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Lateinamerika vernetzt sich

Der Handel zwischen den Ländern Lateinamerikas ist geringer als innerhalb Europas oder Asiens. Neue Infrastrukturprojekte und veränderte globale Marktbedingungen könnten das ändern. Was bedeutet das für die Schweiz?
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Die Länder Lateinamerikas wollen enger zusammenarbeiten – zum Beispiel beim Lithiumabbau. Verdunstungsbecken in Argentinien, in denen Lithium gewonnen wird. (Bild: Keystone)

Lateinamerika hat grosses wirtschaftliches Potenzial. Die Region ist reich an Rohstoffen, und die Bevölkerung wächst. Und sie gewinnt auf der Weltbühne zunehmend an Bedeutung. Doch der Handel innerhalb der Region ist seit Jahrzehnten schwach: Nur rund 22 Prozent der nationalen Exporte verbleiben in der Region. Zum Vergleich: In der EU sind es etwa 60 Prozent, im Verband Südostasiatischer Nationen (Asean) rund 50 Prozent. Viele Länder Lateinamerikas sind stärker mit weit entfernten Märkten verflochten als mit ihren direkten Nachbarn.

Die Gründe für die geringe Handelsverflechtung sind vielfältig: Die geografischen Gegebenheiten wie die Anden oder der Amazonas erschweren Transporte, und die Länder haben ähnliche oder gar konkurrierende Exportstrukturen mit Schwerpunkt auf Rohstoffen. Dazu kommen eine wenig ausgeprägte Infrastrukturvernetzung sowie häufige Richtungswechsel aufgrund politischer Instabilität, welche langfristige Kooperationen erschweren, sowie anhaltender Protektionismus.

Viele Anläufe, gemischte Erfolge

Aber Lateinamerika blickt auf eine lange Geschichte wirtschaftlicher Integrationsversuche zurück – von der Lateinamerikanischen Freihandelsassoziation (Alalc) in den 1960er-Jahren über die Lateinamerikanische Integrationsvereinigung (Aladi) bis zu heutigen regionalen Zusammenschlüssen wie dem Gemeinsamen Markt des Südens (Mercosur) und der Pazifik-Allianz. Beide Modelle zeigen die Vielfalt der Integrationsansätze, spiegeln aber auch die politische Heterogenität der Region wider.

Während Mercosur als Zollunion einen gemeinsamen Aussenzoll verfolgt, wurden auch Handelsschranken innerhalb der Mitgliedsstaaten abgebaut. Doch protektionistische Tendenzen wie Binnenzölle für sensible Produkte – beispielsweise Autoteile zwischen Argentinien und Brasilien oder nicht tarifarische Handelshemmnisse wie unterschiedliche Produktstandards für Lebensmittel – bremsen bis heute die volle Entfaltung einer konsequenten Marktöffnung. Im Gegensatz dazu ist die Pazifik-Allianz keine Zollunion, sondern eine Freihandelszone und setzt auf marktwirtschaftliche Offenheit und eine gemeinsame Anbindung an globale Märkte – etwa in Richtung Asien.

Trotz aller Herausforderungen stärken solche Zusammenschlüsse die Position Lateinamerikas im globalen Wettbewerb. Das Beispiel des Handelsabkommens zwischen den USA, Mexiko und Kanada (USMCA, vormals Nafta) zeigt, wie tiefgreifende wirtschaftliche Integration Wohlstand, Effizienz und Resilienz fördern kann.

Zeichen der Vernetzung

Drei aktuelle Entwicklungen geben Anlass zur Hoffnung auf eine stärkere wirtschaftliche Integration: Erstens verbessern Infrastrukturprojekte wie der Bi-Ozeanische Korridor oder die Modernisierung des Panama-Kanals die physische Vernetzung. Zweitens beschleunigen geopolitische Spannungen und der Trend zum sogenannten Friendshoring die Suche nach verlässlichen Partnern. Drittens wächst das Interesse an regionalen Wertschöpfungsketten, um robustere und regional verankerte Produktionsketten aufzubauen, die weniger abhängig von einzelnen Lieferanten und globalen Krisen sind. Dabei rücken vor allem kritische Rohstoffe in den Fokus, die für die Energiewende unerlässlich sind und bei denen die Region eine zunehmend strategische Rolle einnimmt in globalen Lieferketten.

Um die regionale Wertschöpfung zu steigern, braucht es Koordination und abgestimmte Strategien. Und lateinamerikanische Länder bemühen sich zunehmend, die vertikale Integration voranzutreiben. Sprich, Rohstoffe nicht nur abzubauen, sondern auch weiterzuverarbeiten und dann zu exportieren und somit mehr Wertschöpfung im eigenen Wirtschaftsraum zu generieren. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Lithium-Opec zwischen Argentinien, Bolivien und Chile – den drei wichtigsten Lithium produzierenden Ländern Lateinamerikas. Der Begriff ist informell und spielt auf die Erdölorganisation Opec an. Anders als diese legt die Lithium-Opec bislang weder Preise noch Fördermengen fest. Vielmehr geht es um den Austausch von Informationen, eine bessere Koordination und mögliche gemeinsame Standards im Lithiumabbau und in der Weiterverarbeitung.

Auch für die Schweiz als wichtiger Rohstoffhandelsplatz ist diese Entwicklung in Lateinamerika bedeutend. Sie kann mit Know-how, spezialisierter Technologie und dem Umsetzen von umweltfreundlichen und sozialen Produktionsstandards dazu beitragen.

Partnerschaft mit Potenzial

Lateinamerika ist ein wichtiger Wirtschaftspartner und ein relevanter Absatzmarkt für die Schweizer Exportwirtschaft. Das totale Handelsvolumen betrug im Jahr 2024 21 Milliarden Franken – ein historischer Höchstwert mit 10 Prozent Wachstum gegenüber dem Vorjahr. Das Volumen setzt sich zusammen aus Schweizer Exporten nach Lateinamerika und Schweizer Importen aus Lateinamerika. Die Schweiz exportiert hauptsächlich pharmazeutische und chemische Produkte (siehe Abbildung). Bei den Importen dominieren Gold und andere Rohstoffe. Bei den Direktinvestitionen gehört die Schweiz in vielen Ländern Lateinamerikas zu den Top 10 oder sogar den Top 5. Diese schaffen viele lokale Arbeitsplätze, im Jahr 2023 beispielsweise rund 234’000 allein in Brasilien.

Der Handel mit Lateinamerika nimmt zu (2014–2024)

INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) / Die Volkswirtschaft

Um die wirtschaftlichen Beziehungen zu fördern, hat die Schweiz über die Europäische Freihandelsassoziation (Efta) Freihandelsabkommen mit zahlreichen Ländern der Region abgeschlossen – darunter Mexiko, Chile, Kolumbien, Peru, Ecuador sowie zentralamerikanische Staaten. Zusätzlich dienen bilaterale Investitionsschutzabkommen mit mehr als 20 Ländern in der Region dem Schutz von Direktinvestitionen, indem sie rechtliche Sicherheit und faire Rahmenbedingungen für Investoren in lateinamerikanischen Ländern gewährleisten.

Solche Abkommen fördern nicht nur den bilateralen Handel, sondern stärken auch die regelbasierte internationale Handelsordnung – ein Ziel, für das sich die Schweiz international einsetzt. In einer Welt, in der geopolitische Unsicherheiten und Protektionismus zunehmen, ist eine diversifizierte Handelspolitik umso wichtiger. Die kürzlich abgeschlossene Modernisierung des Efta-Chile-Freihandelsabkommens und der soeben verkündete Abschluss mit Mercosur zeigen das grosse Interesse der Schweiz, diese Beziehungen weiter auszubauen. Eine baldige Unterzeichnung mit Mercosur – nach acht Jahren Verhandlung – bringt für beide Seiten erhebliche Vorteile: Rund 95 Prozent der Schweizer Exporte wären mittelfristig vollständig zollbefreit.

Zitiervorschlag: Bietenhader, Martina; Lohr, Hervé (2025). Lateinamerika vernetzt sich. Die Volkswirtschaft, 22. Juli.