Algorithmische Orchestrierung: Wie Plattformen Preise bestimmen
Willkommen im Traumhotel: Gut möglich, dass ein Algorithmus den Preis für Ihre Übernachtung bestimmt hat. (Bild: Keystone)
Gesunder Wettbewerb senkt die Preise und stärkt die Wirtschaft. Doch wenn Firmen die Preisfestsetzung an Algorithmen delegieren, kann das dazu führen, dass sich das Preisniveau für die Konsumierenden generell erhöht, ohne dass die Konkurrierenden die Preise untereinander absprechen – man spricht in der Ökonomie von («stillschweigender») algorithmischer Kollusion. Dieses Phänomen ist seit einigen Jahren bekannt.[1]
Eine deutliche Verschärfung der algorithmischen Macht ist die sogenannte algorithmische Orchestrierung. Damit ist gemeint, dass Algorithmen auf einer Onlineplattform automatisiert die Preise mehrerer Anbieter gleichzeitig so anpassen, dass auch die Plattform selbst davon profitiert. Bekannt ist das Beispiel etwa von Hotelbuchungsplattformen. Was sagt das Kartellrecht dazu? Und wie liesse sich Missbrauch durch die Plattformen verhindern?
Die ersten Algorithmen bei Benzinpreisen
Stellen wir uns eine ideale Wettbewerbssituation vor: Zwei Tankstellen stehen nebeneinander an derselben Strasse. Zu jedem Zeitpunkt kann eine Tankstelle die Preise der anderen unterbieten, um so vorbeifahrende Kunden abzuwerben: Ein Preiskrieg folgt und drückt die Gewinne beider auf ein kompetitives Minimum. Weil so beide keinen Gewinn mehr machen, erhöhen sie die Preise wieder, und der Wettbewerb beginnt erneut. Solche Zyklen des iterativen Unterbietens mit sprunghafter Rückkehr zu höheren Preisen werden Edgeworth-Zyklus genannt.[2]
Das Preisverhalten von Tankstellen ist theoretisch und empirisch gut untersucht.[3] Dokumentiert sind dabei genau solche Edgeworth-Zyklen. Tankstellen gehören zu den frühen Anwendern von Algorithmen, die ihre Preise automatisch und mehrmals täglich abhängig von der Nachfrage und den Preisen der unmittelbaren Konkurrenz anpassen. Wir wissen heute, dass solche Algorithmen Kollusion und Preiszyklen ohne explizite Absprachen erlernen.[4] Das Resultat sind volatile und teils hohe Preise.
Was sagt das Kartellrecht dazu?
Handelt es sich dabei schon um Kollusion? Aus wettbewerbspolitischer Sicht ist der Fall komplex. Ursprünglich verstand man unter Kollusion kartellrechtlich nämlich nur explizite Konstrukte zwischen Unternehmen in Form von klar illegalen Absprachen. Beispiele sind das globale Luftfrachtkartell, das 2005 durch Selbstanzeige aufgedeckt wurde und auch die Swiss betraf, oder das Bündner Baukartell, das 2017 aufgedeckt wurde.
Mit der Verbreitung von Algorithmen ist die Lage komplizierter geworden. Auch wenn diese zu überhöhten Preisen führen können, fehlt bei sogenannter stillschweigender Kollusion die explizite menschliche Absprache. Trotzdem macht sie das nicht legal. Denn auch mit «bewusster Parallelität» – also wissentlich gleichförmigem Verhalten ohne ausdrückliche Absprache – kann man gemäss Kartellrecht gegen das Konkurrenzprinzip verstossen.
Parallelität an sich ist zwar rechtlich neutral. Ein legales Beispiel sind die oben beschriebenen Edgeworth-Zyklen im Tankstellenbeispiel: Sowohl gegenseitiges Unterbieten (um Kundschaft abzuwerben) als auch Preiserhöhungen weg vom Minimum (sobald kein Gewinn mehr verbleibt) sind nachvollziehbar. Damit Parallelität illegal wird, braucht es zusätzliche Faktoren wie fehlende logische Erklärungen des Verhaltens im Sinne des Eigeninteresses. Zum Beispiel sind koordinierte Preiserhöhungen inmitten eines Zyklus des Unterbietens, bevor ein Minimum erreicht wurde, nicht durch Eigeninteresse erklärbar. Aber ab wo paralleles Verhalten rechtswidrig wird, ist umstritten und wird im Einzelfall beurteilt.
Vom algorithmischen Wettbewerb zur Orchestrierung
Im Falle der Tankstellen-Algorithmen spricht man von algorithmischem Wettbewerb. Bezeichnend ist hier, dass die einzelnen Unternehmen jeweils eigene Algorithmen einsetzen, um die Preise zu berechnen, sodass ihr eigener Profit maximiert wird. Doch seit einigen Jahren gibt es auch Onlineplattformen, welche die Preise für eine Vielzahl von Wettbewerbern gleichzeitig und mit denselben Algorithmen orchestrieren. Solche Plattformen liefern etwa Preise für Hotels, Flüge oder Produkte.
Das Entscheidende beim Wettbewerb auf solchen Plattformen ist, dass die konkurrierenden Anbieter zunehmend nicht mehr eigene Preisalgorithmen verwenden (wie die Tankstellen), sondern bei der Plattform direkt ein Preistool lizensieren. Somit bedient die Plattform mehrere direkte Konkurrenten mit den gleichen Algorithmen und beeinflusst deren Preisentscheidungen gleichzeitig – deshalb spricht man hierbei von algorithmischer Orchestrierung.
Wer profitiert von Orchestrierung – und wer nicht?
Um die Auswirkungen algorithmischer Orchestrierung sinnvoll einzuordnen und damit den Boden für eine gute Regulierung zu bereiten, muss man die zugrunde liegenden Anreize verstehen. Einerseits verdienen Plattformen ihr Geld häufig über prozentuale Verkaufsgebühren, sodass ihre Einnahmen mit höheren Endpreisen steigen. Sowohl die Plattform als auch die konkurrierenden Anbieter haben also ein Interesse an hohen Preisen. Eine Orchestrierung ist somit potenziell eine Gefahr für die Konsumierenden.
Andererseits sind Plattformen zentrale Sammelstellen wertvoller Information. Sie senken Suchkosten, erhöhen die Vergleichbarkeit und verbessern das Matching, was die Markteffizienz steigern kann. Gerade zu Beginn waren Plattformen auch häufig Orte, wo Kunden die besten Deals und Alternativen fanden. Werden die Informationen von den Plattformen also richtig bereitgestellt und von den Kunden richtig genutzt, könnten konkurrierende Algorithmen gesunden Preiswettbewerb also durchaus fördern: Für die Nutzer entstehen tiefere Preise, und zugleich bleiben die Preise für die Anbieter fair und tragfähig.
Algorithmische Orchestrierung ist also ein zweischneidiges Schwert. Sie kann Kollusion und reine Gewinnmaximierung begünstigen, aber auch den Nutzern und der Markteffizienz zugutekommen.
Angepasste Gebührenstruktur und Marktregeln
Es stellt sich die schwierige Frage, wie die algorithmische Orchestrierung wirksam reguliert werden kann, auch wenn im herkömmlichen Sinne kein kartellrechtlich relevantes Verhalten vorliegt. Ein Problem dabei ist auch, dass die Regulierung der Innovation stetig hinterherhinkt.
Moderne Regulierungen versuchen die Transparenz zu erhöhen, um Benutzerrisiken zu minimieren. Ein konkreter US-Gesetzesentwurf untersagt den Einsatz und die Weitergabe von Preisalgorithmen, die nicht öffentliche Wettbewerberdaten verwenden, einbeziehen oder mit solchen Daten trainiert wurden. Nutzen mehrere Anbieter einen solchen Algorithmus, gilt die kartellrechtliche Vermutung einer Absprache.[5] Dahinter steckt die Hoffnung, dass so eine Orchestrierung der Konkurrenz durch zentrale Algorithmen verhindert wird. Doch die neuere Forschung zeigt bereits, dass Algorithmen auch ohne das Training mit Wettbewerberdaten kooperatives Verhalten lernen können.[6]
Eine andere Regulierungsmethode könnte bei der umgebenden Marktstruktur ansetzen, indem sie legale Gebührenstrukturen vorschreibt. Denn ein zentrales Problem sind die Kommissionsgebühren, die sich am Preis orientieren und so dafür sorgen, dass sowohl die Plattform als auch die Verkäufer ein Interesse an hohen Preisen haben. Neu wäre ein Modell mit einer fixen Gebühr, deren Aufteilung sich – gemessen am Abstand zu einem Referenzpreis – zwischen Käufer und Verkäufer verschiebt: Liegt der Handelspreis unter dem Referenzwert, trägt der Käufer den grösseren Anteil; liegt er darüber, der Verkäufer. Die Plattform erhält damit einen fixen Betrag, unabhängig vom Preisniveau, und fungiert so als neutrale Vermittlerin, die nicht von hohen Preisen profitiert.
Fakt ist: Algorithmen sind gekommen, um zu bleiben. Sie zu verbieten, ist aussichtslos. Eine gute Marktregulierung muss also die richtigen Anreize setzen und darf die Plattformen nicht zu Komplizen der Anbieter werden lassen.
Literaturverzeichnis
- Assad, S. et al. (2024). Algorithmic Pricing and Competition: Empirical Evidence from the German Retail Gasoline Market. Journal of Political Economy 132.3 (2024): 723–771.
- Calvano, E. et al. (2020). Artificial Intelligence, Algorithmic Pricing, and Collusion. American Economic Review 110.10: 3267–3297.
- Eschenbaum, N. (2020). Künstliche Intelligenz überlistet Wettbewerbsrecht. Die Volkswirtschaft, 23. Dezember.
- Maskin, E. und J. Tirole (1988). A Theory of Dynamic Oligopoly, II: Price Competition, Kinked Demand Curves, and Edgeworth Cycles. Econometrica: Journal of the Econometric Society: 571–599.
- Noel, M. D. (2008). Edgeworth Price Cycles and Focal Prices: Computational Dynamic Markov Equilibria. Journal of Economics & Management Strategy 17.2: 345–377.
- United States Senate (2025–2026). S. 232 Preventing Algorithmic Collusion Act of 2025(119th Cong.). 23 January 2025.
Bibliographie
- Assad, S. et al. (2024). Algorithmic Pricing and Competition: Empirical Evidence from the German Retail Gasoline Market. Journal of Political Economy 132.3 (2024): 723–771.
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Zitiervorschlag: Carrissimo, Cesare; Jantschgi, Simon; Nax, Heinrich (2025). Algorithmische Orchestrierung: Wie Plattformen Preise bestimmen. Die Volkswirtschaft, 20. November.