Staatsschulden: Ist Hidden Debt auch in der Schweiz ein Problem?
Hidden Debt: Auslöser der griechischen Staatsschuldenkrise 2010 waren auch «versteckte» Zahlungsverpflichtungen ausgelagerter Einheiten. (Bild: Keystone)
Wegen der hohen und in vielen Ländern steigenden Verschuldung warnen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank schon seit Längerem vor einer neuen Verschuldungskrise. Erinnerungen werden wach an die Finanzkrise 2008, als Staaten wie Griechenland und Portugal aufgrund ihrer hohen Staatsverschuldung der Staatsbankrott drohte. Damals zeigte sich, dass die Probleme der in Not geratenen Staaten oft bei den Zahlungsverpflichtungen ausgelagerter Einheiten, beispielsweise im öffentlichen Verkehr, im Gesundheitswesen oder im Finanzsektor, oder in nicht klassischen Schuldinstrumenten wie Leasing- oder Public-private-Partnership-Verträgen lagen. Das hatte zur Folge, dass die Sanierungsmassnahmen ein wesentlich grösseres Volumen als zuerst angenommen umfassten.
Solche sogenannten versteckten Staatsschulden werden von den Staaten oft nicht ausgewiesen. IWF und Weltbank empfehlen deshalb, diese versteckten Schulden transparent zu machen. Die Idee dahinter ist, dass nur bekannte Schulden ins Risikomanagement einbezogen werden können.
Wo versteckte Schulden schlummern
Der IWF hat insbesondere zwei Sachverhalte ermittelt, wo Schulden in erheblichem Ausmass versteckt sind: einerseits die institutionelle Abdeckung (englisch «institutional coverage»), andrerseits die Abdeckung hinsichtlich der Schuldinstrumente (englisch «debt instrument coverage»).[1]
Aus diesem Grund haben IWF und Weltbank in jüngeren Regulatorien und Publikationen[2] eine Begriffsanpassung vorgenommen, beispielsweise im Public Sector Debt Statistics Guide (PSDS) – einem Regelwerk des IWF für die Schuldenstatistik. Neu sprechen die beiden Organisationen jeweils von öffentlichen Schulden («public sector debt» oder «public debt») und nicht mehr von Staatsschulden («government debt»).
Der Unterschied: Die öffentlichen Schulden sind grösser und umfassen den gesamten öffentlichen Sektor und nicht nur den Sektor Staat. Zum Sektor Staat zählen die öffentlichen Gebietskörperschaften der drei Staatsebenen (in der Schweiz: Bund, Kantone, Gemeinden) sowie die Sozialversicherungen. Beim öffentlichen Sektor kommen zusätzlich die öffentlichen Finanz- und Nicht-Finanz-Unternehmen hinzu – das heisst sämtliche Unternehmen, Anstalten und Fonds wie etwa die Schweizerischen Bundesbahnen, öffentliche Spitäler oder Infrastrukturfonds. Der Grund, weshalb diese Institutionen miteinbezogen werden sollen, sind die makroökonomischen Risiken, die ihre Verschuldung mit sich bringt. Ein Beispiel ist die Zahlungsfähigkeit in Krisensituationen.
Versteckte Schulden gibt es gemäss IWF und Weltbank aber auch bei den Schuldinstrumenten, denn die klassische Staatsverschuldung umfasst nur Anleihen («debt securities») und Darlehen («loans»), obwohl auch andere Instrumente zu vertraglichen oder gesetzlichen Zahlungsverpflichtungen führen. Der PSDS schliesst deshalb zusätzlich zu Anleihen und Darlehen alle Instrumente ein, die zu Zahlungsverpflichtungen führen, namentlich Versicherungs- und Vorsorgeverpflichtungen, Finanzgarantien, Sonderziehungsrechte, Währungen in Zirkulation, Einlagen, Kreditoren[3] sowie Finanzleasing[4].
Grosse Transparenz beim Bund
Der IWF und die Weltbank unterstellen den Ländern nicht, dass sie diese Schulden absichtlich verstecken. Tatsächlich sind die heute publizierten Staatsschulden in den meisten Fällen durch nationale Gesetze vorgegeben und somit rechtmässig, wenn auch nicht unbedingt vollständig.[5]
IWF und Weltbank präsentieren keine Beurteilung einzelner Länder, auch nicht für die Schweiz. Vielmehr haben die beiden Organisationen Diagnoseinstrumente entwickelt, die eine vertiefte Analyse der Zahlungsverpflichtungen erlauben. An dieser Stelle geht es aber nur um eine erste grobe Einschätzung für die Schweiz.
Auf Bundesebene ist die Transparenz der Schulden weitgehend sichergestellt. Dort gibt es die Konsolidierte Rechnung Bund, die nach dem Rechnungslegungsstandard International Public Sector Accounting Standards (IPSAS) erstellt wird. Sie umfasst eine Vollkonsolidierung aller vom Bund kontrollierten Einheiten. Assoziierte Gesellschaften, bei denen der Bund mit 20 bis 50 Prozent beteiligt ist, sind in der Regel entsprechend der Equitymethode erfasst und bewertet. Die Vollkonsolidierung umfasst auch Unternehmen mit hohen Verpflichtungen wie die Postfinance, deren Kundengelder in der konsolidierten Bilanz ausgewiesen werden. Sie umfasst bis 2024 auch alle Arten von Instrumenten, die zu Zahlungsverpflichtungen führen, ab 2025 werden Leasingverpflichtungen nicht mehr erfasst.[6] Nicht konsolidiert werden, in Übereinstimmung mit IPSAS, die Kantone und Gemeinden, da sie nicht durch den Bund kontrolliert sind.
Weniger transparente Situation in Kantonen und Gemeinden
Auf Kantons- und Gemeindestufe ist die Situation dagegen weniger transparent. Das Harmonisierte Rechnungsmodell 2 (HRM2), die Fachempfehlungen für die Rechnungslegung der Kantone und Gemeinden, verlangt nur die Konsolidierung der ersten beiden Kreise. Diese beiden Kreise umfassen nur das Parlament, die Regierung, die engere Verwaltung (Kreis 1) sowie die Rechtspflege und weitere eigenständige kantonale Behörden (Kreis 2).[7] Nur die vier Kantone, die den IPSAS folgen[8], erstellen eine konsolidierte Rechnung, die auch den dritten Kreis, also die kontrollierten und assoziierten Unternehmen, umfasst.
Auf kommunaler Ebene ist das nur im Kanton St. Gallen obligatorisch.[9] Die übrigen 22 Kantone sowie die Gemeinden in 25 Kantonen weisen ihre Beteiligungen an Unternehmen gemäss HRM2 nur im Beteiligungsspiegel aus. Aber auch die vier Kantone mit Konsolidierung des dritten Kreises schliessen einzelne Institutionen, namentlich die Kantonalbanken, aus dem Konsolidierungskreis aus oder erfassen und bewerten sie gemäss der Equitymethode, sodass die Einlagen von Kundengeldern nicht in der konsolidierten Rechnung erfasst sind.
Die anderen Schuldinstrumente dürften bei den vier IPSAS-Kantonen weitgehend erfasst sein. Bei den anderen Kantonen sowie den Gemeinden ist dies grösstenteils, aber nicht vollständig der Fall. Das HRM2 verlangt nämlich nur die Bilanzierung von Anleihen, Darlehen, Vorsorgeverpflichtungen und Kreditoren. Bezüglich Kundengeldern, Finanzgarantien, Finanzierungsleasing sowie Public-private-Partnership gibt es keine verbindliche Vorgabe.
Auch die Finanzstatistik der Eidgenössischen Finanzverwaltung präsentiert nur ein konsolidiertes Bild der klassischen Schulden des Sektors Staat, also der drei Staatsebenen sowie der Sozialversicherungen, nicht jedoch des öffentlichen Sektors. Da sie auf den Jahresrechnungen der Gebietskörperschaften basiert, dürften insbesondere auf subnationaler Ebene zudem nicht alle Zahlungsverpflichtungen erfasst sein.
Die Situation in der Schweiz ist somit auf Bundesebene, dank der Konsolidierten Rechnung Bund, deutlich besser als in vielen anderen Ländern. Auf kantonaler und kommunaler Ebene fehlt allerdings eine aggregierte oder sogar konsolidierte Sichtweise weitgehend, und es bestehen Lücken hinsichtlich der ausgewiesenen Schuldinstrumente.
Ein möglicher Lösungsansatz
In einzelnen OECD-Ländern gibt es konsolidierte Jahresrechnungen, die den gesamten öffentlichen Sektor des Landes umfassen und auch hinsichtlich der Schuldinstrumente weitestgehend komplett sind. Diese Länder sind jedoch entweder Einheitsstaaten (z. B. Vereinigtes Königreich, Estland), oder sie erstellen die Jahresrechnung für den öffentlichen Sektor aufgrund von landesrechtlichen Vorgaben (z. B. Kolumbien). Beides trifft auf die Schweiz nicht zu. Deshalb dürfte der Weg über eine konsolidierte Jahresrechnung des gesamten öffentlichen Sektors hierzulande nicht umsetzbar sein.
Eher realistisch scheint daher eine Konsolidierung dieser Informationen über die Finanzstatistik. Sie hat den Vorteil, dass ihr zumindest keine rechtlichen Bedenken entgegenstehen. Allerdings: Wegen der finanziellen Verflechtungen der Gemeinwesen sowie der kontrollierten Einheiten müssten grosse, gegenseitige Transaktionen eliminiert werden, was zweifellos zusätzliche personelle Kapazitäten erforderte. Notwendig wäre zudem auch eine vollständigere Erfassung aller Schuldinstrumente. Insgesamt würde eine solche statistische Gesamtrechnung für den gesamten öffentlichen Sektor eine verlässlichere Steuerung der Verschuldung erlauben.
- Siehe Vasquez et al. (2024). []
- Siehe insbesondere IWF (2011, 2014, 218), Vasquez et al. (2024) und Ashcroft et al. (2024). []
- Siehe IWF (2011). []
- Siehe IWF (2014). []
- Siehe Vasquez et al. (2024). []
- Änderung der Finanzhaushaltverordnung (AS 2025 207). []
- Siehe HRM2 FE12 Ziff. 2. []
- Gemäss SRS-CSPCP (2023) sind das Basel-Stadt, Genf, Luzern und Zürich. []
- Siehe SRS-CSPCP (2023). []
Literaturverzeichnis
- Ashcroft, A., Vasquez, K. und R. Weeks-Brown (2024). Hidden Debt Hurts Economies: Better Disclosure Laws Can Help Ease the Pain. IWF, 2. April.
- IWF (2011). Public Sector Debt Statistics: Guide for Compilers and Users. Washington, D.C.: Internationaler Währungsfonds.
- IWF (2012). Fiscal Transparency, Accountability, and Risk. Washington, D.C.: Internationaler Währungsfonds.
- IWF (2014). Handbuch der Staatlichen Finanzstatistiken 2014 (Government Finance Statistics Manual 2014). Washington, D.C.: Internationaler Währungsfonds.
- IWF (2018). Fiscal Monitor: Managing Public Wealth. Washington D.C: Internationaler Währungsfonds.
- Konferenz der Kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (2008). Handbuch: Harmonisiertes Rechnungsmodell für die Kantone und Gemeinden HRM2 (Stand 1. Januar 2025).
- Sirois, B. und S. Gurazada (2024). Global Report on the Use of Accrual Accounting for Fiscal Management (English). Washington, D.C.: World Bank Group.
- SRS-CSPCP (2023). Einführung von HRM2 – Zusammenstellung nach Themen. Schweizerisches Rechnungslegungsgremium für den öffentlichen Sektor.
- Vasquez, K., Alex-Okoh, K., Ashcroft, A., Gullo, A., Kroytor, O., Liu, Y. und R. Snipeliski (2024). The Legal Foundations of Public Debt Transparency: Aligning the Law with Good Practices. Internationaler Währungsfonds. Washington D.C: IWF Working Paper No. 24/29.
Bibliographie
- Ashcroft, A., Vasquez, K. und R. Weeks-Brown (2024). Hidden Debt Hurts Economies: Better Disclosure Laws Can Help Ease the Pain. IWF, 2. April.
- IWF (2011). Public Sector Debt Statistics: Guide for Compilers and Users. Washington, D.C.: Internationaler Währungsfonds.
- IWF (2012). Fiscal Transparency, Accountability, and Risk. Washington, D.C.: Internationaler Währungsfonds.
- IWF (2014). Handbuch der Staatlichen Finanzstatistiken 2014 (Government Finance Statistics Manual 2014). Washington, D.C.: Internationaler Währungsfonds.
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- Vasquez, K., Alex-Okoh, K., Ashcroft, A., Gullo, A., Kroytor, O., Liu, Y. und R. Snipeliski (2024). The Legal Foundations of Public Debt Transparency: Aligning the Law with Good Practices. Internationaler Währungsfonds. Washington D.C: IWF Working Paper No. 24/29.
Zitiervorschlag: Bergmann, Andreas (2025). Staatsschulden: Ist Hidden Debt auch in der Schweiz ein Problem? Die Volkswirtschaft, 21. August.