Ist das regelbasierte Handelssystem am Ende?

Wenn die übrigen Nationen weiterhin die Regeln befolgen, kann das regelbasierte Handelssystem überleben. (Bild: Keystone)
Die einzige wirklich bedeutende Veränderung besteht darin, dass sich die USA, die ehemalige Hüterin des Handelssystems, vollständig aus diesem zurückgezogen haben. Dies ist kein Versuch, den Welthandel neu zu gestalten. Es ist lediglich ein Versuch der US-Regierung, mit der Erhöhung von Zöllen alle Regeln zu ignorieren und alle Handelsversprechen zu brechen, die die USA jemals gemacht haben. Glücklicherweise ist kein anderes grosses Handelsland diesem Regelverstoss gefolgt.
Die USA machen weniger als 15 Prozent der weltweiten Importe aus. Daher ist es entscheidend, dass die Nationen, die die restlichen 85 Prozent ausmachen, weiterhin die Regeln befolgen. Wenn sie dies tun oder sich zumindest darum bemühen, wird das regelbasierte System überleben. Es sind schliesslich die WTO-Regeln, die verhindert haben, dass der US-Protektionismus zu einem globalen Protektionismus eskaliert ist.
All dies lässt China als Handelspartner zuverlässiger und stabiler erscheinen.
Der Protektionismus der USA wird bestehen bleiben. In meinem aktuellen E-Book «The Great Trade Hack» schreibe ich, dass die USA – im Gegensatz zu früher – eher zögerlich oder sogar feindselig gegenüber dem Handel sind. Dies ist mittlerweile ein parteiübergreifender Konsens. Selbst wenn 2028 ein demokratischer Präsident gewinnt, glaube ich, dass ein Grossteil der von Trump eingeführten Zölle bestehen bleibt. Wir steuern meiner Meinung nach auf eine Welt zu, in der die USA mit ihren hohen Zöllen eine Ausnahme bilden. Dies wird die USA zu einer noch geschlosseneren Wirtschaft mit geringeren Importen und Exporten im Verhältnis zum BIP machen.
Der neue Schutz ausserhalb der USA wurde grösstenteils mit WTO-konformen Mitteln wie Antidumpingzöllen erreicht. Ebenso gab es auch neue Handelsliberalisierungen, etwa zwischen China und Brasilien oder zwischen Grossbritannien und Indien.
Bis April 2025 wurden die zunehmenden geopolitischen Spannungen hauptsächlich als Handelskrieg zwischen den USA und China betrachtet. Aber jetzt sieht es vielmehr nach einem Konflikt zwischen den USA und dem Rest der Welt aus. Ebenso untergräbt die chaotische US-Handelspolitik das Vertrauen der Nationen in alles, was die USA versprechen. All dies lässt China als Handelspartner zuverlässiger und stabiler erscheinen.
Interview: Die Volkswirtschaft
Zitiervorschlag: Nachgefragt bei Richard Baldwin, IMD Business School (2025). Ist das regelbasierte Handelssystem am Ende? Die Volkswirtschaft, 25. August.