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Wasserknappheit als globale Herausforderung

Die Wasservorräte der Welt – im natürlichen Kreislauf unablässig erneuert – scheinen grenzenlos. Aber um Leben und Überleben von Mensch und Natur zu sichern, benötigen wir das Wasser zur richtigen Zeit in der richtigen Form am richtigen Ort. Auf dieser Basis hat die 2030 Water Resources Group in neuen Schätzungen die 154 weltweit wichtigsten Flussbecken zusammengefasst. Das Ergebnis: Bereits heute übernutzen wir das verfügbare Wasser; bis 2030 könnte der Nachfrageüberhang auf über 60% steigen. Die Landwirtschaft würde dabei am härtesten getroffen, mit Einbussen von bis zu 30% beim weltweiten Anbau von Grundnahrungsmitteln. Vorab lokale Wasserprobleme würden so endgültig zur globalen Herausforderung.

Die Gefahren zukünftiger Wasserknappheit werden von vielen noch immer unterschätzt. Soweit das Thema in der regenreichen Schweiz überhaupt diskutiert wird, konzentriert sich die Debatte häufig auf politisch/ideologisch fokussierte Nebenaspekte.

Wasserbezug über die sich natürlich erneuernden Mengen hinaus


Ein erstes, sich verschärfendes Grundproblem beim Wasser ist der rasch wachsende Bezug und der häufig verschwenderische Umgang damit. So sinkt der Grundwasserspiegel im Punjab (Indien) um etwa einen Meter pro Jahr. Die Pumpen zur Bewässerung der Felder wurden über lange Zeit subventioniert; Elektrizität für die Pumpen ist kostenlos. Bei ungedeckten Kosten in vielen Regionen – auch in Industrieländern – leidet der Unterhalt der Infrastruktur, zum Beispiel mit der Folge von Wasserverlusten in Bewässerungskanälen. Wie kann das sich im natürlichen Zyklus unablässig erneuernde Wasser überhaupt knapp werden? Es geht um verfügbares Wasser: Wir benötigen es in der richtigen Form zur richtigen Zeit am richtigen Ort:– Wasser in der richtigen Form: Bei den kürzlichen Überschwemmungen in Polen wurde das Trinkwasser knapp. Die einzige sichere Lösung war Wasser in Flaschen. Das heisst nicht, dass Flaschenwasser Leitungswasser ersetzen könnte oder sollte; dazu sind die Mengen (Bruchteile von Promillen des aufbereiteten Leitungswassers) viel zu klein. Es zeigt aber, dass Flaschenwasser bereits aufgrund seiner Verfügbarkeit eine andere ökonomische Qualität besitzt als Leitungswasser. – Zur richtigen Zeit: Mit dem Monsun haben grosse Landstriche in Indien im Durchschnitt genug Wasser, nur nicht dann, wenn es zum landwirtschaftlichen Anbau benötigt würde. – Am richtigen Ort: Die hohen statistischen Durchschnittswerte Russlands an Wasser helfen dem Aralsee wenig. Wasserknappheit ist zuerst ein lokales Problem – bei der Suche nach Lösungen müssen Flussbecken separat analysiert werden. Untersuchungen auf dieser Basis zeigen, dass bereits heute rund 300 km3 mehr Süsswasser abgezogen werden, als verfügbar sind. Bis 2030 dürfte die Übernutzung auf 2700 km3 oder rund 65% des sich natürlich erneuernden Süsswassers steigen – mit katastrophalen Folgen für die Landwirtschaft als Hauptverbraucher von Wasser und die weltweite Nahrungsmittelversorgung. Spätestens damit werden lokale Wasserprobleme zum globalen Problem.

Strukturelle Probleme der munizipalen Wasserversorgung


Das zweite Grundproblem ist die unzureichende Versorgung mit munizipalem Trink- und Haushaltswasser in Entwicklungsländern. Zwar gab es Verbesserungen. So sank bei einer rasch wachsenden Weltbevölkerung die Zahl der Menschen ohne Zugang zu sicherem Wasser von 1215 Mio. im Jahr 1990 auf 850 Mio. Menschen im Jahr 2006. Aber das sind immer noch viel zu viele – erst recht, wenn die längerfristigen Aussichten ungewiss sind. Eines der Probleme sind Tarife, die häufig nicht einmal die Unterhaltskosten decken. Die Folgen: Leckverluste; mangelnde finanzielle Ressourcen, um auch die Wohngebiete der ärmsten Teile der Bevölkerung mit der munizipalen Wasserversorgung zu erschliessen; und Verschwendung des subventionierten Trinkwassers durch – meist wohlhabende – Bürgerinnen und Bürger mit Wasserhahn zuhause. Die ärmsten Schichten zahlen ein Mehrfaches der munizipalen Tarife für Wasser aus Tanklastern von sehr zweifelhafter Qualität
Vgl. Human Development Report 2006: «In many countries only 25% of the poorest households have access to piped water in their homes, compared with 85% of the richest. Poor people living in slums often pay 5–10 times more per litre of water than wealthy people living in the same city.» und leiden zunehmend unter der Korruption beim Wasser.
Korruption in Cochabamba: Jean Friedmann-Rudofky, Return to Cochabamba: Eight Years Later; Earth Island Journal Autumn 2008. Zudem: Global Corruption Report 2008: Corruption in the Water Sector. Transparency International.Zur Frage öffentliche versus private Wasserversorgung: Im Grunde ist es unerheblich, wer die Wasserversorgung bereitstellt, solange ein paar Grundsätze befolgt werden: Kostendeckung (mit Ausnahme des Wassers für die Ärmsten), Effizienz, Transparenz und angemessener Unterhalt. Zudem ist die Diskussion eher theoretischer Natur, da die privatwirtschaftliche Wasserversorgung heute in Entwicklungsländern lediglich 3% ausmacht und – mit Ausnahme von einigen grösseren Schwellenländern wie Russland, China und Malaysia – rückläufig ist.
Vgl. Marin, Philippe, Public Private Partnerships for Urban Water Utilities. The World Bank, 2009 (http://www.ppiaf.org, Publications, Trends and Policy Options, «By Sector», «Water»)

Eine dreifache gesellschaftliche Rolle von Wasser


Es geht also um Kostendeckung. Doch hier braucht es mehr Verständnis für die verschiedenen Rollen von Wasser als soziales, ökologisches und ökonomisches Gut:– Wohl am wichtigsten ist seine soziale Rolle, das Minimum zum Überleben als Menschenrecht. Der Zugang zu diesem Minimum – weltweit ein relativ bescheidenens Volumen von 60–125 km3 – muss gesichert werden, auch wenn eine Familie dafür nicht bezahlen kann. – Wasser ist ein ökologisches Gut. Geschätzte Mengen von bis zu 4200 km3 weltweit müssen für die Natur, Feuchtgebiete, Seen, Flüsse reserviert bleiben. Die Zahl bezieht sich lediglich auf von Menschen intensiv mitgenutzte Gewässer. Es ist ein Zielwert, der vielenorts durch Übernutzung bereits heute massiv unterschritten wird. – Wasser ist ein ökonomisches Gut – zur Zeit rund 4400 km3. Es handelt sich z.B. um Wasser für Pools und Rasen von Haushalten, für Industrie und Dienstleistungen sowie für landwirtschaftliche Produktion. Ohne angemessenen Preis wird es nur in seltenen Fällen bewirtschaftet, sondern verschwendet.

Interesse einer globalen Lebensmittelfirma


Inwiefern sind solche Probleme für Nestlé von Belang? Das Unternehmen steht als Bindeglied zwischen Landwirtschaft sowie Konsumentinnen und Konsumenten. Es verarbeitet Nahrungsmittel und stellt zum Beispiel sicher, dass auch in heissen Ländern die Milch in guter Qualität von den meist weit von den grossen Metropolen entfernt lebenden Bauern zu den Verbrauchern in den Städten gelangt. Nestlé ist also abhängig von Bauern, die dauerhaft mit dem verfügbaren Wasser produzieren. Und unsere Produkte setzen den Zugang von Konsumentinnen und Konsumenten zu sicherem Trinkwasser für Küche und Hygiene voraus.Das Unternehmen engagiert sich direkt – und dies schon seit vielen Jahren. Bereits in den 1930er-Jahren wurde die erste Abwasserkläranlage der Nestlé-Gruppe in Betrieb genommen. Die Lebensmittelindustrie verbraucht mit ein paar Litern pro US-Dollar an Umsatz relativ wenig Wasser, gegenüber mehreren 100 Litern bei Chemie, Papier- und Zelluloseverarbeitung. Trotzdem hat Nestlé unter Ausschöpfung aller Einsparmöglichkeiten den Wasserbezug über die letzten zehn Jahre von 5 auf weniger als 1,5 Liter pro US-Dollar Umsatz reduziert. Überdies beraten wir weltweit etwa 600 000 Bauern, mit denen wir direkt zusammenarbeiten, um ihnen bei einem sorgsameren Umgang mit Wasser zu helfen.

Zusammenarbeiten für umfassende Lösungen


Das Problem hat aber eine Grössenordnung, dass Einzelmassnahmen bestenfalls ein Tropfen auf einen heissen Stein sind. Nestlé beteiligt sich deshalb am Politikdialog im Rahmen einer weltweiten Initiative, um die grosse Wasserkrise zu verhindern. Teil der Initiative ist die von McKinsey konzipierte Kostenkurve der Wassereinsparmöglichkeiten. In einzelnen Flussbecken wird jedes mögliche Mittel zur Reduktion des Wasserbezugs danach beurteilt, wieviele US-Cents für einen eingesparten Kubikmeter aufgewendet werden müssen.
Der Bericht der 2030 Water Resources Group ist auf http://www.2030waterresourcesgroup.com/water_full frei zugänglich.Das Problem der sich abzeichnenden Wasserknappheit ist lösbar. Dazu braucht es aber eine umfassende, faktenbezogene Strategie der Behörden, die in Partnerschaft aller Stakeholder in einem Flusseinzugsgebiet umgesetzt wird. Eine angemessene Wertschätzung von Wasser wird auf Dauer die nachhaltige Nutzung dieser so wichtigen Ressource sicherstellen.

Zitiervorschlag: Herbert Oberhaensli (2010). Wasserknappheit als globale Herausforderung. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.