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Die Energiewende: Chance auch im Alleingang

Bei der bevorstehenden Neuorientierung in der Energiepolitik muss die Frage im Zentrum stehen, mit welcher Energiestrategie sich die Schweiz volkswirtschaftlich am besten positionieren kann. Welche Energieversorgung passt zu einer wohlhabenden, sauberen, sicheren und innovationsstarken Schweiz? Für den Wirtschaftsverband Swisscleantech ist klar, dass die Schweiz als Qualitätsstandort keine Billigenergiestrategie verfolgen soll – auch weil Energie- und Ressourceneffizienz weltweit immer wichtiger werdende Wettbewerbsfaktoren darstellen. Vielmehr ist – neben dem Preis – die Qualität der Energie ein wichtiges Entscheidungskriterium. Davon profitiert die Schweizer Wirtschaft, speziell als «First Mover».

Qualitativ hochstehende Energie ist frei von Emissionen, risikoarm bezüglich lokalen Gefahren wie auch internationalen Abhängigkeiten und zuverlässig verfügbar. Sie bietet somit wahre Versorgungssicherheit und erlaubt Produkt- und Dienstleistungsangebote mit geringem ökologischem Fussabdruck. Eine solche «Cleantech-Energiestrategie» setzt auf Technologien und Systemkompetenz mit hoher lokaler Wertschöpfung, leistet Innovationsimpulse, öffnet attraktive Exportmärkte und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz. Derzeit sind wir weit davon entfernt: Um den heutigen Bedarf an Erdöl, Gas und Uran zu decken, importiert die Schweiz über 70% des Gesamtenergiebedarfs aus risikoreichen Ländern zu kaum vorhersehbaren Preisen und mit äusserst geringer Wertschöpfung. Wir tragen unzureichend gedeckte nukleare Risiken und belasten uns mit hohen CO2-Emissionen. Bitte wenden!

Vollkostenrealität


Qualitativ hochstehende Energie ist wirtschaftlich, wenn man mit den vollen Kosten rechnet. Die Kosten der notwendigen Netzinfrastruktur, Versorgungs- und Umfallrisiken sowie Emissionen und anderer Externalitäten müssen richtig einbezogen werden. Dies ist heute nicht der Fall. Daher werden wir auch ohne eine Wende in der Energiepolitik mit steigenden Preisen für alle Energieformen konfrontiert sein. Vor allem aber gilt es zu bedenken, dass für über 90% aller Firmen und Haushalte Energie ein wenig signifikanter Kostenfaktor darstellt. Das wiederum heisst, dass für energieintensive und exportorientierte Branchen Ausnahme- und Übergangsregelungen angewendet werden können und sollen. Unsere Energiestrategie darf jedoch nicht einseitig auf die stark betroffenen 10% ausgerichtet bleiben. Sie muss für die Schweizer Volkswirtschaft als Ganzes stimmen.

Cleantech-Energiestrategie: 
Dezentral und liberal


In unserer, im Oktober in dritter Auflage veröffentlichten Energiestrategie zeigt Swisscleantech auf, wie eine nachhaltige Energieversorgung in der Schweiz sowohl technisch machbar als auch wirtschaftlich attraktiv umgesetzt werden kann. Wir setzten dabei konsequent auf Energieeffizienz, erneuer­bare Energiequellen und intelligente Netze als Teil eines dezentralen und liberalen Energiemarkts. Die Berechnungen des CER-ETH weisen für das Swisscleantech-Basisszenario gegenüber dem Business-As-Usual-Szenario Wohlstandsverluste von maximal 0,4% aus. Dabei sind die bisher unterschätzten Kosten der Kernenergie, die positiven Effekte einer Reduktion des Klimawandels sowie First-Mover-Vorteile noch nicht berücksichtigt. Die wirtschaftlichen Vorteile ergeben sich aus einer bedeutend höheren Wertschöpfung im Inland, attraktiven Exportmärkten sowie geringeren Energiebetriebskosten dank Effizienzmassnahmen. Wird durch Innovation eine hohe Substituierbarkeit zwischen den Energieträgern erreicht, können laut ETH sogar positive Wohlstandseffekte resultieren.

Bund liegt richtig, Wirtschaft muss jetzt umsetzen


Vor diesem Hintergrund beurteilen wir die Energiestrategie 2050 positiv. Unsere Zahlen stimmen mit jenen von Prognos in weiten Teilen überein. Die Hauptunterschiede sind: Swisscleantech setzt konsequenter auf das Einhalten der Klimaziele und schätzt das Potenzial der Erneuerbaren – insbesondere der Photovoltaik – höher ein. Das Einhalten der Klimaziele durch verstärkten 
Einsatz der Elektromobilität und von Wärmepumpen führt bei uns zu einem kontinuierlichen Anstieg des Stromverbrauchs auf 80 TWh bis 2050. Weiter setzt Swisscleantech beim Import auf Grünstrom statt auf Gas für Gaskraftwerke und befürwortet eine Effizienzabgabe anstelle eines Zertifikatsystems für Versorgungsunternehmen. Für den Verband gilt es, die Wende so rasch und wirtschaftsfreundlich als möglich umzusetzen. Aufschieben schadet der Wirtschaft. Daher ist es richtig, in einer ersten Phase bis 2020 auf existierende Mechanismen zu setzen, um rasch Resultate zu erzielen. Ab 2021 gilt es, mit der ökologischen Steuerreform den Übergang von einem Förder- zu einem Lenkungssystem zu realisieren. Für beide Phasen ist es zentral, dass Transaktionskosten minimiert werden und insbesondere der 2. Sektor in keiner Weise benachteiligt wird.

Zitiervorschlag: Nick Beglinger, Franziska Barmettler, (2012). Die Energiewende: Chance auch im Alleingang. Die Volkswirtschaft, 01. November.