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Neubauten ohne Mieter

Ausserhalb der Grossstädte stehen zusehends Mietwohnungen leer. Besonders akut ist das Problem bei Neubauten an schlecht erschlossenen Lagen.
In den letzten Jahren entstanden vielerorts neue Miethäuser. Selve-Areal in Thun. (Bild: Keystone)

Lange Zeit sorgte die schwierige Wohnungssuche für Schlagzeilen. Mittlerweile hat sich die Lage auf dem Schweizer Wohnungsmarkt deutlich entspannt, und Wohnungsnot herrscht vor allem noch in den Grossstädten. Gesamthaft ist die Zahl der leer stehenden Mietwohnungen seit 2009 kontinuierlich angewachsen, wobei sich die Zunahme in den letzten zwei Jahren beschleunigte. Am 1. Juni 2017 zählte das Bundesamt für Statistik (BFS) 52’700 bewohnbare, aber leer stehende Wohnungen, die zur dauerhaften Vermietung ausgeschrieben waren. Das sind knapp 2,4 Prozent des Mietwohnungsbestands.

Ursachen gibt es dreierlei. Einmal verläuft die Marktabsorption von Mietwohnungen weniger gut als von Wohneigentum, da angesichts der tiefen Zinsen der Kauf von Wohneigentum weiterhin attraktiv ist. So wuchs die Zahl der leer stehenden Mietwohnungen zwischen 2008 und 2017 um 21’000 Einheiten – gegenüber einer Zunahme von 3000 Einheiten beim Wohneigentum. Zweitens hat sich in diesem Zeitraum die Zahl der Baubewilligungen bei den Mietwohnungen mehr als verdoppelt, während sie sich beim Wohneigentum um ein Drittel reduzierte. Institutionelle Investoren bevorzugen unter anderem den Bau von Mietwohnungen, da Wohneigentum den Anlagenotstand nicht entschärft: Deren Einmalerlöse müssen schliesslich wieder angelegt werden – und das in Zeiten von Negativzinsen. Drittens hat das Haushaltswachstum wegen der tieferen Nettozuwanderung abgenommen. Zu- und Wegzüger sind in der Regel Mieter und leben häufig in kleinen Haushalten. Der Rückgang der Zuwanderung hat daher grossen Einfluss auf die Anzahl der Mietwohnungshaushalte.

Lage ist entscheidend


Ob eine Wohnung belegt ist oder nicht, ist massgeblich von der Lage, dem Baujahr und dem Mietzins abhängig. In den grossen Städten Zürich, Genf, Basel, Bern, Lausanne und Winterthur liegt die Mietleerwohnungsquote unter 1 Prozent. Demgegenüber liegen die Quoten von mittelgrossen Städten wie St. Gallen oder Biel mit rund 2 Prozent nur leicht unter dem schweizerischen Durchschnitt.

Eine Analyse der Leerstandsquoten der Gemeinden zeigt bestimmte Muster. So verfügen Gemeinden mit guter Erreichbarkeit zum Beispiel tendenziell über einen tieferen Leerstand. Dies gilt insbesondere für die attraktivsten Städte. Insgesamt ist das Leerstandsrisiko auf der (Makro-)Ebene «Gemeinde» aber nicht systematisch erklärbar.

Der Zusammenhang zwischen Lage und Leerstand wird deutlicher, wenn man auch die Mikrolage innerhalb einer Gemeinde betrachtet. Auch hier gilt: Je attraktiver eine Wohnung liegt, beispielsweise in Bahnhofsnähe oder mit Seesicht, desto tiefer ist der Leerstand. Während aber eine sehr gute Makrolage vor Leerstand schützt, gilt dies nicht uneingeschränkt für die Mikrolagen. Denn der Leerstand ist auch an den Top-Mikrolagen zwischen 2011 und 2016 spürbar angestiegen.

Eine Rolle bei der Leerstandsquote spielt auch das Alter einer Liegenschaft. So nimmt der Leerstand einer Mietwohnliegenschaft mit zunehmendem Gebäudealter ab (siehe Abbildung 1). Das hat einerseits mit der Lage zu tun: Liegenschaften an besserer Lage sind tendenziell älter, und jede Neuvermietung braucht Zeit. Andererseits – und das ist ein anderer entscheidender Punkt – könnten bei einigen neueren Liegenschaften die Mietzinsforderungen für eine Vollvermietung zu hoch sein. Dies gilt umso mehr, als vielerorts die Anfangsmieten spürbar höher liegen als die Bestandesmieten von langjährigen Mietern. Nicht nur die Lage- oder Objektqualitäten alleine, sondern auch der verlangte Mietzins entscheidet darüber, ob eine Wohnung leer steht oder nicht: Je mehr Mietzins für eine Wohnung verlangt wird, desto höher ist das Leerstandsrisiko.

Abb. 1: Leerstand nach Baujahr der Mietwohnliegenschaften (2016)




Anmerkung: Berechnet werden leerstandsbedingte Einnahmeausfälle in den Jahresabrechnungen 2016. Dargestellt ist der Leerstandsmedian von Liegenschaften mit vorwiegender Mietwohnungsnutzung. Die Leerstandsquote ist nicht mit derjenigen des Bundesamtes für Statistik (BFS) vergleichbar.

Quelle: Wüest Partner / Die Volkswirtschaft

Insgesamt reagiert der Leerstand allerdings «unelastisch» auf Mietpreisänderungen. Mit anderen Worten: Der positive Zusammenhang zwischen den prozentualen Mietzinsveränderungen und dem in Prozenten gemessenen Leerstand ist schwach ausgeprägt, wie die Berechnungen der Preiselastizität zeigen. Als Datenbasis dienten uns Abrechnungen von Mietwohnungen, für welche Lage- und Objektqualitäten bekannt sind.

Zur Maximierung der Mietzinseinnahmen kann es sich für den Vermieter somit unter Umständen lohnen, einen gewissen Leerstand in Kauf zu nehmen. Allerdings ist der Einzelfall zu betrachten, denn in einzelnen Teilmärkten kann eine Mietpreissenkung den Leerstand ausreichend reduzieren. Hinzu kommt, dass der Leerstand dem Eigentümer nebst dem Ausfall von Mietertragseinnahmen einen zusätzlichen Aufwand einbrockt: Auch eine leer stehende Wohnung muss geheizt und der Umschwung muss gereinigt werden. Schliesslich fallen bei einer Wiedervermietung höhere Ausgaben an. Wenn die Leerstandsquote sehr hoch ist, können die Verwaltungskosten um bis zu 10 Prozent des Jahresmietertrages höher ausfallen.

Mieterwechsel dürfte zunehmen


Wie ist der Mietwohnungsleerstand von 2,4 Prozent zu werten? Zunächst: Der Leerstand nimmt Druck von den Wohnungsmieten und ermöglicht den Bewohnern eine ergiebigere Wohnungssuche. Und damit dürfte es gerade in Städten, in denen sich der Mietwohnungsmarkt etwas entspannt hat, häufiger Mieterwechsel geben.

Ein gewisser Wohnungsleerstand ist normal, weil sowohl der Markt für Mietzinse als auch jener für Bautätigkeiten lange Zyklen aufweisen respektive rigide sind. Zum Vergleich: Am Ende der Immobilienkrise in den Neunzigerjahren war die Mietwohnungsleerstandsquote rund 0,5 Prozentpunkte höher als heute.

Im Weiteren führt der aktuelle Bauboom dazu, dass die CO2-Emissionen des Wohnungsparks im laufenden Betrieb zurückgehen, weil moderne Gebäude deutlich klimaverträglicher sind als Altbauten. Eine bessere Klimaverträglichkeit kann auch durch ökologische Sanierungen von bestehenden Gebäuden erreicht werden. Umfassende ökologische Sanierungen werden durch die Leerstandszunahme allerdings eher gehemmt. Denn je anspruchsvoller die Vermietungssituation ist, desto harziger verläuft die Überwälzung der beim Eigentümer anfallenden Sanierungskosten auf die Wohnungsmieter.

Problematisch an der jetzigen Situation sind die hohen Leerstandsziffern in einzelnen Gegenden. In den vom Bundesamt für Statistik festgelegten «MS-Regionen» Oberaargau und Siders ist mehr als jede zehnte Mietwohnung unbewohnt. Indirekt betroffen ist auch die Altersvorsorge, da Pensionskassen wie auch andere Immobilieninvestoren eine tiefere Rendite mit ihren Renditeliegenschaften erzielen.

Weniger Neubauten ab 2020


In den nächsten Jahren wird die Leerstandsquote wohl weiter steigen (siehe Abbildung 1). Denn erstens bleibt die Wohnbautätigkeit bis im nächsten Jahr hoch, da viele Projekte umgesetzt werden. Zweitens dürften die Mieten nur leicht sinken, was die Nachfrage nach zusätzlichen Wohnungen nur schwach belebt. Und drittens ist die Nettozuwanderung limitiert, solange es der europäischen Wirtschaft gut geht.

Ab 2020 wird sich wohl zumindest die Zunahme des Leerstandes abschwächen. Der Grund ist die schwierigere und länger andauernde Vermarktung von Neubauten. So stand im Juni 2017 – gemäss der Berechnungsmethode des BFS – von den weniger als zweijährigen Wohneinheiten jede zehnte Einheit leer (siehe Abbildung 2). Das entspricht beinahe einer Verdoppelung gegenüber dem Jahr 2009. Dies dürfte die Planung von Neubauprojekten insgesamt dämpfen und dazu führen, dass die Investoren die Lagekriterien stärker gewichten.

Abb. 2: Leerstandsquoten (1995–2017)




Quelle: BFS und Wüest Partner / Die Volkswirtschaft

Da der Leerstand ein immer wichtigeres Thema bei der Planung von neuen Mietwohnungen wird, bestehen heute stärkere Anreize als früher, die Projektentwicklungen an gut erschlossenen Wohnlagen zu realisieren. Es besteht also die Hoffnung, dass zukünftig vermehrt dort gebaut wird, wo viele Menschen leben möchten. Eine solche Fokussierung der Bautätigkeit an den gut erschlossenen Lagen strebt auch die Raumplanung an: Der zunehmende Leerstand dürfte der nach innen gerichteten Siedlungsentwicklung also erheblich Schub verleihen.

Zitiervorschlag: Jörg Schläpfer (2018). Neubauten ohne Mieter. Die Volkswirtschaft, 18. Mai.