
Die EU und Grossbritannien nähern sich wieder an. V. l. n. r.: EU-Rats-Präsident Antonio Costa, Premierminister Keir Starmer und EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen am UK-EU-Summit im Mai 2025. (Bild: Keystone)
Die Weltwirtschaft befindet sich im Umbruch. Einerseits haben die USA so hohe Zölle eingeführt, wie es sie seit den 1930er-Jahren nicht mehr gab, und es gibt Anzeichen für finanzielle Instabilität, welche die Rolle des Dollars im internationalen Währungssystem schwächen könnte. Andererseits verstärkt China seine staatlich gelenkte merkantilistische Politik und scheint nicht in der Lage oder nicht willens zu sein, sein Wachstumsmodell zu ändern.
Als unabhängiger europäischer Thinktank veröffentlicht Bruegel Studien zur Reform des regelbasierten Welthandelssystems und zu den transatlantischen Beziehungen. Die Europäische Union und viele andere Länder haben ein gemeinsames Interesse an einem regelbasierten Wirtschaftssystem, auch wenn dieses grundlegend umgestaltet werden muss. Sie sind besorgt über die Gefahr eines bipolaren Systems mit den zwei Polen China und USA. Doch eine geschlossene Koalition für den regelbasierten Handel hat sich bisher nicht formiert. Der Grund: unterschiedliche wirtschaftliche Interessen, protektionistischer Druck aufgrund von Wettbewerbsbedenken und die Notwendigkeit, unmittelbar auf Trumps Zölle zu reagieren.
Die Antwort der EU
Im März 2025 hat die US-Administration Zölle auf Stahl und Aluminium verhängt. Anfang April folgten ein 25-Prozent-Zoll auf Autos sowie sogenannte reziproke Zölle. Letztere sind inzwischen temporär ausgesetzt, mit Ausnahme eines pauschalen Zollsatzes von 10 Prozent auf alle Importe. Die USA haben seither begrenzte «Einigungen» mit gewissen Ländern verkündet und führen mit vielen Handelspartnern bilaterale Verhandlungen.
Neben den bilateralen Verhandlungen versucht die EU die Widerstandsfähigkeit ihrer Wirtschaft zu stärken. Im Bereich des Handels reagiert die EU, indem sie ihr Netz von Handelsabkommen stärkt. Damit sie dabei glaubwürdig bleibt, muss sie das Abkommen mit der Mercosur-Staatengemeinschaft rasch ratifizieren. Gleichzeitig sollte sie proaktiv strategischere Handelsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich und der Schweiz aufbauen sowie neue und teils schon länger laufende Verhandlungen über Freihandelsabkommen abschliessen – unter anderem mit Indien, Australien und wichtigen Ländern des Verbands Südostasiatischer Nationen (Asean)[1]. Auch Afrika sollte wieder stärker in den Fokus rücken: Den Anfang machen könnte der Abschluss der Verhandlungen über eine Partnerschaft für sauberen Handel und Investitionen mit Südafrika.
Allianz für den regelbasierten Handel
Doch die EU könnte mehr tun. Das Ziel könnte der Aufbau einer starken Allianz sein, die sich zum regelbasierten Handel und zu einer ehrgeizigen Reform der WTO bekennt.
Den Auftakt machen könnte ein Treffen der EU und der Mitgliedsstaaten der Comprehensive and Progressive Transpacific Partnership (CPTPP)[2]. Das CPTPP entstand 2018 als Antwort auf das Austreten der USA aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) unter Trump. Gleichgesinnte Länder wie Norwegen oder die Schweiz könnten sich anschliessen mit dem unmittelbaren Ziel gemeinsamer Grundsätze, wie man auf die US-Zölle und auf die neue Situation durch die Verhandlungen zwischen den USA und China reagiert. Entscheidend ist, dass die WTO-Regeln eingehalten werden. Die verschiedenen Handelsminister könnten auch darauf hinarbeiten, dass die WTO-Handelsministerkonferenz im nächsten Jahr in Kamerun ein Erfolg wird.
Vorarbeit am WTO-Ministertreffen
Die 14. WTO-Ministerkonferenz wäre eine Gelegenheit für die Politik, grundlegende Reformen zu diskutieren, welche die Stabilität des globalen Handelssystems wiederherstellen. Neben den CPTPP-Mitgliedern könnte die EU dort auch auf wichtige Akteure wie Brasilien, Indien und Südafrika zugehen.
Im Idealfall konzentrieren sich die Verhandlungen auf Themen, bei denen eine Zusammenarbeit mit China und den USA möglich ist und die den Anliegen der besonders gefährdeten Entwicklungsländer entsprechen. Denn sie sind von den aktuellen geopolitischen Spannungen am stärksten betroffen. Ein solches Verhandlungspaket könnte vier Ziele anstreben:
- Zoll- und kontingentfreier Zugang für die am wenigsten entwickelten Länder und die Befreiung dieser Länder vom 10-prozentigen Einfuhrzuschlag der USA.
- Unterstützung der wirtschaftlichen Integration der afrikanischen Länder – etwa eine gewisse Flexibilität bei Massnahmen, die afrikanischen Ländern helfen, die Wertschöpfung in Sektoren zu steigern, die für die Dekarbonisierung und die Diversifizierung grüner Wertschöpfungsketten zentral sind (z. B. Verarbeitung kritischer Rohstoffe, Investitionen in erneuerbare Energien oder saubere Stahlproduktion).
- Die WTO-Integration des bereits abgeschlossenen plurilateralen Abkommens über Investitionserleichterungen für Entwicklungsländer.
- Ausweitung der Übergangslösung für öffentliche Lagerhaltung auf die am wenigsten entwickelten Länder und die Entwicklungsländer, welche mehr Lebensmittel importieren als exportieren.
Die Ministerkonferenz könnte zudem anerkennen, dass neue Ansätze zur Verbesserung und Klarstellung der Vorschriften für Agrar- und Industriesubventionen nötig sind, sowie ein Arbeitsprogramm zur Ausarbeitung von Empfehlungen für die nächste WTO-Ministerkonferenz lancieren. Weitere mögliche Themen wären der Abschluss der Verhandlungen über die zweite Phase des Abkommens über Fischereisubventionen und eine Verlängerung des Moratoriums für den elektronischen Handel.
Umfassende Reformen sind nötig
Langfristig muss der Boden für grundlegende Reformen geebnet werden. Die derzeitige US-Regierung scheint zwar entschlossen, internationale Handelsregeln zu ignorieren. Doch ein Rückzug aus der wirtschaftlichen Integration der letzten 80 Jahre hätte enorme wirtschaftliche Kosten und steigerte das Risiko einer militärischen Konfrontation zwischen geopolitischen Rivalen dramatisch. Eine künftige US-Regierung, die teilweise als Reaktion auf die negativen wirtschaftlichen Folgen der Handelspolitik von Trump gewählt wird, könnte offener sein für eine ehrgeizige Reform der multilateralen Wirtschaftsordnung.
Bis zum Abschluss der Verhandlungen über multilaterale Reformen könnten die EU und die CPTPP-Länder einen strukturierten Rahmen für die Zusammenarbeit schaffen. Dieser sollte auch die Möglichkeit enthalten, plurilaterale Abkommen auszuhandeln, denen weitere Länder beitreten können. Zu den möglichen Verhandlungspunkten gehören ein Abkommen über den digitalen Handel, Grundsätze zur Förderung resilienter und nachhaltiger Wertschöpfungsketten sowie – vorbehaltlich weiterer Analysen – ein gemeinsames Protokoll über Ursprungsregeln.
Die aktuelle Zollkrise ist deshalb auch eine Chance. Es ist nicht zu erwarten, dass die USA oder China solche Reformen anführen werden. Deshalb braucht es eine Koalition, die sich verpflichtet, die Regeln einzuhalten und zu Reformen bereit ist. Wichtig ist: Die Reformen müssen den legitimen Bedenken Rechnung tragen, die zum Rückzug der USA aus dem regelbasierten Handel führten. Dazu gehören in erster Linie die Ungleichgewichte, die durch die merkantilistische Politik und das Wachstumsmodell Chinas entstanden sind.
Die EU könnte eine solche Koalition anführen. Sie sollte zwar zu bilateralen Verhandlungen mit den USA bereit sein, aber WTO-widrige Ansätze entschieden ablehnen.
Zitiervorschlag: Garcia Bercero, Ignacio (2025). Globaler Handelskonflikt: Chance für die EU. Die Volkswirtschaft, 10. Juni.