Trotz weniger Unfällen: Arbeitsabsenzen nehmen zu
Schweisser in einer Gaspipeline: Die Unfälle am Arbeitsplatz gehen zurück – auch wegen besserer Arbeitssicherheit. (Bild: Keystone)
Das reale BIP pro Kopf stieg in der Schweiz seit 1990 um 27 Prozent.[1] Dieser zunehmende Wohlstand ging auch einher mit einer besseren Gesundheit.[2] In der gleichen Zeitspanne stieg die Lebenserwartung hierzulande um 9 Prozent.[3] Dank medizinischer sowie sicherheitstechnischer Fortschritte sank die Sterblichkeit durch Krankheiten wie Krebs sowie Unfälle deutlich.
Zwischen Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit besteht ein enges, wechselseitiges Verhältnis. Die bessere Gesundheit hat nämlich wiederum einen positiven Effekt auf die Erwerbstätigkeit: Wir leben nicht nur länger, sondern bleiben auch länger gesund und damit «arbeitsfähig». Das ist für den Arbeitsmarkt eine Chance. Denn mit Krankheiten, die noch vor einigen Jahrzehnten fast sicher zum vorzeitigen Austritt aus dem Arbeitsleben führten, kann man heute dank medizinischem Fortschritt oft noch Jahre – auch über das Pensionsantrittsalter hinaus – weiterarbeiten. Die bessere Gesundheit ist zwar nicht der einzige Grund für die steigende Erwerbsquote bei den über 55- und auch bei den über 65-Jährigen. Dennoch ist die Gesundheit eine notwendige Bedingung.
Arbeiten wird sicherer
Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert – und damit auch die Gesundheitsrisiken. Als Folge von Strukturwandel, technologischem Fortschritt, sinkender Arbeitszeit und wirksamer Prävention hat sich die Arbeitssicherheit verbessert. Gemäss der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) hat sich die Zahl der registrierten Unfälle am Arbeitsplatz seit den 1980er-Jahren nahezu halbiert; sie lag 2023 bei 59 Fällen pro 1000 Vollzeitbeschäftigten. Im Gegensatz dazu ist bei den Freizeitunfällen kein Abwärtstrend zu beobachten (siehe Abbildung 1). Als Folge der veränderten Arbeitswelt hat sich der Fokus zunehmend von der Arbeitssicherheit weg und hin zu einem umfassenden gesundheitlichen Arbeitsschutz verschoben, der auch psychische Risiken berücksichtigt.
Abb. 1: Unfälle am Arbeitsplatz nehmen ab (1984–2023)
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Steigende Absenzen
Doch trotz des Rückgangs bei den Unfällen am Arbeitsplatz: Die gesundheitsbedingten Absenzen vom Arbeitsplatz sind in der Schweiz zwischen 2010 und 2024 um mehr als ein Drittel gestiegen, von 6,3 auf 8,5 Tage pro Jahr und Vollzeitstelle. Unter der Annahme, dass der Lohn der Produktivität der Arbeit entspricht, beliefen sich im Jahr 2024 die volkswirtschaftlichen Kosten aufgrund von krankheits- und unfallbedingten Absenzen auf rund 12 Milliarden Franken in Form von Produktionsverlusten.[4] Das sind rund 1,5 Prozent des BIP (siehe Abbildung 2). Gegenüber 2010 sind das 4,4 Milliarden Franken mehr pro Jahr oder gemessen am BIP eine prozentuale Zunahme von 25 Prozent.
Tatsächlich sind die Kosten aber noch höher. Denn noch nicht in den 12 Milliarden Franken enthalten ist der organisatorische Mehraufwand für die Unternehmen im Falle solcher Absenzen. Mitarbeitende müssen einspringen und Mehrarbeit leisten, was für diese eine zusätzliche Belastung bedeutet. Ausserdem verschärfen die Absenzen den Arbeitskräftemangel, und sie können dazu führen, dass Projekte oder auch Innovationen aus Kapazitätsgründen zurückgestellt werden müssen. Ist eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nicht möglich, resultiert für sie gar ein Verlust an Humankapital.
Abb. 2: Absenzen wegen Krankheit oder Unfall verursachen hohe volkswirtschaftliche Kosten
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Psychische Erkrankungen, Absentismus und Alterung
Weshalb die gesundheitsbedingten Absenzen zunehmen, lässt sich nicht restlos klären, auch weil in den Statistiken keine Informationen zu den medizinischen Ursachen vorliegen.[5] Drei Faktoren dürften jedoch eine Rolle spielen:
Erstens nehmen Arbeitsunfähigkeiten aus psychischen Gründen zu. Laut Auswertungen[6] sind bei Krankentaggeldversicherungen die Fallzahlen mit der Diagnose «Psychische Erkrankung» im Verhältnis zum Versicherungsbestand innerhalb von zehn Jahren um rund 60 Prozent gestiegen. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei der Invalidenversicherung (IV) beobachten: Jede zweite IV-Neurente wird heute aufgrund einer psychischen Erkrankung zugesprochen. Besonders auffällig ist die Zunahme bei den jungen Generationen. Herausforderungen am Arbeitsplatz können dabei eine Rolle spielen, aber auch gesellschaftliche Entwicklungen wie die Enttabuisierung von psychischen Erkrankungen könnten einen Einfluss haben. Krankschreibungen aufgrund von psychischen Problemen führen zu überdurchschnittlich langen Absenzen und oft zu einem Verlust der Arbeitsstelle.[7]
Zweitens könnte die Zunahme der Absenzen auch damit zu tun haben, dass sich das Verhalten seit der Coronapandemie geändert hat: Um Ansteckungen zu vermeiden, bleibt man heute unter Umständen eher krankheitsbedingt zu Hause, statt gesundheitlich angeschlagen zur Arbeit zu gehen. Übereinstimmend mit dieser möglichen Erklärung zeigen die Zahlen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) des Bundesamts für Statistik, dass der Anteil der Erwerbstätigen, die in den vergangenen vier Wochen eine gesundheitsbedingte Absenz von mindestens einem halben Tag hatten, zugenommen hat: Er stieg von 12 Prozent (2010) auf 18 Prozent (2024).[8] Hingegen hat die mittlere Absenzendauer abgenommen von 4,2 (2010) auf 3,7 Tage (2024). Das zeigt: Ein grösserer Anteil der Erwerbstätigen ist häufiger krank – wenn auch im Schnitt weniger lang.
Drittens spielt auch das Alter eine Rolle. Wie zu Beginn des Artikels dargestellt sind ältere Personen heute zwar gesünder als frühere Generationen. Dennoch nehmen chronische Erkrankungen insgesamt zu. Der Grund liegt in der demografischen Entwicklung: Das mittlere Alter der Erwerbsbevölkerung steigt und damit auch der Anteil von Erwerbspersonen mit chronischen Erkrankungen. Das heisst: Ältere Erwerbstätige, die einen immer grösseren Anteil an der Arbeitsbevölkerung ausmachen, fehlen zwar seltener krankheitshalber – etwa nur halb so häufig wie ihre jüngsten Kolleginnen und Kollegen –, dafür dauern ihre Absenzen im Krankheitsfall aber oft länger, was insgesamt zu mehr Absenzen führt.
Unter dem Strich lässt sich also sagen: Die Arbeitswelt ist zwar sicherer geworden, was sich in weniger Unfällen zeigt. Gleichzeitig haben jedoch krankheitsbedingte Absenzen und die damit verbundenen Kosten zugenommen. Die Gründe für die Zunahme der Absenzen sind viefältig und nicht zuletzt durch gesellschaftliche Entwicklungen geprägt. Die Ursache einzig bei der Arbeit selbst zu suchen, greift sicher zu kurz. Gleichwohl tragen letztlich die Unternehmen einen wesentlichen Anteil an den Kosten zunehmender Absenzen. Sie haben daher ein grosses Interesse an gesunden Mitarbeitenden.
- BAK Economics, BFS. []
- Siehe Pritchett und Summers (1996). []
- Quelle: BFS. []
- Medianlohn (Quelle: BAK) multipliziert mit dem Absenzenvolumen aufgrund von Krankheit oder Unfall (Quelle: BFS/Sake). []
- Quelle für Absenzen ist die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (Sake). []
- Fallzahlen von Swica und PK Rück. []
- Siehe Baer et al. (2022). []
- Siehe Sake, BFS. Die Frage lautete: Haben Sie in den letzten vier Wochen aufgrund von Krankheit oder Unfall bei der Arbeit gefehlt? []
Literaturverzeichnis
- Baer, Niklas et al. (2022): WorkMed, HSD Hochschule Döpfer, SWICA Krankenversicherung, ValueQuest: Krankschreibungen aus psychischen Gründen in der Schweiz: Hintergründe, Verläufe und Verfahren
- Pritchett, Lant; Summers, Larry H. (1996). Wealthier is Healthier, In: Journal of Human Resources, 31, 841–868.
- Zobrist, L., V. Müller, S. Hofer und C. Knöpfel (2025). Arbeit und Gesundheit im Wandel. Zürcher Wirtschaftsmonitoring, Juni 2025. Amt für Wirtschaft, Zürich.
Bibliographie
- Baer, Niklas et al. (2022): WorkMed, HSD Hochschule Döpfer, SWICA Krankenversicherung, ValueQuest: Krankschreibungen aus psychischen Gründen in der Schweiz: Hintergründe, Verläufe und Verfahren
- Pritchett, Lant; Summers, Larry H. (1996). Wealthier is Healthier, In: Journal of Human Resources, 31, 841–868.
- Zobrist, L., V. Müller, S. Hofer und C. Knöpfel (2025). Arbeit und Gesundheit im Wandel. Zürcher Wirtschaftsmonitoring, Juni 2025. Amt für Wirtschaft, Zürich.
Zitiervorschlag: Hofer Frei, Simone; Müller, Valérie; Zobrist, Luc; Knöpfel, Corinne (2025). Trotz weniger Unfällen: Arbeitsabsenzen nehmen zu. Die Volkswirtschaft, 28. November.