aber allgemein zu wenig bekannt. Die Bekanntheit, die Sichtbarkeit und das Ansehen der höheren Fachschulen sowie der eidgenössischen Berufs- und höheren Fachprüfungen sollen daher verbessert werden. Zudem ist gemeinhin oftmals kaum bekannt, mit welchem Lohnzuwachs eine höhere Berufsbildung verbunden ist.

Schliesslich wurde in der Sondierung darauf hingewiesen, dass die Steuerung des Bildungssystems stärker aus einer Gesamtsicht erfolgen soll. Denn der Ausbau von allgemeinbildenden Schulen wirkt sich auch auf das Berufsbildungsangebot aus. Die national ausgerichtete Berufsbildung ist auf eine gesamthafte Betrachtung des Bildungssystems angewiesen.

Die Berufsbildung ist solide aufgestellt, doch ihre Attraktivität ist kein Selbstläufer. Am nationalen Spitzentreffen der Berufsbildung im November 2025 diskutieren Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Kantonen und Sozialpartnern im Beisein von Bundesrat Guy Parmelin die Sondierungsergebnisse und davon abgeleitete konkrete Massnahmen.

  1. Weitere Informationen zum Projekt auf SBFI.admin.ch. []
  2. Im November 2025 werden die Ergebnisse der jüngsten Kosten-Nutzen-Studie zur Ausbildung von Lernenden der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (eine Studie im Auftrag des SBFI) veröffentlicht. []

Zitiervorschlag: Duttweiler, Dani (2025). Wie bleibt die Berufsbildung weiterhin attraktiv? Die Volkswirtschaft, 07. Oktober.