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Grüne Wirtschaft braucht Ingenieure

Der ökologische Umbau der Wirtschaft wirkt sich auf den Arbeitsmarkt aus: Gefragt sind vermehrt Technikerinnen und Naturwissenschaftler. Der Fachkräftemangel dürfte sich somit verstärken.
Umweltingenieure in einer Reaktoranlage in Zuchwil SO, wo aus Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid Methan produziert wird. (Bild: Keystone)

Das Umweltbewusstsein in der Schweiz hat zugenommen – nicht zuletzt wegen des sich manifestierenden Klimawandels. In der Strategie «Nachhaltige Entwicklung 2030» stellt der Bundesrat unter anderem den nachhaltigen Konsum und die nachhaltige Produktion in den Fokus. Damit möchte er beispielsweise die Ressourceneffizienz in der Produktion erhöhen.

Diese Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft wird den Arbeitsmarkt verändern. So steigt die Nachfrage nach Tätigkeiten, die einen Beitrag zu einer nachhaltigen Wirtschaft leisten. Ein Beispiel dafür wäre eine Umweltingenieurin, die ein neues Verfahren zur Kontrolle der Wasserqualität entwickelt. In diesem Fall sind Fähigkeiten wie Chemie- und Physikkenntnisse sowie die Durchführung von Datenanalysen gefragt.

Grüne Tätigkeiten

In einer aktuellen Studie haben wir untersucht, wie gut der Schweizer Arbeitsmarkt auf solche Transformationen vorbereitet ist.[1] Die Untersuchung ist Teil des Nationalen Forschungsprogramms (NFP) 73 «Nachhaltige Wirtschaft» des Schweizerischen Nationalfonds. Ziel der Analyse war es, Berufsfelder ausfindig zu machen, die ein hohes Potenzial für grüne Tätigkeiten aufweisen (siehe Kasten). Dabei ist es unerheblich, ob der Beruf bereits grüne Tätigkeiten beinhaltet oder nicht.

Beispielsweise kann eine Elektroingenieurin ihre Fähigkeiten sowohl bei der Überwachung eines Reaktors in einem Kernkraftwerk als auch in der Forschung zu erneuerbaren Energien einsetzen. Nur im zweiten Fall geht sie einer grünen Tätigkeit nach, aber in beiden Fällen bringt sie das Potenzial mit, grüne Tätigkeiten ausüben zu können.

In der Analyse haben wir gemessen, wie gut einzelne Berufe geeignet sind, Produktionsprozesse und Produkte nachhaltiger zu gestalten. Dies wiederum dürfte zentral für eine erfolgreiche grüne Transformation sein, zumindest dann, wenn sich eine Gesellschaft für diesen Weg entschieden hat und die Anreize in Form von regulatorischen Massnahmen oder Preismechanismen gesetzt sind.

Gefragte Ingenieure

Ein grosses grünes Potenzial weisen sogenannte Mint-Berufe[2] auf, wie unsere Auswertungen zeigen. An vorderster Stelle stehen Ingenieure (ohne Elektrotechnik, Elektronik und Telekommunikation). Dahinter folgen Physiker, Chemikerinnen, Geologen sowie Führungskräfte in der Produktion in Land- und Forstwirtschaft und Fischerei. Ein relativ grosses grünes Potenzial gibt es auch bei Mathematikern, Produktionsleiterinnen in Industrie und Bau sowie bei Elektro- und Telekommunikationsingenieuren.

Weiter untersuchten wir, wie es um die Verfügbarkeit von Erwerbstätigen in Berufen mit einem hohen grünen Potenzial in der Schweiz steht. Die Verfügbarkeit entsprechend ausgebildeter Arbeitskräfte ist wichtig, damit der Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft stattfinden kann. Personen mit einem hierfür geeigneten Qualifikationshintergrund werden bei einer Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft verstärkt nachgefragt.

Im Jahr 2017 waren rund 670’000 Vollzeitäquivalente in Berufen mit hohem grünem Potenzial beschäftigt, wie unsere Berechnungen anhand der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) zeigen. Dies entspricht 19 Prozent aller Vollzeitäquivalente in der Schweiz. Dabei fällt auf: Erwerbstätige in Berufen mit hohem grünem Potenzial sind im Durchschnitt jünger, häufiger männlich, haben ein höheres Bildungsniveau und eine höhere Wahrscheinlichkeit, eingewandert zu sein. Darüber hinaus weist diese Berufsgruppe eine niedrigere Arbeitslosenquote und eine höhere Quote offener Stellen auf.

Wichtige Fachkräfteinitiative

Wie erwähnt weisen gerade Mint-Berufe ein grosses grünes Potenzial auf. Allerdings gibt es in diesen Berufen bereits heute Anzeichen für einen Fachkräftemangel. Deshalb scheinen Initiativen wie die Fachkräfteinitiative auf Bundesebene sowie Massnahmen gegen den Fachkräftemangel von Branchenverbänden umso wichtiger: Diese Initiativen setzen etwa auf Aus- und Weiterbildung sowie auf eine bessere Nutzung des vorhandenen Fachkräftepotenzials. Zudem versuchen sie zu verhindern, dass die Fachkräfte in andere Berufe abwandern oder vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden. Weiter streben sie an, dass die Fachkräfte über das normale Rentenalter hinaus arbeiten.

Nicht alle diese Massnahmen scheinen jedoch für Berufe mit hohem grünem Potenzial gleichermassen relevant zu sein. So gibt es Hinweise darauf, dass das Arbeitskräftepotenzial in Berufen mit hohem grünem Potenzial bereits überdurchschnittlich ausgeschöpft wird, sodass nur noch wenig Spielraum für eine Erhöhung des Beschäftigungsniveaus bleibt.

Ausbildung als Schlüssel

Zudem zielen die Fachkräfteinitiative sowie Branchenbestrebungen unter anderem darauf ab, ältere Erwerbstätige über das Pensionsalter hinaus in den Berufen zu halten. Vor dem Hintergrund, dass Arbeitstätige in den Berufen mit hohem grünem Potenzial tendenziell jünger sind als der Schweizer Durchschnitt, schafft dies wenig Abhilfe.

Um eine erhöhte künftige Nachfrage im Zuge der Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft decken zu können, scheint daher die Aus- und Weiterbildung von geeigneten Fachkräften zielführender zu sein. Ein Schlüssel könnte etwa darin liegen, die Bedeutung von Mint-Tätigkeiten gegenüber jungen Menschen (besser) zu kommunizieren, insbesondere auch, da für viele junge Menschen Nachhaltigkeit ein sehr wichtiges Thema darstellt («Fridays for Future»). Zudem könnte es sich lohnen, verstärkt Frauen auf diese Thematik aufmerksam zu machen, denn die Schweiz weist absolut und auch im internationalen Vergleich eine sehr geringe Zahl an Mint-Absolventinnen auf.

  1. Lobsiger, M., Rutzer, C. (2021). The Green Potential of Occupations in Switzerland, Swiss Journal of Economics and Statistics 157: 8. []
  2. Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. []

Zitiervorschlag: Michael Lobsiger, Christian Rutzer (2022). Grüne Wirtschaft braucht Ingenieure. Die Volkswirtschaft, 21. April.

Erkenntnisse dank «Machine-Learning»

Um das grüne Potenzial von Berufen in der Schweiz abzuschätzen, verwendeten wir Daten aus der US-amerikanischen Berufsinformationsdatenbank O*Net, welche für fast 1000 Berufe Informationen zu den benötigten Fähigkeiten («Skills») enthält. Auch finden sich darin Informationen dazu, in welchem Umfang grüne Tätigkeiten von Beschäftigten eines Berufes ausgeübt werden. Anhand dieser Daten trainierten wir Machine-Learning-Algorithmen, um einen Zusammenhang zwischen Fähigkeiten und grünen Tätigkeiten herzustellen. Anschliessend übertrugen wir die Fähigkeitsprofile der O*Net-Datenbank auf Schweizer Berufe und verwendeten diese als Input für unsere zuvor trainierten Machine-Learning-Algorithmen. So konnten wir für Schweizer Berufe (ISCO 08) abschätzen, in welchem Ausmass grüne Tätigkeiten möglich sind.

Von der Forschung in die Politik

Aktuelle wissenschaftliche Studien aus dem «Swiss Journal of Economics and Statistics» mit einem starken Bezug zur schweizerischen Wirtschaftspolitik erscheinen in einer Kurzfassung in «Die Volkswirtschaft».