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Der Kundenschutz bei Finanzdienstleistungen aus ökonomischer Perspektive

Der Kundenschutz steht im Zentrum des Projektes für ein Finanzdienstleistungs- und ein Finanzinstitutsgesetz. Zur Einführung folgt deshalb ein Überblick zur ökonomischen Sichtweise auf Kundenschutzfragen im Allgemeinen sowie auf den Kundenschutz im Bereich der Finanzdienstleistungen im Besonderen. Inhaltlich geht es vor allem um die Frage, wann Kundenschutzgesetze Sinn machen beziehungsweise wann ein Ausbau dieser Gesetze aus ökonomischer Sicht angezeigt ist.

Der Kundenschutz bei Finanzdienstleistungen aus ökonomischer Perspektive

Typisch für die Finanzberatung ist, dass sie Eigenschaften eines Vertrauensguts aufweist: Käufer haben Mühe, die Qualität des Gutes einzuschätzen, und müssen deshalb einem Spezialisten vertrauen. (Bild: Keystone)

Unter Kundenschutz – im Finanzmarktbereich spricht man von Anlegerschutz – werden verschiedenste Massnahmen verstanden, welche die Konsumenten gegenüber den Produktherstellern und Händlern besser schützen sollen. Sie umfassen Regeln zu einzelnen Produktcharakteristika (z. B. Sicherheitsanforderungen), Anbietern (z. B. Lizenzen, Ausbildungsanforderungen), Marketingmethoden (z. B. Anforderungen an die Werbung) oder Vertragsregeln (z. B. die allgemeinen Geschäftsbedingungen). Kundenschutz kann auch verstanden werden als Abweichung vom Rechtsgrundsatz caveat emptor (lateinisch: «Möge sich der Käufer in Acht nehmen.»), welcher die gesamte Verantwortung bei Kaufverträgen an den Käufer delegiert. Kundenschutzgesetze richten sich meist an alle Konsumenten. Manchmal wird dabei aber auch zwischen verschiedenen Kundengruppen mit unterschiedlichem «Schutzbedürfnis» differenziert.[1] In der Schweiz ist der Kundenschutz als Bundeskompetenz in Artikel 97 der Bundesverfassung verankert.

Ökonomie und Kundenschutz


Während sich die Ökonomie intensiv mit wettbewerbspolitischen Fragen beschäftigt hat, wurde der Konsumentenschutz erst in den letzten Jahren als Forschungsfeld entdeckt. Die beiden Themenfelder sind eng miteinander verbunden.[2] Denn für viele Produkte ist ein funktionierender Wettbewerb der beste Konsumentenschutz, da er die Unternehmen zwingt, Produkte anzubieten, die im Interesse und zum Nutzen der Kunden sind. Besteht Wettbewerb, so prosperieren Firmen, welche den Kunden gute Produkte anbieten, während solche mit schlechten Produkten schrumpfen. Doch wann braucht es Konsumentenschutz? Theoretisch lässt sich zeigen, dass der Nutzen aus Verträgen maximal ist, wenn sie gegenseitig freiwillig (d. h. ohne Zwang oder übermässigen Druck auf den Käufer) eingegangen werden, keine signifikanten Auswirkungen auf Dritte haben und auf symmetrischer Information beruhen. Jeder weitere Eingriff in die Vertragsfreiheit wäre dann schädlich. Unter diesen Voraussetzungen gäbe es keinen Grund für Konsumentenschutz, und caveat emptor wäre die beste Lösung.

In Realität ist jedoch vor allem die Voraussetzung symmetrischer Information zwischen Käufer und Verkäufer meistens nicht gegeben. Asymmetrische oder unvollständige Information ist in den meisten Märkten präsent und stellt somit eher den Normalfall denn die Ausnahme wirtschaftlichen Handelns dar.[3] Wie die Literatur zeigt, können solche Informationsprobleme die effiziente Funktionsweise des Marktmechanismus einschränken und im Extremfall sogar zu einem Zusammenbruch des Marktes führen.

An einem solchen Szenario haben jedoch sowohl die Käufer als auch die Anbieter kein Interesse – Erstere wollen Güter kaufen, Letztere wollen Güter verkaufen. Deshalb haben sich verschiedene Mechanismen herausgebildet, welche solchen Informationsproblemen entgegenwirken. Beispielsweise geben Anbieter den Kunden Garantien ab, unterstellen sich einem Gütesiegel oder bewerben sich mit für den Kunden nützlichen Angaben. Dadurch versuchen sie, sich einen guten Ruf zu schaffen, oft über den Aufbau einer Marke. Auf der anderen Seite kann der Käufer versuchen, möglichst viel über den Anbieter oder das Produkt herauszufinden, indem er sich selbst spezifisches Wissen aneignet oder einen Informationsintermediär (z. B. Comparis, Kassensturz) bzw. einen Berater in Anspruch nimmt. In vielen Fällen werden so die Informationsprobleme quasi von selbst gelöst oder zumindest eingedämmt.

Wann macht eine staatliche Regulierung Sinn?


Wenn diese Mechanismen allerdings nicht spielen oder nicht stark genug sind, kann das Ergebnis unter Umständen durch eine staatliche Regulierung verbessert werden. Eine solche muss jedoch erstens wirksam sein, und zweitens muss ihr Nutzen den dadurch verursachten Kosten gegenübergestellt werden. Denn jede Stärkung des Konsumentenschutzes und einer Abweichung vom Grundsatz caveat emptor hat ihren Preis. Je besser der Konsument geschützt wird, desto weniger Verantwortung trägt er und desto weniger sorgfältig wird er seinen Anbieter und seine Produkte auswählen. Dies führt zu einem Anreizproblem auf Kundenseite und zu einem Verlust an Marktdisziplin. Der Ausbau des Kundenschutzes verringert zudem die wichtigen Anreize zum Aneignen von sogenannten Market-Skills auf Konsumentenseite (z. B. Produktwissen). Weiter bringen Kundenschutzgesetze oft praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung und substanzielle Regulierungskosten mit sich. Sie können mit einer geringeren Wettbewerbsintensität und mit weniger Auswahl für die Konsumenten verbunden sein. Auch die Einsichten der politischen Ökonomie zur Funktionsweise staatlicher Institutionen sind zu berücksichtigen. So erfolgt gerade die Finanzmarktregulierung oft als Reaktion auf (Finanz-)Krisen und hat eine Tendenz zur Überreaktion. Dadurch kann eine langsamere private Reaktion eingeschränkt oder gar verhindert werden.[4] Ob eine staatliche Regulierung im Bereich Kundenschutz Sinn macht, hängt deshalb einerseits vom empirischen Ausmass der Informationsprobleme in einem spezifischen Markt sowie andererseits von der Kosteneffizienz möglicher Massnahmen ab. In der Folge werden diese Fragen für den Markt für Finanzdienstleistungen beleuchtet.

Kundenschutz im Markt für Finanzdienstleistungen


Grundsätzlich kann ein Kunde auf drei verschiedene Arten Finanzdienstleistungen beziehen:

  • Er entscheidet eigenständig, welches Finanzprodukt er kaufen möchte (Execution only);
  • er wird bei seinen Entscheidungen von einer Fachperson beraten;
  • er delegiert die Vermögensverwaltung an eine Drittperson, die dann im Rahmen ihres Mandats für den Kunden Anlageentscheidungen tätigt.


In der Praxis beinhaltet der Bezug von Finanzdienstleistungen häufig eine Form von Beratung,[5]weshalb sich die folgenden Ausführungen darauf konzentrieren.

Das spezifische Problem bei der Finanzberatung liegt darin, dass die Beratung Eigenschaften eines Vertrauensguts (Credence-Good) aufweist.[6] Das sind Güter, bei denen die Käufer auch nach dem Kauf Schwierigkeiten haben, die Qualität des Gutes einzuschätzen, und deshalb einem Spezialisten vertrauen müssen. Typischerweise sind Vertrauensgüter Dienstleistungen, welche Expertenwissen erfordern, zum Beispiel von einem Arzt, einem Anwalt oder einem Automechaniker. Doch wieso ist die Qualität einer Finanzberatung für Kunden häufig schwierig einzuschätzen? Zwar ist die absolute Wertentwicklung von Finanzinstrumenten auch für Laien gut verständlich, die Beurteilung der relativen, risikoadjustierten Performance eines Portfolios ist hingegen anspruchsvoll, da sie nur im Vergleich mit risikoadäquaten Anlagealternativen möglich ist, die wiederum von arbiträr gewählten Kriterien abhängen. Zudem beruht die Beurteilung der situativen Angemessenheit eines Portfolios auf einer Vielzahl individueller Aspekte und den Präferenzen des Kunden. Das geringe Fachwissen vieler Kunden erschwert eine solche Einschätzung zusätzlich. Im Nachhinein ist es deshalb für viele Kunden kaum abzuschätzen, in welchem Mass etwa eine positive Entwicklung des Portfolios auf eine gute Beratung zurückzuführen ist oder schlicht auf Glück beruht.

Die Problematik der Vertrauensgüter besteht darin, dass sich durch die schlechte Überprüfbarkeit der Beratungsqualität durch die Kunden Verhaltensrisiken auf Berater- wie auch auf Kundenseite ergeben. Auf der Seite des Finanzdienstleisters entsteht der Anreiz, den Kunden mehr im eigenen Interesse (welches oft von dem des Kunden divergiert) zu beraten.[7] Auf der Seite des Kunden entsteht der Anreiz zu einer Negativauslese der Berater. Da die Kunden nur ungenügend in der Lage sind, zwischen qualitativ guten und schlechten Anbietern zu unterscheiden, wird sich ihre Zahlungsbereitschaft für Finanzberatung derjenigen einer «durchschnittlichen» Beratung angleichen. Das bedeutet, dass qualitativ gute Berater für ihre Leistung nicht entsprechend belohnt werden und sich aus dem Markt zurückziehen. Dadurch verschlechtert sich die durchschnittliche Qualität der Produkte und der Anbieter am Markt kontinuierlich. Die Antizipation der eigenen Informationsnachteile schwächt zudem das für die Anlageberatung zentrale Vertrauen der Kunden in die Finanzberatung. Dies führt zu einem Rückgang der Zahlungsbereitschaft und der Nachfrage nach Finanzberatung.

Hinweise auf Ineffizienzen im Markt für Anlageberatung


Die entscheidende Frage ist nun, wie ausgeprägt diese Verhaltensrisiken in der Realität sind, oder mit anderen Worten: inwiefern sie durch die oben erwähnten Mechanismen zur Überwindung von Informationsproblemen korrigiert werden können. Wäre dies der Fall, so müsste der Markt für Anlageberatung durch eine gewisse Transparenz und einen mehrheitlich funktionierenden Leistungswettbewerb geprägt sein. Dagegen sprechen jedoch folgende empirische Beobachtungen:[8]

  • Homogene Finanzprodukte (z. B. Indexfonds) weisen oft signifikante Preisunterschiede auf. Dies deutet auf einen schlecht funktionierenden Wettbewerb hin.
  • Privatanleger investieren überdurchschnittlich oft in teure Produkte mit hohen Gebühren.
  • Die Transparenz bei den Finanzprodukten ist vergleichsweise gering. Die Finanzprodukte unterscheiden sich qualitativ oft nur wenig und enthalten häufig technische Begriffe und inkonsistente Terminologien. Dies erschwert es dem Kunden, verschiedene Produkte zu vergleichen und für ihn wesentliche Informationen (z. B. die Gesamtkosten) herauszufiltern.
  • Die Vergütung der Berater erfolgt oft indirekt und ist für den Kunden wenig transparent. An den Verkauf bestimmter Produkte gekoppelte Vergütungssysteme können für den Berater Anreize ergeben, die nicht mit den Interessen des Kunden im Einklang sind.[9]


Allerdings gibt es in der Schweiz in den letzten Jahren vermehrte Anzeichen für private Initiativen hin zu mehr Transparenz und zu einem Leistungswettbewerb im Sinne des Kunden. So haben Anbieter, die sich ausdrücklich der Transparenz verschreiben und auch damit werben, ihren Kundenstamm stark ausgebaut, und es sind entsprechende neue Anbieter in den Markt eingetreten.

Ob die Verhaltensrisiken im Schweizer Markt für Anlageberatung genügend ausgeprägt sind, um einen wirksamen Leistungswettbewerb zu behindern, und folglich die Möglichkeit besteht, das Funktionieren des Marktes mit einer (wirksamen) staatlichen Regulierung zu verbessern, bedürfte aufgrund dieser Ausgangslage einer fundierteren Abklärung. Hierbei müsste insbesondere eine hinreichend überzeugende Argumentationskette aufgebaut werden, warum die Bereitstellung von entscheidungsrelevanten Informationen durch Unternehmen nicht funktioniert. Ist ein entsprechender Handlungsbedarf nachgewiesen, wäre eine Kosten-Nutzen-Analyse von möglichen Massnahmen durchzuführen. Gerade Letzteres ist angesichts der oben erwähnten Kosten von Kundenschutzgesetzen zentral. Vieles spricht deshalb für wohldosierte, gezielte Massnahmen, die an der Wurzel des Problems ansetzen und deren Wirksamkeit erwiesen ist.[10]

  1. Z. B. die Unterscheidung zwischen Retail-Kunden und professionellen Kunden in den Entwürfen zum Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg) und zum Finanzinstitutsgesetz (Finig). []
  2. Zum Folgenden vgl. Armstrong (2011) und Vickers (2003). []
  3. In den für diesen Artikel interessierenden Märkten ist meist der Verkäufer besser informiert als der Käufer. Von diesem Szenario wird im Folgenden ausgegangen. []
  4. Vgl. Zingales (2010), S. 13. []
  5. Im EU-Raum nehmen fast 80 Prozent der Kunden beim Kauf von Finanzprodukten eine Beratung in Anspruch, vgl. Inderst und Ottaviani (2012), S. 496f. []
  6. Vgl. zum ganzen Absatz Kocher (2010), S. 58–71. []
  7. Zwar sind die Anlageberater gemäss bestehendem Schweizer Auftragsrecht verpflichtet, die Interessen des Kunden zu wahren, doch ist dieser Anspruch rechtlich schwierig durchzusetzen. Ein fehlbares Verhalten des Beraters ist für den Kunden aus den oben genannten Gründen schwer zu erkennen und (ausser bei sehr offensichtlichen Verstössen) vor Gericht kaum zu beweisen, vgl. Kocher (2010), S. 166. []
  8. Vgl. Kocher (2010), S. 72–77. Die hier aufgeführte Evidenz bezieht sich hauptsächlich auf die USA und müsste für die Schweiz noch gesondert überprüft werden. []
  9. Im Bereich der Vermögensverwaltung hat das Bundesgericht letztmals 2012 entschieden, dass Vergütungen von Dritten, welche der Berater im Zusammenhang mit seinem Verwaltungsmandat erhält (Retrozessionen), dem Kunden gehören. Bei der Anlageberatung ist diese Frage rechtlich noch nicht geklärt. []
  10. Interessant in diesem Zusammenhang sind die in der Studie von Hackethal und Inderst (2012) gemachten Vorschläge. []

Literaturverzeichnis

  • Armstrong, Mark (2012): Economic Models of Consumer Protection Policies, in: Swedish Competition Authority (Hg.): The Pros and Cons of Consumer Protection, S. 123–147.
  • Dulleck, Uwe, Kerschbamer, Rudolf (2006): On Doctors, Mechanics, and Computer Specialists: The Economics of Credence Goods. Journal of Economic Literature, 44(1), S. 5–42.
  • Hackethal, Andreas, Inderst, Roman (2012): Messung des Kundennutzens der Anlageberatung. Wissenschaftliche Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV).
  • Inderst, Roman, Ottaviani, Marco (2012): Financial Advice. Journal of Economic Literature 50(2), S. 494–512.
  • Kocher, David (2010): Der Anlegerschutz bei der Vermögensverwaltung. Ein Vergleich der «Markets in Financial Instruments Directive» (MiFID) mit den relevanten Bestimmungen in der Schweiz aus Sicht der ökonomischen Regulierungstheorie.
  • Vickers, John (2003): Economics for Consumer Policy. Keynes Lecture in Economics, 29 October.
  • Zingales, Luigi (2009): The Future of Securities Regulation. Journal of Accounting Research 47(2), S. 391–425.

Bibliographie

  • Armstrong, Mark (2012): Economic Models of Consumer Protection Policies, in: Swedish Competition Authority (Hg.): The Pros and Cons of Consumer Protection, S. 123–147.
  • Dulleck, Uwe, Kerschbamer, Rudolf (2006): On Doctors, Mechanics, and Computer Specialists: The Economics of Credence Goods. Journal of Economic Literature, 44(1), S. 5–42.
  • Hackethal, Andreas, Inderst, Roman (2012): Messung des Kundennutzens der Anlageberatung. Wissenschaftliche Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV).
  • Inderst, Roman, Ottaviani, Marco (2012): Financial Advice. Journal of Economic Literature 50(2), S. 494–512.
  • Kocher, David (2010): Der Anlegerschutz bei der Vermögensverwaltung. Ein Vergleich der «Markets in Financial Instruments Directive» (MiFID) mit den relevanten Bestimmungen in der Schweiz aus Sicht der ökonomischen Regulierungstheorie.
  • Vickers, John (2003): Economics for Consumer Policy. Keynes Lecture in Economics, 29 October.
  • Zingales, Luigi (2009): The Future of Securities Regulation. Journal of Accounting Research 47(2), S. 391–425.

Zitiervorschlag: Christian Wipf (2014). Der Kundenschutz bei Finanzdienstleistungen aus ökonomischer Perspektive. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.