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Berufswahl: Daten zeigen, was Jugendliche bewegt

Künstliche Intelligenz, Corona oder Berufsweltmeisterschaften: Neue Daten zeigen erstmals, wie rasch und wie stark solche externen Ereignisse die Berufswahl verändern können.
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Inspirierendes Vorbild: Die Schweizerin Juliana Thöny gewann an den World Skills 2022 in der Kategorie Konditorei-Confiserie die Goldmedaille. (Bild: Keystone)

Die Berufswahl ist ein vielschichtiger Prozess, der sich oft über Monate hinwegzieht und von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird – von persönlichen Interessen über Empfehlungen aus dem Umfeld bis hin zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

Gerade weil dieser Prozess so komplex und dynamisch ist, war es bisher schwierig, kurzfristige Einflüsse überhaupt sichtbar zu machen. Mit der Auswertung von Mikrodaten zu Suchanfragen auf Lehrstellenplattformen eröffnen sich nun neue Möglichkeiten, das Verhalten von Jugendlichen besser zu verstehen.

Neue Einsichten dank digitaler Spuren

Den Anstoss für die Nutzung solcher Daten lieferte die Covid-19-Pandemie. Als die Schulen geschlossen wurden und gleichzeitig ein Rückgang bei den neu abgeschlossenen Lehrverträgen zu beobachten war, entstand der Wunsch, den Lehrstellenmarkt in Echtzeit beobachten zu können. Die digitale Plattform Lena, auf der die Kantone offene Lehrstellen bereits vor der Pandemie veröffentlichten, erfasst gleichzeitig auch alle Suchanfragen nach Lehrberufen in anonymisierter Form.

Diese Suchdaten lassen sich täglich aggregieren – und ergeben so Millionen von Beobachtungspunkten, die ein aktuelles Stimmungsbild der Berufswünsche von Jugendlichen liefern. So konnte zu Beginn der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 nachgewiesen werden, dass der Rückgang bei den Lehrverträgen direkt mit einem Einbruch der Suchaktivitäten korrespondierte. Jugendliche hatten ihre Berufswahl aus Unsicherheit aufgeschoben – eine kurzfristige Reaktion auf die aussergewöhnliche Lage.[1]

Diese Datenbasis konnte und kann aber auch für ganz andere Fragestellungen verwendet werden, die bislang aufgrund fehlender Beobachtungsmöglichkeiten nicht oder nur unzureichend erfasst werden konnten.

Champions inspirieren

Die Lena-Daten können weit mehr als Krisenphänomene abbilden. Sie erlauben erstmals, auch positive externe Einflüsse sichtbar zu machen – beispielsweise wie sich die mediale Berichterstattung über Erfolge junger Berufsleute auf die Berufswünsche der Jugendlichen auswirken. Wir haben dies an den Berufsweltmeisterschaften «World Skills» untersucht, wo Teilnehmende aus der Schweiz regelmässig Spitzenresultate erzielen. Können sich solche Meisterleistungen auch auf das Berufswahlverhalten potenzieller Lernender auswirken?

Durchaus und nicht nur kurzfristig, wie die Analysen zeigen. Kurz nach der medialen Berichterstattung über den Gewinn einer Goldmedaille sowie Silber- oder Bronzemedaillen stiegen die Suchanfragen nach dem entsprechenden Beruf markant an – und zwar nur bei diesem (siehe Abbildung 1). Im folgenden Jahr zeigte sich dann auch ein Anstieg bei den Lehrverträgen in diesem Beruf[2]. Noch bemerkenswerter: Diese neuen Lehrverhältnisse sind nicht instabiler als andere – im Gegenteil, die Zahl der Vertragsauflösungen geht sogar leicht zurück. Offenbar führen positive Vorbilder nicht nur zu spontanen, sondern auch zu gut überlegten Entscheidungen.

Abb. 1: Gewinnen Schweizer an den Berufsweltmeisterschaften, nehmen Suchanfragen nach Gewinnerberufen zu

INTERAKTIVE GRAFIK
Anmerkung: Die Abbildung zeigt den Verlauf der Suchanfragen auf der Lehrstellenplattform Lena in den Wochen vor und nach dem Gewinn einer Medaille an den Berufsweltmeisterschaften im Vergleich zu vergleichbaren Vorjahresperioden. Nach dem Ereignis zeigen sich markante Veränderungen in den berufsspezifischen Suchanfragen.
Quelle: Goller und Wolter (2025) / Die Volkswirtschaft

Künstliche Intelligenz beeinflusst die Berufswahl

Auch technologische Entwicklungen beeinflussen die Berufswahl – teils schneller als erwartet. Ein eindrückliches Beispiel ist die Einführung der kostenlosen und frei zugänglichen Version 3.5 von Chat-GPT Ende November 2022. Obwohl künstliche Intelligenz (KI) bereits zuvor ein Thema war, wurde vielen Menschen in diesem Moment erstmals bewusst, welches disruptive Potenzial diese Technologie birgt – und welche Berufe sich durch sie verändern oder gar ersetzen lassen.

Erste empirische Auswertungen zeigen, dass solche Technologiesprünge sich unmittelbar im Suchverhalten Jugendlicher widerspiegeln – noch bevor sich strukturelle Effekte auf dem Arbeitsmarkt manifestieren.[3] Bereits in der Woche nach der Lancierung von Chat-GPT ging die Zahl der Suchanfragen nach Lehrberufen mit hohen kognitiven Anforderungen deutlich zurück – wesentlich stärker als bei Berufen mit überwiegend manuellen Tätigkeiten (siehe Abbildung 2).

Besonders bemerkenswert daran ist, dass eine detaillierte Analyse auf Ebene einzelner Lehrberufe zeigt, dass es eine negative Korrelation zwischen den Veränderungen im Suchverhalten und den bereits vor Chat-GPT erstellten Experteneinschätzungen zum Substituierbarkeitspotenzial durch Automatisierung gibt. Erst als diese Einschätzungen der Expertinnen und Experten Monate später im Lichte der neuen Entwicklungen überarbeitet wurden, ergab sich eine positive Korrelation mit den Suchdaten. Mit anderen Worten: Jugendliche erkannten die Relevanz des technologischen Umbruchs schneller als viele Fachleute. Ihre Reaktionen im Suchverhalten zeigten, dass sie KI frühzeitig als möglichen «Gamechanger» für den Arbeitsmarkt wahrnahmen.

Abb. 2: Lancierung von Chat-GPT 3.5: Suchanfragen nach kognitiven Lehrberufen nahmen stärker ab

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Anmerkung: Die Abbildung zeigt den Verlauf der Suchanfragen auf der Lehrstellenplattform Lena in den Wochen vor und nach der Veröffentlichung von Chat-GPT am 30.11.2022. Nach dem Ereignis zeigen sich markante Veränderungen in den berufsspezifischen Suchanfragen in Bezug auf die primären Tätigkeitsformen in den betreffenden Berufen.
Quelle:  Goller et al. (2025) / Die Volkswirtschaft

Implikationen für die Berufsorientierung

Die Analyse des Suchverhaltens auf Lehrstellenplattformen liefert zwei zentrale Erkenntnisse für die Berufsbildung und die Berufsberatung. Erstens: Auch nach einem teils monatelangen, professionell begleiteten Berufswahlprozess bleiben viele Jugendliche lange empfänglich für neue Informationen. Berufswünsche sind also weit weniger stabil als häufig angenommen und können durch bedeutende Ereignisse rasch hinterfragt und beeinflusst werden.

Zweitens: Jugendliche beobachten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesellschaft und in der Technologie offenbar sehr aufmerksam. Sie bilden eigene Erwartungen darüber, wie sich diese Veränderungen auf künftige Berufsbilder auswirken könnten, und integrieren diese Überlegungen aktiv in ihren Entscheidungsprozess. Gerade diese zweite Beobachtung stimmt zuversichtlich: Sie spricht für ein hohes Mass an Reflexionsfähigkeit bei der Berufswahl.

Umso wichtiger ist es, Jugendliche in dieser Phase gezielt zu begleiten und ihnen Zugang zu aktuellen, zielgruppenspezifischen und möglichst realistischen Informationen zur zukünftigen Entwicklung der Berufs- und Arbeitswelt zu gewähren.

  1. Siehe Goller und Wolter (2021). []
  2. Siehe Goller und Wolter (2025). []
  3. Siehe Goller et al. (2025). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Goller, Daniel; Wolter, Stefan C. (2025). Berufswahl: Daten zeigen, was Jugendliche bewegt. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.