
Stefan Paul, CEO von Kühne + Nagel, am Hauptsitz in Schindellegi SZ: «Zehn Prozent Zoll verändern keine globalen Warenströme nachhaltig.» (Bild: Keystone / Christian Beutler)
Stimmt, mit 21 habe ich als Speditionskaufmann angefangen. Damals war eine Karriere im Banking oder im Versicherungswesen wahnsinnig angesagt. Ich aber wollte anpacken, nicht den ganzen Tag im Büro sitzen. Darum habe ich gedacht: Logistik ist international. Wenn ich da einsteige, dann lerne ich die Welt kennen.
Ich wohne 400 Meter hier vom Hauptsitz die Strasse hinunter.
Schindellegi hat einen Metzger, einen Bäcker, zwei Dorfbeizen und Kühne + Nagel. Wir sind hier im Headoffice mit etwa 220 Leuten aktiv. Hier laufen alle Fäden zusammen. Wir spüren die Welt.
Vermutlich oft nur indirekt, weil sie Zeitung lesen. Man kann ja weiterhin die gleichen Waren kaufen wie vor der US-Zoll-Thematik. Die Fragen sind: Ist die Welt überhaupt im Umbruch? Wird es tatsächlich Veränderungen in den globalen Warenströmen geben?
Wir transportieren Fracht ohne eigene Schiffe, Flugzeuge und LKWs.
Am Ende des Tages muss man Folgendes sehen: Ausser für China und die USA waren die höheren Zölle ja von Anfang an ausgesetzt. Also gibt es keine globale Belastung.
10 Prozent verändern keine globalen Warenströme nachhaltig. Die stemmen entweder die Importeure oder die Produzenten – oder die Produkte werden marginal teurer. Wirklich entscheidend waren bis vor Kurzem die 145 Prozent für Waren aus China und die 125 Prozent für Waren aus den USA nach China. Die Warenströme von China in die USA gingen damals deutlich zurück – insbesondere im Seefrachtbereich.
Nun haben beide Seiten diese Zölle deutlich gesenkt.
Die entsprechenden Buchungen ziehen daher wieder an. Gleichzeitig stellen wir fest, dass Südostasien und Indien Buchungsrückgänge aus China aufgefangen haben.
Man kann nicht davon ausgehen, dass der globale Handel komplett zum Erliegen kommt. Allenfalls verschiebt er sich: aktuell von China nach Südostasien und Indien. Es findet eine Verlagerung von Produktionskapazitäten statt.
Wir haben keine eigenen Schiffe. Wir sind ein Asset-Light-Anbieter – das heisst: Wir transportieren Fracht ohne eigene Schiffe, Flugzeuge und LKWs. In der Regel buchen unsere Kunden Luftfracht maximal eine Woche im Voraus. In der Seefahrt ist der Vorlauf mit drei bis vier Wochen etwas länger.
Nein. Wir platzieren unsere Volumenvorstellungen jeweils zu Jahresbeginn. Wir sind einer der grössten und ein gern gesehener Kunde der Reedereien. Zurzeit streichen die Reedereien jedoch von sich aus einige Verbindungen aus China aus dem Fahrplan.
Wir haben nur einen kleinen eigenen LKW-Fuhrpark – etwa 1500 in Frankreich – und leasen zwei Flugzeuge. Schiffe haben wir keine. Zwei Dinge sind unser Erfolgsrezept: Innovation und Kundenzufriedenheit. Wir müssen es mit unseren Produkten schaffen, besser zu sein als unsere Mitbewerber, und eine hohe Kundenzufriedenheit sicherstellen.
Es kommt immer darauf an, wann Sie ihn buchen. Die höchsten Preise waren während der Pandemie. Da wurden schon mal 25’000 Dollar für einen 20-Fuss-Container aus Shanghai nach Europa bezahlt. Die Nachfrage überstieg das Angebot bei Weitem. Heute kostet ein 20-Fuss-Container ab Shanghai weniger als 2000 Dollar. Dann kommen noch die Verzollung und der Nachlauf dazu – die Zustellung bis zum Endkunden. Von Tür zu Tür von Shanghai bis Zürich kostet ein 20-Fuss-Container im Durchschnitt ungefähr 5000 Dollar.
Stefan Paul: «Durch diese aktuelle Zollthematik steigt die Nachfrage nach Zollfreilagern.» (Bild: Keystone / Christian Beutler)
Wir haben etwa 400’000 Kunden – vom Fortune-500-Unternehmen bis zum Mittelständler aus dem Emmental. Gesamteuropa ist für Kühne + Nagel immer noch die Nummer eins beim Umsatz. Die USA sind das umsatzstärkste Land und haben Deutschland mittlerweile abgelöst. Asien bleibt unsere wachstumsstärkste Region. Dort verzeichnen wir seit Jahren ein zweistelliges Wachstum. Europa stagniert, die USA wachsen leicht.
Wenn Sie zehn bis fünfzehn Jahre zurückgehen, dann wurde China vor allem als Werkbank des Westens genutzt. Die Fracht wurde fast immer in Europa und in den USA bezahlt. Heute gibt es immer mehr neue Brands in China und Südostasien, die ihre Logistikentscheidung in Asien fällen – und auch dort abrechnen. Deswegen verschiebt sich die Wachstumsopportunität ganz stark in Richtung Asien.
Ja, natürlich gibt es das – aber nicht bei uns, weil wir keine Schiffe füllen müssen. Ganz allgemein gilt für die Branche: Der meiste Seefrachttransport findet innerhalb Asiens statt mit ungefähr 43 Millionen Containern im Jahr. Darauf folgen 22 Millionen aus Asien in die USA und 15 Millionen Container von Asien nach Europa. 8,4 Millionen Container gehen von den USA nach Asien.
Ja klar, das sehen Sie ja auch im Supermarktregal.
Das wird nicht immer funktionieren. Hochpreisländer haben weder die Arbeitskräfte noch die Fähigkeiten, um T-Shirts, Spielzeug und andere Konsumgüter günstig zu produzieren.
Ebenso ein klares Nein. Damit würden Unternehmen zu viel Kapitalkosten binden. Allerdings: Durch die aktuelle Zollthematik steigt die Nachfrage nach Zollfreilagern. Das sind behördlich genehmigte Lager, in denen Ware unverzollt und unversteuert zwischengelagert wird. Viele Länder haben das – auch die Schweiz.
Gewissermassen. Viele Unternehmen warten die nächsten Wochen ab, um zu sehen, was mit den Zöllen passiert. Entweder sie verschiffen aktuell gar nicht mehr, oder sie setzen die Ware ins Zollfreilager.
Wir können Komplexität. Wenn alles normal laufen würde, dann brauchten Sie uns nicht. Dann könnten Sie den Transport allein organisieren. Die Seefracht hat typischerweise 18 oder mehr Touchpoints. Die Ware wird vom Abgangsort bis zum Endkunden so oft in irgendeiner Art im System berührt: Exportbuchung, Container freistellen, Importabwicklung, Value Added Services und noch viel mehr. Dafür braucht es Human Resources.
Wenn Sie privat eine Reise buchen, dann können Sie viel online machen. Das funktioniert mit Fracht jedoch nicht. Im Gegensatz zum Menschen kann Fracht nicht kommunizieren. Das bedeutet: Sie brauchen uns als Dienstleister, um Ihre Ware von A nach B zu bekommen. Je komplexer die Welt in der Abfertigungsleistung, desto stärker ist die Nachfrage nach unseren Produkten.
Nicht per se – aber es gibt sie nun mal, und wir lösen diese Situation für unsere Kunden.
Fracht findet immer ihren Weg.
Jede Sendung muss beim Zoll angemeldet werden. In Nordamerika und Europa ist das schon stark digitalisiert. Dort kann die Freigabe der Fracht teils innerhalb von Stunden erfolgen. In Asien, Afrika und im Nahen Osten geht es of deutlich manueller zu, mit viel Papier, und das kann auch mal Tage dauern.
Freihandelsabkommen fördern den globalen Handel und sind für unser Geschäft somit generell hilfreich. Aber: Die 18 oder mehr Touchpoints bleiben, und Zollabfertigungen müssen dennoch gemacht werden.
Aktuell nicht. Wenn weniger Ware verladen wird, werden wir das spüren, aber wir können auch in einem solchen Umfeld wachsen. Wir sind zwar einer der grössten Dienstleister im internationalen Umfeld – aber unser globaler Marktanteil liegt bei rund 5 Prozent. 95 Prozent des Markts liegen derzeit nicht in unserer Hand. Die Fragmentierung ist extrem hoch. Deshalb kann man auch bei stagnierendem Markt durch höhere Anteile wachsen.
Wir sind hier mit Mitarbeitenden aus rund 30 Nationen sehr international aufgestellt. Wir haben hier hervorragende Geschäftsbedingungen, aber der Standort bietet auch einen hohen Freizeitwert. Von hier aus kann man in wenigen Minuten mountainbiken, wandern und Ski fahren. Oder Sie wohnen in Zürich, haben die Internationalität dort und sind auch in 30 Minuten in Schindellegi. Wir haben keine grossen Schwierigkeiten, Leute zu rekrutieren.
Das betrifft wahrscheinlich hauptsächlich das Fahrpersonal in den USA. Für uns sehe ich nicht, dass wir weniger Leute werden. Wir sind auf Wachstumskurs. Unsere Strategie lautet: Das Volumen soll mittelfristig 1,5-mal so stark wachsen wie das globale Bruttoinlandprodukt. Wenn Sie Wachstum haben, dann brauchen Sie auch mehr Mitarbeitende. Unser Geschäft lebt von Menschen.
Egal mit welcher Krise oder welchen geopolitischen Themen wir konfrontiert waren, die Globalisierung hat immer stattgefunden. Der internationale Handel hat Jahr für Jahr Wachstum generiert und die Weltarmut drastisch reduziert. Der globale Handel wird weiterhin stattfinden. Fracht findet immer ihren Weg.
Zitiervorschlag: Interview mit Stefan Paul, CEO Kühne + Nagel (2025). «Ist die Welt überhaupt im Umbruch?». Die Volkswirtschaft, 21. Mai.
Stefan Paul, 56, ist seit 2022 CEO des Logistikkonzerns Kühne + Nagel mit Hauptsitz in Schindellegi SZ. Der gebürtige Münchner begann, nach seiner Lehre zum Speditionskaufmann, seine Karriere 1990 bei Kühne + Nagel in Deutschland. Nach weiteren Stationen bei Logistikfirmen unter anderem im Vereinigten Königreich und in Deutschland, zuletzt bei DHL, kehrte er 2013 zu Kühne + Nagel zurück und verantwortete dort zunächst den europäischen Landverkehr.
Der Konzern mit rund 82’000 Mitarbeitenden weltweit wurde 1890 in Bremen gegründet und ist seit 1975 in der Schweiz domiziliert.