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Corporate Governance für Organisationen und Unternehmen des Bundes

Sowohl in der Schweiz wie im Ausland sind in Zusammenhang mit Auslagerungen bisher unterschiedlichste Organisationsformen gewählt worden. Die OECD hat diese Vielfalt in ihren Mitgliedstaaten 2004 als «Verwaltungszoo» kritisiert, der die Transparenz über staatliche Zuständigkeiten und Verantwortungen reduziere. OECD, Public Sector Modernisation: Changing Organisational Structures, Policy Brief, September 2004. Solche Bedenken führten auf Bundesebene zu verschiedenen parlamentarischen Vorstössen. Vgl. 02.3464 Empfehlung Geschäftsprüfungskommission SR vom 19. September 2002: Überprüfung der Beteiligungen des Bundes an privatwirtschaftlichen Unternehmen; 04.3441 Postulat Geschäftsprüfungskommission SR vom 13. September 2004: Verwaltungsführung im dritten Kreis; 05.3003 Motion Finanzkommission NR vom 15. Februar 2005: So genanntes Vierkreisemodell. Der Bundesrat hat nun einheitliche Grundsätze für die Steuerung von Unternehmen und Organisationen des Bundes sowie für die Auslagerung weiterer Aufgaben geschaffen.

Der Bund erfüllt einen Teil seiner Auf-gaben nicht (mehr) selber, sondern überträgt sie an Organisationen und Unternehmen ausserhalb der zentralen Bundesverwal-tung. Häufig sind dies ehemalige Verwaltungseinheiten, so zum Beispiel das Bundesamt für Geistiges Eigentum, das seinem Auftrag heute als Anstalt nachkommt. Mit einer Auslagerung verfolgt der Bund primär das Ziel, die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit bei der Aufgabenerfüllung zu erhöhen. Wie die Beispiele von Fernmelde- und Postdienstleistungen zeigen, hat der Bund einzelne Aufgaben auch im Hinblick auf die Öffnung und Liberalisierung von Märkten ausgelagert. Auf ausgelagerte Aufgaben kann der Bund nicht mehr kurzfristig und direkt Einfluss nehmen. Er bleibt aber für ihre Erfüllung weiterhin verantwortlich. Den entsprechenden Einfluss sichert er sich, indem er als Eigner – d.h. Eigentümer oder Hauptbzw. Mehrheitsaktionär – der Organisation oder Unternehmung fungiert, welche die ausgelagerte Aufgabe wahrnimmt.

Corporate-Governance-Bericht des Bundesrates


Mit dem Corporate-Governance-Bericht hat der Bundesrat am 13. September 2006 einheitliche Grundsätze für die Auslagerung und Steuerung von Bundesaufgaben geschaffen. Siehe www.efv.admin.ch/d/news/index.php . Im Einzelnen beantwortet der Bericht folgende Fragen:  – Welche Bundesaufgaben eignen sich zur Auslagerung (Aufgabentypologie)? – Wie sind die mit der Erfüllung ausgelagerter Aufgaben betrauten Organisationen und Unternehmungen rechtlich zu konzipieren und zu steuern (28 Leitsätze und Steuerungsmodell)? – Wie soll sich der Bund intern bei der Wahrnehmung seiner Eignerinteressen organisieren (Rollenverteilung)?  Nicht Gegenstand des Corporate-Governance-Berichts ist die Frage nach der Notwendigkeit und dem Ausmass staatlicher Tätigkeit bzw. nach der Möglichkeit von Aufgabenprivatisierungen. Auch neuere Formen der Aufgabenteilung zwischen der öffentlichen Hand und Privaten, wie beispiels-weise Public Private Partnerships, sind nicht Thema des Berichts.

Aufgabentypologie


Mit einer Auslagerung verändern sich die Möglichkeiten des Bundes, die Aufgabenerfüllung zu steuern. Vor allem besteht keine Möglichkeit mehr, kurzfristig auf operative Einzelheiten der Umsetzung Einfluss zu nehmen. Umso wichtiger wird die mittel- und langfristige, auf strategische Inhalte ausgerichtete Steuerung sowohl der ausgelagerten Aufgabe wie auch der mit ihrer Erfüllung betrauten Institutionen.  Nicht alle Aufgaben des Bundes eignen sich für diese veränderte Form der Einflussnahme und damit für eine Auslagerung. Einzelne Aufgaben bedingen eine enge politische Begleitung, entweder weil sich ihre adäquate Erfüllung nicht anders sichern lässt (z.B. Vorarbeiten in Zusammenhang mit der Gesetzgebung) oder weil sie einer hohen politi-schen Legitimation bedürfen (z.B. Aufgaben der inneren und der äusseren Sicherheit). Sie sind innerhalb der zentralen Bundesverwaltung zu erfüllen, weil nur hier eine enge und detailorientierte Form der politischen Einflussnahme gewährleistet ist.  Andere Aufgaben eignen sich demgegenüber eher für eine Auslagerung: Entweder werden sie zunehmend von funktionierenden Märkten wahrgenommen und verlieren entsprechend den Bedarf nach politischer Steuerung (z.B. Fernmeldedienstleistungen), oder ihre Erfüllung ist weit gehend durch internationale oder wissenschaftliche bzw. technische Erfordernisse bestimmt, so dass die politische Steuerung auf Grundsätzliches beschränkt ist (z.B. Flugsicherung). Ebenfalls ausgelagert werden sollen Aufgaben, die eine mit der Justiz vergleichbare Unabhängigkeit von der Politik voraussetzen (z.B. Finanzmarktaufsicht).  Auslagerungen sind bis heute ohne systematische Entscheidhilfe beschlossen worden. Künftig soll dies auf der Grundlage einer Aufgabentypologie geschehen, welche Bundesaufgaben vier verschiedenen Aufgabentypen zuordnet, die sich in unterschiedlichem Masse zur Auslagerung eignen:  – Ministerialaufgaben: Diese Aufgaben umfassen insbesondere die Politikvorberei-tung sowie Dienstleistungen mit stark hoheitlichem Charakter. Vielfach ist ihre Erfüllung mit Eingriffen in die Grundrechte verbunden, wie z.B. bei Aufgaben der inneren und äusseren Sicherheit. Diesen Aufgaben fehlt die Auslagerungseignung, weil sie einen hohen politischen Steuerungs- und Legitimationsbedarf aufweisen. Wegen ihres ausgeprägten Koordinationsbedarfs sowie ihres hohen Synergiepotenzials mit andern Aufgaben ist die Erfüllung innerhalb der zentralen Bundesverwaltung effizienter als ausserhalb. – Dienstleistungen mit Monopolcharakter: Sie finden sich beispielsweise in den Bereichen Bildung, Forschung und Kultur und lassen sich z.T. nur in den Grundzügen durch die Politik bestimmen, weil ihre Erfüllung weit gehend durch internationale, technische oder wissenschaftliche Vorgaben bestimmt ist. Sie sind attraktiv für mäzenatische Zuwendungen. Der Erfolg der Aufgabenerfüllung hängt vielfach stark von der Reputation ab, über die ihr Erbringer verfügt. Dienstleistungen mit Monopolcharakter eignen sich zur Auslagerung, weil die politischen Einflussmöglichkeiten begrenzt sind. Die Auslagerung ermöglicht dem Erbringer solcher Aufgaben ein eigenständiges Auftreten und erhöht dessen Chancen zum Aufbau einer eigenen Reputation. Unter den ausgelagerten Aufgaben bedarf dieser Typ jedoch der engsten politischen Steuerung, weil sich die Mehrheit dieser Aufgaben nur mit öffentlichen Geldern erfüllen lässt.  – Aufgaben der Wirtschafts- und der Sicherheitsaufsicht: Solche Aufsichtstätigkeiten sind – ähnlich wie die Rechtsprechung – ohne politischen Einfluss im Einzelfall auszuführen. Hierzu gehören beispielsweise die Postmarktregulation und die Aufsicht über die Kernkraftanlagen. Sie sollen ausgelagert werden, weil damit die Unabhängigkeit gewährleistet wird, mit der diese Tätigkeiten wahrzunehmen sind. – Dienstleistungen am Markt: Diese werden am Markt erbracht und weit gehend bzw. zunehmend durch Angebot und Nachfrage gesteuert. Das Gesetz garantiert weiterhin den Mindestversorgungsgrad. Hierzu gehören beispielsweise die Fernmeldeoder Postdienstleistungen. Sie eignen sich zur Auslagerung, da ihr Erbringer über eine weit gehende Eigenständigkeit verfügen muss, um sich erfolgreich am Markt positionieren zu können.  In ihrer idealtypischen Ausrichtung versteht sich die Aufgabentypologie als Richtschnur für künftige Auslagerungsentscheide, die den politischen Entscheid jedoch nicht vorwegnehmen will. Jede Auslagerung bedingt letztlich ein Abwägen zwischen dem Wunsch nach einem schlanken Staat und dem Anliegen nach staatlich gesicherter Versorgung. Dieser Entscheid kann nur im Rahmen politischer Prozesse getroffen werden.

Leitsätze und Steuerungsmodell


Die mit einer Auslagerung angestrebten Verbesserungen lassen sich nur erzielen, wenn die mit der Aufgabenerfüllung betraute Institution rechtlich optimal konzipiert ist und dabei dem besonderen Status des Bundes als Eigner Rechnung trägt.  Der Corporate-Governance-Bericht zeigt mit 28 Leitsätzen auf, inwieweit verschiedene Elemente des Organisationsrechts verbessert werden sollen, damit der Bund auch langfristig eine kohärente Eignerpolitik sicherstellen kann. Diese Neuerungen werden primär bei den Anstalten zu Anpassungen führen. Bei (privatrechtlichen) Aktiengesellschaften sind die Leitsätze bereits heute weit gehend durch das Aktienrecht abgedeckt.  Gemäss den Leitsätzen sollen künftig alle Organisationen und Unternehmen des Bundes über schlanke und professionelle Organstrukturen verfügen. Sie sollen gezielter auf ihre Tätigkeit ausgerichtet haften. Ihre unternehmerische Entwicklung und die Aufgabenerfüllung soll im mittelfristigen Zeithorizont über strategische Ziele gesteuert werden. Verstärkt wird die Kontrolle über die Organisationen und Unternehmungen des Bundes. Der Bundesrat soll sich dabei auf bessere Grundlagen abstützen können und mehr Möglichkeiten haben, bei sich abzeichnenden bzw. eingetretenen Fehlentwicklungen einzugreifen. Zudem sollen im finanziellen Bereich mehr Transparenz in der Finanzierung geschaffen und wettbewerbsverzerrende Sonderregelungen eliminiert werden.  Die Stellung des Bundes als Eigner verbessert sich entscheidend, indem die Leitsätze auf die drei zur Auslagerung geeigneten Aufgabentypen (Dienstleistungen mit Monopolcharakter, Aufgaben der Wirtschafts- und der Sicherheitsaufsicht, Dienstleistungen am Markt) ausgerichtet und zu einem aufgabentypenspezifischen Steuerungsmodell zusammengeführt werden. Erst diese Verknüpfung von Aufgabentypologie und Leitsätzen ermöglicht, dass der Bund seinen Einfluss als Eigner abhängig von den Besonderheiten der ausgelagerten Aufgaben wahrnehmen und damit langfristig eine den übergeordneten Interessen entsprechende Eignerpolitik sicherstellen kann.

Rollenverteilung


Innerhalb des Bundes sind insbesondere Parlament, Bundesrat und Bundesverwaltung (Generalsekretariate, Fachämter, Eidg. Finanzverwaltung) mit Aufgaben der Eignerpolitik betraut. Die Rollenverteilung zwischen Parlament und Bundesrat soll unverändert fortgeführt werden: Gegenüber den Organisationen und Unternehmen des Bundes nimmt der Bundesrat die Funktion des Eigners wahr. Das Parlament legt demgegenüber die gesetzlichen Rahmenbedingungen fest und übt die Oberaufsicht aus.  Auf Verwaltungsebene drängt sich eine neue Rollenverteilung vor allem aus dem Bedarf nach mehr Transparenz im Umgang mit den verschiedenen Funktionen des Bundes auf, die in einem potenziellen Spannungsverhältnis zur Eignerpolitik stehen: – Im Rahmen der Fachaufsicht wacht der Bund darüber, dass seine Aufgaben gesetzlich und fachlich korrekt auch ausserhalb der Bundesverwaltung umgesetzt werden. Die Fachaufsicht kann mit Auflagen verbunden sein, die für die Organisationen und Unternehmungen betriebswirtschaftlich ungünstig und damit für den Bund als Eigner unattraktiv sind. – Im Rahmen der Wirtschafts- und der Sicherheitsaufsicht beaufsichtigt der Bund das Funktionieren von Märkten und die Erstellung von Marktleistungen mit besonderen Gefahren für die Öffentlichkeit. Diese Funktion muss der Bund möglichst objektiv ausüben und darf sich insbesondere nicht dadurch beeinflussen lassen, dass er Eigner von am Markt tätigen Unternehmungen ist.  – Bei der Leistungsbestellung muss der Bund primär das wirtschaftlich attraktivste Angebot berücksichtigen, selbst wenn es von einem Konkurrenten seines am Markt tätigen Unternehmen stammt.  Zur Vermeidung von allfälligen Interessenkonflikten sollen die mit der Vorbereitung der eignerpolitischen Geschäfte betrauten Verwaltungsstellen in jedem Fall organisatorisch von Aufgaben der Wirtschafts- und Sicherheitsaufsicht getrennt sein und nach Möglichkeit auch nicht Aufgaben der Fachaufsicht oder der Leistungsbestellung wahrnehmen.

Tabelle 1 «Wichtigste Neuerungen des Corporate-Governance-Berichts»

Kasten 1: Ausblick
Der Corporate-Governance-Bericht des Bundesrates bildet die Grundlage für die derzeit im Parlament geführte Diskussion über Public Corporate Governance. Seine konkrete Umsetzung soll bis Mitte 2007 im Rahmen einer Umsetzungsplanung aufgezeigt werden, in die auch die Erkenntnisse der parlamentarischen Debatte einfliessen werden.

Zitiervorschlag: Marianne Weber, Marianne Widmer, (2006). Corporate Governance für Organisationen und Unternehmen des Bundes. Die Volkswirtschaft, 01. November.