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Von der Reformrhetorik zum Tatbeweis

Die abnehmende Kaufkraft der Schweizer Konsumenten hat eine anhaltende Debatte über die Hochpreisinsel Schweiz entfacht und die Debatte neu auf die Nahrungsmittel und ihre Branche fokussiert. Wo liegen aber die Gründe, weshalb die Nahrungsmittelpreise in der Schweiz – im Vergleich zum Ausland – hoch sind? Ursache dafür ist nicht, wie so häufig kolportiert, die fehlende Dynamik der Branche. Vielmehr tragen die wettbewerbsfeindlichen Rahmenbedingungen, welche der Detailhandel in der Schweiz vorfindet, dazu bei. Eine besondere Verantwortung trägt hier der Bundesrat. Trotz Wachstumspaket und Reformrhetorik will er Parallelimporte explizit verbieten sowie technische Handelshemmnisse nicht mit der nötigen Entschiedenheit abbauen.

Besonders spürbar sind die Wettbewerbsbehinderungen bei den Food-Märkten, namentlich beim Frischesortiment. Ganze 400 Zoll- und Teilzollkontingente sind es gemäss WTO-Bericht, welche die mengenmässigen Beschränkungen regeln. Diese Kontingente belasten die Unternehmen schwer, sei es durch die tarifäre Handelswirkung, die aufwendige Bewirtschaftung oder die starke Einschränkung der Beschaffungsflexibilität.

Massstab für Rahmenbedingungen: Europäisches Umfeld


Soll der Schweizer Detailhandel konkurrenzfähig sein, müssen die Rahmenbedingungen jenen der europäischen Konkurrenten ähnlich sein. Davon sind wir aber weit entfernt. Eine Verbesserung ist umso dringender, als der Schweizer Markt klein ist und wir die Vorteile der Globalisierung in der Schweiz weniger nutzen können. Speziell von der Öffnung der Produktmärkte profitieren würden die Verarbeitung und Veredelung, die den grössten Teil der Wertschöpfung bei den Lebensmitteln generieren. Als einzige Branche entlang der Wertschöpfungskette ist die Nahrungsmittelindustrie nicht standortgebunden.

Eckpfeiler einschlagen


Die Lebensmittelpreise liegen heute in der Schweiz immer noch mehr als 40% über den europäischen Preisen. Damit der Detailhandel beim Abbau der überhöhten Preise in der Schweiz eine Schlüsselrolle einnehmen kann, sind in der Politik in nächster Zeit Eckpfeiler neu zu setzen: – Öffnung der Produktmärkte: Die Agrarpolitik 2011 ist eine Fortsetzung der bisherigen Reformschritte. Doch auch unter Mitberücksichtigung von WTO-Szenarien werden nach der nächsten Reformetappe die Rohstoffpreise in wichtigen Märkten noch weit über dem EU-Niveau liegen. Unser Rohstoffhandicap wird allein schon deshalb nicht zu beseitigen sein, weil die hohen Produktionskosten in der Landwirtschaft nach wie vor preistreibend wirken. Kosten- und Preisrelationen bei der landwirtschaftlichen Produktion können nur wirksam in Richtung EU bewegt werden, wenn der Grenzschutz wegfällt. Damit entstünde für den Schweizer Markt ein Preissenkungspotenzial von 2,5 bis 3 Mrd. Franken. – Abbau von technischen Handelshemmnissen: Technische Handelshemmnisse wirken gerade bei einem kleinen Markt handelshemmend und dämpfen damit das Wachstum. Die Behörden sind diesbezüglich zweifach gefordert. Zum einen ist in den harmonisierten Märkten die Harmonisierung rasch und vollständig umzusetzen. Anderseits wird das Parlament für die nicht harmonisierten Märkte entscheiden müssen, wie stark die Unternehmen wirksam entlastet und unsinnige Sonderregelungen aufgegeben werden können. – Aufhebung Importmonopolisierung: Neben dem Grenzschutz gibt es heute weitere Abschottungsmechanismen. In den Produktmärkten spielen die patentgeschützten Güter eine wichtige Rolle. Patente sind in den Bereichen Near-Food (Hygiene, Kosmetik) und Non-Food weit verbreitet. Parallelimporte wirken wettbewerbsstimulierend und haben nach unseren Berechnungen ein Preissenkungspotenzial im Detailhandel von rund 3 Mrd. Franken. Die geplante Zementierung der nationalen Patenterschöpfung im Patentrecht käme einer Importmonopolisierung gleich. – Abbau der Regulierungsdichte: Es kann nicht nur das Ziel sein, staatliche Eingriffe ins Marktgeschehen zu beseitigen. Die Unternehmen sind auch effektiv zu entlasten. Besonders gravierend sind die Widersprüche in der Raumplanungs- und Umweltschutzgesetzgebung und die damit verbundene Rechtsunsicherheit. Das Verbandsbeschwerderecht lädt zum Missbrauch ein, ohne den berechtigten Anliegen des Umweltschutzes bei Grossprojekten effektiv zu dienen.  Nur mit einer Richtungsänderung in der Politik – wie bei der laufenden Revision des Patentgesetzes und der Verankerung der regional-europäischen oder internationalen Patenterschöpfung, der Vorlage über die Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips und den Verhandlungen über den Abbau des Agrarschutzes – wird es möglich sein, die volkswirtschaftlich schädlichen Preisdifferenzen zu reduzieren.

Zitiervorschlag: Stefan Flueckiger (2006). Von der Reformrhetorik zum Tatbeweis. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.