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Entkopplung China – USA: Das Undenkbare denken

Die geopolitische Auseinandersetzung zwischen den USA und China stimmt besorgt. Kommt es noch zu einer neuen Balance, oder eskaliert der Konflikt? Eine Studie hat die Folgen einer Eskalation geschätzt – auch für die Schweiz.
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Trader an der New Yorker Börse: Eine Entkopplung zwischen der chinesischen und der US-amerikanischen Wirtschaft hätte negative Auswirkungen auf die Aktienmärkte. (Bild: Keystone)

Mit seinen Zöllen hatte es US-Präsident Donald Trump vor allem auf China abgesehen. Im April hat er Zusatzzölle von 145 Prozent auf Waren aus dem Reich der Mitte angeordnet. Chinas Reaktion folgte postwendend. US-Importe in China wurden mit 125 Prozent verzollt. Im Mai haben die beiden Staaten vereinbart, die Zusatzzölle vorübergehend auf 10 Prozent (US-Importe in China) und 30 Prozent (chinesische Importe in die USA) zu reduzieren.

Damit ist die Chance auf eine Deeskalation zwar grösser geworden. Wie es weitergeht, ist dennoch unklar. Auch das bisher Undenkbare muss weiterhin gedacht werden, weil es in den noch laufenden Verhandlungen als Drohkulisse weiterexistiert[1]: Im äussersten Fall könnte es sogar zu einer globalen Entkopplung kommen, die weitere Staaten in den Handelskrieg hineinzieht und zu einem weltweiten Bruch des globalen Handels in zwei Wirtschaftsblöcke führt. Eine Studie[2] der ETH Zürich hat untersucht, wie dieses Extremszenario zu modellieren und zu denken ist.

Zwei Blöcke

In unserer Studie nehmen wir an, dass sich einem USA-Block die EU, Norwegen, die Schweiz sowie die nicht zur EU gehörenden G7-Staaten Kanada, Japan und Vereinigtes Königreich anschliessen. In unserem Szenario implementieren diese Länder erhebliche Handelsbarrieren für Güter aus dem zweiten wirtschaftlichen Block rund um China (einschliesslich Taiwan), welche ebenso reagieren. Länder ausserhalb der beiden Blöcke (zum Beispiel Brasilien und Indien) handeln weiterhin ohne direkte Störungen, sind jedoch von indirekten Auswirkungen wie etwa Lieferkettenunterbrüchen betroffen. Gleichzeitig können sich auch neue Exportchancen für diese Länder eröffnen.

Bei einer solchen Entkopplung wäre China der grosse Verlierer. Insgesamt würden aber alle Länder wirtschaftlich enorm darunter leiden (siehe Abbildung). China würde viele Exportmärkte und durchaus auch zentrale Zulieferer von Zwischenprodukten, Investitionsgütern und damit auch Technologien verlieren. Das wird die chinesische Volkswirtschaft spüren, auch wenn das Land in den letzten Jahren immer unabhängiger etwa von Zulieferern aus den USA geworden ist.

China würde bei einem Stopp des Handels mit den USA und deren Verbündeten am meisten leiden

INTERAKTIVE GRAFIK
Anmerkung: Die Abbildung zeigt die realen Einkommensverluste allein aufgrund der Handelseffekte. Diese sind für die USA auf 1 normiert. Die tatsächlichen Verluste in Prozent des BIP sind von der Geschwindigkeit der Entkopplung sowie der Höhe der Second-Layer-Effekte abhängig.
Lesebeispiel: Wenn zum Beispiel die Verluste in den USA 1 Prozent des BIP betragen, sind es in der Schweiz 1,2 Prozent und in China 2,8 Prozent des BIP.
Quelle: Gersbach, Maunoir und Walsh (2025) / Die Volkswirtschaft

Präzisionsinstrumente und Chemie aus der Schweiz profitieren

Aber auch alle Länder des von den USA angeführten Blocks, inklusive der USA selbst, erleiden starke wirtschaftliche Verluste. Denn viele zentrale Zulieferer für die Produzenten in der Elektronik- oder der Pharmaindustrie würden wegfallen. Zudem wären eine ganze Reihe an Endprodukten für die Konsumenten, insbesondere in der Elektronik, nicht mehr verfügbar.

Auch die Schweiz wäre davon massiv betroffen. Allerdings würden nicht alle Sektoren hierzulande gleich stark verlieren. Die grössten Verlierer wären die Maschinen- und die Pharmaindustrie. Profitieren würden hingegen die Schweizer Produzenten von Präzisionsinstrumenten und chemischen Produkten. Denn solche Produkte aus der Schweiz würden deutlich stärker nachgefragt, wenn die chinesischen Exporteure wegfielen.

Gründe für den Rückgang

Die Einbussen der Realeinkommen entstehen einerseits durch die kleineren Absatzmärkte im Ausland. Andererseits müssen die Konsumenten aufgrund einiger wegfallender Importprodukte auf andere und womöglich teurere Produkte umsteigen. Gleichzeitig müssen die Produzenten teurere Grundstoffe und Zwischenprodukte einsetzen oder ihre Produktionstechnologie ändern.

Hinzu kommen die Second-Layer-Effekte, welche zu den reinen Handelseffekten aus dem Handelsmodell hinzuaddiert werden müssen und diese sogar dominieren: Dabei handelt es sich beispielsweise um kritische Rohstoffe, die nicht leicht ersetzt werden können. Aufgrund der natürlichen Knappheit und Chinas dominierender Stellung auf den Weltmärkten besteht ein hohes Beschaffungsrisiko für westliche Länder. In der EU sind gemäss «Critical Raw Materials Act», mit dem die EU eine nachhaltigere Versorgung sicherstellen will, 34 kritische Rohstoffe aufgeführt. Viele davon sind stark von Zulieferern aus China abhängig und sind essenziell für Schlüsseltechnologien in der Automobil- und der Hightechbranche.

Für die Schweiz ist die Lage etwas weniger angespannt: Zwar ist die durchschnittliche Abhängigkeit von solchen kritischen Rohstoffen geringer als etwa in Deutschland, allerdings ist insbesondere der Pharmasektor besonders stark abhängig von Vorprodukten aus China.[3] Besonders viele Branchen wären bei einer raschen Entkopplung insbesondere dann betroffen, wenn Taiwan als global führender Anbieter fortgeschrittener Halbleiterprodukte wegfiele. Die Abhängigkeit von solchen Computerchips aus Taiwan ist in der EU und der Schweiz mindestens so ausgeprägt wie in den USA. Das gilt insbesondere im Bereich fortgeschrittener und spezialisierter Halbleiter.

Wechselkursanpassungen, wegbrechende ausländische Direktinvestitionen und Firmenbankrotte würden die Lage zusätzlich verschärfen. Zudem können finanzielle Friktionen und Preisrigiditäten, welche die Anpassung der Preise an die neuen Gegebenheiten verhindern, eine wirtschaftliche Abwärtsbewegung verstärken. Beispielsweise wenn die Verluste die Unternehmen dazu veranlassen, aufgrund von Kreditbeschränkungen oder verstärkter Unsicherheit Investitionen zurückzufahren. Diese Verstärkungseffekte wären erheblich.

Es ist deshalb klar, dass eine abrupte Entkopplung Produktionsstopps, leere Regale für End- und Zwischenprodukte, Lieferengpässe, Firmenbankrotte und sehr starke Handelsverluste auslösen würde. Darüber hinaus würde es zu einer enormen Erschütterung des Geld- und Finanzsystems kommen. Die Rolle des Dollars als Reservewährung und die Verschuldungsmöglichkeiten verschiedener Länder mit jetzt schon hohen Schuldenständen würden drastisch reduziert, Staatsbankrotte und steigende Inflation wären die wahrscheinliche Folge.

Enorme Weltwirtschaftskrise wahrscheinlich

Insgesamt würde eine rasche Blockbildung in eine Weltwirtschafts- und Finanzkrise münden – mit massiven Einbrüchen auch an den Aktienmärkten. Diese Krisen wären deutlich einschneidender und länger als in den letzten Jahrzehnten – einschliesslich der Coronakrise oder der Finanzkrise von 2008.

Selbstverständlich darf man nicht unterschätzen, dass sich Marktwirtschaften rasch an neue Gegebenheiten anpassen können. Dennoch würde eine rasche globale Entkopplung solche positiven Effekte bei Weitem übersteigen. Zudem würde sie eine fundamentale Neuordnung globaler Wertschöpfungsketten erzwingen, mit enormen Investitionsaufwendungen, welche das Wachstum auf längere Zeit limitierten.

Das Szenario einer globalen Entkopplung zwischen den USA und China ist kein blosses Gedankenspiel. Die Schweiz sollte sich sowohl politisch als auch wirtschaftlich so gut wie möglich auf eine fragmentierte Weltordnung vorbereiten – mit klarem Blick auf strategische Abhängigkeiten und einem adäquaten Versorgungssicherheitskonzept. Hier ist schon einiges gemacht worden, aber es gibt noch viel zu tun.

  1. Siehe auch die Artikel zur spieltheoretischen Analyse von Handelskriegen und zur theoretischen Wirkung von Zöllen in diesem Schwerpunkt. []
  2. Siehe Gersbach, Maunoir und Walsh (2025). []
  3. Siehe Bundesrat (2024). []

Literaturverzeichnis

 


Bibliographie

 

Zitiervorschlag: Gersbach, Hans; Maunoir, Paul; Walsh, Kieran (2025). Entkopplung China – USA: Das Undenkbare denken. Die Volkswirtschaft, 10. Juni.